Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.06.2023 – 15 CS 23.369
Titel:

Beschwerde, Unbestimmtheit der Baugenehmigung, Gebietserhaltungsanspruch, Gebietsprägungserhaltungsanspruch, Rücksichtnahmegebot, Einsichtmöglichkeiten (verneint), gewerbebezogener Park- und Anlieferverkehr, unzumutbare chaotische Verkehrsverhältnisse (verneint), Lärmbelastung (verneint), Zwischenwertbildung bei Gemengelage, Geeignetheit als Stellplatz nach Art. 47 BayBO bei einer der Nutzung von Tiefgaragenstellplätzen entgegenstehenden Dienstbarkeit

Normenkette:
VwGO § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5, § 146
Schlagworte:
Beschwerde, Unbestimmtheit der Baugenehmigung, Gebietserhaltungsanspruch, Gebietsprägungserhaltungsanspruch, Rücksichtnahmegebot, Einsichtmöglichkeiten (verneint), gewerbebezogener Park- und Anlieferverkehr, unzumutbare chaotische Verkehrsverhältnisse (verneint), Lärmbelastung (verneint), Zwischenwertbildung bei Gemengelage, Geeignetheit als Stellplatz nach Art. 47 BayBO bei einer der Nutzung von Tiefgaragenstellplätzen entgegenstehenden Dienstbarkeit
Vorinstanz:
VG Regensburg, Beschluss vom 14.02.2023 – RO 2 S 23.8
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15610

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 7.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller begehren die Abänderung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Februar 2023 und die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage, mit der sie sich als Nachbarn gegen einen Baugenehmigungsbescheid für den Neubau eines Bürogebäudes mit Einzelhandel und Tiefgarage wenden.
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Die Antragsteller sind Eigentümer des Grundstücks mit der FlNr. …45 der Gemarkung D. Südlich davon befindet sich auf der FlNr. …56 das Baugrundstück. Das Baugrundstück grenzt im Norden auf einer Länge von ca. 21.5 m gemessen von seiner nordwestlichen Ecke nach Osten an das Grundstück der Antragsteller an. Das Baugrundstück war bisher mit einem Geschäftshaus bebaut. Auf dem Baugrundstück befindet sich an der nördlichen Grundstücksgrenze eine 1,80 m hohe Schallschutzmauer. Diese ist Teil einer Dienstbarkeit. Ebenso wurde mit einer Dienstbarkeit u.a. geregelt, dass im Westen des Grundstücks FlNr. …56 eine Absperrung anzubringen sei, damit Kunden nicht von der Lieferantenzufahrt zum Parkplatz an der Ostseite des Grundstücks gelangen können und umgekehrt.
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Mit Bescheid vom 22. Dezember 2021 erteilte die Antragsgegnerin die beantragte Baugenehmigung. Die Baugenehmigung wurde nach Maßgabe der eingereichten und mit Genehmigungsvermerk vom 22. Dezember 2021 versehenen Bauvorlagen erteilt. Gegenstand der Baugenehmigung ist ausweislich Ziffer I. des Tenors der Neubau eines dreigeschossigen Bürogebäudes mit Laden (Lebensmitteleinzelhandel/Bäckerei) und Gaststätte (Café mit 16 Sitzplätzen) mit der Betriebsart Imbissabgabe im Rahmen des Bäckereibetriebes im Erdgeschoss mit Tiefgarage (69 Pkw Stellplätze) und zugehörige Freifläche (12 offene Pkw-Stellplätze / Fahrradstellplätze und Freisitz Café). Bestandteil der Baugenehmigung sind ausweislich des Bescheides folgende Gutachten: Schalltechnischer Bericht Nr. 1933ˍ3 des Ingenieurbüros für Akustik und Bauphysik … GmbH vom 20. Juli 2021 und Gutachten zu den verkehrlichen Auswirkungen des Verkehrsingenieurbüros S. vom 2. November 2021. Zu den Stellplätzen wird unter III. Auflagen Punkt 2 u.a. ausgeführt, dass nach Art. 47 Abs. 1 und 2 BayBO und der Satzung der Stadt R. zur Herstellung und Ablösung von Stellplätzen für Kraftfahrzeuge und Fahrräder vom 1. Februar 2013 (Stellplatzsatzung – StS) für das Bauvorhaben gemäß Planeintragung 79 Pkw-Stellplätze sowie 22 Fahrradabstellplätze zu erstellen sind. In der Tiefgarage sind 69 Pkw-Stellplätze, oberirdisch insgesamt 12 Stellplätze (4 in der westlichen Freifläche mit Zufahrt am H.weg und 8 in der östlichen Freifläche, anfahrbar über die Dr.