Titel:
Abwägungsfehlerhafter Bebauungsplan wegen unzureichender Ermittlung der durch die Planung ausgelösten zusätzlichen Verkehrsbelastung
Normenkette:
BauGB § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1, Abs. 4, § 215 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Setzt ein Bebauungsplan eine Straßenverkehrsfläche neben einem Wohngrundstück fest, kann nach Maßgabe von § 2 Abs. 3 BauGB nur dann auf die Ermittlung konkret zu erwartender Immissionswerte verzichtet werden, wenn schon nach der Zahl der täglich zu erwartenden Kfz-Bewegungen im Hinblick auf die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls keine Belästigungen zu besorgen sind, die die Geringfügigkeits-/Bagatellgrenze überschreiten. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Es ist einem Normenkontrollgericht verwehrt, in Anwendung von § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BauGB ein potenzielles Abwägungsergebnis eines noch laufenden ergänzenden Verfahrens (§ 214 Abs. 4 BauGB) zu unterstellen. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrollantrag, Ermittlungsdefizit, zusätzlich zu erwartender Verkehrslärm, Bebauungsplan, Normenkontrolle, Abwägung, Ermittlungspflichten, Straßenverkehrslärm, Zusatzbelastung, Geringfügigkeitsgrenze, Fehlerbeachtlichkeit, Rüge durch Normenkontrollantragsbegründung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15615
Tenor
I. Der am 16. August 2022 bekannt gemachte Bebauungsplan Nr. ... „H. …“ der Antragsgegnerin ist unwirksam.
II.Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III.Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
IV.Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan Nr. ... „H. …“ der Antragsgegnerin, bekannt gemacht am 16. August 2022.
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Am 13. Februar 2019 beschloss die Antragsgegnerin, eine 2014 eingeleitete Planung nicht mehr weiterzuverfolgen und den Bebauungsplan Nr. ... „H. …“ im beschleunigten Verfahren aufzustellen. Ziel der Planung ist die Deckung des Bedarfs an Wohnbauflächen für Ein- und Zweifamilienhäuser im Gebiet der Antragsgegnerin. Das 14.909 m2 große, zum planungsrechtlichen Außenbereich gezählte Plangebiet liegt als überwiegend unbebaute, teils land-, teils forstwirtschaftlich genutzte Fläche nördlich der E. … Straße mit an diese südlich daran anschließender Wohnbebauung. Unmittelbar angrenzend an das Plangebiet befindet sich dort auch das mit einem Wohnhaus bebaute und im Eigentum des Antragstellers liegende Grundstück FlNr. …4 der Gemarkung R. … Im Westen des Plangebiets befindet sich die Straße Zum B. … mit im Anschluss landwirtschaftlichen Flächen sowie der Ausflugsgaststätte „H. …“ im Nordwesten. Im Norden grenzen Waldflächen des Fichtenbühls und im Osten einzeilige Wohnbebauung entlang der E. … Straße an das Plangebiet an.
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Im Bauleitplanverfahren hat der Antragsteller mit Schriftsätzen vom 6. Juni 2021, 28. Dezember 2021, 28. Januar 2022 und 6. Juni 2022 Einwendungen erhoben. Die Antragsgegnerin beschloss am 25. Juli 2022 über die fristgerecht eingegangenen Stellungnahmen und den Bebauungsplan als Satzung. Der Bebauungsplan Nr. ... „H. …“ wurde am 5. August 2022 ausgefertigt und am 16. August 2022 sowohl im Amtsblatt als auch durch Anschlag an die Amtstafel bekannt gemacht.
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Bereits am 17. Juli 2022 erhob der Antragsteller persönlich Normenkontrollantrag beim Verwaltungsgericht Regensburg, das diesen mit Beschluss vom 26. August 2022 an den Verwaltungsgerichtshof verwies. Mit Schriftsatz vom 5. September 2022 bestellten sich die Bevollmächtigten des Antragstellers und begründeten den Normenkontrollantrag.
