Inhalt

VGH München, Beschluss v. 09.06.2023 – 22 ZB 22.1737
Titel:

Gewerbeuntersagung wegen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit

Normenkette:
GewO § 35 Abs. 1
Leitsätze:
1. Erhebliche steuerlichen Rückstände sowie durch die Einträge im Schuldnerverzeichnis (Vollstreckungsportal) belegte wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit begründen grundsätzlich eine gewerberechtliche Unzuverlässigkeit iSd § 35 Abs. 1 GewO. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit setzt kein subjektiv vorwerfbares Verhalten voraus. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gewerbeuntersagung, Unzuverlässigkeit, wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, Steuerrückstände, Schuldnerverzeichnis, Coronapamdemie, Verschulden, vorwerfbares Verhalten, Prozesskostenhilfe
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 10.05.2022 – M 16 K 21.3042
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15642

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Bevollmächtigten für einen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. Mai 2022 wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Kläger begehrt Prozesskostenhilfe für seinen beabsichtigten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 10. Mai 2022, mit welchem seine Klage gegen den Gewerbeuntersagungsbescheid der Beklagten vom 11. Mai 2021 abgewiesen wurde.
2
Mit Bescheid vom 11. Mai 2021 untersagte die Beklagte dem Kläger die Ausübung des Gewerbes „Durchführung von Hausmeisterarbeiten, Akustik- und Trockenbauarbeiten, Entrümpelungen und/oder Wohnungsauflösungen, Umzügen […]“, die Tätigkeit als Vertretungsberechtigter einer Gewerbetreibenden oder als mit der Leitung eines Gewerbebetriebs beauftragte Person sowie die Ausübung jeglicher selbstständiger Tätigkeit im stehenden Gewerbe.
3
Das Verwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Klage mit dem dem Kläger am 6. Juli 2022 zugestelltem Urteil vom 10. Mai 2022 ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger zu Recht eine erweiterte Gewerbeuntersagung aufgrund dessen Unzuverlässigkeit verfügt habe. Die aus den Veranlagungszeiträumen 2018 bis 2020 stammenden Steuerrückstände, an deren Behebung der Kläger nicht auf Grundlage eines erfolgversprechenden Sanierungskonzepts arbeite, die nicht (rechtzeitige) Abgabe von Steuererklärungen sowie die zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses bestehenden vier Eintragungen im Schuldnerverzeichnis des Klägers wegen „Nichtabgabe der Vermögensauskunft“ bzw. „Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“ würden die Prognose der Beklagten, der Kläger werde auch künftig sein Gewerbe nicht ordnungsgemäß ausüben, rechtfertigen.
4
Mit am selben Tag beim Verwaltungsgericht München eingegangenem Schriftsatz vom 1. August 2022 beantragte der Kläger, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, Prozesskostenhilfe für seinen (für den Fall der Gewährung von Prozesskostenhilfe) angekündigten Antrag auf Zulassung der Berufung.
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Zur Begründung führte der Kläger, vertiefend auch mit Schriftsatz vom 8. August 2022, aus, das Verwaltungsgericht habe nicht berücksichtigt, dass die Zahlungsschwierigkeiten des Klägers in die Zeit der Corona-Pandemie fielen und auf den staatlichen Tätigkeitsverboten beruhten. In einer solchen Ausnahmesituation sei jeder Einzelne gefordert gewesen, sich und andere zu schützen und soziale Hilfe zu leisten, so dass auch eine andere Gewichtung des Tagesablaufs notwendig gewesen sei. Zu Beginn der Infektionsschutzmaßnahmen sei es zu Tätigkeits- und Ausgehverboten über längere Zeiträume gekommen, welche auch die Transportbranche, zu der der Kläger mit der Sparte „Haushaltsauflösungen und Entsorgung“ zu rechnen sei, betroffen hätten. Nun bestehe aber die zuverlässige Aussicht, dass der Kläger coronabedingt nicht mehr von der Ausübung seiner Tätigkeit (v.a. im Bezug als Haushaltsauflöser und Entrümpler) abgehalten werde.
6
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
7
Der isolierte Antrag des Klägers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beabsichtigtes Berufungszulassungsverfahren hat keinen Erfolg.
8
Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO war abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung, hier der beabsichtigte Antrag auf Zulassung der Berufung, keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (zur Möglichkeit der Wiedereinsetzung im Hinblick auf den angekündigten Zulassungsantrag vgl. BVerwG, B.v. 19.10.2016 – 3 PKH 7.16 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 27.7.2021 – 10 ZB 21.935 – juris Rn. 2; Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, § 166 VwGO Rn. 31).
9
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12).
11
