Titel:
Unzuverlässigkeit bei Verstößen gegen das IfSG ("Dinner/Picknick in the Car")
Normenketten:
GastG § 1 Abs. 1, § 4 Abs. 1 Nr. 1, § 15 Abs. 2
1. BayIfSMV § 2 Abs. 2
2. BayIfSMV § 2 Abs. 2 S. 3
VwGO § 108 Abs. 1 S. 1, § 124a Abs. 4 S. 4
Leitsatz:
Bestreitet ein Beteiligter im Zulassungsverfahren schlicht die Annahmen des Verwaltungsgerichts, genügt dies nicht den qualifizierten Anforderungen an eine Darlegung iSd § 124a Abs. 4 S. 4 VwGO iVm § 108 Abs. 1 S. 1 VwGO. (Rn. 21 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zwangsgeld, Unzuverlässigkeit, Speisewirtschaft, Beweiswürdigung, ernstliche Zweifel, Wohlverhaltensphase, Ordnungswidrigkeit
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 24.01.2022 – M 16 K 20.2757
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15644
Tenor
I. Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 24. Januar 2022 – M 16 K 20.2757 – wird abgelehnt.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 15.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Beklagte beantragt die Zulassung der Berufung gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts, mit welchem der von ihr verfügte Widerruf einer der Klägerin erteilten gaststättenrechtlichen Erlaubnis aufgehoben wurde.
2
Mit Bescheid vom 15. Juni 2020 widerrief die Beklagte die der Klägerin mit Bescheid vom 7. Oktober 2011 erteilte Erlaubnis zum Betrieb einer Schank- und Speisewirtschaft in M. gem. § 15 Abs. 2 i.V.m. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG (Nr. 1 des Bescheids). Die Einstellung des Betriebs der Schank- und Speisewirtschaft wurde verfügt; der Klägerin wurde (Anm.: zuletzt, nach erfolgter Bescheidänderung) eine Abwicklungsfrist bis spätestens 6 Wochen nach Bestandskraft des Bescheids eingeräumt (Nr. 2). Für den Fall der Nichtbeachtung der Schließungsanordnung wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 10.000 € angedroht (Nr. 3). Die sofortige Vollziehbarkeit der Nrn. 1 und 2 wurde angeordnet (Nr. 4) und neben Auslagen in Höhe von 2,49 € eine Bescheidgebühr in Höhe von 2.377,86 € festgesetzt (Nr. 5).
3
Zur Begründung wurde im Bescheid und später ergänzend im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin besitze die zur selbstständigen Ausübung ihrer Tätigkeiten erforderliche Zuverlässigkeit nicht; ihr Geschäftsgebaren biete keine Gewähr für eine zukünftige ordnungsgemäße Gewerbeausübung. Die Unzuverlässigkeit ergebe sich aus zwei Verstößen (gegen die Zweite Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 16. April 2020 (im Folgenden: 2. BayIfSMV) am 25. und 30. April 2020. Zwar müssten solche Verstöße von erheblichem Gewicht sein, aber auch eine Vielzahl kleinerer Verstöße rechtfertige grundsätzlich die Annahme der Unzuverlässigkeit, wenn aus ihnen ein eingewurzelter Hang zur Missachtung der Berufspflichten ersichtlich sei. Die Geschäftsführerin der Klägerin habe laut eines Zeitungsartikels vom 3. April 2020 ihren Gästen aufgrund eines von ihr so beworbenen Konzepts („Dinner in the Car“) entgegen der (zu diesem Zeitpunkt noch geltenden 1.) BayIfSMV gestattet, im Betrieb bereit gestellte Speisen und Getränke auf einem von ihr extra dazu zur Verfügung gestellten Parkplatz im Kraftfahrzeug zu konsumieren. Dazu seien Gläser, Besteck, Geschirr