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Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2023 beantragte der Antragsteller mit einem Normenkontrolleilantrag vorläufigen Rechtsschutz. Der Senat setzte daraufhin mit Beschluss vom 1. Februar 2023 (Az. 15 NE 23.56) den am 16. August 2022 bekannt gemachten Bebauungsplan Nr. ... „H. …“ der Antragsgegnerin bis zur Entscheidung in der Hauptsache außer Vollzug. Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass die Antragsgegnerin nicht hinreichend ermittelt habe, welche Verkehrslärmauswirkungen die künftige Bebauung des Plangebiets und die Nutzung der E. … Straße nördlich des Antragstellergrundstücks auf dessen Wohngrundstück habe. Mangels Ermittlung der Zahl der infolge der künftigen Bebauung vom Baugebiet zu erwartenden Kraftfahrzeugbewegungen oder der konkreten Zahl der maximal zu erwartenden Wohneinheiten könne keine Grobabschätzung erfolgen und liege insoweit ein Ermittlungsdefizit vor.
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Zur Begründung seines Normenkontrollantrags führte der Antragsteller aus, dass er als unmittelbar südlich an das Plangebiet angrenzender Grundstückseigentümer in abwägungserheblichen Belangen betroffen sei. Der Bebauungsplan sei bereits formell fehlerhaft, denn der Bebauungsplan habe nicht im beschleunigten Verfahren aufgestellt werden dürfen. Das Baugebiet grenze zu zwei Drittel an den Außenbereich an, so dass nicht von einem Anschluss an einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil ausgegangen werden könne. Zudem seien die gesetzlichen Flächenvorgaben nicht eingehalten. Im Zeitpunkt der Auslegung habe weder der geotechnische Bericht noch die schalltechnische Untersuchung vorgelegen und die Begründung sei nicht ordnungsgemäß unterzeichnet.
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Materiell rechtlich verletze der Bebauungsplan das Abwägungsgebot, da eine massive und unzumutbar hohe Bebauung mit bis zu 20 m ermöglicht werde. Daraus resultiere eine erdrückende und abriegelnde Wirkung. Durch die hohe Verdichtung komme es zu einem unerträglich hohen Verkehrsaufkommen. Das Baugebiet sei unzumutbaren Lärmeinwirkungen aus dem Straßenverkehr, Belästigungen durch einen Verkehrslandeplatz, Geruchsbelästigungen durch einen Schweinestall sowie Lärmbelästigungen durch die Ausflugsgaststätte „H. …“ sowie einen Weinhof ausgesetzt. Dadurch werde auch das Trennungsgebot verletzt. Schließlich liege lediglich eine Gefälligkeitsplanung für einen Investor vor, weshalb die Planung nicht erforderlich sei. Da der städtebauliche Vertrag erst am 5. Juli 2022 geschlossen worden sei, liege eine Täuschung über Hintergründe und Zweck der Bauleitplanung vor.
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Der Antragsteller beantragt,
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den Bebauungsplan Nr. ... „H. …“ der Antragsgegnerin vom 5. August 2022 für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Sie ist der Ansicht, der Antrag sei bereits unzulässig, da eine Rechtsverletzung des Antragstellers offensichtlich ausscheide. Eine erdrückende Wirkung scheide aufgrund der räumlichen Anordnung und Höhenstaffelung der Baukörper aus. Bei der maximal zulässigen Wandhöhe der Mehrfamilienhäuser in zweiter Reihe sei zudem zu berücksichtigen, dass zur Bestimmung der Wandhöhe der Tiefpunkt im Plangebiet festgesetzt worden sei. Die zu erwartende Verkehrszunahme in der E. … Straße beschränke sich auf den Anliegerverkehr; dieser lasse kein unerträglich hohes Verkehrsaufkommen erwarten. Die schalltechnische Untersuchung komme zu dem Schluss, dass auch ohne Erhebung der Verkehrsdaten und expliziter Berechnung aus dem Straßenverkehr keine Überschreitungen der Immissionsgrenzwerte der Verkehrslärmschutzverordnung zu erwarten seien. Anregungen zu sonstigen Immissionen (Geruchs-, Straßenverkehrs- oder Luftverkehrsimmissionen) hätten sich aus den Stellungnahmen der beteiligten Träger öffentlicher Belange nicht ergeben. Die außerhalb des Verfahrens der Öffentlichkeitsbeteiligung eingegangene Stellungnahme des Antragstellers vom 28. Januar 2022 enthalte keine abwägungsrelevanten Aspekte; solche mussten sich der Antragsgegnerin auch nicht aufdrängen.