Gemessen an diesen Grundsätzen sind Zulassungsgründe i.S.v. § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO i.V.m. § 124 Abs. 2 VwGO, welche dem Antrag auf Berufungszulassung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zum Erfolg verhelfen würden, weder vom Kläger dargelegt (§ 124a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 4 VwGO) noch im Übrigen erkennbar (so dass offenbleiben kann, ob/inwieweit bei anwaltlicher Vertretung auch innerhalb des PKH-Verfahrens die Darlegung der Zulassungsgründe den Anforderungen des § 124a Abs. 5 Satz 2 i.V.m Abs. 4 Satz 4 VwGO entsprechen muss; zum Fall fehlender anwaltlicher Vertretung vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2020 – 10 ZB 20.31115 – juris Rn. 9; B.v. 27.7.2021 – 10 ZB 21.935 – juris Rn. 3; SächsOVG, B.v. 4.1.2021 – 6 A 914/20.A – juris Rn. 4m.w.N.).
12
Zwar hat der Kläger keinen Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 VwGO ausdrücklich bezeichnet. Die Antragsbegründung lässt sich aber, weil Ausführungen bzw. rechtliche Wertungen des erstinstanzlichen Urteils darin als unzutreffend dargelegt werden, so verstehen, dass ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemacht werden sollen (vgl. dazu auch BayVGH, B.v. 21.1.2022 – 22 ZB 21.2116 – juris Rn. 9; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124a Rn. 57 f.).
13
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen dann, wenn nach dem Vortrag des Rechtsmittelführers gegen die Richtigkeit des Urteils gewichtige Gesichtspunkte sprechen. Davon ist immer dann auszugehen, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird und wenn sich nicht ohne nähere Prüfung die Frage beantworten lässt, ob die Entscheidung möglicherweise im Ergebnis aus einem anderen Grund richtig ist (BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426.17 – juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Der Rechtsmittelführer muss konkret darlegen, warum die angegriffene Entscheidung aus seiner Sicht im Ergebnis falsch ist. Dazu muss er sich mit den entscheidungstragenden Annahmen des Verwaltungsgerichts konkret auseinandersetzen und im Einzelnen dartun, in welcher Hinsicht und aus welchen Gründen diese Annahmen ernstlichen Zweifeln begegnen (Happ in Eyermann, VwGO, § 124a Rn. 62 f.).
14
Solche ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils bestehen vorliegend nicht.
15
Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die durch die erheblichen steuerlichen Rückstände sowie durch die Einträge im Schuldnerverzeichnis (Vollstreckungsportal) belegte wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit des Klägers grundsätzlich seine Unzuverlässigkeit i.S.d. § 35 Abs. 1 GewO begründet (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 15.4.2015 – 8 C 6.14 – juris Rn. 14 m.w.N.). Gegen die Feststellung, der Kläger gehe nicht nach einem sinnvollen und erfolgversprechenden Sanierungskonzept zur Begleichung seiner Schulden vor, ist – auch im vorliegenden Prozesskostenhilfeverfahren – nichts vorgetragen. Ebenso wenig hat der Kläger – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt – Belege für seine Behauptung vorgelegt, dass er die den Eintragungen im Schuldnerverzeichnis zugrundeliegenden Forderungen beglichen hat. Dagegen und gegen eine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Klägers zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses spricht im Übrigen auch, dass seine Zahlungsrückstände im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens weiter gestiegen sind (UA Rn. 28).
16
Der Einwand des Klägers, die negativen Folgen der Corona-Pandemie seien nicht berücksichtigt worden, greift ebenfalls nicht durch. Für einen konkreten Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Situation des Klägers (zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses) und der Pandemie ist weder etwas dargelegt worden noch ist dies ersichtlich. Zwei Eintragungen des Klägers im Vollstreckungsportal stammen aus dem Mai 2018 („Gläubigerbefriedigung ausgeschlossen“) bzw. Januar 2019 („Nichtabgabe der Vermögensauskunft“). Dem in den Behördenakten befindlichen Schreiben des Finanzamts München vom 3. März 2021 ist zu entnehmen, dass die steuerlichen Rückstände des Klägers ebenfalls erhebliche Zeiträume vor Pandemiebeginn betreffen und der Kläger zudem die Umsatzsowie die Einkommenssteuererklärungen für die Veranlagungszeiträume 2018 und 2019 trotz mehrmaliger Aufforderung nicht eingereicht hat. Soweit der Kläger auch dahingehend verstanden werden will, dass er ohne sein Verschulden in Zahlungsschwierigkeiten geraten sei, hat das Verwaltungsgericht dazu bereits zutreffend entgegnet (UA Rn. 23), dass die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit kein subjektiv vorwerfbares Verhalten voraussetzt.
17
Gründe für eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 bis 5 VwGO sind weder dargelegt noch ersichtlich.
18
Einer Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bedarf es nicht, weil im Prozesskostenhilfeverfahren keine Gerichtsgebühren erhoben werden, Auslagen nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 5 ZPO nicht entstanden sind und eine Erstattung der außergerichtlichen Kosten nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO ausgeschlossen ist.
19
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).