und Stoffservietten der Klägerin bereitgestellt worden, welche nach Gebrauch von den Kunden auf einem Beistelltisch neben dem jeweiligen Kraftfahrzeug abgelegt werden sollten. Im Rahmen eines aufgrund dieses Sachverhalts mit der Geschäftsführerin und ihrem Ehegatten geführten Telefongesprächs am 6. April 2020 hätten sich beide, auch nachdem ihnen die Rechtslage erklärt worden sei, uneinsichtig gezeigt. Mit E-Mail vom 7. April 2020 sei die Geschäftsführerin nochmals darüber informiert worden, dass infolge des o.g. Konzepts auf den Parkplätzen faktisch eine Gaststätte nach § 1 Abs. 1 GastG betrieben werde, was dem Verbot jeglicher Gastronomiebetriebe gemäß § 2 Abs. 2 (1. / 2.) BayIfSMV zuwiderlaufe. Die Polizeiinspektion (PI) 14 habe der Beklagten am 28. April 2020 mitgeteilt, dass die Klägerin ihre Schank- und Speisewirtschaft trotz Betriebsuntersagung und entgegen der 2. BayIfSMV am 25. April 2020 betrieben habe (nun als „Picknick in the Car“). Neben der Verletzung des Verbots nach § 2 Abs. 2 der 2. BayIfSMV würden die Gäste zudem gegen § 5 Abs. 2 der 2. BayIfSMV verstoßen, weil der Verzehr von Speisen und Getränken im Auto kein triftiger Grund im Sinne dieser Regelung sei. Bei der polizeilichen Kontrolle an diesem Tag sei am Restauranteingang eine Tafel aufgefunden worden mit dem Hinweis, man solle sich im Restaurant melden, um einen Parkplatz zugewiesen zu bekommen. Polizisten hätten unweit des Restaurants zwei Kraftfahrzeuge entdeckt, in welchen Speisen und alkoholische Getränke des Restaurants konsumiert und dabei von der Klägerin gegen Pfand herausgegebenes Besteck und Geschirr sowie LED-Windlichter verwendet worden seien. Der Ehemann der Geschäftsführerin habe während der Polizeikontrolle versucht, die Aufschrift auf der Tafel wegzuwischen, was durch die Polizei nur durch die Anwendung von einfacher Gewalt habe verhindert werden können. Ein weiterer Verstoß sei am 30. April 2020 durch die PI 14 aufgenommen worden. Gegen 19 Uhr sei auf dem Gaststättenparkplatz ein Kraftfahrzeug mit zwei Personen festgestellt worden, welche ebenfalls Speisen und Getränke mittels Besteck und Geschirr der Klägerin konsumiert hätten. All dies sei in einer von der Gaststätte zur Verfügung gestellten Holzkiste transportiert worden; eine betroffene Person habe angegeben, kein Pfand dafür bezahlt zu haben. Während der Befragung sei ein weiteres Fahrzeug mit drei Personen auf den Parkplatz gefahren; der Fahrer habe angegeben, Speisen zum Konsum vor Ort bestellt zu haben, wie es auf der Internetseite der Klägerin beworben werde. Die damit von den Polizeibeamten konfrontierte Geschäftsführerin der Klägerin habe sich uneinsichtig und unkooperativ gezeigt. Zudem sei die Geschäftsführerin der Klägerin wegen einer seit 27. Juli 2019 rechtskräftigen, vom Hauptzollamt M. am 9. Juli 2019 verhängten Geldbuße in Höhe von 1.800 € wegen Beschäftigung von Arbeitnehmern ohne Arbeitserlaubnis im Gewerbezentralregister eingetragen. Von der Beklagten selbst sei am 8. Mai 2012 ein Bußgeldbescheid in Höhe von 200 € wegen unerlaubter Sondernutzung (Aufstellen eines Werbeständers) verfügt worden. In den Jahren 2019 und 2020 hätten zudem Rückstände beim Kassen- und Steueramt der Beklagten in Höhe von insgesamt 1.612,50 € bestanden.
