Inhalt

VGH München, Beschluss v. 01.06.2023 – 22 C 22.2044
Titel:

Rücknahme der Bewilligung von "Dezemberhilfe" mangels Antragsberechtigung 

Normenketten:
VwGO § 166 Abs. 1 S. 1
ZPO § 114 Abs. 1 S. 1
GG Art. 3 Abs. 1
BV Art. 118 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zur Beurteilung eines Anspruchs auf Gewährung sog. Dezemberhilfen (Corona-Soforthilfe) kommt es nicht auf die Auslegung der jeweiligen Richtlinie, sondern darauf an, wie diese behördlicherseits in ständiger, zu einer Selbstbindung führenden Verwaltungspraxis gehandhabt worden und in welchem Umfang infolgedessen eine Bindung an den Gleichheitssatz gem. Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV eingetreten ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine fehlende Umsatzsteuer-ID spricht gegen den Betrieb eines  Beherbergungsbetriebs. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
PKH-Antrag, Coronavirus, Richtlinie für die Gewährung von außerordentlicher Wirtschaftshilfe des Bundes für Dezember 2020 (Dezemberhilfe) des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie vom 21. Dezember 2020, Selbstbindung der Verwaltung, Gewerbebetrieb
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 02.08.2022 – AN 15 K 22.113
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15638

