Titel:
Erfolglose Anhörungsrüge
Normenketten:
VwGO § 108 Abs. 2, § 152a
GG Art. 103 Abs. 1
Leitsätze:
1. Das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht wird dadurch nicht verpflichtet, dem Vorbringen der Beteiligten zu folgen. Es muss in seiner Entscheidung auch nicht ausdrücklich und im Einzelnen sämtliche von den Beteiligten im Lauf des Verfahrens vorgetragenen Tatsachen und Rechtsansichten erörtern. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit findet durch die Anhörungsrüge nicht statt. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anhörungsrüge, rechtliches Gehör, Vorbringen der Beteiligten, Kenntnisnahme, keine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 12.05.2023 – 15 CS 23.606
VG Regensburg, Beschluss vom 06.03.2023 – RN 6 S 22.2695
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15614
Tenor
I. Die Anhörungsrüge wird zurückgewiesen.
II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Rügeverfahrens.
Gründe
1
Die Anhörungsrüge ist unbegründet, weil der Senat den Anspruch der Antragstellerin auf rechtliches Gehör im Zusammenhang mit dem Beschluss vom 23. Mai 2023 (Az. 15 CS 23.606) nicht in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
2
Das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verpflichtet das Gericht, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht wird dadurch nicht verpflichtet, dem Vorbringen der Beteiligten zu folgen. Es muss in seiner Entscheidung auch nicht ausdrücklich und im Einzelnen sämtliche von den Beteiligten im Lauf des Verfahrens vorgetragenen Tatsachen und Rechtsansichten erörtern. Vielmehr sind in der Entscheidung nur diejenigen Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. Das Gericht kann sich auf die Darstellung und Würdigung derjenigen rechtlichen Gesichtspunkte beschränken, auf die es nach seinem Rechtsstandpunkt entscheidungserheblich ankommt. Daher kann aus dem Umstand, dass das Gericht nicht auf sämtliche Begründungselemente des Beteiligtenvorbringens eingegangen ist, nur dann geschlossen werden, es habe diesen Aspekt nicht berücksichtigt, wenn er nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts eine Frage von zentraler Bedeutung betrifft (vgl. BVerwG, B.v. 11.5.2022 – 1 B 36.22 – juris Rn. 3).
3
Gemessen hieran, verletzt der Beschluss vom 23. Mai 2023 nicht das Recht der Antragstellerin auf rechtliches Gehör. Die Antragstellerin trägt – unter teilweiser Wiederholung des in der Beschwerdebegründung sehr umfänglich vorgetragenen Sachverhalts – vor, der Senat habe wesentliche Aspekte unberücksichtigt gelassen. Dies trifft jedoch nicht zu; der Vortrag der Antragstellerin wurde – wie sich aus den Gründen des Beschlusses vom 12. Mai 2023 unter I. und II. ergibt – umfassend zur Kenntnis genommen und rechtlich gewürdigt. Ergänzend ist zu den wesentlichen Aspekten der Anhörungsrüge folgendes anzuführen:
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Soweit die Antragstellerin vorträgt, es sei eine Gefährdung von Kindern unterstellt worden, die auf einer Denunziation ihres Nachbarn beruhe, hat der Senat hierzu ausgeführt, dass Art. 54 Abs. 2 Satz 2 BayBO ein Einschreiten rechtfertige, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt werden, ohne dass eine konkrete Gefahr vorliege und das Gebäude objektiv nicht vor dem Zutritt Unbefugter gesichert sei (BA S. 9). Der Vortrag wurde somit berücksichtigt und rechtlich gewürdigt, ohne dass es auf eine Denunziation oder das tatsächliche Vorhandensein spielender Kinder überhaupt ankommt.
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Der Senat hat sich auch ausführlich mit der Zustellung des Bescheids vom 9. September 2022 auseinandergesetzt (BA S. 6 ff.). Mit dem Vortrag, es liege kein „Empfangsbekenntnis“ vor, negiert die Antragstellerin die gesetzliche Terminologie und die Begrifflichkeiten des Art. 5 VwZVG i.V.m. § 180 ZPO. Im Übrigen ist der Vortrag nicht entscheidungserheblich, da der Senat ausgeführt hat, dass der Antrag bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage, wie sie das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes kennzeichnet, auch im Falle fristgerechter Klageerhebung erfolglos bleibe (BA S. 8 f.).
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Der Einwand der Antragstellerin, der Aktenvermerk der Antragsgegnerin bezüglich des üblichen Vorgehens bei falscher Adressierung stelle keine öffentliche Urkunde dar, erschließt sich nicht. Der Senat hat die Aktenlage gewürdigt und diesen Aktenvermerk nicht – wie die Anhörungsrüge nahelegt – als öffentliche Urkunde eingestuft (BA S. 7). Im Übrigen kommt es hierauf – wie oben ausgeführt – nicht entscheidungserheblich an.
7
Die Antragstellerin meint ferner, es sei unberücksichtigt geblieben, dass Maßnahmen verlangt worden seien, die nicht substantiiert beschrieben worden seien, weshalb Unmöglichkeit vorliege. Auch diesen Vortrag hat der Senat gesehen (BA S. 9). Im Beschwerdevorbringen hat sich die Antragstellerin allerdings mit den Ausführungen des Verwaltungsgerichts hierzu nicht substantiiert auseinandergesetzt und ist damit ihren Darlegungsanforderungen nicht nachgekommen. Dies kann – abgesehen von der nach wie vor fehlenden Substantiierung – durch eine Anhörungsrüge auch nicht kompensiert werden.
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Der Vortrag, die zeitlichen Verzögerungen seien nicht berücksichtigt worden, geht ebenfalls fehl (vgl. BA S. 7, 9 f.). Der Senat hat u.a. ausgeführt, dass sich die Dringlichkeit aus der Gefahr für hochwertige Schutzgüter ergebe (BA S. 9).
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Die Antragstellerin ist ferner der Ansicht, die Zwei-Tages-Frist sei willkürlich. Auch hierzu hat der Senat im Beschluss vom 12. Mai 2023 Ausführungen gemacht (BA S. 10).
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Soweit die Antragstellerin vorträgt, die Anforderungen seien, wie mit dem Baukontrolleur abgesprochen, zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung umgesetzt gewesen, wurde auch dieser Vortrag berücksichtigt (BA S. 11). Die Antragstellerin übersieht allerdings, dass – worauf auch das Verwaltungsgericht abgestellt hat – keine Absturzsicherungen angebracht waren. Im Übrigen ist auch dieser Vortrag nicht entscheidungserheblich, da der Senat den Anordnungsgrund verneint hat (BA S. 11 f.).
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Insgesamt kritisiert die Antragstellerin vielmehr unter Wiederholung ihrer gegenteiligen Auffassung die inhaltliche Richtigkeit des Beschlusses vom 12. Mai 2023. Eine Überprüfung der inhaltlichen Richtigkeit findet durch die Anhörungsrüge jedoch nicht statt (vgl. BVerwG, B.v. 16.1.2023 – 4 BN 46.22 – juris Rn. 2).
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Die Kostenentscheidung für das Rügeverfahren beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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Eine Streitwertfestsetzung ist entbehrlich, weil für das Verfahren über die Anhörungsrüge eine Festgebühr nach Nr. 5400 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) anfällt.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).