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Mit Bußgeldbescheiden jeweils vom 1. Oktober 2020 verhängte die Beklagte aufgrund des polizeilich am 25. und 30. April 2020 festgestellten Sachverhalts gegenüber der Geschäftsführerin der Klägerin ein Bußgeld von insgesamt 1.000 € (2 x 500 €) und gegen die Klägerin ein Bußgeld von insgesamt 10.000 € (2 x 5.000 €). Das Amtsgericht München stellte mit Beschlüssen vom 25. Oktober 2021 die Bußgeldverfahren gemäß § 47 Abs. 2 OWiG wegen geringer Schuld ein; es hielt laut Beschlussbegründung eine Ahndung nicht für geboten.
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Auf die gegen den Bescheid vom 15. Juni 2020 gerichtete Klage hin hob das Bayerische Verwaltungsgericht München mit der Beklagten am 20. Juni 2022 zugestelltem (und am 7. Juni 2022 niedergelegtem) Urteil vom 11. Januar 2022 den Bescheid vollumfänglich auf.
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Das Verwaltungsgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die von der Klägerin betriebenen Konzepte „Dinner in the Car“ (angeboten von 3. bis 6. April 2020) bzw. „Picknick in the Car (angeboten ab 20./22. April 2020) zwar gegen die Vorgaben der 1. BayIfSMV (gültig bis 19. April 2020) und 2. BayIfSMV verstoßen hätten. Die im Zusammenhang mit dem Betrieb der Gaststätte festgestellten Verstöße der Klägerin bzw. von ihrer Geschäftsführerin (deren Pflichtverletzungen der Klägerin zuzurechnen seien) würden aber weder einzeln noch in der Gesamtschau im maßgeblichen Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung die Annahme der gaststättenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigen.
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Entgegen der Annahme der Beklagten gehe das Verwaltungsgericht davon aus, dass im Rahmen des geänderten Konzepts „Picknick in the Car“ ein Verzehr der nunmehr in einem Picknickkorb angebotenen Speisen und Getränke von der Klägerin zumindest nicht mehr auf ihren Parkplätzen beabsichtigt gewesen sei. Zum von der Polizei am 25. April 2020 vorgefundenen Schild habe die Klägerin plausibel erklärt, dass die Zuweisung eines konkreten Parkplatzes den Mitarbeitern die spätere Zuordnung der jeweiligen Bestellung erleichtern sollte. Zugleich habe die Klägerin mit mehr oder weniger deutlichen Hinweisen auf ihrer Homepage und per Aushang sichergestellt, dass ein Verzehr auf betriebseigenen Parkplätzen nicht mehr stattfinde. Dieser sei auch nicht mehr aktiv beworben worden. Der dennoch am 30. April 2020 von Polizeibeamten vorgefundene unzulässige Gaststättenbetrieb auf dem Parkplatz lasse nicht den Schluss zu, dass vom geänderten Konzept „Picknick in the Car“ Abstand genommen worden sei. Letzteres Konzept sei zwar, da durch das optionale Überlassen insbesondere von Besteck und Geschirr eine Zusatzleistung im Servicebereich vorgesehen gewesen sei, von der Ausnahme des § 2 Abs. 2 Satz 3 2. BayIfSMV (Abgabe und Lieferung von mitnahmefähigen Speisen bleiben erlaubt) wohl nicht mehr gedeckt gewesen. Dennoch würden, auch trotz des wiederholt als „uneinsichtig und unkooperativ“ beschriebenen Verhaltens der Klägerin und ihres Ehemanns, die Verstöße weder hinsichtlich Schwere noch im Hinblick auf ihre Zahl bereits die Annahme der gaststättenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigen. Denn die Klägerin habe nach behördlicher Beanstandung von ihrem ursprünglichen Konzept Abstand genommen und nach Lockerung der Rechtslage ein in wesentlichen Punkten geändertes Konzept angeboten, welches die Verkostung von Gästen auf dem restauranteigenen Parkplatz nicht mehr vorgesehen habe. Im Betrieb der Klägerin sei im Grundsatz Wert auf die Beachtung der Vorschriften des Infektionsschutzes gelegt worden (z.B. durch Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung). Nicht jeder Verstoß gegen die BayIfSMV wiege gleich schwer.
