Titel:
Keine Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussicht einer Klage gegen verwehrte Dezemberhilfe
Normenketten:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
GG Art. 3 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei der Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung iSd § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden, so dass eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs genügt. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unabhängig von der Branchenzugehörigkeit ist antragsberechtigt nach der Richtlinie für die Dezemberhilfe nur ein Unternehmen, dessen wirtschaftliche Tätigkeit vom Lockdown betroffen ist. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
3. Da die Höhe der Dezemberhilfe nach der dazugehörigen Richtlinie 75% des Vergleichsumsatzes beträgt, kann das Unternehmen nicht entscheiden, in welcher Höhe die Hilfe tatsächlich beantragt wird, nur um so die Einschaltung eines prüfenden Dritten zu vermeiden. (Rn. 10 – 11) (redaktioneller Leitsatz)
4. Zuwendungs- und Richtliniengeber und etwaige mit der Funktion einer Zuwendungsbehörde Beliehene sind nicht daran gehindert, im Sinne einer effektiven und wirtschaftlichen Verteilung der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel den Kreis der Begünstigten im Wege einer dem Zweck der Förderung entsprechenden, sachgerechten Abgrenzung auf bestimmte Antragsberechtigte zu beschränken. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie über die Richtlinie für die Gewährung von außerordentlicher Wirtschaftshilfe des Bundes für Dezember 2020 (Dezemberhilfe) vom 21. Dezember 2020, Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung, PKH, Antragsberechtigung, prüfender Dritter, Gleichheitsgrundsatz, Fördergegenstand
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 04.04.2023 – Au 6 K 22.1071
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15640
Tenor
I. Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 4. April 2023 – 6 K 22.1071 – wird zurückgewiesen
II. Der Kläger hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
1
Mit seiner Beschwerde verfolgt der Kläger seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein beim Verwaltungsgericht Augsburg anhängiges Klageverfahren weiter, mit der er die Verpflichtung der Beklagten erreichen will, seinen Antrag auf Gewährung von Überbrückungshilfe anzunehmen und ihm eine Dezemberhilfe in maximaler Höhe von 5.000 € im Rahmen eines Direktantrags zu gewähren.
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Seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für dieses Klageverfahren hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Beschluss vom 4. April 2023 abgelehnt. Der Antrag auf Annahme des Direktantrags und Gewährung von Dezemberhilfe sei unzulässig, weil der erforderliche Antrag vor Klageerhebung nicht ordnungsgemäß bei der Beklagten gestellt worden sei. Der Kläger habe mit dem Antrag vom 30. April 2021 entgegen Nr. 6.3 der Richtlinie für die Gewährung von außerordentlicher Wirtschaftshilfe des Bundes für Dezember 2020 und der Verwaltungspraxis der Beklagten eine Billigkeitsleistung beantragt, die den Betrag von 5.000 € überschritten habe. Aus diesem Grund sei der Antrag vom System der Beklagten nicht angenommen worden. Die Mitteilung dieses Umstands mit E-Mail vom 3. Mai 2021 stelle keine Ablehnung eines Verwaltungsaktes dar. Es bestehe kein Anlass von der Voraussetzung der vorherigen Antragstellung bei der Behörde abzuweichen. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Mitteilung der Beklagten den Kläger erst nach Ablauf der Antragsfrist für die Dezemberhilfe (30. April 2021) erreicht habe und trotz des entsprechenden Hinweises der Beklagten eine erneute Antragstellung nicht mehr möglich war.
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Zur Begründung seiner Beschwerde bringt der Kläger vor, dass er entgegen der Darstellung im Beschluss des Verwaltungsgerichts nicht nur ein Unternehmen betreibe, das die Veredelung von Textilien und Bekleidung vorsehe, sondern einen Einzelhandel, im Rahmen dessen auch Textilien und Bekleidung gestaltet würden. Von der damaligen Regierung sei erklärt worden, dass jeder Soloselbständige einen Direktantrag auf Überbrückungshilfe bis zu 5.000 € stellen könne. Dies habe er fristgerecht getan. Es sei nicht ihm anzurechnen, dass die Eingabemaske in dem Portal mangelhaft ausgestaltet gewesen sei. Er habe lediglich bezüglich der Umsatzzahlen wahrheitsgemäße Angaben gemacht, in der Hoffnung, dass ihm 5.000 € Überbrückungshilfe gewährt würden. Entgegen des Inhalts der E-Mail vom 3. Mai 2021 sei die erneute Stellung eines Direktantrags via Portal wegen Fristablaufs unmöglich gewesen. Das Portal zur Antragstellung sei fehlerhaft gewesen, weil es keine Möglichkeit geschaffen habe, den Direktantrag bereits seitens des Benutzers auf 5.000 € zu deckeln. Zudem seien E-Mails verschickt worden, die fehlerhaft auf die erneute Möglichkeit der Stellung eines Direktantrags hingewiesen hätten, obwohl die Frist für die Antragstellung bereits abgelaufen gewesen sei. Dies sei auch durch die Digitalisierung und Automatisierung des Prozesses nicht zu entschuldigen. Der Antrag sei schon durch die Eingabe und den erfolgreichen Zugang im Portal angenommen worden und hätte daher in Form eines Bescheides verbeschieden werden müssen. Es liege eine Ungleichbehandlung vor. Jedem Direktantragsteller werde eine Soforthilfe von 5.000 € gewährt, wenn die Umstände dies rechtfertigten. Daher müssten auch demjenigen Direktantragsteller zumindest 5.000 € gewährt werden, der eigentlich Anspruch auf eine höhere Billigkeitsleistung habe. Zudem stelle es eine Ungleichbehandlung dar, wenn die Antragstellung für eine höhere Überbrückungshilfe von der Einschaltung eines Steuerberaters abhängig gemacht werde.