-G.-Straße) vorgesehen. Gemäß 2.2 müssen vorgenannte Stellplätze bis zum Zeitpunkt der abschließenden Fertigstellung der baulichen Anlagen fertiggestellt und anfahrbar/benutzbar sein. Die Zu- und Ausfahrt zur Tiefgarage soll vom bzw. zum H.weg ca. 10 m südlich der nördlichen Grundstücksgrenze des Baugrundstücks erfolgen. Zum Immissionsschutz wird unter 4.1 ausgeführt, dass das geplante Vorhaben entsprechend den der schalltechnischen Untersuchung 1933ˍ3 der Firma … GmbH vom 20. Juli 2021 zu Grunde liegenden Planunterlagen und Betriebsbeschreibungen auszuführen sei. Werde davon abgewichen, sei erforderlichenfalls ein Nachweis über die Gleichwertigkeit anderer Planungen zu erbringen. Unter 4.2 ist ausgeführt, dass der Gesamtbeurteilungspegel der vom Betrieb des geplanten Vorhabens ausgehenden Lärmimmissionen an den relevanten Immissionsorten die tabellarisch aufgeführten Immissionsrichtwertanteile nach der TA Lärm nicht überschreiten darf. Die Gebietseinstufung erfolgte als Mischgebiet. Der Baugenehmigung liegt ausweislich des Bescheides die vorläufige Betriebsbeschreibung vom 13. Dezember 2021 und die Betriebsbeschreibung für den Vodafoneraum vom 14. Dezember 2021 zugrunde. Auf den Bescheid im Übrigen wird verwiesen. Im Behördenakt befindet sich eine Betriebsbeschreibung vom 16. April 2021, die durchgestrichen ist.
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Gegen den Bescheid erhoben die Antragsteller am 20. Januar 2022 Klage unter dem Aktenzeichen RO 2 K 22.123, über die noch nicht entschieden ist.
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Mit Beschluss vom 14. Februar 2023 lehnte das Verwaltungsgericht Regensburg einen Eilantrag der Antragsteller ab (Az. RO 2 S 23.8). Zur Begründung wurde ausgeführt, eine Verletzung der Antragsteller in ihren Rechten ergebe sich nach summarischer Prüfung vorliegend nicht aus ihrem Vorbringen zur Unbestimmtheit der Baugenehmigung. Eine Verletzung der Antragsteller ergebe sich auch nicht aus dem geltend gemachten Gebietserhaltungsanspruch oder Gebietsprägungs(erhaltungs) anspruch. Auch soweit die Antragstellerseite einen Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme geltend mache, führe dies voraussichtlich nicht zum Erfolg. Die für den Fall der offenen Erfolgsaussichten vorgesehene Interessenabwägung führe nicht zu einem überwiegenden Interesse der Antragsteller.
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Mit der Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihr Rechtsschutzziel weiter und beantragen,
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den Beschluss des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 15. Februar 2023 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage vom 20. Januar 2023 gegen den Bescheid vom 22. Dezember 2021 anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin und die Beigeladene treten dem Vorbringen entgegen und beantragen jeweils,
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die Beschwerde zurückzuweisen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten im Klageverfahren und in beiden Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass der Beschluss des Verwaltungsgerichts aufzuheben oder abzuändern wäre. Die vorzunehmende Abwägung der gegenseitigen Interessen geht demnach zulasten der Antragsteller aus.
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1. Soweit die Antragsteller geltend machen, die Baugenehmigung sei zu unbestimmt, kommen sie ihrer Darlegungslast nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO nicht nach.