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Dem ergänzend von der Beklagten angeführten Eintrag im Gewerbezentralregister liege ein Verstoß zugrunde, welcher angesichts einer Regelgeldbuße in Höhe von 12.000 € mit einer massiv geminderten Geldbuße in Höhe von 1.890 € geahndet worden sei. Der Arbeitnehmer aus Bangladesch, welchen die Klägerin von 14. August bis 9. Oktober 2023 beschäftigt habe, habe zwar einen italienischen Aufenthaltstitel innegehabt, welcher ihn zum Aufenthalt im Bundesgebiet von bis zu drei Monaten berechtigt habe; durch die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sei jedoch die Befreiung von Erfordernis eines (nationalen) Aufenthaltstitels entfallen, was der Geschäftsführerin der Klägerin bewusst gewesen sei.
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Die von der Beklagten schließlich aufgeführten Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem Aufstellen eines Werbeständers aus dem Jahr 2012 würden nur geringe Verstöße darlegen, welche in Anbetracht des Zeitablaufs im vorliegenden Fall keine Rolle mehr spielen würden.
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Die Rückstände der Klägerin beim Kassen- und Steueramt seien sowohl ihrer absoluten Höhe nach (2019: 20,50 €, 2020: 1.592 €) als auch im Verhältnis zur Gesamtbelastung der Klägerin und insbesondere unter Berücksichtigung der Zeitdauer, während derer der Zahlungsverpflichtung nicht nachgekommen worden sei (Fälligkeit von 1.592 € am 15. Mai 2020, Zahlung am 11. Juni 2020, d.h. vor Bescheiderlass), nicht von hinreichendem Gewicht.
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Mit am selben Tag beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 7. Juli 2022 beantragt die Beklagte, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, weil ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nach § 124a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden.
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Zur Begründung führt die Beklagte mit Schriftsatz vom 4. August 2022 aus, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestünden, soweit das Verwaltungsgericht die Klägerin nicht als unzuverlässig erachte.
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Die Klägerin hat sinngemäß beantragt, den Zulassungsantrag abzulehnen, ohne dies näher zu begründen.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
15
Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
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1. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen in der Antragsbegründung (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 62 f.).
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Die Darlegungen der Beklagten, welche sämtlich darauf abzielen, dass das Verwaltungsgericht die gaststättenrechtliche Unzuverlässigkeit der Klägerin zu Unrecht verneint habe, begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
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1.1 Laut Beklagter habe das Verwaltungsgericht den Sachverhalt in Bezug auf das Konzept „Picknick in the Car“ unzutreffend bewertet. Die von der Klägerin bzw. deren Geschäftsführerin für das am 25. April 2020 vorgefundene Schild abgegebene Erklärung sei keinesfalls plausibel. Es sei fraglich, inwiefern – zudem bei lediglich acht Stellplätzen insgesamt – die Zuweisung eines konkreten Parkplatzes bei einem
„To-go-Geschäft“ den Mitarbeitern die spätere Zuordnung der Bestellung erleichtern solle, selbst wenn entgegen des für solche Geschäfte üblichen Ablaufs die Speisen und Getränke von den Mitarbeitern ans Auto gebracht würden. Ebenso sei fraglich, aus welchem Grund der Ehemann der Geschäftsführerin dann so vehement und sogar unter Inkaufnahme einfacher körperlicher Gewalt versucht habe, das Anfertigen eines Lichtbilds durch die Polizei zu verhindern. Auch dass die Klägerin durch Aushang und durch Informationen auf ihrer Homepage sichergestellt haben solle, dass kein Verzehr mehr auf den betriebseigenen Parkplätzen stattfinde, sei nicht nachvollziehbar. Dem per E-Mail versandten Newsletter und der Homepage sei kein solch deutlicher Hinweis entnehmbar. Ob tatsächlich ab dem 22. April 2020, wie die Klägerin per eidesstaatlicher Versicherung vom 24. Juni 2020 erklärt habe, ein entsprechender Aushang existiert habe, sei nicht abschließend beurteilbar. In den polizeilichen Mitteilungen finde sich jedenfalls kein entsprechender Hinweis darauf. Auch dass am 30. April 2020 ein Fahrzeug, in welchem Speisen und Getränke konsumiert worden seien, auf den betriebseigenen Parkplätzen festgestellt worden sei, spreche gegen eine solche Sichtweise.
