Titel:
zur sachlichen Zuständigkeit bei Restitutionsklagen
Normenketten:
VwGO § 83 S. 1, § 153 Abs. 1
ZPO § 578 Abs. 1, § 584 Abs. 1
GVG § 17a Abs. 2
Leitsätze:
1. Über den Wortlaut des § 153 Abs. 1 VwGO iVm § 578 Abs. 1 ZPO hinaus sind Restitutionsklagen bzw. -anträge nicht nur gegen Endurteile, sondern auch gegen Beschlüsse statthaft, wenn sie ein Verfahren abschließen, insbesondere auch gegen solche Beschlüsse, mit denen ein Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt wird. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Wird mit der bei dem Berufungsgericht erhobenen Restitutionsklage ausschließlich ein Fehler der erstinstanzlichen Gerichtsentscheidung gerügt, bestimmt sich die Zuständigkeit für die Entscheidung danach, ob das Berufungsgericht eine Entscheidung in der Sache getroffen hat, es sei denn, der Wiederaufnahmegrund läge in der Verwerfung des Rechtsmittels durch das Berufungsgericht. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Restitutionsklage, sachliche Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs, Verweisung an das zuständige Verwaltungsgericht, sachliche Zuständigkeit, Verweisung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 12.09.2022 – RN 5 K 19.2037
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15649
Tenor
I. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ist sachlich unzuständig.
II. Der Rechtsstreit wird an das zuständige Verwaltungsgericht Regensburg verwiesen.
Gründe
1
Das Verwaltungsgericht Regensburg wies mit Urteil vom 12. September 2022 die Klage des Klägers gegen den Widerruf einer Erlaubnis nach § 34c GewO sowie gegen eine Gewerbeuntersagung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 und 2 GewO ab (Az. RN 5 K 19.2037). Dagegen beantragte der Kläger die Zulassung der Berufung, jedoch ohne sich durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 15. Dezember 2022 abgelehnt, weil er nicht innerhalb der Frist des § 124a Abs. 4 Satz 1 VwGO durch einen postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten beim Verwaltungsgericht gestellt wurde (Az. 22 ZB 22.2430).
2
Der Kläger erhob am 22. März 2023 „Restitutionsklage gegen den Beschluss wegen der Amtspflichtverletzungen in dem gesamten Verfahren“. Ihm sei als Geschäftsführer seiner gleichnamigen Bauunternehmen GmbH im Jahr 2008 ein Insolvenzverfahren ohne Überschuldung angehängt worden. Zur Vertuschung des Insolvenzbetrugs seien alle hohen Vermögenswerte verschoben worden. Wegen entwendeter Unterlagen hätten Steuererklärungen nur unter schwersten Bedingungen erstellt werden können. Diese nicht getätigten Steuererklärungen würden jetzt dazu benutzt, ihn als unzuverlässig darzustellen. Es handele sich um schwere Amtspflichtverletzungen gemäß § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG und Rechtsbeugung. Durch die regelmäßigen Verletzungen bei den Steuerbemessungen und -festsetzungen werde deutlich, dass die Behörde nicht willens sei, ihren öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen nachzukommen. Da der Kläger nur die reine Wahrheit vortrage, brauche er keinen Prozessbevollmächtigten.
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Mit gerichtlichem Schreiben vom 4. Mai 2023 wurden die Beteiligten zu einer beabsichtigten Verweisung des Verfahrens an das Verwaltungsgericht Regensburg angehört. Der Kläger trug daraufhin vor, das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg basiere auf fälschlichen Angaben des Landratsamtes. Das Gericht habe die Beweisaufnahme nicht auf alle entscheidungserheblichen Tatsachen und Beweismittel erstreckt und nur dem Antrag auf Gewerbeuntersagung stattgegeben; es habe damit den Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Wegen der damit offenkundigen Befangenheit komme eine „Zurückverweisung“ an das Verwaltungsgericht nicht in Betracht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
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Der Verwaltungsgerichtshof ist für die Entscheidung über die Klage nicht zuständig; die Streitsache ist an das zuständige Verwaltungsgericht Regensburg zu verweisen.
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1. Der Verwaltungsgerichtshof ist für die Entscheidung über die erhobene Klage sachlich nicht zuständig.
7
Nach § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 584 Abs. 1 ZPO ist das Gericht, das im ersten Rechtszug erkannt hat, für die Entscheidung über die Restitutionsklage zuständig. Wenn das angefochtene Urteil von dem Berufungsgericht erlassen wurde, ist das Berufungsgericht zuständig. Dies gilt grundsätzlich auch, wenn von dem Verwaltungsgerichtshof kein Berufungsurteil erlassen wurde, sondern dieser einen Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt hat, denn nach der Rechtsprechung sind über den Wortlaut des § 153 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 578 Abs. 1 ZPO hinaus Restitutionsklagen bzw. -anträge nicht nur gegen Endurteile, sondern auch gegen Beschlüsse statthaft, wenn sie ein Verfahren abschließen, insbesondere auch gegen solche Beschlüsse, mit denen ein Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt wird (vgl. BVerwG, B.v. 17.3.2015 – 5 A 1.15, 5 PKH 15.15 – juris Rn. 2; B.v. 8.4.2015 – 1 A 7.15 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 26.3.2019 – 10 ZB 19.129 – juris Rn. 3).
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Unabhängig davon ist das Wiederaufnahmegesuch jedoch an die erste Instanz zu richten, wenn die Berufung – oder im Sinne der o.g. Rechtsprechung der Antrag auf Zulassung der Berufung – verworfen wurde und mit der Restitutionsklage ausschließlich ein Fehler der erstinstanzlichen Gerichtsentscheidung gerügt wird (vgl. Guckelberger in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 153 Rn. 21; Peters in Posser/Wolff, VwGO, Stand 1.1.2023, § 153 Rn. 8; Hunke in Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl. 2023, § 584 Rn. 4; ähnlich Kautz in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 153 VwGO Rn. 22). Die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Restitutionsklage ist mithin davon abhängig zu machen, ob das Berufungsgericht eine Entscheidung in der Sache getroffen hat, es sei denn, der Wiederaufnahmegrund läge in der Verwerfung des Rechtsmittels durch das Berufungsgericht.
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Vorliegend wendet sich der Kläger mit seiner Restitutionsklage gegen die vom Verwaltungsgericht getroffene Sachentscheidung, die aus seiner Sicht unrichtig und verfahrensfehlerhaft ist. Dies wird auch durch seinen Vortrag in dem Schriftsatz vom 4. Mai 2023 bestätigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich demgegenüber mangels Zulässigkeit des Antrags auf Zulassung der Berufung in seinem Beschluss vom 15. Dezember 2022 (Az. 22 ZB 22.2430) zur Sache nicht geäußert. Daher liegt hier die Zuständigkeit für die Entscheidung beim Verwaltungsgericht Regensburg.
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2. Der Rechtsstreit ist daher gemäß § 83 Satz 1 i.V.m. § 17a Abs. 2 GVG an das Verwaltungsgericht Regensburg zu verweisen (vgl. hierzu auch BayVGH, B.v. 12.5.2009 – 15 S 09.933 – juris; B.v. 4.7.2013 – 10 A 13.1256 – juris).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 83 Satz 2, § 152 Abs. 1 VwGO).