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Das Verwaltungsgericht hat ausgeführt, dass von keiner nachbarrelevanten Unbestimmtheit der Baugenehmigung auszugehen sei. Im Tenor der streitgegenständlichen Baugenehmigung sei der Gegenstand der Baugenehmigung als Neubau eines dreigeschossigen Bürogebäudes mit Laden (Lebensmitteleinzelhandel/Bäckerei) und Gaststätte (Café mit 16 Sitzplätzen) mit der Betriebsart Imbissabgabe im Rahmen des Bäckereibetriebes im Erdgeschoss mit Tiefgarage (69 Stellplätze) und zugehörige Freifläche (12 offene Pkw-Stellplätze/Fahrradstellplätze und Freisitz Café) bezeichnet und auf die mit Genehmigungsvermerk vom 22. Dezember 2021 versehenen Bauvorlagen verwiesen worden. Ferner seien die Pläne und die „vorläufige“ Betriebsbeschreibung vom 13. Dezember 2021 und die Betriebsbeschreibung für den Vodafoneraum vom 14. Dezember 2021 ausweislich des Bescheids der Baugenehmigung zugrunde gelegt worden. Zudem würden der Schalltechnische Bericht Nr. 1933ˍ3 und das Gutachten zu den verkehrlichen Auswirkungen des Verkehrsingenieurbüros S. vom 2. November 2021 als Bestandteile der Baugenehmigung genannt. Hieraus lasse sich trotz der unterschiedlichen Formulierungen „Grundlage“ und „Bestandteil“ noch schließen, dass die „vorläufige Betriebsbeschreibung“ ebenso wie die genehmigten Pläne den Gegenstand der Baugenehmigung bestimmten. Hierfür spreche auch, dass die im Bescheid in Bezug genommenen Betriebsbeschreibungen als Bestandteil der Baugenehmigung mit Genehmigungsvermerk versehen worden seien.
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Dem tritt das Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entgegen. Es wird lediglich vorgebracht, eine als vorläufig bezeichnete Betriebsbeschreibung könne niemals durch Bezugnahme Bestandteil der Baugenehmigung werden, da ihr immer das Wesen der Vorläufigkeit anhafte. Nähere Ausführungen, die die Auffassung der Antragsteller untermauern, fehlen.
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Die Antragsteller führen zudem aus, die Stellplatzberechnung sei fehlerhaft. Anders als es das Verwaltungsgericht auf Seite 22 unten ausführe, könne zur Konkretisierung, was man unter einer „normalen Büro- und Verwaltungsnutzung“ verstehe, nicht auf die Stellplatzberechnung abgestellt werden. Die Stellplatzberechnung sei nach dem objektiven Empfängerhorizont nicht dafür bestimmt, Aussagen über die Nutzungen des Gebäudes zu treffen.
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Auch diese Ausführungen begründen keine Unbestimmtheit der Baugenehmigung. Das Verwaltungsgericht hat auf S. 22 unten nicht, wie von den Antragstellern behauptet, festgestellt, dass die Stellplatzberechnung Aussagen über die Nutzungen des Gebäudes treffe. Wie sich aus der Satzung der Stadt R. zur Herstellung und Ablösung von Stellplätzen für Kraftfahrzeuge und für Fahrräder (Stellplatzsatzung – StS) vom 1. Februar 2013 unter Nr. 2 der Richtzahlenliste (Anlage 1 zur Stellplatzsatzung) ergibt, wird bei 2. Gebäude mit Büro-, Verwaltungs- und Praxisräumen zwischen 2.1 Büro- und Verwaltungsräume allgemein (1 St/30 qm HNF) und 2.2. Räume mit erheblichem Besucherverkehr (Schalter-, Abfertigungs- und beratungsräume, Arztpraxen und dgl.; 1 St/20 qm HNF) unterschieden. Das Verwaltungsgericht hat daher lediglich im Hinblick auf den Einwand der Antragsteller, dass Praxen in dem streitgegenständlichen Vorhaben genehmigt worden seien, zutreffend ausgeführt, dass die Stellplatzberechnung im Hinblick auf den Stellplatzbedarf zwischen „Büro- und Verwaltungsräume allgemein“ mit einem Bedarf von 1 St./30 m² HNF (Hauptnutzfläche) und „Räumen mit erheblichen Besucherverkehr (Schalter-, Abfertigungs- oder Beratungsräume, Arztpraxen und dgl)“ mit 1 St./20 m² HNF unterscheide und falls Zweifel bestünden, was unter einer „normalen Büro- und Verwaltungsnutzung“ zu verstehen sei, man auch aus der Stellplatzberechnung schließen könne, dass mit normaler Büronutzung eine Nutzung als Büro- und Verwaltungsnutzung allgemein ohne erheblichen Besucherverkehr beantragt und genehmigt worden sei, da mit dem Bauantrag zur Genehmigung eine Berechnung vorgelegt worden sei, die auf 1 St./30 m² HNF abstelle. Praxen hingegen wären zudem als andere Nutzungsart zu bezeichnen.