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Auch sei das Urteil unschlüssig, soweit es der Klägerin einerseits eine Änderung des Konzepts (von „Dinner“ zu „Picknick in the Car“) zugutehalte, andererseits aber auch durch das geänderte Konzept einen Verstoß gegen die 2. BayIfSMV konstatiere. Selbst wenn die Klägerin ihr Konzept – ohnehin nach erfolgtem behördlichem Hinweis – gänzlich aufgegeben hätte, würde dies das Fehlverhalten nicht entschuldigen. Vorliegend könne die Änderung des Konzepts der Klägerin noch weniger zum Vorteil gereichen, da sie ihr unzulässiges Verhalten nicht aufgegeben hätte.
21
Mit diesem Vortrag vermag die Beklagte keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils zu begründen. Soweit sie – entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts – in Abrede stellt, dass die Klägerin ihr Konzept („Picknick“ statt „Dinner in the Car“) nach 6./7. April 2020 tatsächlich in wesentlichen Punkten angepasst hat, rügt sich der Sache nach eine fehlerhafte Sachverhalts- bzw. Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts. Die Darlegungen genügen nicht den insoweit aus § 124a Abs. 4 Satz 4 i.V.m. § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO folgenden (qualifizierten) Anforderungen.
22
(Behauptete) Fehler in der Beweiswürdigung sind im Hinblick auf § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO im Berufungszulassungsverfahren nur einer eingeschränkten Prüfung zugänglich. Um diesbezüglich ernstliche Zweifel am Urteil nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO darzulegen, genügt allein der Vortrag, die Tatsachen seien anders als vom Verwaltungsgericht angenommen oder der Sachverhalt bzw. das Ergebnis einer Beweisaufnahme sei anders zu bewerten, nicht. Mit Einwänden gegen die freie, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnene richterliche Überzeugung wird die Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts erst dann in Frage gestellt, wenn Gründe dafür aufgezeigt werden, dass die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Überzeugungsbildung fehlerhaft ist, etwa weil das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich von einem unzutreffenden, ggfs. auch unzureichend ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist oder die Beweiswürdigung gedankliche Lücken oder Ungereimtheiten aufweist. Letzteres ist insbesondere bei einer Verletzung von Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen, gegebenenfalls heranzuziehenden gesetzlichen Beweisregeln oder sachwidriger Beweiswürdigung anzunehmen (vgl. dazu ausführlich und m.w.N. BayVGH, B.v. 24.1.2023 – 8 ZB 22.1783 – juris Rn. 14).
23
Dem genügen die Darlegungen der Beklagten nicht. Teilweise bestreitet die Beklagte schlicht, etwa unter dem Hinweis, dass „nicht nachprüfbar“ oder „abschließend beurteilbar“ sei, ob die Klägerin durch Aushang und auf ihrer Homepage die Konzeptumstellung sichergestellt habe, die Annahmen des Verwaltungsgerichts. Aber auch, soweit sich die Beklagte mit den verwaltungsgerichtlichen Ausführungen auseinandersetzt, genügt dies nicht den eben dargelegten qualifizierten Anforderungen. Dass die vom Verwaltungsgericht als plausibel erachtete Erklärung für das vorgefundene Schild (Erleichterung für die Mitarbeiter) ausgeschlossen ist bzw. gleichsam Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt, hat die Beklagte nicht substantiiert dargelegt. Im Übrigen erscheint es unter den gegebenen Umständen (Schließung des Gaststättenbetriebs, potentiell erhebliche Umsatzausfälle, „emotionale Ausnahmesituation“) nicht wider jegliche Erfahrung, dass der Ehemann der Geschäftsführerin im Rahmen einer polizeilichen Sachverhaltsaufnahme „überreagiert“ (unabhängig von der Frage, ob sich die Klägerin dieses Verhalten „uneingeschränkt“ zurechnen lassen muss, da der Ehemann laut Angaben der Geschäftsführerin damals kein Angestellter der Klägerin gewesen sei). Dass am 30. April 2020 ein Fahrzeug, in welchem Speisen und Getränke konsumiert wurden, auf den betriebseigenen Parkplätzen festgestellt wurde, mag allenfalls ein Indiz sein, welches für sich betrachtet gegen die Würdigung des Verwaltungsgerichts spricht. Eine fehlerhafte Überzeugungsbildung folgt daraus aber nicht zwingend, zumal von der Polizei mehrere Fahrzeuge auch außerhalb der betriebseigenen Parkplätze angetroffen wurden (was wiederum für die Sichtweise des Verwaltungsgerichts spricht, vgl. UA S. 16 Rn. 37 f.).