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

I.
1
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Klägerin ihren in erster Instanz erfolglos gebliebenen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für ihre Klage gegen die Rücknahme (Bescheid vom 10. Januar 2022) der ihr zunächst von der Beklagten gewährten sog. Dezemberhilfe (Corona-Soforthilfe) weiter.
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Den Antrag auf Prozesskostenhilfe für diese Klage hat das Verwaltungsgericht Ansbach mit den Bevollmächtigten der Klägerin am 4. August 2022 zugestelltem Beschluss vom 2. August 2022 abgelehnt. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete, weil die erhobene Klage aller Voraussicht nach unbegründet sei. Der angefochtene Bescheid vom 10. Januar 2022, mit welchem die der Klägerin zunächst per Bescheid vom 12. März 2021 gewährte Dezemberhilfe in Höhe von 750 € zurückgenommen, (Nr. 1 des Bescheids), der Antrag vom 12. März 2021 auf Gewährung einer Dezemberhilfe abgelehnt (Nr. 2) und die Klägerin zur Erstattung von 750 € bis 11. Februar 2022 (Nr. 3) aufgefordert wurde, da ansonsten Zinsen erhoben würden (Nr. 4), sei rechtmäßig. Denn der Bescheid vom 12. März 2021 sei rechtswidrig, weil der Klägerin mangels Antragsberechtigung kein Anspruch auf eine Dezemberhilfe zugestanden habe. Ihr Geschäftsbetrieb, die Vermietung einer Wohnung sowohl an Touristen als auch an Geschäftsreisende und ausländische Patienten bzw. deren Angehörige, sei als Mischbetrieb anzusehen (Nr. 1.2 der FAQ zur November- und Dezemberhilfe). Mit der Vermietung an Touristen habe sie nicht 80 Prozent ihres Umsatzes generiert, so dass die Voraussetzung von Nr. 2.5 der Richtlinie für die Gewährung von außerordentlicher Wirtschaftshilfe des Bundes für Dezember 2020 (Dezemberhilfe) des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie vom 21. Dezember 2020 (im Folgenden: Richtlinie), wonach sich mindestens 80 Prozent des Umsatzes eindeutig einem (vom Lockdown) betroffenen wirtschaftlichen Tätigkeitsfeld zuordnen lassen müssen, nicht erfüllt sei. Nach Ziffer 5 bis 8 der Beschlüsse von Bund und Länder vom 28. Oktober, 25. November und 2. Dezember 2020 (sog. Schließungsanordnungen) seien Übernachtungsangebote für touristische Zwecke untersagt gewesen, nicht aber für notwendige und ausdrücklich nicht-touristische Zwecke. Das klägerische Vertrauen sei jedenfalls gemäß Art. 48 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG nicht schutzwürdig. Der Bescheid enthalte zwar keinen Vorbehalt der vollständigen Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen und Festsetzung in einem Schlussbescheid. In seinen Nebenbestimmungen sei aber angeordnet, dass im Einzelfall im Nachgang eine Prüfung der Fördervoraussetzungen stattfinden könne. Da die Verbescheidung des Antrags vom 12. März 2021 am selben Tag erfolgt sei, liege es mit Blick auf die zitierten Nebenbestimmungen zudem nahe, dass nicht von einer vertieften Prüfung der Bewilligungsvoraussetzungen ausgegangen werden könne. Die Beklagte habe ihr Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Die angeordnete Erstattung (Nr. 3 des Bescheids) begegne auch keinen Bedenken.
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Mit Schriftsatz vom 18. August 2022 legten die Bevollmächtigten der Klägerin Beschwerde beim Verwaltungsgericht Ansbach ein und begründeten diese mit Schriftsatz vom 9. September 2022. Die Beklagte habe die Klägerin zunächst in den falschen Branchencode eingestuft; statt „L68.201 68.2“ (Vermietung, Verpachtung von eigenen oder geleasten Wohngrundstücken, Wohngebäuden und Wohnungen) wäre „I55.90.1 oder 55.9 Privatquartiere 5901 Sonstige Beherbergungsstätten a.n.g.“ zutreffend gewesen. Die Kläger habe die Wohnung zudem um mehr als 80% an Personen vermietet, die sich zu touristischen Zwecken in Erlangen aufhielten. Es habe sich hierbei um Personen gehandelt, die angehörige Patienten bei ihrem Krankenhausaufenthalt begleitet hätten. Hierbei handle es sich um einen privaten und nicht geschäftlichen Zweck der Reise. Die Personen hätten bei ihrem Aufenthalt neben ihren Angehörigen auch die Metropolregion Nürnberg besucht. Dieser Aufenthalt sei damit nicht „notwendig“ i.S.d. Schließungsanordnungen gewesen. Auch andere Personen, welche die Wohnung über eine Internetplattform gebucht hätten, hätten dies zu touristischen Zwecken getan.
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Das Verwaltungsgericht half der Beschwerde nicht ab und legte sie dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vor.
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Die Beklagte ist der Beschwerde entgegengetreten.
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Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegte Behördenakte, auch im Verfahren 22 C 22.2045, verwiesen.
II.
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Die Beschwerde ist zulässig (§ 146 Abs. 1, § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO), aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu Recht abgelehnt, weil die gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderlichen hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage nicht vorliegen.
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1. Das Verwaltungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Gewährung einer Dezemberhilfe mit Bescheid vom 12. März 2021 rechtswidrig war und daher von der Beklagten nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens mit Bescheid vom 10. Januar 2022 zurückgenommen (und endgültig abgelehnt) werden konnte.
