Inhalt

VGH München, Beschluss v. 30.05.2023 – 22 ZB 22.1738
Titel:

Klage gegen erweiterte Gewerbeuntersagung

Normenkette:
GewO § 35
Leitsätze:
1. Der Gewerbetreibende ist auch dann unzuverlässig, wenn er zwar willens, aber nicht in der Lage ist, das Gewerbe ordnungsgemäß auszuüben. Die Gründe für die mangelnde Leistungsfähigkeit sind folglich nicht maßgeblich. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Für die Beurteilung der Zuverlässigkeit iSd § 35 Abs. 1 GewO ist auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbeuntersagung, Zuverlässigkeit, Verschulden, Corona-Pandemie
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 29.04.2022 – M 16 K 21.2216
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15643

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 29. April 2022 – M 16 K 21.2216 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 20.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Klägerin wendet sich gegen eine erweiterte Gewerbeuntersagung.
2
Die Beklagte hörte die Klägerin und die Handwerkskammer für München und Oberbayern jeweils mit Schreiben vom 6. März 2018 zu einer beabsichtigten (erweiterten) Gewerbeuntersagung an. Grundlage hierfür waren eine Mitteilung des Finanzamts M. an die Beklagte vom 25. Januar 2018 (Steuerrückstände der Klägerin in Höhe von insgesamt 21.428,11 €, welche durch die monatlichen Schätzungen der Umsatzsteuervoranmeldungen stetig steigen würden, sowie fehlende Umsatzsteuererklärungen 2015 und 2016), vier Eintragungen (vom 12.1., 28.7., 7.9. und 3.10. 2017) der Klägerin im Schuldnerverzeichnis wegen „Nichtabgabe der Vermögensauskunft“, eine Eintragung im Gewerbezentralregister (Geldbuße in Höhe von 2.500 € wegen Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer ohne Arbeitsgenehmigung) sowie Zahlungsrückständen in Höhe von 1.975,62 € der Klägerin beim Kassen- und Steueramt der Beklagten.
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Aufgrund diverser Vorsprachen und eingereichter Unterlagen (z.B. Vorlage von Ratenzahlungsvereinbarungen und Zahlungsnachweisen bzgl. Forderungen, welche den Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zugrunde lagen) setzte die Beklagte das Gewerbeuntersagungsverfahren wiederholt, zuletzt bis 30. November 2020, aus. Die Klägerin wurde in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass das Verfahren ohne erneute Anhörung fortgesetzt werde, wenn eine der Zahlungsvereinbarungen nicht eingehalten oder neue Unzuverlässigkeitstatbestände bekannt würden.
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Nachdem die Beklagte am 28. Dezember 2020 zwei neue Eintragungen der Klägerin im Schuldnerverzeichnis (vom 6.8. und 26.11.2020) wegen „Nichtabgabe der Vermögensauskunft) festgestellt hatte, untersagte sie der Klägerin mit Bescheid vom 28. März 2021 die Ausübung des Gewerbes „zulassungsfreies Gebäudereinigerhandwerk als selbstständiger Gewerbetreibender im stehenden Gewerbe“ (Nr. 1 des Bescheids) sowie die Tätigkeit als Vertretungsberechtigte eines Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher gewerblichen Tätigkeit im stehenden Gewerbe (Nr. 2). Die Klägerin wurde aufgefordert, ihre Tätigkeit spätestens 10 Tage nach Eintritt der Unanfechtbarkeit der Untersagungsverfügung einzustellen (Nr. 3). Für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkomme, wurde der Klägerin die Anwendung unmittelbaren Zwangs angedroht (Nr. 4). Zudem wurden von ihr Verfahrenskosten in Höhe von 505,45 € erhoben.
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Die Beklagte führte zur Bescheidbegründung im Wesentlichen aus, die Klägerin sei gewerberechtlich unzuverlässig, weil sie ihren Zahlungsverpflichtungen immer wieder nicht ordnungsgemäß nachkomme, wobei es keine Rolle spiele, aus welchen Gründen sie dies nicht könne oder wolle; auf ein Verschulden komme es ebenso wenig an. Die Klägerin befinde sich in ungeordneten Vermögensverhältnissen, was drei Eintragungen im Schuldnerverzeichnis (vom 6.8.2020, 26.11.2020 und 2.2.2021) sowie ihre Zahlungsrückstände bei der Stadtkasse und dem Finanzamt belegen würden. Ebenso lasse die fehlende Abgabe ihrer Steuererklärungen 2018 und 2019 auf ihre Unzuverlässigkeit schließen. Die Voraussetzungen einer erweiterten Gewerbeuntersagung seien ebenfalls gegeben, weil die Klägerin gewerbeübergreifend unzuverlässig sei.
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Die gegen den Bescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht München mit den Klägerbevollmächtigten am 7. Juli 2022 zugestelltem Urteil vom 29. April 2022 ab. Am 3. August 2022 beantragte die Klägerin beim Verwaltungsgericht die Zulassung der Berufung und begründete den Antrag am 26. August 2022 und ergänzend am 14. Oktober 2022 beim Verwaltungsgerichtshof.
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Die Beklagte ist dem Zulassungsantrag entgegengetreten.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.
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1. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen in der Antragsbegründung (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