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Und schließlich wird das Urteil auch nicht „unschlüssig“, weil dem Verwaltungsgericht zufolge auch das geänderte Konzept noch gegen die 2. BayIfSMV verstößt. Denn die betreffenden Ausführungen erfolgen im Zusammenhang mit der unmittelbar daran anknüpfenden Bewertung der Zuverlässigkeit der Klägerin, innerhalb der das Verwaltungsgericht die Verstöße in Kontext mit dem zugleich behaupteten „uneinsichtigen und unkooperativen“ Verhalten der Geschäftsführerin setzt. Das Verwaltungsgericht legt daher zunächst die Verstöße konkret dar und gewichtet sie anschließend innerhalb der (Gesamt-)Betrachtung (dazu sogleich unter 1.2).
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1.2 Auch die übrigen Darlegungen der Beklagten zur behaupteten fehlerhaften bzw. fehlenden Berücksichtigung, Gewichtung und (Gesamt-)Betrachtung der im Rahmen der Zulässigkeit zu prüfenden Aspekte begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.
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So trägt die Beklagte vor, das Verwaltungsgericht verkenne die grundsätzliche Uneinsichtigkeit der Geschäftsführerin der Klägerin, was einen deutlichen Hinweis zur Nichtbeachtung geltender Vorschriften darstelle. Sowohl die Geschäftsführerin als auch ihr Ehemann hätten sich beginnend ab dem Telefonat am 6. April 2020 und auch bei den beiden polizeilichen Kontrollen am 25. und 30. April 2020 uneinsichtig gezeigt; auch in einem Artikel der Abendzeitung vom 15. April 2020 werde die Geschäftsführerin in diesem Sinne zitiert. Eine solche Uneinsichtigkeit habe sich auch bereits 2012 manifestiert, als trotz Schreiben vom 2. März 2012 am 10. und 14. März 2012 ein Werbeständer auf öffentlichem Grund aufgestellt worden sei.
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Auch habe das Verwaltungsgericht München keine ausreichende Gesamtbetrachtung vorgenommen. Die Urteilsgründe würden zwar die einzelnen Verstöße wie eine „Abhandlung der Reihe nach“ erörtern, ohne sich aber tatsächlich (obwohl an einigen Stellen auf eine Gesamtschau hingewiesen werde) damit auseinanderzusetzen, aus welchem Grund auch bei einer Gesamtbetrachtung nicht von einer Unzuverlässigkeit auszugehen sei. Denn jedenfalls aus einer solchen Gesamtbetrachtung ergebe sich die Unzuverlässigkeit, zumal auch die Ordnungswidrigkeiten aus 2012 entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht aufgrund bloßen Zeitablaufs unbeachtlich seien. Dies sei der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs folgend (B.v. 5.3.2014 – 22 ZB 12.2174 und 22 ZB 12.2175 – juris, zur Berücksichtigung von länger zurückliegenden Straftaten bei einer Gewerbeuntersagung) ebenfalls Gegenstand einer Gesamtwürdigung aller einschlägigen Umstände. Eine Art „Wohlverhaltensphase“ könne der Klägerin nicht zugutegehalten werden, weil dies, ein „Wohlverhalten“, der Normalfall sei. Die Rückstände der Klägerin beim Kassen- und Steueramt seien ebenfalls in diesem Sinne, d.h. im Rahmen einer Gesamtbetrachtung und nicht als Ausdruck einer auch von der Beklagten so nicht angenommenen wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit zu berücksichtigen. Das Begleichen der Schulden vor Bescheiderlass sei daher bereits deshalb nicht relevant, weil ein Wohlverhalten unter dem Eindruck drohender behördlicher Maßnahmen nur sehr begrenzte Aussagekraft habe.
