Titel:
Erfolglose Anhörungsrüge in einem aufenthaltsrechtlichen Verfahren
Normenketten:
GG Art. 103 Abs. 1
VwGO § 86 Abs. 4, § 108 Abs. 2, § 152a Abs. 2 S. 1 Nr. 2
AufenthG § 45 Abs. 2 S. 1, § 53 Abs. 2
Leitsätze:
1. Eine gerichtliche Entscheidung ist nur dann ein unzulässiges „Überraschungsurteil“, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher auch ein sorgfältiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Gegenstand und der Umfang des rechtlichen Gehörs im gerichtlichen Verfahren bestimmen sich nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt des Gerichts. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
3. Werden neue Ausweisungsinteressen verwirklicht, kann ein an sich als Ausweisungsanlass verbrauchtes, aber noch nicht im Register getilgtes Ausweisungsinteresse im Rahmen der Gesamtabwägung nach § 53 Abs. 2 AufenthG unter dem dort ausdrücklich genannten Aspekt der Rechtstreue zulasten des Ausländers einfließen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Nichterlass eines förmlichen Berichtigungsbeschlusses schließt es nicht aus, bei einem unter dem Aspekt der ernstlichen Zweifel geltend gemachten angeblichen Mangel des angefochtenen Urteils von einer offenbaren Unrichtigkeit auszugehen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhörungsrüge, Überraschungsentscheidung, Rechtliches Gehör des Prozessgegners, Übermittlung von Schriftsätzen, rechtliches Gehör, Ausweisungsinteresse, offenbare Unrichtigkeit
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 01.12.2022 – 19 ZB 22.1538
VG Ansbach, Urteil vom 30.03.2022 – AN 5 K 21.2192
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15626
Tenor
I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Rügeverfahrens.
Gründe
1
Die Anhörungsrüge hat keinen Erfolg. Das Berufungszulassungsverfahren Az. 19 ZB 22.1538 des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 30. März 2022 ist nicht fortzuführen, weil der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör durch den Senatsbeschluss vom 1. Dezember 2022 nicht verletzt worden ist (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
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Die Anhörungsrüge ist unbegründet, weil der angefochtene Beschluss den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör nicht verletzt.
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Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nur dann verletzt, wenn die angefochtene Entscheidung auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt wird, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten (§ 108 Abs. 2 VwGO), oder wenn das erkennende Gericht (entscheidungserhebliches) tatsächliches oder rechtliches Vorbringen der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen und nicht erwogen hat. Das Gericht ist weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet dem Verfahrensbeteiligten aber das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern. Daher setzt eine dem verfassungsrechtlichen Anspruch genügende Gewährung rechtlichen Gehörs voraus, dass der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt zu erkennen vermag, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann. Stellt das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt ab, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte, kann dies im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen. Daraus folgt aber, dass ein Verfahrensbeteiligter selbst bei umstrittener oder problematischer Rechtslage grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einstellen muss (BVerfG, B.v. 19.5.1992 – 1 BvR 986/91 – juris Rn. 35 f. m.w.N.). Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht, jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden, vielmehr ist der Anspruch auf rechtliches Gehör nur verletzt, wenn sich im Einzelfall aus besonderen Umständen ergibt, dass ein Gericht seiner Pflicht, das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen, nicht nachgekommen ist (BVerfG, B.v. 25.3.2010 – 1 BvR 2446/09 – juris Rn. 11 sowie NdsOVG, B.v. 22.3.2010 – 5 LA 32/09 – juris jeweils m.w.N.; SächsOVG, B.v. 18.2.2010 – 2 B 586/09 – juris; BayVGH, B.v. 10.3.2010 – 2 CS 10.222 – juris). Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt insbesondere dann nicht vor, wenn das Gericht dem Tatsachenvortrag oder der Rechtsauffassung eines Verfahrensbeteiligten in der Sache nicht folgt (BVerwG, B.v. 8.2.2010 – 8 B 126.09, 8 B 76.09 – juris Rn. 2 m.w.N.; BayVGH, B.v. 10.3.2010 – 2 CS 10.222 – juris).
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Gemessen daran ergibt sich aus den Rügen des Klägers keine Verletzung seines rechtlichen Gehörs.
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1. Der Kläger rügt das Vorliegen einer Überraschungsentscheidung.
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1.1 Der Kläger macht geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe sich in Randnummer 28 seines Beschlusses darauf gestützt, dass der Kläger – anders als von diesem vorgetragen – strafrechtlich bereits vorgeahndet gewesen und mit Strafbefehl vom 11. Dezember 2014 verurteilt worden sei. Eine Überraschungsentscheidung liege deshalb vor, weil weder die Beklagte noch das Verwaltungsgericht sich auf diesen Umstand gestützt hätten – vielmehr habe die Beklagte ausdrücklich ausgeführt, dass dieser Umstand in der Ausweisungsverfügung nicht berücksichtigt worden sei, da er nicht (mehr) im Bundeszentralregister eingetragen sei – und ein Vortrag hierzu entbehrlich gewesen sei.