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Im Übrigen sei der Bebauungsplan rechtmäßig. Das Baugebiet habe im beschleunigten Verfahren ausgewiesen werden dürfen, da es sich nicht um einen neuen Siedlungsansatz handle. Das Baugebiet grenze im Osten und Nordwesten an bestehende Wohnbebauung an und im Süden verlaufe auf 150 m die E. … Straße mit daran anschließender Bebauung. Maßgeblich für die Flächenberechnung sei die Grundfläche nach § 19 Abs. 2 BauNVO, die unter Berücksichtigung der festgesetzten Grundflächenzahl bei 4.900,8 m2 liege. Die vom Antragsteller angeführten Gutachten seien im Rahmen der erneuten Auslegung ins Verfahren eingebracht worden. Der Wohnflächenbedarf sei ausführlich dargestellt worden, so dass der Bebauungsplan erforderlich sei. Die Abwägung sei fehlerfrei erfolgt. Es liege keine erdrückende Wirkung vor und auch kein unerträglich hohes zu erwartendes Verkehrsaufkommen. Schließlich seien auch keine Nachteile zu erwarten, die eine Aufschiebung rechtfertigen könnten; Schadensersatzansprüche des Investors seien durch einen städtebaulichen Vertrag ausgeschlossen.
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Mit Schriftsatz vom 2. Juni 2023 teilte die Antragsgegnerin mit, dass ein ergänzendes Verfahren eingeleitet werde. Nach einer Verkehrsuntersuchung zur Ermittlung der Verkehrslärmwerte nach RLS-19 der Planungsgesellschaft … GmbH mit Stand 25. Mai 2023 und der schalltechnischen Untersuchung des Dipl.-Ing. (FH) B. … vom 25. Mai 2023 sei die Zunahme des Anliegerverkehrs durch die Planung voraussichtlich nicht mehr geringfügig. Aus den Pegelerhöhungen an den betroffenen Immissionsorten ergäbe sich jedoch keine Maßnahmenrelevanz.
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Die Landesanwaltschaft Bayern als Vertreterin des öffentlichen Interesses hat sich nicht am Verfahren beteiligt.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Planaufstellungsakte der Antragsgegnerin verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Der Normenkontrollantrag ist zulässig und begründet.
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1. Zur Zulässigkeit des Normenkontrollantrags wird auf die Ausführungen des Senats im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes verwiesen (vgl. BayVGH, B.v. 1.2.2023 – 15 NE 23.56 – juris Rn. 25 ff.). Insbesondere entfällt die Antragsbefugnis für das Hauptsacheverfahren auch nicht nachträglich aufgrund weiter fortschreitender Aufklärung des Sachverhalts im Hinblick auf die geltend gemachte Abwägungserheblichkeit von Lärmimmissionen (vgl. BVerwG, B.v. 1.7.2020 – 4 BN 49.19 – juris Rn. 7; BayVGH, U.v. 14.12.2016 – 15 N 15.1201 – juris Rn. 34 m.w.N.).
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2. Der Bebauungsplan Nr. ... „H. …“ der Antragsgegnerin leidet an einem beachtlichen Ermittlungs- und Bewertungsdefizit gem. § 2 Abs. 3 BauGB, der zur Gesamtunwirksamkeit führt. Die Antragsgegnerin hat hier nicht hinreichend ermittelt, welche Verkehrslärmauswirkungen die künftige Bebauung des Plangebiets und die Nutzung der E. … Straße nördlich des Antragstellergrundstücks auf dessen Wohngrundstück hat.