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Unzutreffend sei schließlich auch die Wertung des Verwaltungsgerichts, dass nicht jeder Verstoß gegen die (jeweilige) BayIfSMV die gleichen Infektionsrisiken berge daher gleich schwer wiege. Hierauf könne es bei der Beurteilung der Zuverlässigkeit nicht ankommen, weil es nicht in die Entscheidung eines Gastwirts gestellt werden könne, die gesundheitsschützenden Regelungen nach „wichtiger“ und „nicht wichtiger“ einzuteilen. Verstöße gegen die Vorschriften des BayIfSMV seien als Verstöße gegen Vorschriften des Gesundheitsrechts i.S.d. § 4 Abs. 1 Nr. 1 GastG (vgl. dazu BayVGH, B.v. 31.5.2021 – 22 CS 21.902 – juris) ohnehin besonders schwerwiegend.
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Diese Darlegungen des Beklagten rechtfertigen keine Berufungszulassung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen einer Gesamtbewertung die relevanten Tatsachen aufgegriffen sowie einzeln, aber auch insgesamt (prognostisch) bewertet.
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Das Verwaltungsgericht argumentiert und subsumiert im Rahmen seiner Ausführungen zur Beurteilung der Unzuverlässigkeit mehrfach, sowohl einleitend (vgl. etwas UA S. 7 Rn. 18: „Unzuverlässig ist, wer nach dem Gesamtbild seines Verhaltens…“; UA S. 9 Rn. 22: „weder einzeln noch in der Gesamtschau“) als auch im Rahmen der jeweils erörterten Aspekte (vgl. UA S. 19 Rn. 44: „weder für sich noch in der Gesamtschau“) anhand einer Gesamtbetrachtung. Inwieweit dies nicht der ständigen, vom Verwaltungsgericht zutreffend zitierten Rechtsprechung (UA S. 7 ff. Rn. 18 ff. m.w.N.) genügen soll, legt die Beklagte nicht substantiiert und nachvollziehbar dar. Die von ihr monierte „Aneinanderreihung“ einzelner Aspekte dient – was auch klar aus der Prüfungs-/Erörterungsstruktur des Urteils hervorgeht – der jeweiligen Gewichtung des „Einzelaspekts“, sowohl im Hinblick darauf, ob dieser bereits für sich betrachtet die Annahme der Unzuverlässigkeit rechtfertigen würde, als auch zur Einordnung des Aspekts innerhalb der Gesamtschau. Ebenso geht im Übrigen auch die Beklagte im Bescheid von 15. Juli 2020 vor.
31
Auch die vom Verwaltungsgericht so vorgenommene Erörterung und Gewichtung der einzelnen Aspekte (Verstöße) führt entgegen der Darlegungen der Beklagten nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des Urteils. Das Verwaltungsgericht hat die „Uneinsichtigkeit“ der Geschäftsführerin aufgegriffen und bewertet (vgl. UA S. 18 Rn. 43), allerdings – bedingt auch durch eine teilweise andere Würdigung des zugrundeliegenden Sachverhalts (vgl. dazu 1.1) – als nicht derart erheblich bewertet, dass sich darin (auch in Kombination mit den übrigen Verstößen) schon ein Hang zur Nichtbeachtung geltender Vorschriften manifestiert hat.