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Zwar hat die Klägerin keinen Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 VwGO ausdrücklich bezeichnet. Die Antragsbegründung lässt sich aber, weil Ausführungen bzw. rechtliche Wertungen des erstinstanzlichen Urteils darin als unzutreffend dargelegt werden, so verstehen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemacht werden sollen (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 21.1.2022 – 22 ZB 21.2116 – juris Rn. 9; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 57 f.).
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 62 f.).
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Die Klägerin lässt vortragen, das Verwaltungsgericht habe bei seinen Ausführungen zur Unzuverlässigkeit nicht berücksichtigt, dass das Verwaltungsverfahren zur Gewerbeuntersagung nach dem Vortrag der Beklagten aufgrund der zwischen den Beteiligten vereinbarten Zahlungsmodalitäten bis zum 30. November 2020 ausgesetzt gewesen sei. Daher dürfte es keine Rolle spielen, welche Unzuverlässigkeitsvoraussetzungen bis zu diesem Zeitpunkt vorgelegen hätten. Zudem gehe das Verwaltungsgericht mit keinem Wort auf den Vortrag der Klägerin, dass ihre mangelnde Zahlungsfähigkeit im Jahr 2020 durch den pandemiebedingten Verlust ihres Arbeitsplatzes verursacht worden sei, ein. Die Klägerin habe zudem im Mai 2022, nach Aufhebung der pandemiebedingten Einschränkungen, ihre Tätigkeit in der Gebäudereinigung wieder aufgenommen und mit allen Gläubigern feste monatliche Zahlungsvereinbarungen ab Juni 2022 getroffen, welche sie eingehalten habe. Zudem sei zu berücksichtigen, dass der durch die Klägerin entstandene Schaden gerade durch ihre weitere Tätigkeit wieder ausgeglichen werden könne.
14
Mit diesem Vortrag legt die Klägerin keine ernstlichen Zweifel am Urteil des Verwaltungsgerichts dar.
15
Dass die bloße Unterbrechung und spätere Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens (Gewerbeuntersagungsverfahrens) materielle Auswirkungen in Form einer Nichtberücksichtigungsfähigkeit von bis zur Fortsetzung des Verwaltungsverfahrens entstandenen Tatsachen haben soll, legt die Klägerin weder substantiiert dar noch ergibt sich dies aus den einschlägigen Vorschriften, etwa aus § 35 GewO (vgl. zur „Verfahrensunterbrechung“ allgemein etwa Sennekamp in Mann/ders./Uechtritz, Verwaltungsverfahrensgesetz, 2. Aufl. 2019, § 9 VwVfG Rn. 48 ff., 52).
16
Auf den – ohnehin sehr pauschalen – erstinstanzlichen Vortrag, die Klägerin reinige Gebäude, in welchen Gastronomie betrieben werde, weswegen sie während der coronabedingten Schließung von Gastronomiebetrieben ihrer Arbeit nicht habe nachkommen können, geht das Verwaltungsgericht im Urteil ausdrücklich ein. Zunächst erwähnt es diesen Vortrag im Tatbestand (UA S. 5 Rn. 12) und führt in den Entscheidungsgründen dazu aus, dass es auf ein Verschulden des Gewerbetreibenden hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsunfähigkeit nicht ankommt. Auch der Gewerbetreibende ist unzuverlässig – so das Verwaltungsgericht unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats –, der zwar willens, aber nicht in der Lage ist, das Gewerbe ordnungsgemäß auszuüben. Die Gründe für die mangelnde Leistungsfähigkeit – wie das Ausbleiben von Zahlungen von Schuldnern des Gewerbetreibenden – sind folglich nicht maßgeblich (vgl. UA S. 7 Rn. 22). Sollte die Klägerin mit der Formulierung „[Darauf] geht das Gericht mit keinem Wort ein.“ zugleich eine Verfahrensrüge nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (Verstoß gegen rechtliches Gehör wegen Nichtberücksichtigung von Beteiligtenvortrag) erheben wollen, trifft diese Rüge, abgesehen von den insoweit nicht erfüllten Mindestvoraussetzungen an die Darlegung eines Zulassungsgrunds (s.o.), jedenfalls in der Sache nicht zu.
17
Soweit die Klägerin weiter anführt, sie habe im Mai 2022 ihre Erwerbstätigkeit wieder aufgenommen und – auch zur „Schadenswiedergutmachung“ – nun monatliche Zahlungsvereinbarungen abgeschlossen, kommt es darauf schon deshalb nicht an, weil für die Beurteilung der Frage, ob die Klägerin i.S.d. § 35 Abs. 1 GewO zuverlässig ist, auf den Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen ist, hier also auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens des angefochtenen Bescheids (so auch UA S. 8 Rn. 25). Gegenüber dem Zeitpunkt des Bescheiderlasses veränderte Umstände – wie vorliegend – können nur im Rahmen eines Wiedergestattungsverfahrens (§ 35 Abs. 6 GewO) von Relevanz sein (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2022 – 22 C 21.2935 – juris Rn. 7 m.w.N.; B.v. 26.7.2022 – 22 ZB 22.291 – juris Rn. 14). Davon abgesehen ist nicht substantiiert dargelegt, dass die Klägerin ihre Vermögensverhältnisse nun tatsächlich „ausreichend“ geordnet hat, sprich im Rahmen eines (Gesamt-)Sanierungskonzepts vorgeht und auch die entsprechenden Eintragungen im Schuldnerverzeichnis beseitigt (vgl. dazu auch UA S. 9 Rn. 26 und S. 10 Rn. 28).
18
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
19
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 54.2.1 und Nr. 54.2.2 der Empfehlungen des. Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (wie Vorinstanz).
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).