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2. Soweit die Antragsteller geltend machen, der Gebietserhaltungsanspruch und der Gebietsprägungserhaltungsanspruch seien verletzt, bleibt die Beschwerde erfolglos. Die Antragsteller sind der Auffassung, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf S. 23 ff., es sei nicht entscheidend, wie die „nähere Umgebung“ definiert werde, da in jedem Fall eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs ausscheide, sei falsch. Die nähere Umgebung werde durch den H.weg, die nördliche Bebauung der Dr.-G.-Straße und westlich und östlich durch die Bewaldung des K.er Parks geprägt. Westlich und östlich des Baugrundstücks befänden sich gewerbliche Betriebe mit wenig Störpotential. Das Bauvorhaben sei dreigeschossig und nehme mindestens ein Viertel des faktischen Baugebiets ein. Die Dr.-G.-Straße habe trennende Wirkung, damit werde das Baugrundstück nicht mehr durch die südliche Bebauung geprägt. Es liege daher ein faktisches Wohngebiet nach § 4 BauNVO vor. Aber selbst wenn ein Mischgebiet vorliegen würde, bringe das Vorhaben dieses „zum Kippen“, da dann ein deutlicher Überhang von Gewerbe vorläge. Das Vorhaben sei im Hinblick auf den Lärm und die Frequentierung des Gebiets wesentlich störend in einem faktischen Mischgebiet.
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Anders als die Antragsteller behaupten, hat das Verwaltungsgericht nicht entschieden, dass unabhängig, wie die „nähere Umgebung“ definiert werde, eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs ausscheide. Es hat vielmehr im Hinblick darauf, dass im Eilrechtsschutz ein Augenschein regelmäßig nicht in Betracht kommt, um festzustellen, welchen Gebietscharakter die Umgebung hat, hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung zu Recht festgestellt, dass kein faktisches Wohngebiet vorliege und alternativ für die Annahme, dass ein faktisches Mischgebiet oder eine Gemengelage vorliege, zu Recht verneint, dass eine Verletzung des Gebietserhaltungsanspruchs bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruchs gegeben sei.
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Würde man der Auffassung der Antragsteller folgen, dass aufgrund der Strukturunterschiede zwischen der gewerblichen Nutzung im Bereich der Dr.-G.-Straße und der ganz überwiegenden Wohnnutzung zum K.er Parkweg keine ausreichende Prägung der näheren Umgebung des Baugrundstücks durch die Wohnnutzung mehr vorhanden sei, sondern dieser Strukturunterschied trennende Wirkung habe und das Baugrundstück auch nicht mehr durch die gewerbliche Bebauung südlich der Dr.-G.-Straße geprägt werde, würde dies bedeuten, dass keine Verletzung eines Gebietserhaltungsanspruchs bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruchs in Betracht kommt, da dann eine Gemengelage und kein faktisches Wohngebiet vorliegen würde. Gemengelagen sind Gebiete mit mehr oder weniger engem Nebeneinander von unterschiedlichen Nutzungen, die sich – in der einen oder anderen Beziehung – gegenseitig beeinträchtigen (behindern). Nördlich des Baugrundstücks befinden sich entlang des H.wegs im Wesentlichen Wohngebäude, nämlich nach Angaben der Antragsteller 10 Einfamilienhäuser und 10 Reihenhäuser. Direkt daran angrenzend und südlich von dieser Wohnbebauung befinden sich direkt an der Dr.-G.-Straße nach dem Schalltechnischen Bericht Nr. 1933_3 auf S. 4 auf FlNr. …57 ein Gewerbegebäude mit Büronutzung und auf FlNr. …62 ein gewerblich genutztes Gebäude ohne Wohnnutzung. Auf dem Baugrundstück befand sich ein 2021 aufgegebener Gewerbebetrieb, der wie das Verwaltungsgericht zu Recht auf Seite 24 des Beschlusses ausführt, die Umgebung noch mitprägt. Demnach stoßen nach der Argumentation der Antragsteller hier Wohnnutzung im Norden und Gewerbebetriebe im Süden aufeinander, weswegen eine Gemengelage gegeben wäre und wie das Verwaltungsgericht auf S. 23 zu Recht ausführt dann kein Gebietserhaltungsanspruch bzw. Gebietsprägungserhaltungsanspruch gilt.