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Gemäß § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung von Bebauungsplänen die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. § 2 Abs. 3 BauGB ergänzt dieses materiell-rechtliche Abwägungsgebot, um die Verfahrensanforderung (vgl. § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB), dass die abwägungserheblichen Belange in wesentlichen Punkten (zutreffend) zu ermitteln und zu bewerten sind. Zu ermitteln und zu bewerten und gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind alle Belange, die in der konkreten Planungssituation nach Lage der Dinge in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden müssen. Das Abwägungsgebot ist verletzt, wenn eine Abwägung überhaupt nicht stattfindet oder in die Abwägung an Belangen nicht eingestellt wird, was nach Lage der Dinge in sie eingestellt werden muss, oder wenn der Ausgleich zwischen den von der Planung berührten Belangen in einer Weise vorgenommen wird, der zur objektiven Gewichtigkeit einzelner Belange außer Verhältnis steht (vgl. BVerwG, U.v. 23.11.2016 – 4 CN 2.16 – juris Rn. 12). Für die Abwägung ist nach § 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan maßgebend.
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a) Lärmschutzbelange sind grundsätzlich dann in die Abwägung einzubeziehen, wenn die Lärmbelastung infolge des Bebauungsplans ansteigt (vgl. BayVGH, U.v. 27.4.2016 – 9 N 13.1408 – juris Rn. 21). Auch eine planbedingte Zunahme des Verkehrslärms gehört daher grundsätzlich zu den abwägungsrelevanten Belangen bei der Aufstellung eines Bebauungsplans (vgl. BVerwG, B.v. 6.3.2013 – 4 BN 39.12 – juris Rn. 6; BayVGH, U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris Rn. 48). Ist der Lärmzuwachs allerdings völlig geringfügig oder wirkt er sich nur unwesentlich (d.h. nicht über eine vernachlässigenswerte Bagatellgrenze hinaus) auf ein Grundstück aus, so muss er nicht in die Abwägung eingestellt werden (vgl. BVerwG, B.v. 8.6.2004 – 4 BN 19.04 – juris Rn. 6; B.v. 11.8.2015 – 4 BN 12.15 – juris Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v.19.8.2016 – 9 NE 16.1512 – juris Rn. 15). Ob vermehrte Verkehrslärmbeeinträchtigungen mehr als geringfügig zu Buche schlagen, lässt sich nicht anhand fester Maßstäbe beurteilen. Insbesondere lässt sich die Schwelle der Abwägungsrelevanz bei Verkehrslärmerhöhungen nicht alleine durch einen Vergleich von Lärmmesswerten mit bestimmten Richtwerten o.ä. bestimmen. Auch eine Lärmbelastung unterhalb der Grenze schädlicher Umwelteinwirkungen und unterhalb einschlägiger Orientierungs- bzw. Grenzwerte (vgl. z.B. Beiblatt 1 zu DIN 18005 – Teil 1; § 2 16. BImSchV; Nr. 6 TA Lärm) kann zum Abwägungsmaterial gehören (vgl. OVG NRW, U.v. 8.10.2015 – 2 D 35/14.NE – juris Rn. 41; VGH BW, U.v. 12.6.2012 – 8 S 1337/10 – juris Rn. 28; B.v. 9.8.2016 – 5 S 437/16 – juris Rn. 20); dasselbe kann sogar bei einer Verkehrslärmzunahme der Fall sein, die für das menschliche Ohr kaum wahrnehmbar ist (vgl. BayVGH, B.v. 26.3.2014 – 9 NE 13.2213 – juris Rn. 13; VGH BW, B.v. 9.8.2016 a.a.O.; im Fall einer Verkehrslärmzunahme unterhalb des 3-dB(A)-Kriteriums des § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 der 16. BImSchV vgl. BVerwG, U.v. 18.7.2013 – 4 CN 3.12 – juris Rn. 27). Es bedarf stets einer einzelfallbezogenen, wertenden Betrachtung der konkreten Verhältnisse unter Berücksichtigung der Vorbelastung und Schutzwürdigkeit des jeweiligen Gebiets (vgl. BVerwG, B.v. 12.1.2015 – 4 BN 18.14 – juris Rn. 23 m.w.N.; BayVGH, B.v. 26.3.2014 – 9 NE 13.2213 – juris Rn. 13; B.v. 3.3.2017 – 15 NE 16.2315 – juris Rn. 17; U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris Rn. 48).