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Diese Rüge greift nicht durch. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen die Verfahrensbeteiligten alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen. Ein Gehörsverstoß in Form einer unzulässigen Überraschungsentscheidung liegt jedoch dann vor, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (Eichberger/Buchheister in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 138 Rn. 72). Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich deshalb nur dann als unzulässiges „Überraschungsurteil“ dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher auch ein sorgfältiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (Eichberger/Buchheister in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 138 Rn. 97).
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Gemessen daran liegt keine unzulässige Überraschungsentscheidung vor. Der Senat hat mit der Erwähnung der Vorverurteilung aus dem Jahr 2014 nicht auf einen tatsächlichen Gesichtspunkt abgestellt, welcher bis dahin nicht erörtert worden war. Vielmehr hat er damit auf den Vortrag des Klägers im Berufungszulassungsverfahren reagiert, es handle sich bei der Verurteilung vom 12. Dezember 2019 um die einzige strafrechtliche Ahndung des Klägers. Des Weiteren ist die Verurteilung vom 11. Dezember 2014 im Strafurteil vom 12. Dezember 2019 sowie im streitgegenständlichen Bescheid erwähnt. Bei dem Abstellen auf diesen Gesichtspunkt handelt es sich auch nicht um einen neuen rechtlichen Gesichtspunkt, mit dem auch ein sorgfältiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte. Bei abgeurteilten Straftaten (hier: die durch Strafbefehl geahndete fahrlässige Trunkenheit im Verkehr in Tatmehrheit mit unerlaubtem Entfernen vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr) bilden die Tilgungsfristen des § 46 BZRG nach der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung eine absolute Obergrenze für die Berücksichtigung als Ausweisungsinteresse gemäß § 54 AufenthG, weil nach deren Ablauf die Tat und die Verurteilung nach § 51 BZRG dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten werden dürfen (BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 23). Werden neue Ausweisungsinteressen verwirklicht, kann jedoch ein an sich als Ausweisungsanlass verbrauchtes, aber noch nicht im Register getilgtes (vgl. § 45 Abs. 2 Satz 1 BZRG) Ausweisungsinteresse im Rahmen der Gesamtabwägung nach § 53 Abs. 2 AufenthG unter dem dort ausdrücklich genannten Aspekt der Rechtstreue zulasten des Ausländers einfließen (vgl. Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AufenthG § 53 Rn. 39). Diese Voraussetzungen lagen hier vor, da die nach Ablauf von fünf Jahren am 11. Dezember 2019 tilgungsreife Verurteilung (§ 46 Abs. 1 Nr. 1 a) BZRG) gemäß § 45 Abs. 2 Satz 1 BZRG erst nach Ablauf von einem weiteren Jahr nach dem Eintritt der Tilgungsreife im Bundeszentralregister zu löschen war (vgl. zu dieser sog. Überliegefrist Bücherl in Graf, StPO mit RiStBV und MiStrA, 46. Ed. Stand 1.1.2023, BZRG § 45 Rn. 4). Unter diesen Umständen liegt die Annahme einer Überraschungsentscheidung fern. Inwieweit allein aufgrund des seit der genannten Verurteilung vergangenen Zeitraums von (im Zeitpunkt der Senatsentscheidung) acht Jahren folgen soll, „dass dieser auch keinerlei Relevanz für die Frage der Wiederholungsgefahr hat“, legt der Kläger im Übrigen nicht dar.
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1.2 Des Weiteren macht der Kläger eine Überraschungsentscheidung insoweit geltend, als der Verwaltungsgerichtshof in Randnummer 37 des angegriffenen Beschlusses ein offensichtliches Schreibversehen annehme, wenn das Verwaltungsgericht bei dem Kläger von einem täglichen Konsum von „Heroin“ statt Kokain ausgehe. Weder das Verwaltungsgericht noch der Verwaltungsgerichtshof hätten einen Berichtigungsbeschluss erlassen – abgesehen davon, dass eine Berichtigung im Berufungszulassungsverfahren nicht möglich sei, weil es sich nicht um ein vollständiges Rechtsmittelverfahren handele – und es sei hierzu auch keine Anhörung erfolgt.
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Diese Rüge greift nicht durch. Die Einstufung der Erwähnung eines Heroinkonsums (anstatt richtig: Kokainkonsum) des Klägers durch das Verwaltungsgericht als offenbare Unrichtigkeit im angegriffenen Beschluss des Senats stellt keine Überraschungsentscheidung dar. Der Kläger hat in seinem Zulassungsvorbringen unter dem Aspekt der geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils gerügt, es bestehe „kein Anhaltspunkt (…) dafür, dass der Kläger Heroin (täglich) konsumiert habe“ (vgl. S. 7 des Begründungsschriftsatzes vom 30.7.2022). Da keiner der Beteiligten im erstinstanzlichen Verfahren oder im Berufungszulassungsverfahren eine Berichtigung beantragt hatte, bestand weder für das Verwaltungsgericht noch für den Senat ein Anlass zu einer förmlichen Berichtigung durch Beschluss, die auch im Rechtsmittelverfahren möglich ist (vgl. die vom Kläger zitierte Kommentierung Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 118 Rn. 8; ferner Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 118 Rn. 5 m.w.N.). Der Nichterlass eines förmlichen Berichtigungsbeschlusses schließt es jedoch nicht aus, bei einem unter dem Aspekt der ernstlichen Zweifel geltend gemachten angeblichen Mangel des angefochtenen Urteils von einer offenbaren Unrichtigkeit auszugehen.
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Aus diesem Grund stellt es keine Überraschungsentscheidung dar, dass der Senat in Auseinandersetzung mit dem klägerischen Zulassungsvorbringen unter der Randnummer 37 seines Beschlusses ausgeführt hat, dass sich entgegen dem Zulassungsvorbringen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht daraus ergeben, dass im Tatbestand des Urteils fälschlicherweise ein Konsum von Heroin statt Kokain benannt war, da es sich hierbei um ein offensichtliches Schreibversehen handele und im Rahmen der maßgeblichen Erwägungen innerhalb der Entscheidungsgründe zutreffend der tatsächlich bestehende Cannabis- und Kokainkonsum gewürdigt worden sei. Der Kläger hat seine Rechtsauffassung, dass es sich um einen durchgreifenden Mangel des erstinstanzlichen Urteils – und damit nicht um eine offenbare Unrichtigkeit – handle, in seinem Zulassungsvortrag dargelegt. Deshalb durfte der Senat im Rahmen der Überprüfung dieser Rüge zum Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit im Sinne des § 118 VwGO Stellung nehmen, ohne dem Kläger zu dieser Frage nochmals rechtliches Gehör einzuräumen. Der Senat ist auch in der Sache zu Recht von einem offensichtlichen Versehen ausgegangen, da sich die Unrichtigkeit aus dem Zusammenhang des Urteils selbst ergibt und ohne weiteres erkennbar ist. Unrichtigkeit in diesem Sinne bedeutet, dass in der Formulierung des Urteils etwas anderes ausgesagt wurde, als das Gericht gewollt hat (Kopp/Schenke, VwGO, 27. Aufl. 2021, § 118 Rn. 6; Wöckel in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 118 Rn. 3). Zwar trifft es zu, dass im Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils auf Seite 3, dritter Absatz, zweimal von einem Konsum von „Heroin“ die Rede ist. In den Entscheidungsgründen des Urteils ist das Verwaltungsgericht bei der Prognose der konkreten Wiederholungsgefahr jedoch ersichtlich von einem Konsum von Kokain (und Cannabis) ausgegangen, wie sich aus der Bezugnahme auf das im strafgerichtlichen Verfahren eingeholte Sachverständigengutachten des Herrn Dr. L. ergibt, in welchem der Konsum von Kokain und Cannabis durch den Kläger erwähnt wird (S. 10 des Urteils des Verwaltungsgerichts).
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2. Der Kläger rügt, der Verwaltungsgerichtshof habe durch eine unterlassene Anhörung der Beklagten wesentliche Verfahrensgrundsätze, die dem kontradiktorischen Verwaltungsstreitverfahren im Falle der hier vorliegenden Anfechtungsklage zugrunde lägen, zulasten des Klägers nicht beachtet und hierdurch den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs entscheidungserheblich verletzt. Der Beklagten sei nicht aufgegeben worden, zu den Schriftsätzen des Klägerbevollmächtigten vom 26. September, 22. Oktober und 24. November 2022, insbesondere zu dem dortigen Vortrag, dass die Behandlung des Klägers im Maßregelvollzug abgeschlossen sei, dass der Entlassungsbericht vorgelegen habe, dass der Sachverständige Dr. R. ein Gutachten erstellt habe, die Strafvollstreckungskammer die Unterbringung im Maßregelvollzug sowie die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt habe sowie dass der Kläger zum Pflegeumfang seiner Mutter ergänzend Stellung genommen und ein Attest zu deren Reisefähigkeit vorgelegt habe, Stellung zu nehmen. Damit habe die Beklagte ausschließlich zu dem Vortrag des Klägers in der Begründung des Berufungszulassungsantrags Stellung genommen, aber nicht zu den neu eingetretenen, zu berücksichtigenden Umständen, weshalb aufgrund des Zeitablaufs keine Möglichkeit für sie bestanden habe, insbesondere ihr Ermessen hinsichtlich der Befristungsentscheidung zu aktualisieren. Infolgedessen sei die Beklagte in der Erwiderung zum Berufungszulassungsantrag auch, bezogen auf den Entscheidungszeitpunkt des Senats, von falschen Tatsachen ausgegangen, was sich aus ihren Ausführungen im Schriftsatz vom 20. September 2022 ergebe. Der Senat wäre jedoch gemäß § 86 Abs. 4 VwGO gehalten gewesen, die Beklagte zu einer Stellungnahme aufzufordern.
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Diese Rüge greift nicht durch. Der Kläger macht keine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend, indem er rügt, die Beklagte sei vom Senat nicht zur Stellungnahme zu seinem weiteren Vorbringen aufgefordert worden und habe keine Möglichkeit gehabt, darauf zu reagieren.