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Die Klägerin hat weder zum Zeitpunkt des Erlasses des Bewilligungsbescheids vom 12. März 2021 noch im Rahmen des bisherigen erstinstanzlichen Klage- oder des PKH-Beschwerdeverfahrens (so dass die Frage des insoweit maßgeblichen Zeitpunkts zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage offengelassen werden kann, vgl. dazu näher VG München, U.v. 16.3.2023 – M 31 K 21.6228 –, juris Rn. 25 m.w.N.) schlüssig bzw. substantiiert die für eine Antragsberechtigung erforderlichen (tatsächlichen) Voraussetzungen dargelegt (wozu sie aber verpflichtet ist, vgl. VG M, U.v. 16.3.2023 a.a.O Rn. 26). Die dennoch erfolgte Gewährung der Dezemberhilfe entgegen der von der Beklagten vorgetragenen (unbestrittenen) ständigen Verwaltungspraxis verstößt gegen den aus der entsprechenden Selbstbindung resultierenden Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV) und ist rechtswidrig.
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Zwar ist insoweit – wie die Klägerin sinngemäß vortragen lässt – durchaus fraglich, ob ihre Vermietung zu touristischen wie auch zu „geschäftlichen bzw. medizinischen“ Zwecken einen Mischbetrieb darstellt, jedenfalls wenn man dem Wortlaut von Nr. 2.5 der Richtlinie folgt. Denn dort wird als Mischbetrieb ein Unternehmen mit „mehreren wirtschaftlichen Tätigkeitsfeldern“ bezeichnet.
11
Zur Beurteilung eines Anspruchs der Klägerin kommt es aber nicht auf die Auslegung der Richtlinie, sondern darauf an, wie diese Richtlinie behördlicherseits in ständiger, zu einer Selbstbindung führenden Verwaltungspraxis gehandhabt worden und in welchem Umfang infolgedessen eine Bindung an den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV) eingetreten ist (vgl. BayVGH, B.v. 3.8.2022 – 22 ZB 22.1151 – juris Rn. 17 m.w.N.). In der Beschwerdeerwiderung vom 27. Oktober 2022 bringt die Beklagte jedenfalls vor, dass es ihrer Verwaltungspraxis nach für das Vorliegen eines Mischbetriebs bereits ausreicht, wenn nur ein Teil der (einheitlichen) wirtschaftlichen Tätigkeit eines Betriebs (Unternehmens) vom Lockdown (Schließungen) betroffen ist (vgl. in diesem Sinne auch D. X. Nr. 3 Abs. 1 Buchst. d des Auszugs der Vollzugshinweise der Bundesregierung, Anlage zur Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern zur Definition von Mischbetrieben: „mit mehreren wirtschaftlichen Tätigkeitsfeldern oder im Falle von teilweisen Schließungen“).
12
Ebenso wenig ist angesichts der Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren plausibel, dass sie einen Beherbergungsbetrieb i.S.v. Nr. 2.1 Satz 1 der Richtlinie und auf Basis der ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten führt (so dass es auf das „80%-Kriterium“ nicht ankommen würde, weil Beherbergungsbetriebe generell als direkt betroffen gelten). So hat die Klägerin im Rahmen ihres Antrags angegeben, dass eine Umsatzsteuer-ID nicht verfügbar sei, was gegen den Betrieb eines Gewerbes (Beherbergungsbetriebs) spricht. Die – allein vor dem Hintergrund der statistischen Erhebungsmethodik zu sehende – Definition des Statistischen Bundesamts ist insoweit nicht maßgeblich.
13
Es spricht auch gegen überwiegende Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren, dass die Klägerin – als weitere Voraussetzung der Antragsberechtigung nach Nr. 2.1 Satz 1 i.V.m. Nr. 2.2 Satz 1 der Richtlinie – jedenfalls keinen Nachweis dafür erbracht hat, dass sie mit ihrer Vermietung als Soloselbstständige im Haupterwerb tätig ist, wofür die Summe ihrer Einkünfte im Jahr 2019 zu mindestens 51% aus ihrer gewerblichen Tätigkeit stammen müsste. Sie hat insoweit gegenüber der Beklagten angegeben, dass sie die von ihr selbst gemietete Wohnung als „Kleingewerbe“ (weiter) vermiete (E-Mail vom 25. Oktober 2021) und für Dezember 2019 einen Umsatz von 1.000 € veranschlagt. Laut Erklärung der Klägerin über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens steht ihr aber eine monatliche Rente in Höhe von 1006,48 € zu. Selbst wenn diese Rentenzahlung steuerrechtlich nicht zu 100% als Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit angesetzt würden (und zudem Nr. 2.2 auf die Jahreseinkünfte abstellt), erscheint es wenig plausibel, dass ihre Einkünfte aus der Vermietung – v.a. wenn man berücksichtigt, dass die Klägerin ja ihrerseits Miete für die (weiter-/unter) vermietete Wohnung bezahlen muss – mehr als 51% ihrer gesamten Einkünfte ausmachen. Dafür (nicht mehr als 51% der Gesamteinkünfte) spricht im Übrigen auch, dass die Klägerin ihre Einkünfte aus der Vermietung in der Erklärung über ihre persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht angegeben hat – daran muss sie sich insoweit festhalten lassen.
14
Auch ansonsten, insbesondere im Hinblick auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Rechtmäßigkeit der übrigen Nummern des streitgegenständlichen Bescheids, sind Bedenken weder vorgetragen noch ersichtlich (vgl. zum Vertrauensschutz ausführlich VG München, U.v. 16.3.2023 – M 31 K 21.6228 – juris Rn. 37 ff.).
15
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
16
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, da für die Zurückweisung der Beschwerde nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses zum Gerichtskostengesetz (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) nur eine streitwertunabhängige Festgebühr erhoben wird.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).