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Soweit nicht von vornherein „auf der Hand liegt“, dass es zu keinen abwägungsrelevanten Lärmzuwachsen kommen kann, treffen die planende Gemeinde im Vorfeld der eigentlichen Abwägung gem. § 2 Abs. 3 BauGB entsprechende Ermittlungspflichten. Erst wenn die Kommune klare Vorstellungen von den immissionsschutzrechtlichen Auswirkungen ihrer Planung hat, kann sie abschätzen, ob die Schwelle der Abwägungsrelevanz erreicht ist bzw. mit welchem Gewicht eine zu prognostizierende Belastung in die Abwägung einzustellen ist. Verfügt sie insoweit nicht selbst über eine zuverlässige Datenbasis, so muss sie sich die erforderlichen Kenntnisse anderweitig verschaffen. Die Einholung eines Immissionsgutachtens bietet sich als ein für diesen Zweck geeignetes Mittel an (vgl. BVerwG, B.v. 19.8.2003 – 4 BN 51.03 – juris Rn. 5; BayVGH, U.v. 27.4.2016 – 9 N 13.1408 – juris Rn. 23). Die planende Gemeinde muss aber nicht stets umfangreiche gutachterliche Ermittlungen anstellen (lassen), um die konkrete Größenordnung der planbedingten Lärmauswirkungen exakt zu bestimmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn schon eine grobe Abschätzung eindeutig erkennen lässt, dass wegen des ersichtlich geringen Ausmaßes zusätzlicher planbedingter Verkehrsbewegungen beachtliche nachteilige Lärmbeeinträchtigungen offensichtlich ausscheiden. Allerdings muss eine ermittelte Prognose hinreichend aussagekräftig sein, um die konkrete Planungssituation abwägungsgerecht beurteilen zu können. Der Satzungsgeber muss sich als Grundlage seiner Abwägungsentscheidung in einer Weise mit den zu erwartenden Lärmbeeinträchtigungen vertraut machen, die es ihm ermöglicht, hieraus entstehende Konflikte umfassend in ihrer Tragweite zu erkennen. Nur wenn dies der Fall ist, kann er zu einer sachgerechten Problembewältigung im Rahmen der Abwägung überhaupt in der Lage sein (vgl. BayVGH, U.v. 28.4.2017 – 15 N 15.967 – juris Rn. 49 m.w.N.; VGH BW, U.v. 24.7.2015 – 8 S 538/12 – juris Rn. 39; OVG RhPf, U.v. 15.11.2011 – 8 C 10906/11 – juris Rn. 31). Setzt ein Bebauungsplan eine Straßenverkehrsfläche neben einem Wohngrundstück fest, kann nach Maßgabe von § 2 Abs. 3 BauGB nur dann auf die Ermittlung konkret zu erwartender Immissionswerte verzichtet werden, wenn schon nach der Zahl der täglich zu erwartenden Kfz-Bewegungen im Hinblick auf die konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls keine Belästigungen zu besorgen sind, die die Geringfügigkeits- / Bagatellgrenze überschreiten. Allerdings wird auch die Einschätzung, ob die Geringfügigkeitsgrenze nicht überschritten wird, regelmäßig – d.h. soweit es nicht z.B. um Fallgestaltungen geht, bei denen über einen kleinräumigen Bebauungsplan nur die Möglichkeit des Zuwachses einzelner Häuser in der Nachbarschaft ermöglicht wird (vgl. BayVGH. B.v. 19.8.2016 – 9 NE 16.1512 – juris Rn. 15; U.v. 16.5.2017 – 15 N 15.1485 – juris Rn. 22 ff. sowie im Anschluss BVerwG, B.v. 24.8.2017 – 4 BN 35.17 – juris) – nicht ohne sachverständige Grobabschätzung der zu erwartenden Immissionen möglich sein (BayVGH, B.v. 3.3.2017 a.a.O.; BayVGH, U.v. 28.4.2017 a.a.O. m.w.N.)