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Des Weiteren liegt auch in der Sache kein Gehörsverstoß vor. Die Fristsetzung durch das Gericht gegenüber einem Beteiligten gemäß § 86 Abs. 4 Satz 2 VwGO liegt im Ermessen des Gerichts (vgl. Störmer in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, VwGO § 86 Rn. 113). Die Vorschrift soll (in Verbindung mit der Soll-Bestimmung zur Einreichung vorbereitender Schriftsätze durch die Beteiligten nach § 86 Abs. 4 Satz 1 VwGO) dazu beitragen, den Rechtsstreit möglichst frühzeitig in der Weise zu fördern, dass er in einer mündlichen Verhandlung entschieden werden kann (sog. Konzentrationsmaxime, vgl. Störmer in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, VwGO § 86 Rn. 113 m.w.N.), wobei offenbleiben kann, inwieweit die Norm im Berufungszulassungsverfahren anwendbar ist (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 86 Rn. 2). Dem gegenüber dient der Wahrung rechtlichen Gehörs die in § 86 Abs. 4 Satz 3 VwGO geregelte Pflicht des Gerichts zur Übermittlung der von einem Beteiligten eingereichten vorbereitenden Schriftsätze an die übrigen Beteiligten von Amts wegen (Störmer in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, VwGO § 86 Rn. 115; Dawin/Panzer in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, VwGO § 86 Rn. 147 m.w.N.). Dem hat der Senat genügt, indem er die Schriftsätze des Klägerbevollmächtigten vom 26. September 2022, 22. Oktober 2022 und 24. November 2022 jeweils mit Anlagen am 29. September 2022, 25. Oktober 2022 bzw. 28. November 2022 der Beklagten übermittelt hat, den Schriftsatz vom 22. Oktober 2022 zudem mit Fristsetzung für eine etwaige Stellungnahme bis 11. November 2022. In Anbetracht des Umstandes, dass auch im Falle einer Fristsetzung verspätet eingehendes Vorbringen bis zur Entscheidung des Gerichts noch zu berücksichtigen ist (vgl. Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 86 Rn. 100; Störmer in Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, VwGO § 86 Rn. 114; Breunig in Posser/Wolff, VwGO, 64. Ed. Stand 1.1.2023, § 86 Rn. 105 f.), hätte für die Beklagte daher auch ohne (ausdrückliche) Aufforderung durch den Senat bis zum Erlass des Beschlusses am 1. Dezember 2022 die Möglichkeit zur Erwiderung (bzw. zur Beantragung einer aus ihrer Sicht angemessenen Fristsetzung) bestanden. Auch bestand vorliegend – auch angesichts des weiteren Sachvortrags des Klägers in den genannten Schriftsätzen – keine Pflicht des Senats, die Beklagte zur Aktualisierung ihrer Ermessenserwägungen aufzufordern. Der Senat hat in dem angegriffenen Beschluss ausgeführt, dass im Rahmen der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf acht Jahre einerseits insbesondere die aus dem Verhalten des Klägers resultierende tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft berücksichtigt, andererseits aber auch zutreffend vor allem die Aufenthaltsdauer des Klägers von fast 50 Jahren sowie seine familiären Bindungen im Bundesgebiet ebenso wie (im verwaltungsgerichtlichen Verfahren) der Hilfebedarf der Mutter des Klägers gesehen und beanstandungsfrei eine Befristung von acht Jahren für angemessen erachtet wurde, wobei die Ermessenserwägungen seitens der Beklagten unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens in nicht zu beanstandender Weise aktualisiert wurden (Rn. 68 ff. des Beschlusses). Damit ging der Senat davon aus, dass eine (weitere) Nachbesserung der Ermessenserwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO nicht erforderlich war, weshalb nach seinem materiell-rechtlichen Standpunkt kein Anlass zu einem entsprechenden Hinweis bestand (vgl. Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand August 2022, VwGO § 114 Rn. 268 m.w.N.).
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Soweit der Kläger ausführt, der Schriftsatz vom 24. November 2022 habe aufgrund einer bundesweiten technischen Störung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs an diesem Tag nicht digital übermittelt werden können, sondern sei vorab per Telefax und nach Behebung der Störung erneut am 25. November 2022 erneut digital übermittelt worden, der Verwaltungsgerichtshof habe aber zuvor eine weitere Fristverlängerung abgelehnt und bereits am 1. Dezember 2022, einem Donnerstag, den angegriffenen Beschluss erlassen, welcher in seiner Ausfertigung 61 Seiten umfasst habe, weshalb sich bereits aus den zeitlichen Abläufen ergebe, dass es für den Verwaltungsgerichtshof auf die Stellungnahme vom 24. November 2022 nicht mehr angekommen sei, ist darauf hinzuweisen, dass – wie der Senat unter der Randnummer 25 des angegriffene Beschlusses ausgeführt hat – eine über die Fristsetzung bis 24. November 2022 hinausgehende Frist zur weiteren Stellungnahme im Hinblick darauf, dass die übermittelten Unterlagen dem Klägerbevollmächtigten ausweislich bereits erfolgter Stellungnahmen ersichtlich bekannt waren, nicht angezeigt war. Des Weiteren hat der Senat (a.a.O.) auf den Schriftsatz vom 24. November 2022 und die dort getätigten ergänzenden und wiederholenden Ausführungen unter Beifügung eines ärztlichen Attestes für die Mutter des Klägers vom 14. November 2022 Bezug genommen und damit das klägerische Vorbringen zur Kenntnis genommen und erwogen. Es ist daran zu erinnern, dass Art. 103 Abs. 1 GG – wie ausgeführt – die Gerichte nicht dazu verpflichtet, jedes Vorbringen ausdrücklich zu bescheiden, sofern dieses zur Kenntnis genommen und erwogen wurde (BVerfG, B.v. 25.3.2010 – 1 BvR 2446/09 – juris Rn. 11 sowie NdsOVG, B.v. 22.3.2010 – 5 LA 32/09 – juris jeweils m.w.N.; SächsOVG, B.v. 18.2.2010 – 2 B 586/09 – juris; BayVGH, B.v. 10.3.2010 – 2 CS 10.222 – juris). Es ist verfehlt, aus der Nichterwähnung einzelner Elemente des Vorbringens in einem umfangreichen Verfahren zu folgern, das Gericht habe sich mit den darin enthaltenen Argumenten nicht befasst (BVerwG, B.v. 9.7.2019 – 1 B 51.19 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 10 AS 23.411 – juris Rn. 7).
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Soweit der Klägerbevollmächtigte ausführt, der Senat sei zu eigenen Ermessenserwägungen nicht befugt gewesen und die Annahme des Senats, dass eine Verkürzung der hinsichtlich des Klägers durch die Beklagte festgesetzten Sperrfrist – wie bei der Ehefrau des Klägers geschehen – nicht opportun gewesen sei, sei nicht mit Art. 19 Abs. 4 GG in Einklang zu bringen, wird nicht dargelegt, inwiefern darin ein Gehörsverstoß liegen soll. Ersichtlich hat der Senat die Rechtmäßigkeit der Ermessensausübung der Beklagten hinsichtlich der Sperrfrist bezüglich des Klägers gemäß § 114 VwGO überprüft, aber keinen Ermessensfehler festgestellt. Im Übrigen stellt die Anhörungsrüge keinen Rechtsbehelf zur inhaltlichen Nachprüfung der angegriffenen gerichtlichen Entscheidung dar (st.Rspr., z.B. BVerwG, B.v. 16.1.2023 – 4 BN 46.22 u.a. – juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 12.1.2023 – 8 B 51.22 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 10 AS 23.411 – juris Rn. 6; B.v. 22.9.2022 – 10 ZB 22.30735 – juris Rn. 3). Nach § 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO prüft das Gericht die unanfechtbare Entscheidung ausschließlich im Hinblick auf die (dargelegte) Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (BayVGH, B.v. 9.3.2023 – 10 AS 23.411 – juris Rn. 2 m.w.N.).
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3. Der Kläger rügt des Weiteren, der Senat habe in dem angegriffenen Beschluss nicht erfolgten Vortrag berücksichtigt und wesentlichen Vortrag nicht berücksichtigt.
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Die Rüge, der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs liege ein Verstoß gegen die Dispositionsbefugnis der Parteien zugrunde, da vermeintlicher Vortrag der Behörde eingestellt werde, den diese nie vorgenommen habe, sodass der Kläger hierzu auch nicht gehört worden sei, geht fehl. Die Beklagte hat ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG im Erwiderungsschriftsatz vom 20. September 2022 zur Begründung des Berufungszulassungsantrags vom 30. Juli 2022 aktualisiert und ist dabei sowohl auf den bereits im erstinstanzlichen Verfahren thematisierten Hilfebedarf der Mutter des Klägers – einschließlich der geltend gemachten Reiseunfähigkeit – (vgl. Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 29.3.2022; Therapiebericht vom 16. März 2022, dem Verwaltungsgericht übermittelt mit Schriftsatz der Beklagten vom 22. März 2022; Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 30.3.2022; Urteil des Verwaltungsgerichts vom 30.3.2022, S. 14 des Urteilsabdrucks), als auch auf die Frage einer Verkürzung der Sperrfrist zugunsten des Klägers entsprechend der bei seiner Ehefrau vorgenommenen Verkürzung eingegangen. Die Beklagte hat begründet, weshalb sie bezüglich des Klägers dennoch an ihrer Bemessung der Sperrfrist festhält und hat damit ihre entsprechenden Ermessenserwägungen aktualisiert. Damit ist der Rüge des Klägers, der Beklagten seien die genannten Umstände nicht bekannt gewesen und sie habe diese daher auch nicht gewichten können, nicht zu folgen. Soweit der Kläger (wiederholt) rügt, die Beklagte habe keine Gelegenheit gehabt, ihr Ermessen zu erneuern bzw. zu aktualisieren und dadurch sei klägerischer Vortrag faktisch übergangen worden, trifft dies folglich nicht zu. Im Übrigen bestimmen sich der Gegenstand und der Umfang des rechtlichen Gehörs im gerichtlichen Verfahren nach dem materiell-rechtlichen Standpunkt des Gerichts.