32
Wenig plausibel ist in diesem Zusammenhang, dass die Beklagte der Ausführung des Verwaltungsgerichts, nicht jeder Verstoß gegen die (jeweilige) BayIfSMV berge die gleichen Infektionsrisiken und daher wiege auch jeder solcher Verstoß nicht gleich schwer, entgegentritt. Bereits der (zur Zeit der Verstöße geltende) Bußgeldkatalog „Corona-Pandemie“ (Gemeinsame Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien des Innern, für Sport und Integration und für Gesundheit und Pflege vom 2. April 2020) differenziert je nach Art des Verstoßes, sieht Regelsätze von 150 bis 5.000 € vor und führt dazu in seiner Nr. 5.1 aus, dass die Regel- und Rahmensätze je nach den Umständen des Einzelfalls im Rahmen der jeweiligen gesetzlichen Grenzen erhöht oder ermäßigt werden. Weiter heißt es in seiner Nr. 5.3, dass eine Ermäßigung insbesondere in Betracht kommt, wenn die Gefahr einer potenziellen Infizierung anderer Personen nach den Umständen des Einzelfalls gering ist (1. Spiegelstrich). Dass diese grundsätzliche gesetzgeberische Wertung für den Bereich des gefahrpräventiven Gesundheits-/Infektionsschutzes kategorisch ausgeschlossen und folglich „jeder Verstoß gleich schwer wiegen“ soll, erschließt sich nicht. Auch für den Widerruf gaststättenrechtlicher Erlaubnisse gelten allgemeine rechtsstaatliche Grundsätze wie das Verhältnismäßigkeitsprinzip (vgl. auch Metzner/Thiel, Gaststättenrecht, 7. Aufl. 2023, § 4 Rn. 23: „Je schwerer die Tat, desto eher ist die Zuverlässigkeit zu verneinen.“). Bezeichnend ist insoweit auch, dass das Amtsgericht München die zunächst von der Beklagten verhängten Geldbußen (1.000 € und 10.000 €) mit Beschlüssen vom 25. Oktober 2021 wegen geringer Schuld jeweils „auf Null reduziert“ (das Verfahren eingestellt) hat.
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Ausgehend davon sind auch keine ernstlichen Zweifel am Urteil dargelegt, soweit das Verwaltungsgericht die Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit dem Aufstellen eines Werbeständers aus dem Jahr 2012 als lediglich geringe Verstöße gewichtet und darauf aufbauend angesichts des Zeitablaufs und einer Wohlverhaltensphase als nicht mehr zu berücksichtigen eingeordnet hat. Dass bei der Berücksichtigungsfähigkeit (Verwertung) von Ordnungswidrigkeiten auch der Zeitablauf ein maßgebliches Kriterium ist, ergibt sich bereits aus dem Grundsatz des § 153 Abs. 6 GewO. Nichts anderes ergibt sich im Übrigen, abgesehen von § 153 Abs. 6 Satz 1 GewO i.V.m. §§ 51 f. BZRG, aus dem von der Beklagten zitierten Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 5. März 2014, der ohnehin Straftaten und nicht mit geringem Bußgeld geahndete Ordnungswidrigkeiten zum Gegenstand hat sowie ebenfalls auf eine Gesamtwürdigung aller einschlägigen Umstände, in die namentlich die Art und die Umstände der Delikte sowie die Entwicklung der Persönlichkeit des Betroffenen einzubeziehen ist, abstellt (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2014 – 22 ZB 12.2174 – juris Rn. 35). Im Übrigen erschließt sich auch aus allgemeiner rechtsstaatlicher Perspektive nicht (Art. 20 Abs. 3 GG), warum – wovon scheinbar die Beklagte ausgeht – gerade bei Prognoseentscheidungen Zeiträume, in welchem der Betroffene sich „wohlverhalten“ hat, nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden sollen.
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Angesichts dessen begegnet es auch keinen ernstlichen Zweifeln, wenn das Verwaltungsgericht die nur rund einen Monat zu spät und zudem vor Bescheiderlass erfolgte Gewerbesteuervorauszahlung 2020 in Höhe von 1.592 € – wohlgemerkt in einem Zeitraum, in welchem der (übliche) Gastronomiebetrieb der Klägerin coronabedingt geschlossen war – als nicht von hinreichendem Gewicht erachtet. Zur von Hauptzollamt M. am 9. Juli 2019 verhängten Geldbuße legt die Beklagte nichts dar.
35
2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.1 der Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (wie Vorinstanz).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 152 Abs. 1 VwGO. Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO.