Titel:
Verletzung des rechtlichen Gehörs, kein förmlicher Beweisantrag, zu den Möglichkeiten eines Gehörsverstoßes beim Umgang mit einer Beweisanregung
Normenketten:
VwGO Art. 103 Abs. 1 GG i.V.m. § 138 Nr. 3
VwGO § 86 Abs. 1, 2 VwGO
Schlagworte:
Verletzung des rechtlichen Gehörs, kein förmlicher Beweisantrag, zu den Möglichkeiten eines Gehörsverstoßes beim Umgang mit einer Beweisanregung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 22.02.2022 – RN 4 K 20.32067
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15606
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gründe
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Soweit Zulassungsgründe i.S.v. § 78 Abs. 3 AsylG ausdrücklich oder sinngemäß geltend gemacht werden, liegen diese nicht vor.
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1. Die klägerischen Gehörsrügen führen nicht zur Berufungszulassung gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO.
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1.1. Ein Gehörsverstoß in der Form des sich einer sachlichen Auseinandersetzung mit entscheidungserheblichem Vorbringen Entziehens (vgl. (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 3 B 40.14 u.a. – LKV 2015, 30 Rn. 4) liegt nicht vor, soweit klägerseits gerügt wird (Antragsbegründung S. 4 vorletzter Absatz), das Verwaltungsgericht habe sich nicht inhaltlich mit den vorgelegten Dokumenten auseinandergesetzt. Denn für das Verwaltungsgericht (UA S. 10 erster Absatz) war die Echtheit der sowohl beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung von den Klägern vorgelegten Vorladungen und Haftbefehle nicht entscheidungserheblich, weil bereits die vom Verwaltungsgericht näher dargestellten Widersprüche und Ungereimtheiten im klägerischen Vortrag aus seiner Sicht den Schluss zugelassen haben, dass die Verfolgungsgeschichte insgesamt nicht der Wahrheit entspricht. Unabhängig davon spricht gegen den geltend gemachten Gehörsverstoß, dass das Verwaltungsgericht (UA S. 10 erster Absatz) auch auf die Frage der Echtheitsprüfung hinsichtlich der vorgelegten Unterlagen eingegangen ist, indem es darauf hingewiesen hat, diese seien im Übrigen bereits einer eingehenden Analyse durch das Bundesamt unterzogen worden, das zum Ergebnis gekommen sei, es handele sich um Fälschungen. Dem – so das Verwaltungsgericht weiter – seien die Kläger nicht substantiiert entgegengetreten.
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1.2. Es liegt auch kein Gehörsverstoß durch eine prozessordnungswidrige Ablehnung eines (förmlichen) Beweisantrags (siehe dazu BVerfG, B.v. 30.1.1985 – 1 BvR 393/84 – BVerfGE 69, 141/143 f.; B.v. 27.1.1995 – 1 BvR 1430/94 – NJW 1995, 1417; OVG Bremen, B.v. 29.12.2011 – 2 A 216/10.A – juris Rn. 3 m.w.N.) vor. Zwar wird klägerseits die Meinung vertreten (Antragsbegründung S. 2 viert- und fünftletzter Absatz), bei ihrer im Schriftsatz vom 10. Februar 2022 enthaltenen, an das Verwaltungsgericht gerichteten Bitte um Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Echtheitsüberprüfung der Ladungen und Haftbefehle handele es sich um einen Beweisantrag. Jedoch ist dies unzutreffend, weil Beweisanträge im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO nur solche sind, die in der mündlichen Verhandlung gestellt und in das Sitzungsprotokoll aufgenommen worden sind (vgl. BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7 m.w.N.), wohingegen es sich bei der besagten Bitte um Einholung eines Sachverständigengutachtens um eine Beweisanregung handelt, die § 86 Abs. 2 VwGO nicht unterfällt. Ein Beweisantrag i.S.d. § 86 Abs. 2 VwGO wird ferner entgegen der klägerischen Ansicht nicht durch ihre vorliegend auch erhobene (siehe 2.) Aufklärungsrüge kompensiert. Dass die Aufklärungsrüge nicht dazu dient, das Unterlassen der Stellung eines Beweisantrags i.S.d. § 86 Abs. 2 VwGO auszugleichen, wird gerade durch die Judikatur belegt, die die Antragsbegründung (dort S. 3 erster Absatz) für ihre gegenteilige Ansicht anführt (vgl. BVerwG, U.v. 20.3.2012 – 5 C 1.11 – juris Rn. 25 m.w.N.; OVG NW, B.v. 17.5.2017 – 11 A 682/16.A – juris Rn. 17 f. m.w.N.). Soweit klägerseits behauptet wird, den in der mündlichen Verhandlung nicht anwaltlich vertretenen Klägern sei es nicht möglich gewesen, in der mündlichen Verhandlung einen Beweisantrag zu stellen, ist ein unüberwindbares Hindernis dafür weder dargelegt noch ersichtlich; mangels Anwaltszwangs hätten die Kläger in der erstinstanzlichen Verhandlung einen Beweisantrag auch persönlich stellen können. Da die Kläger aber in der mündlichen Verhandlung ausweislich des Sitzungsprotokolls keinen Beweisantrag gestellt haben, scheidet jedenfalls ein Gehörsverstoß durch eine prozessordnungswidrige Ablehnung eines (förmlichen) Beweisantrags aus.
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1.3. Das Verwaltungsgericht hat das rechtliche Gehör der Kläger auch nicht dadurch verletzt, dass es die besagte schriftsätzliche Beweisanregung zur Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Echtheitsprüfung der von den Klägern in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat oder ihr nicht gefolgt ist, obwohl sich ihm dies hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 4.3.2014 – 3 B 60.13 – juris Rn. 7). Gegen einen solchen Gehörsverstoß spricht bereits durchgreifend, dass es für das Verwaltungsgericht auf die Echtheit der sowohl beim Bundesamt als auch in der mündlichen Verhandlung von den Klägern vorgelegten Vorladungen und Haftbefehle nach seiner auch vorliegend maßgeblichen Rechtsauffassung (vgl. BVerfG, B.v. 10.5.2002 – 1 BvR 1685/01 – juris Rn. 16) ausweislich der Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils (UA S. 10 erster Absatz; siehe auch 1.1.) nicht entscheidungserheblich ankam. Der Einwand der Antragsbegründung (dort ab S. 3 dritter Absatz), das Verwaltungsgericht hätte im Hinblick auf seine im vorangegangenen Eilbeschluss enthaltenen Ausführungen zu den vorgelegten Dokumenten die Beweisaufnahme durchführen müssen, geht fehl, weil es für die Frage eines Gehörsverstoßes durch das angegriffene Urteil auf die diesem Urteil zugrundeliegende Einschätzung der Entscheidungserheblichkeit ankommt. Unabhängig davon spricht der Umstand, dass das Verwaltungsgericht (UA S. 10 erster Absatz) auch auf die Frage der Echtheitsprüfung hinsichtlich der vorgelegten Unterlagen eingegangen ist (siehe 1.1.), dagegen, dass es sich dem Verwaltungsgericht hätte aufdrängen müssen, der schriftsätzlichen Beweisanregung zu folgen.
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1.4. Eine Gehörsverletzung ergibt sich ferner nicht aus der klägerischen Kritik an der verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung, die in der Regel schon nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen ist (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 10.10.2013 – 10 B 19.13 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO Nr. 67 Rn. 4 m.w.N.). Zwar kann die Beweiswürdigung ausnahmsweise verfahrensfehlerhaft i.S.v. § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO sein, wenn sie objektiv willkürlich ist, gegen Denkgesetze verstößt oder einen allgemeinen Erfahrungssatz missachtet. Jedoch liegt auch bei einer mit derart schweren Mängeln behafteten Sachverhaltswürdigung ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Gehörs i.S.v. § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO nur bei spezifisch auf das rechtliche Gehör bezogenen Fehlern vor, etwa wenn bei einer Entscheidung ein aktenwidriger Vortrag zugrunde gelegt wird (vgl. BVerwG, U.v. 3.4.1987 – 4 C 30.85 – NJW 1988, 275) oder wenn sich das Gericht einer sachlichen Auseinandersetzung mit entscheidungserheblichem Vorbringen entzieht (vgl. BVerwG, B.v. 27.10.2014 – 3 B 40.14 u.a. – LKV 2015, 30 Rn. 4). Ein derartiger spezifischer Gehörsverstoß ist im Zusammenhang mit der kritisierten verwaltungsgerichtlichen Beweiswürdigung vorliegend nicht ersichtlich (siehe 1.1. bis 1.3.).
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2. Die Berufung ist ferner nicht zuzulassen, soweit die Antragsbegründung einen Gehörsverstoß in einer mangelnden Sachverhaltsaufklärung sieht. Denn Verstöße gegen die Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO gehören als solche nicht zu den Verfahrensmängeln, auf die der Zulassungsgrund des § 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG gestützt werden kann (SächsOVG, B.v. 16.6.2009 – A 3 A 310/07 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 12.1.2012 – 14 ZB 11.30140 – juris Rn. 4; B.v. 29.8.2017 – 11 ZB 17.31081 – juris Rn. 4 m.w.N.), insbesondere gehört sie nicht zum Regelungsbereich des Art. 103 Abs. 1 GG (BVerfG, B.v. 18.2.1988 – 2 BvR 1324/87 – juris Rn. 18; BayVGH, B.v. 19.10.1998 – 27 ZB 98.30836 – juris Rn. 4). Zwar kann sich ein Gehörsverstoß aus der prozessordnungswidrigen Ablehnung eines (förmlichen) Beweisantrags (siehe 1.2.) und aus dem Übergehen oder der Nichtumsetzung einer sich aufdrängenden Beweisanregung (siehe 1.3.) ergeben. Ein solcher Gehörsverstoß liegt jedoch wie gezeigt nicht vor.
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3. Soweit die Antragsbegründung die inhaltliche Richtigkeit des angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteils in Frage stellt, führt dies schon deshalb nicht zur Berufungszulassung, weil § 78 Abs. 3 AsylG im Gegensatz zu § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gerade nicht den Berufungszulassungsgrund „ernstlicher Zweifel“ an der Richtigkeit des Urteils eröffnet.
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4. Der klägerische Schriftsatz vom 24. Oktober 2022 kann schon deshalb nicht zur Berufungszulassung führen, weil er verfristet ist. Er ist am 24. Oktober 2022 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangen, nachdem die Monatsfrist nach § 78 Abs. 4 Satz 1 und 4 AsylG nach der am 2. März 2022 erfolgten Zustellung des Urteils an den Klägerbevollmächtigten bereits am Montag, den 4. April 2022 abgelaufen war.
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5. Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens tragen die Kläger, die dieses Rechtsmittel vorliegend ohne Erfolg eingelegt haben (§ 154 Abs. 2 VwGO, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird die angegriffene Entscheidung rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).
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Dieser Beschluss ist nach § 80 AsylG i.V.m. § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.