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Aus den Ausführungen des Senats im angegriffenen Beschluss folgt, dass er die von dem Kläger vorgetragenen Tatsachen nicht übergangen, sondern zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Der Senat hat zum Vortrag des Klägers hinsichtlich seiner persönlichen Bindung zu seiner im Bundesgebiet lebenden Mutter und deren Pflegebedürftigkeit ausgeführt, dass die besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen – resultierend aus der vom Kläger verübten Drogenkriminalität – vorliegend dazu führen, dass die geltend gemachten familiären Belange im Rahmen der Abwägung zurückzutreten haben; dass der Hinweis des Verwaltungsgerichts, es könne dem Kläger und seiner Familie zugemutet werden, trotz räumlicher Trennung die Bindung zueinander – zumindest für die Dauer der Wiedereinreisesperre – in anderweitiger Form, z.B. durch Kommunikationsmittel wie Telefon, Internet und Briefverkehr sowie gelegentliche Besuche in Serbien aufrechtzuerhalten, selbst unter Berücksichtigung der geltend gemachten Immobilität der Mutter (des Klägers) nicht zu beanstanden ist; dass auch ohne eine behördliche Zusage in § 11 Abs. 8 AufenthG die Möglichkeit einer kurzfristigen Betretenserlaubnis geregelt ist, um im Einzelfall unbillige Härten zu vermeiden; dass selbst in Anerkennung des Hilfebedarfs der Mutter und ihres Alters den besonders schwerwiegenden sicherheitsrechtlichen Interessen der Allgemeinheit mehr Gewicht beizumessen ist als der Beziehung des Klägers zu seiner allein wohnenden, hilfsbedürftigen und während seiner haftbedingten Abwesenheit anderweitig gepflegten Mutter (Rn. 59 ff. des angegriffenen Beschlusses); sowie dass im Rahmen der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf acht Jahre einerseits insbesondere die aus dem Verhalten des Klägers resultierende tatsächliche und hinreichend schwere Gefahr für ein Grundinteresse der Gesellschaft berücksichtigt, andererseits aber auch zutreffend vor allem die Aufenthaltsdauer des Klägers von fast 50 Jahren sowie seine familiären Bindungen im Bundesgebiet ebenso wie (im verwaltungsgerichtlichen Verfahren) der Hilfebedarf der Mutter des Klägers gesehen wurden und beanstandungsfrei eine Befristung von acht Jahren für angemessen erachtet wurde, wobei die Ermessenserwägungen seitens der Beklagten unter Berücksichtigung des Zulassungsvorbringens in nicht zu beanstandender Weise aktualisiert wurden (Rn. 68 ff. des Beschlusses).
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Soweit der Klägerbevollmächtigte hinsichtlich der Ermessensausübung der Beklagten darauf hinweist, dass der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht für den Fall der Klagerücknahme Vergleichsbereitschaft hinsichtlich einer Verkürzung der Sperrfrist gezeigt habe, steht dies einer Aktualisierung der Ermessenserwägungen im Berufungszulassungsverfahren nicht entgegen, weil ein Vergleich durch gegenseitiges Nachgeben geprägt ist, zu dem die Beteiligten nicht verpflichtet sind. Die im erstinstanzlichen Verfahren gezeigte grundsätzliche Vergleichsbereitschaft hindert die Beklagte damit nicht, für den Fall einer streitigen Entscheidung auch im (vom Kläger eingelegten) Rechtsmittelverfahren an ihrer Ermessensentscheidung festzuhalten. Ein Verstoß gegen die Dispositionsmaxime, wie von dem Klägerbevollmächtigten vorgetragen, kann darin nicht gesehen werden.