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Gemessen hieran stellt es einen Verstoß gegen § 2 Abs. 3 BauGB dar, dass die Antragsgegnerin die planbedingte Zunahme der Verkehrslärmbelastung für die Antragsteller durch die künftige Nutzung der nördlich des Antragstellergrundstücks verlaufenden E. … Straße als Basis für die Abwägung und den Satzungsbeschluss nicht aufgeklärt hat (vgl. zu diesem Ergebnis die vorangegangene Entscheidung BayVGH, B.v. 1.2.2023 – 15 NE 23.56 – juris Rn. 36). Angesichts der umfangreichen Bebauung mit mehreren Mehrfamilienhäusern im viergeschossigen Bau lag bei dem ausgewiesenen Baugebiet kein Sachverhalt vor, bei dem von vornherein ohne nähere Ermittlung und Bewertung „auf der Hand“ gelegen hätte, dass eine zusätzliche Lärmbelastung der Antragsteller im abwägungsunerheblichen Bagatell- bzw. Irrelevanzbereich liegen werde (zu ähnlichen Fallgestaltungen vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2017 – 9 NE 17.1392 – juris Rn. 15 ff., 25 ff.; VGH BW, U.v. 24.7.2015 – 8 S 538/12 – juris Rn. 41 ff.; OVG NRW, U.v. 11.12.2008 – 7 D 92/07.NE – juris Rn. 53 ff.). Der Antragsgegnerin war es auf der defizitären Ermittlungsbasis daher nicht möglich, alle unter Lärmgesichtspunkten relevanten Gesichtspunkte sachgerecht abzuwägen bzw. eindeutig abzuschichten, mit welchem Gewicht die durch die Nutzung der Erschließungsstraße verkehrsbedingt zu erwartende Lärm-(zusatz-) Belastung in die Abwägung einzustellen war (vgl. zum Ganzen BayVGH, U.v. 24.11.2017 – 15 N 16.2158 – juris Rn. 24 ff.).
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b) Dieser Ermittlungs- und Bewertungsmangel hinsichtlich der Lärmzusatzbelastung in Bezug auf die Nutzung der E. … Straße sowie den vom ausgewiesenen Baugebiet ausgehenden Verkehrslärm infolge der künftigen Bebauung ist nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich. Danach ist eine Verletzung von Verfahrens- und Formvorschriften des Baugesetzbuchs für die Rechtswirksamkeit eines Bebauungsplans nur beachtlich, wenn entgegen § 2 Abs. 3 BauGB die von der Planung berührten Belange, die der Gemeinde bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, in wesentlichen Punkten nicht zutreffend ermittelt oder bewertet worden sind und wenn der Mangel offensichtlich und auf das Ergebnis von Einfluss gewesen ist. Letzteres ist dann der Fall, wenn nach den Umständen des Einzelfalls die konkrete Möglichkeit besteht, dass ohne ihn die Planung anders ausgefallen wäre (vgl. BVerwG, B.v. 30.1.2016 – 4 B 21.15 – juris Rn. 10).
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Hier ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan in jedem Fall mit demselben Inhalt beschlossen hätte, wenn bereits im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses die mit Schriftsatz vom 2. Juni 2023 vorgelegte Verkehrsuntersuchung der … GmbH vom 25. Mai 2023 sowie die schalltechnische Untersuchung des Dipl.-Ing. (FH) B. … vom 25. Mai 2023 vorgelegen hätten. Denn schon nach dem Vortrag der Antragsgegnerin ergibt sich hieraus, dass sich die Lärmzunahme in einem am Maßstab des § 1 Abs. 7 BauGB abwägungserheblichen Bereich über der Irrelevanz- und Geringfügigkeitsschwelle bewegt. Auch wenn, wie die Antragsgegnerin vorträgt, keine Maßnahmerelevanz bestehe, fehlt es im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses an einer substantiierten, vom Abwägungskonzept gedeckten Aussage und Bewertung hinsichtlich des abwägungserheblichen Belangs der Lärmzusatzbelastung am Grundstück des Antragstellers.