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Bezüglich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen verwiesen.
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Die zulässige Beschwerde (§ 146 Abs. 1 VwGO) ist unbegründet. Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO liegen nicht vor.
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Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V. mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
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Hinsichtlich der Erfolgsaussichten dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden. Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit in dem Sinn, dass der Prozesserfolg schon gewiss sein muss, ist nicht erforderlich, sondern es genügt bereits eine sich bei summarischer Überprüfung ergebende Offenheit des Erfolgs. Die Prüfung der Erfolgsaussichten soll nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten lassen. Das Prozesskostenhilfeverfahren will den Rechtsschutz, den der Rechtsstaatsgrundsatz erfordert, nämlich nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (stRspr d. BVerfG, vgl. z.B. B.v. 4.8.2016 – 1 BvR 380/16 – juris Rn. 12; B.v. 28.7.2016 – 1 BvR 1695/15 – juris Rn. 16 f.; B.v. 13.7.2016 – 1 BvR 826/13 – juris Rn. 11 f.; B.v. 20.6.2016 – 2 BvR 748/13 – juris Rn. 12).
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Gemessen an diesen Grundsätzen hat im vorliegenden Fall das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden, dass die Klage im maßgeblichen Zeitpunkt keine hinreichenden Erfolgsaussichten hatte.
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Soweit der Kläger vorbringt, das Verwaltungsgericht sei unrichtigerweise davon ausgegangen, dass er ein Unternehmen der Branche „Veredelung von Textilien und Bekleidung“ betreibe, während er im Bereich Einzelhandel tätig sei, im Rahmen dessen auch Textilien und Bekleidung gestaltet würden, ist dies für den vorliegenden Rechtsstreit ohne rechtliche Relevanz. Die Art der unternehmerischen Tätigkeit bzw. die Branche sind ausschlaggebend für die Antragsberechtigung. Die Antragsberechtigung ergibt sich aus Nr. 2.1 der der Richtlinie für die Gewährung von außerordentlicher Wirtschaftshilfe des Bundes für Dezember 2020. Danach ist Voraussetzung u.a., dass es sich beim Antragsteller, um ein Unternehmen handelt, dessen wirtschaftliche Tätigkeit vom Lockdown betroffen ist. Die Branchenzugehörigkeit ist unerheblich.
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Auch das Vorbringen des Klägers, er habe fristgerecht einen Antrag auf Gewährung von Dezemberhilfe gestellt, dass dieser nicht habe bearbeitet werden könne, sei auf die fehlerhafte Eingabemaske im Internet-Portal des Bundes zurückzuführen, verhilft der Beschwerde nicht zum Erfolg.
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Die Richtlinie über die Gewährung von Dezemberhilfe gibt unter Nr. 6 „Antrag und Verfahren“ ausführlich vor, in welcher Form der Antrag gestellt werden muss. Dabei wird unterschieden zwischen der Antragstellung durch einen prüfenden Dritten (Nr. 6.2) und der Antragstellung im eigenen Namen (Nr. 6.3). Eine Antragstellung im eigenen Namen ist nur möglich, wenn die Höhe der zu beantragenden Billigkeitsleistung den Betrag von 5.000 € nicht überschreitet. Übersteigt die zu beantragende Billigkeitsleistung den Betrag von 5.000 €, ist die Antragstellung zwingend von einem prüfenden Dritten vorzunehmen. Die vom Kläger gewünschte Option, dass der Antragsteller die Höhe der zu beantragenden Soforthilfe „eigenmächtig“ auf 5.000 € begrenzen kann, um so die Einschaltung eines prüfenden Dritten zu vermeiden, sieht die Richtlinie nicht vor. Die Höhe der Dezemberhilfe beträgt 75% des Vergleichsumsatzes (Nr. 3.1). Eine Wahlmöglichkeit des Unternehmens, unabhängig der gemäß Nr. 3 zu bestimmenden (und zu beantragenden) Höhe der Dezemberhilfe zu entscheiden, in welcher Höhe die Dezemberhilfe tatsächlich beantragt wird, besteht folglich nicht. Daher bedurfte es auch keiner entsprechenden Ausgestaltung des Internetportals.