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Die ergänzenden Ausführungen des Klägers zum Pflegebedarf seiner Mutter sowie das mit Schriftsatz vom 24. November 2022 vorgelegte ärztliche Attest vom 4. August 2022 (welches lediglich Diagnosen sowie die lapidare Feststellung enthält, dass die Patientin auf dauerhafte Betreuung und Hilfe angewiesen sei) belegen im Übrigen nur den sowohl von dem Senat (im angegriffenen Beschluss) als auch schon von dem Verwaltungsgericht zugrunde gelegten Hilfebedarf der Mutter des Klägers. Diese Umstände stellen aber nicht die Bewertung durch den Senat in Frage, dass die Pflege auch durch andere Personen als den Kläger erbracht werden kann. Im Übrigen ist nicht ersichtlich, inwieweit der Vortrag des Klägers, seine Mutter sei nicht nur immobil, sondern überhaupt nicht in der Lage, den Kontakt telefonisch oder über das Internet zu halten, da sie schwerhörig sei, nicht lese und das Internet nicht nutze, die oben genannten Ausführungen im angegriffenen Beschluss in Frage stellen sollte. Sofern die Mutter des Klägers wegen ihrer Schwerhörigkeit nicht in der Lage sein sollte, mit ihrem Sohn zu telefonieren, besteht die Möglichkeit des Briefkontaktes. Des Weiteren besteht die Möglichkeit, dass die Mutter des Klägers sich von anderen Personen in die Internetnutzung einweisen lässt bzw. deren Hilfe in Anspruch nimmt, um über moderne Mittel der Fernkommunikation den Kontakt mit dem Kläger zu halten. Überdies besteht für die Mutter des Klägers insoweit keine grundlegend andere Situation als diejenige, welche auch während dessen Aufenthalts in der Haft bzw. im Maßregelvollzug bestand. Auch in der damaligen Situation waren der Kläger und seine Mutter darauf angewiesen, den Kontakt miteinander – soweit von ihnen gewünscht – auf andere Weise wahrzunehmen. Festzuhalten bleibt, dass – worauf der Senat unter der Randnummer 58 des angegriffenen Beschlusses hingewiesen hat – selbst im Falle einer schützenswerten familiären Beziehung insbesondere bei besonders schwerwiegenden Straftaten eine Aufenthaltsbeendigung aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht generell und unter allen Umständen ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG, B.v. 10.2.2011 – 1 B 22.10 – juris Rn. 4). Weshalb sich vorliegend in der Abwägung das besonders schwerwiegende öffentliche Ausweisungsinteresse gegenüber dem besonders schwerwiegenden Bleibeinteresse des Klägers auch unter Berücksichtigung der weiteren schutzwürdigen familiären Belange durchsetzt, hat der Senat unter den Randnummern 55 ff. des angegriffenen Beschlusses ausführlich dargestellt und begründet; hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen werden.
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Die weitere Rüge, der Senat habe sich nicht mit dem klägerischen Vortrag, dass seine Behandlung abgeschlossen sei und kein aktueller Behandlungsbedarf mehr bestehe, sondern lediglich (von den Strafvollstreckungsgerichten standardisiert angeordnete) Kontrollen stattfänden, auseinandergesetzt, trifft nicht zu. Der Senat hat zur Überprüfung und Aktualisierung der verwaltungsgerichtlichen Gefahrenprognose die Strafaussetzungsentscheidung sowie die dieser zugrundeliegenden Therapieberichte, insbesondere die gutachterliche Stellungnahme des Bezirksklinikums vom 23. Juni 2022 sowie das Prognosegutachten des Herrn Dr. med. R. vom 4. August 2022 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht und gewürdigt. Er hat aber in Anbetracht des Umstandes, dass sich trotz des formalen Abschlusses der Therapie im Maßregelvollzug insbesondere in Anbetracht der gewichtigen Betäubungsmitteldelinquenz, der erst kurzzeitigen Bewährungsphase sowie der erheblichen Maßgaben zur Bewährung und Führungsaufsicht nach dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 29. August 2022 auch in Anbetracht der zwischenzeitlich erfolgten Strafaussetzungsentscheidung ein fortbestehender engmaschiger Therapiebedarf ergibt, die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass von dem Kläger auch weiterhin eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht und aus seiner Entwicklung nach der Anlassverurteilung nicht darauf zu schließen ist, dass die durch die begangenen Straftaten indizierte Gefährlichkeit des Klägers beseitigt ist, nicht beanstandet (vgl. Rn. 28 ff., insb. 39 ff., 43 ff., 46 des Beschlusses vom 1.12.2022, Az. 19 ZB 22.1538). Zur Begründung hat der Senat – in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung – ausgeführt, dass Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungen und deren gerichtlichen Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen haben, wobei die besonderen Umstände des Einzelfalles – insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts sowie die Persönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (Rn. 29 des angegriffenen Beschlusses), dass Entscheidungen der Strafgerichte über die Aussetzung von Straf- und Maßregelvollzug nach § 57 StGB bei der anzustellenden Prognose von tatsächlichem Gewicht sind und ein wesentliches Indiz darstellen, dass von ihnen aber keine Bindungswirkung ausgeht (Rn. 30 des angegriffenen Beschlusses m.V.a. Rspr. des BVerfG), dass auch eine positive Entscheidung über die Strafrestaussetzung zur Bewährung nicht von vornherein ausschließt, dass im Einzelfall schwerwiegende Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorliegen, die eine