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Aber selbst wenn man, wie von den Antragstellern alternativ vorgebracht, von einem faktischen Mischgebiet ausginge, würde durch das Bauvorhaben das Gebiet nicht „zum Kippen“ gebracht werden. Dann wäre, wenn man der Argumentation der Antragsteller folgen würde, dass nur das Gebiet nördlich der Dr.-G.-Straße herangezogen werden könne, um ein faktisches Mischgebiet, also ein Gebiet, das gleichwertig durch Wohnbebauung und Gewerbebetriebe geprägt wird, annehmen zu können, die maßgebliche Umgebung die Bebauung nördlich der Dr.-G.-Straße im Osten, Westen und Norden, die durch den K. Park abgegrenzt wird. Im Süden befänden sich dann, wie sich aus den Akten ergibt, lediglich auf den FlNr. …, FlNr. …62, FlNr. …57 und auf dem Vorhabensgrundstück gewerbliche Nutzungen. Selbst wenn das Vorhaben, wie von den Antragstellern behauptet, ein Viertel des faktischen Baugebiets ausmachen sollte, ist dies unerheblich, denn nach den vorgelegten Plänen dürfte flächenmäßig die Wohn- und die Gewerbenutzung im fraglichen Gebiet insgesamt gleichwertig sein und demnach ein „Kippen“ des Gebietes nicht in Betracht kommen. Allgemein zulässig sind nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 3 BauNVO in einem Mischgebiet Geschäfts- und Bürogebäude sowie Einzelhandelsbetriebe und Schank- und Speisewirtschaften. Die genehmigte Büronutzung mit Laden (Lebensmitteleinzelhandel/Bäckerei) und Gaststätte wäre in einem Mischgebiet daher nicht störend. Inwieweit trotz des schalltechnischen Berichts Nr. 1933_3, der bestätigt, dass die Immissionsrichtwerte eingehalten werden können, ein gebietsunverträgliches Störungspotential vorliegen soll, wird nicht substantiiert dargelegt.
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3. Soweit die Antragsteller geltend machen, das Rücksichtnahmegebot sei verletzt, bleibt die Beschwerde erfolglos.
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3.1. Die Antragsteller sind der Auffassung, die Ausführungen des Verwaltungsgerichts auf S. 28 ff. seien unzutreffend, da im Hinblick auf die massiven Einsichtsmöglichkeiten durch die massive Büronutzung durch große Fenster in beiden Obergeschossen mit drei Balkonen und einem 160 qm großen Dachgarten die Grenze des Zumutbaren überschritten sei.
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Wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, vermitteln weder das Bauplanungsrecht im Allgemeinen noch das Gebot der Rücksichtnahme im Speziellen einen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Auch neu geschaffene Einsichtsmöglichkeiten begründen nicht aus sich heraus eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots. Allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich etwas Anderes ergeben. Anhaltspunkte dafür, dass ein solcher situationsbedingter Ausnahmefall hier vorliegt, lassen sich dem Vorbringen der Antragsteller sowie der Aktenlage nicht entnehmen. Über die herkömmlichen Einsichtnahmemöglichkeiten in Innerortslagen hinausgehende Belastungen sind nicht ersichtlich, zumal – unabhängig von Möglichkeiten des Sichtschutzes (wie z.B. Vorhänge, Jalousien o.ä., vgl. BayVGH, B.v. 12.2.2020 – 15 CS 20.45 – juris Rn. 20) – das Wohngebäude der Antragsteller von der gemeinsamen Grenze ca. 18 m entfernt liegt, sodass insbesondere ein unmittelbarer Einblick aus kürzester Entfernung auf besonders schutzbedürftige Räumlichkeiten der Antragsteller (wie z.B. Schlafzimmer) als besondere Belastung ausscheidet (BayVGH, B.v. 11.1.2022 – 15 CS 21.2913 – juris Rn. 36). Dies gilt vor allem im Hinblick auf die in der Betriebsbeschreibung angegebenen allgemeinen Arbeitszeiten.