12
Liegt somit nach der Richtlinie über die Dezemberhilfe und der Verwaltungspraxis der Beklagten bereits kein formwirksamer Antrag vor, war die Beklagte nicht verpflichtet, über den Antrag in der Sache zu entscheiden und einen ablehnenden Bescheid zu erlassen. Die Mitteilung, dass es an einer formgerechten Antragstellung fehlt, ist ausreichend. Einen entsprechenden Hinweis enthalten im Übrigen die FAQ November-/Dezemberhilfe (Nr. 3.1 der FAQ).
13
Es stellt auch keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz dar, wenn die Beklagte – wie vorliegend – die Beantragung der Dezemberhilfe ab einer bestimmten Höhe von der Einschaltung eines prüfenden Dritten abhängig macht. Diese Regelung des Antragsverfahrens in der einschlägigen Zuwendungsrichtlinie und mit ihr die entsprechende, im konkreten Einzelfall auch umgesetzte Zuwendungspraxis der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Der Zuwendungs- und Richtliniengeber und mit ihnen die mit der Funktion der Zuwendungsbehörde beliehene Beklagte (vgl. § 47b ZustV) sind nicht daran gehindert, im Sinne einer effektiven und wirtschaftlichen Verteilung der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel den Kreis der Begünstigten im Wege einer dem Zweck der Förderung entsprechenden, sachgerechten Abgrenzung auf bestimmte Antragsberechtigte zu beschränken. Denn nur der Zuwendungsgeber bzw. die Zuwendungsbehörde bestimmen im Rahmen des ihnen eingeräumten weiten Ermessens bei der Zuwendungsgewährung darüber, welche Ausgaben dem Fördergegenstand zugeordnet werden und wer konkret begünstigt werden soll. Außerdem obliegt ihnen allein die Ausgestaltung des Förderverfahrens (BayVGH, B.v. 8.11.2021 – 6 ZB 21.2023 – juris Rn. 19; B.v. 8.11.2021 – 6 ZB 21.1889 – juris Rn. 19). Es stellt einen hinreichenden Differenzierungsgrund dar, wenn die Beklagte zur Wahrung der notwendigen besonderen Verfahrenseffizienz und -beschleunigung in den Massenverfahren der Corona-Wirtschaftshilfen (vgl. zu den Corona-Soforthilfen BayVGH, B.v. 20.7.2022 – 22 ZB 21.2777 – juris Rn. 16 ff.) ab einer bestimmten Höhe der zu beantragenden Billigkeitsleistung für die Überprüfung der in einem Zuwendungsantrag getätigten Angaben im Allgemeinen maßgeblich auf die qualifiziert-objektive Gewährsfunktion eines prüfenden Dritten zurückgreift. Dies gilt umso mehr, als die Bewilligungsstelle zunächst auf die vom prüfenden Dritten im Antrag gemachten Angaben vertrauen darf (vgl. Nr. 7.1 Satz 2). Die Differenzierung, dass ein Direktantrag (Nr. 6.3) nur möglich ist, wenn die zu beantragende Billigkeitsleistung 5.000 € nicht übersteigt, erscheint auch nicht willkürlich. Unternehmen, die höhere Umsätze erzielen, sind in der Regel wirtschaftlich leistungsstärker und daher eher in der Lage, die Kosten für einen prüfenden Dritten aufzubringen.
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Der Kläger kann sich auch nicht darauf berufen, dass über das Internet-Portal der Beklagten am 3. Mai 2021 eine Nachricht verschickt wurde, wonach eine erneute Antragstellung möglich ist, obwohl die Antragsfrist nach Nr. 6.1 der Richtlinie bereits abgelaufen war. Durch die elektronisch generierte Nachricht vom 3. Mai 2021 ist für den Kläger kein Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen worden, dass auch nach Ablauf des 30. April 2021 eine Antragstellung auf Gewährung einer Billigkeitsleistung möglich ist. Der Richtlinie über die Dezemberhilfe ist eindeutig zu entnehmen (Nr. 6.1 Satz 1), dass die Antragsfrist am 30. April 2021 endet. Eine Verwaltungspraxis der Beklagten, dass auch nach diesem Zeitpunkt eingehende (formgerechte) Anträge bearbeitet würden, ist durch die elektronische Nachricht vom 3. Mai 2021 nicht geschaffen worden.
15
Anhaltspunkte für zumindest offene Erfolgsaussichten der Klage des Klägers sind nicht ersichtlich.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil die nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfallende Gebühr streitwertunabhängig ist.
18
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).