spezialpräventive Ausweisung rechtfertigen können, weil eine strafvollstreckungsrechtliche Aussetzung von Straf- und Maßregelvollzug und eine gefahrenabwehrrechtliche Ausweisung unterschiedliche Zwecke verfolgen (Rn. 30 ff. des Beschlusses); dass im vorliegenden Fall bei der notwendigen Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände auch unter Berücksichtigung der positiven Entwicklungen nicht der Schluss gezogen werden kann, dass durch die Bewährungsaussetzung der jeweiligen Vollstreckungen die vom Kläger ausgehende Gefahr soweit entfallen ist, dass dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung bzw. sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland nicht mehr gefährdet (Rn. 33 ff. des Beschlusses); dass sich trotz der nachfolgenden Strafaussetzungsentscheidung vom 29. August 2022 vorliegend das Fortbestehen eines weiteren, engmaschigen Therapiebedarfs ergibt, sodass allein der formale Abschluss der Therapie im Maßregelvollzug noch nicht die Erwartung eines künftig drogen- und straffreien Verhaltens – insbesondere in Anbetracht der gewichtigen Betäubungsmitteldelinquenz und der erst kurzfristigen Bewährungsphase – rechtfertigt (vgl. Rn. 40 ff. des angegriffenen Beschlusses); sowie dass (zusammengefasst) die zwischenzeitlich neu eingetretenen Umstände, insbesondere die Strafaussetzung nicht geeignet sind, wesentliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts in Frage zu stellen (vgl. Rn. 46 des Beschlusses). Soweit der Kläger an der Redeweise von dem „formale(n) Abschluss“ der Therapie Anstoß nimmt, ist darauf hinzuweisen, dass sich diese Formulierung – aus dem Satzaufbau und dem Sinnzusammenhang erkennbar – auf den Maßregelvollzug bezieht und zum Ausdruck bringt, dass trotz des (erfolgreichen) Abschlusses desselben ausweislich der Maßgaben zum Aussetzungsbeschluss der Strafvollstreckungskammer vom 29. August 2022 weiterer, engmaschiger Therapiebedarf besteht. Nicht in Abrede gestellt wird damit, dass der (weitere) Maßregelvollzug aufgrund der Therapieerfolge des Klägers ausgesetzt wurde. Die Rüge des Klägers, der Senat hätte bei umfassenderer Würdigung des Tatsachenmaterials berücksichtigt, dass der Kläger die Probewohnphase bereits vor knapp einem Jahr begonnen habe, vermag die Einschätzung des Senats, dass der bisherige Bewährungszeitraum (vergleichsweise) kurz ist, nicht in Frage zu stellen. So stellt auch die Strafvollstreckungskammer ohne Verkürzung auf einen Bewährungszeitraum von fünf Jahren und damit auf den gesamten, vom Gesetz vorgesehenen Zeitrahmen ab. Soweit der Kläger schließlich der Beurteilung der Wiederholungsgefahr durch den Senat inhaltlich nicht folgt, kann er damit im Rahmen des Anhörungsrügeverfahrens, welches – wie ausgeführt – lediglich der Erfüllung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, nicht jedoch der inhaltlichen Überprüfung der angegriffenen Entscheidung dient, nicht durchdringen.
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Soweit der Kläger rügt, der Senat habe hinsichtlich der Gefahrenprognose keine breitere Tatsachengrundlage hergestellt, als diese dem Landgericht (d.h. der Strafvollstreckungskammer) zur Verfügung gestanden habe, handelt es sich zum einen wiederum um inhaltliche Kritik an der Entscheidung, welcher im Anhörungsrügeverfahren nicht nachzugehen ist. Zum anderen ist diese Rüge schon deshalb unzutreffend, weil – wie der Senat bereits im angegriffenen Beschluss ausgeführt hat (Rn. 30) – selbst bei gewichtigen Bleibeinteressen des betroffenen Ausländers eine Abweichung von der strafgerichtlichen Legalprognose bei fortbestehenden konkreten Gefahren für höchste Rechtsgüter, wie hier aufgrund der sehr hohen Mengen gehandelter Drogen, der arbeitsteiligen und organisierten Begehungsweise und der dabei zum Ausdruck kommenden hohen kriminellen Energie (vgl. Rn. 40, 41 des angegriffenen Beschlusses), auch bei einer im wesentlichen vergleichbaren Tatsachengrundlage in Betracht kommt, ohne dass es insoweit über die vorliegenden und vom Senat gewürdigten sachverständigen Beurteilungen (Therapieberichte, Prognosegutachten) hinaus der Einholung eines Sachverständigengutachtens bedarf (BVerwG, U.v. 16.2.2022 – 1 C 6.21 – juris Rn. 29 m.V.a. BVerfG, B.v. 19.10.2016 – 2 BvR 1943/16 – juris Rn. 24). Das Gericht bewegt sich bei der ausweisungsrechtlichen Prognose der Wiederholungsgefahr regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die Gerichten allgemein zugänglich sind und kann gerade die Wiederholungsgefahr nach strafrechtlichen Verurteilungen grundsätzlich im Wege einer eigenständigen Prognose ohne Zuziehung eines Sachverständigen beurteilen (st. Rspr., z.B. BVerwG, U.v. 13.12.2012 – 1 C 20.11 – juris Rn. 23; BayVGH, B.v. 10.10.2017 – 19 ZB 16.2623 -juris Rn. 36; B.v 8.11.2017 – 10 ZB 16.2199 – juris Rn. 7 m.w.N.). Wie ausgeführt, bedarf die Prognose im vorliegenden Fall keiner – über die vorliegenden fachlichen Einschätzungen hinausgehenden – Feststellung oder Bewertung von Umständen, etwa – wie hier nicht – des Vorliegens oder der Auswirkungen einer seelischen Erkrankung, welche eine besondere Sachkunde voraussetzt, die dem Richter nicht zur Verfügung steht (BVerwG, B.v. 4.5.1990 – 1 B 82.89 – juris).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Eine Streitwertfestsetzung ist im Hinblick auf Nr. 5400 der Anlage 1 zum Gerichtskostengesetz entbehrlich.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).