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3.2. Die Antragsteller sind ferner der Meinung, insbesondere durch die Tiefgarage komme es zu unzumutbaren Lärmbelästigungen, wodurch das Rücksichtnahmegebot verletzt sei. Es dränge sich auf, dass die maßgeblichen Grenzwerte der TA-Lärm überschritten würden. Soweit das Verwaltungsgericht auf Seite 30 f. des Beschlusses auf eine Gemengelage i. S. v. 6.7 der TA Lärm abstelle, verkenne es die Gewichtung aller maßgeblichen Kriterien für die Bildung des Zwischenwertes. Das Gebiet sei durch ruhige Einfamilienhäuser mit Garten und vorhandenem Gewerbe mit geringem Störpotential geprägt, während die Bebauung südlich der Dr.-G.-Straße unberücksichtigt bleiben müsse. Es sei mit den Vorgaben der Nr. 6.7 Abs. 2 der TA Lärm nicht vereinbar, Mischgebietswerte heranzuziehen. Aufgrund der schutzbedürftigen Wohnbebauung sei eine Schwelle unterhalb der Mischgebietswerte anzusetzen.
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Folgt man der Auffassung der Antragsteller, dass neben einem Gebiet mit Einfamilienhäusern ein Gebiet mit Gewerbe bestehe, läge, wie bereits dargestellt, eine Gemengelage vor. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend auf S. 30 ausgeführt, dass dann nach der TA-Lärm ein Zwischenwert gebildet würde. Selbst bei Annahme des Aneinanderstoßens eines reinen faktischen Wohngebietes und eines faktischen Gewerbegebietes wäre die Annahme eines Mischgebietswertes als vertretbar anzusehen. Dies sei gerechtfertigt, da ein Vertrauen auf niedrigere Werte im Hinblick auf die Historie und die tatsächliche Lage mit ihrer massiven gewerblichen Bebauung an der Dr.-G.-Straße und auch an Stellplätzen und größeren Garagenanlagen im Umfeld der Antragsteller eher fraglich erscheine.
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Dem tritt das Beschwerdevorbringen nicht substantiiert entgegen. Es wird lediglich die gegenteilige Auffassung vertreten, aufgrund der ruhigen, vor dem jetzigen Bauvorhaben verwirklichten Einfamilienhäuser mit Garten und der Gewerbebetriebe mit geringem Störpotential seien niedrigere Werte anzusetzen. Nähere Ausführungen, die die Auffassung der Antragsteller untermauern, fehlen.
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3.3. Die Antragsteller sind der Meinung, auch im Hinblick auf die fehlerhafte Stellplatzberechnung sei das Rücksichtnahmegebot verletzt. Das Verwaltungsgericht prüfe auf Seite 31 f. unzutreffenderweise nicht die Wirksamkeit der Stellplatzsatzung der Beschwerdegegnerin oder die Korrektheit der Vergleichsberechnung nach der GaStellV, da auch die fehlende Berücksichtigung einzelner fehlender Räume nicht zu einem unzumutbaren Verkehrschaos für die Beschwerdeführer führen würde. Denn auch eine geringe negative Abweichung von den Stellplatzvorschriften (man nehme 10 fehlende Stellplätze an) führe zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung der Beschwerdeführer. Das Grundstück der Beschwerdeführer befinde sich unmittelbar neben der Tiefgarageneinfahrt. Es sei damit schon aufgrund dessen Lage zwangsläufig zu erwarten, dass dieses Grundstück zugeparkt werde, da der Stellplatzbedarf nicht ausreichend bzw. fehlerhaft ermittelt worden sei. Verstärkt werde dies durch die in der Baubeschreibung vom 13. Dezember 2021 auf Seite 3 angegebene mögliche Praxisnutzung, die weder in der Lärmprognose noch in der Stellplatzberechnung hinreichend berücksichtigt worden sei.