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Der Verfahrensgrundnorm des § 2 Abs. 3 BauGB liegt die Erwägung zugrunde, dass die für die konkrete Planungsentscheidung bedeutsamen Belange in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt und bewertet werden, bevor sie gemäß § 1 Abs. 7 BauGB rechtmäßig abgewogen werden können (vgl. BayVGH, B.v. 8.9.2017 – 9 NE 17.1392 – juris Rn. 26). Die Unbeachtlichkeitsklausel des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB kann nicht dahingehend ausgelegt werden, dass die Ergebniskausalität des Fehlers über eine eigene hypothetische Abwägungsentscheidung des Normenkontrollgerichts anstelle der Gemeinde verneint werden könnte (vgl. BayVGH, U.v. 27.4.2016 – 9 N 13.1408 – juris Rn. 51 m.w.N.; BayVGH, B.v. 8.9.2017 – 9 NE 17.1392 – juris Rn. 32). Dem Senat ist es verwehrt, im Normenkontrollverfahren zu antizipieren, welche Abwägungsentscheidung das die Organkompetenz für bauplanungsrechtliche Satzungserlasse innehabende Gremium der Kommune im ergänzenden Verfahren bei Zugrundelegung (korrekt ermittelter und nachvollziehbar aufgearbeiteter) Daten zur Lärmzusatzbelastung voraussichtlich treffen wird. Da es für die Beurteilung einer Abwägung auf den Zeitpunkt der Beschlussfassung über den Bebauungsplan ankommt (§ 214 Abs. 3 Satz 1 BauGB) und die gemeindliche Planungshoheit als Ausfluss der Verfassungsgarantie in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG / Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV respektiert werden muss, ist es einem Normenkontrollgericht verwehrt, in Anwendung von § 214 Abs. 1 Nr. 1 BauGB ein potenzielles Abwägungsergebnis eines noch laufenden ergänzenden Verfahrens (§ 214 Abs. 4 BauGB) zu unterstellen. Der Senat muss es daher der erst am Ende des (hier: ergänzenden) Verfahrens der Bauleitplanung vorgesehenen Schlussabwägung überlassen, das Abwägungsergebnis u.a. in Auswertung der bis dahin vorliegenden Unterlagen (Einwendungen, Stellungnahmen, gutachterliche Äußerungen etc.) zu finden (vgl. BayVGH, U.v. 24.11.2017 – 15 N 16.2158 – juris Rn. 32).
27
Das Ermittlungs- und Bewertungsdefizit ist auch nicht im Nachhinein gem. § 215 Abs. 1 BauGB unbeachtlich geworden. Zwar existiert kein separates Rügeschreiben, das der Antragsgegnerin innerhalb der Jahresfrist zugegangen ist; die Übermittlung des Begründungsschriftsatzes, in dem der Antragsteller entsprechende Verkehrslärmbeeinträchtigungen explizit anspricht, innerhalb der Frist des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist jedoch ausreichend (vgl. BVerwG, U.v. 14.6.2012 – 4 CN 5.10 – juris Rn. 27; BayVGH, U.v. 17.7.2020 – 15 N 19.1377 – juris Rn. 49). Hinzu kommt, dass die Frist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht abgelaufen war, so dass die Kontrollbefugnis des Senats nicht eingeschränkt ist (vgl. BayVGH, U.v. 3.8.2022 – 15 N 21.1291 – juris Rn. 41).
28
c) Der Ermittlungs- und Bewertungsmangel bezieht sich auch von vornherein auf den gesamten Bebauungsplan und begründet dessen Gesamtunwirksamkeit. Der vom Antragsteller geltend gemachte und von der Antragsgegnerin nicht hinreichend berücksichtigte Belang, von planbedingtem Verkehrslärm verschont zu bleiben, betrifft das gesamte Erschließungskonzept des Bebauungsplans, das zu einem wesentlichen Teil über die am Grundstück der Antragsteller vorbeiführende E. … Straße abgewickelt wird. Damit begrenzt sich der Planungsmangel nicht auf eine einzelne Festsetzung oder einen bestimmten Teilbereich des Bebauungsplans, sondern betrifft die Planung insgesamt, sodass eine bloße Teilunwirksamkeit des Bebauungsplans entsprechend § 139 BGB nicht in Betracht kommt (vgl. BayVGH, U.v. 24.11.2017 – 15 N 16.2158 – juris Rn. 34 m.w.N.).
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
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Die Antragsgegnerin muss die Ziffer I. der Entscheidungsformel nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils in derselben Weise veröffentlichen, wie die Rechtsvorschrift bekanntzumachen wäre (§ 47 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).