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Wie das Verwaltungsgericht auf S. 31 des Beschlusses zu Recht ausführt, wurde nach den Akten und dem Genehmigungsbescheid konkret genehmigt eine normale Büronutzung unter Zugrundelegung einer von Beigeladenenseite vorgelegten Stellplatzberechnung, die auf Nutzungen i.S.d. Nr. 2.1 der Stellplatzsatzung der Antragsgegnerin abstellt. Da Praxen oder andere Räume mit erheblichen Besucherverkehr nicht genehmigt wurden, hat das Verwaltungsgericht zu Recht eine Praxisnutzung in der Stellplatzberechnung nicht berücksichtigt. Es hat vielmehr zutreffend ausgeführt, dass bei Nutzung der Räume für eine Praxis ein Bauantrag gestellt werden müsste, da dann eine Nutzungsänderung vorliegen würde.
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Die Vorschriften über die Erforderlichkeit und Zulässigkeit von Stellplätzen dienen, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, nicht dem Schutz der Nachbarn. Rechte der Nachbarn werden nur verletzt, wenn die Genehmigung eines Vorhabens ohne die erforderlichen Stellplätze zu Beeinträchtigungen, z.B. Parkplatzsuchverkehr, führt, die dem Nachbarn bei Abwägung aller Umstände unzumutbar sind (BayVGH, B.v. 20.03.2018 – 15 CS 17.2523 – juris Rn. 36). Selbst wenn, wie die Antragsteller vortragen, die Stellplatzberechnung fehlerhaft sein sollte und 10 Stellplätze fehlen würden, wäre, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausführt, im vorliegenden Fall nicht mit einem unzumutbaren Parkplatzsuchverkehr zu rechnen, vielmehr wäre bei einer Nutzung durch Büroangestellte kaum ein massiver gleichzeitiger Parkplatzsuchverkehr und zwangsweises Zuparken der anliegenden Straßen zu erwarten.
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Die Antragsteller sind lediglich anderer Auffassung. Sie treten den Ausführungen des Verwaltungsgerichts nicht substantiiert entgegen. Auch dürfte die Auffassung der Beigeladenen im Schriftsatz vom 19. April 2023 zutreffen, dass durch die Stellplätze in der Tiefgarage im Vergleich zum bisherigen Zustand mit den oberirdischen Stellplätzen eine Verbesserung der Situation zu erwarten sei.
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3.4. Das Vorhaben ist auch nicht aufgrund der eingetragenen Dienstbarkeit rücksichtlos.
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Die Antragsteller tragen vor, ob die Dienstbarkeit der Anfahrbarkeit der Tiefgarage entgegenstehe und ob die Dienstbarkeit für die Geeignetheit der Stellplätze beachtlich sei, könne nicht offengelassen werden. Diese Frage müsse daher verbindlich im Rahmen der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung geprüft werden. Es käme zu unhaltbaren Zuständen, würde man die Nutzbarkeit der Tiefgarage von einem Tätigwerden der Beschwerdegegnerin oder der Beigeladenen nach Fertigstellung des Baus abhängig machen. Da die Dienstbarkeit der Nutzung der Tiefgarage entgegenstehe, käme es durch die beantragte Nutzung des Bauvorhabens zu unzumutbaren Beeinträchtigungen des Grundstücks der Beschwerdeführer durch die parkenden Autos.
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Das Verwaltungsgericht lässt auf S. 34 des Beschlusses die Frage der Beachtlichkeit der Dienstbarkeit für die Geeignetheit der Stellplätze und die Frage, ob dies vorliegend zu unzumutbaren Zuständen für die Nachbarschaft führen würde, zu Recht offen, da eine Beeinträchtigung der Antragsteller erst mit der Aufnahme der Nutzung ohne die Nutzbarkeit der Tiefgaragenstellplätze eintreten würde. Aufgrund der „Auflage“ III. 2.2 des Bescheides, wonach die Stellplätze bis zum Zeitpunkt der abschließenden Fertigstellung der baulichen Anlage fertiggestellt und anfahrbar/benutzbar sein müssten, könne nach der Auffassung des Erstgerichts derzeit auch davon ausgegangen werden, dass die Antragsgegnerin dies erforderlichenfalls durchsetze.
34
Wie sich aus der Beschwerdebegründung ergibt, ist beim Landgericht R. eine Unterlassungsklage der Antragsteller anhängig, in der die Existenz und der Umfang der Dienstbarkeiten geklärt werden soll. Aus den vorgelegten Unterlagen der Dienstbarkeiten (v.a. S. 4 ff. vom 24.7.1979) geht hervor, dass eine blaue Absperrung an der Westseite anzubringen sei, damit Kunden nicht von der (ehemaligen) Lieferantenzufahrt (über den nördlichen Teil) des Grundstücks zum Parkplatz an der Ostseite des Grundstücks gelangen könnten. Die Zufahrtsmöglichkeiten, die in den grün eingezeichneten Mauerteilen (nördlich an der Grundstücksgrenze) geschaffen würden, seien stets geschlossen zu halten und dürften nur zum Zweck des Begehens der braun schraffierten (an der nördlichen Grundstücksgrenze liegenden) Fläche geöffnet werden. Die braun schraffierte Fläche dürfe für dauernd nicht als Abstellplatz für Kraftfahrzeuge genutzt werden. An der Westseite dürfe eine Anlieferung nur zu bestimmten Zeiten erfolgen. Über die Rampe an der Nordseite dürfe keine Warenauslieferung an Endverbraucher erfolgen. Aus den Schriftsätzen der Antragsteller vom 10. Februar 2023 im erstinstanzlichen Eilverfahren und der Beigeladenen vom 19. April 2023 im Beschwerdeverfahren geht hervor, dass vor allem die Unterbindung der Umfahrung über die Lieferanteneinfahrt zu den oberirdischen Stellplätzen im östlichen Grundstücksbereich zum Schutz der Wohnbebauung durch die Dienstbarkeiten verhindert werden sollte. Aufgrund der vorgelegten Pläne erscheint es nicht völlig ausgeschlossen, dass das Zivilgericht der Argumentation der Beigeladenen im Schriftsatz vom 18. Januar 2023 im erstinstanzlichen Eilverfahren folgt, mit der Absperrung werde allein eine Unterbindung der Umfahrung über die Lieferanteneinfahrt zu den oberirdischen Stellplätzen im östlichen Grundstückbereich und umgekehrt bezweckt und mit der Neubebauung entfalle die Umfahrungsmöglichkeit. Auch erscheint es nicht ausgeschlossen, dass das Zivilgericht der Auffassung der Beigeladenen folgt, dass die Beschränkung des Lieferantenverkehrs und der Warenauslieferungen dem Vorhaben nicht entgegenstehe, da die Tiefgaragenzufahrt hierzu nicht diene. Dann stünde die Dienstbarkeit einem Befahren der Tiefgarage nicht entgegen. Wie die Antragsgegnerin mit Schriftsatz vom 24. April 2023 vortrug, ist andernfalls davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin die Einhaltung der Auflage durchsetzen wird, wenn rechtskräftig festgestellt werden sollte, dass die Dienstbarkeit das Anfahren der Stellplätze verhindern würde.
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4. Nach alledem können die Erfolgsaussichten, wie auch vom Verwaltungsgericht angenommen, allenfalls als offen angesehen werden. Aufgrund der im Beschluss auf S. 35 angeführten Gründe, die sich auch der Senat zu eigen macht, und die mit dem Beschwerdevorbringen nicht angegriffen wurden, fällt die Interessenabwägung nicht zu Gunsten der Antragsteller aus.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Da die Beigeladene im Beschwerdeverfahren einen eigenen Antrag gestellt hat und damit auch ein Kostenrisiko übernommen hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, dass diese ihre außergerichtlichen Kosten erstattet erhält (§ 162 Abs. 3 VwGO).
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG i.V.m. Nr. 1.5, 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Sie folgt der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).