Titel:
Zur Nachweispflicht der Behörde im Ausnahmeregime des Art. 16 Abs. 1 FFH-RL – hier Geeignetheit der ausnahmsweise zugelassenen Fischottertötungen (Parallelentscheidung zu BeckRS 2023, 15603)
Normenketten:
FFH-RL Art. 16
BNatSchG § 45 Abs. 7
AVV § 3
AEUV Art. 191
Leitsätze:
Eine Behörde, die ausnahmsweise die Tötung streng geschützter Tiere nach Anhang IV der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) zur Vermeidung fischereiwirtschaftlicher Schäden zulässt, muss im Hinblick auf Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie unter anderem die Geeignetheit dieser Maßnahme nachweisen; verbleiben nach den besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten Ungewissheiten, muss von der Tötung abgesehen werden (im Anschluss an EuGH, U.v. 14.6.2007 – finnische Wolfsjagd, C-342/05 – ECLI:ECLI:EU:C:2007:341 Rn. 25, 42 ff., 47 und U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 Rn. 44, 51, 66 bis 69). (Rn. 28, 32 und 47)
Es ist Aufgabe des Gerichts festzustellen, ob die Behörde, die gem. § 45 Abs. 7 S. 1 und 2 BNatSchG (iVm Art. 16 Abs. 1 FFH-RL) ausnahmsweise die Tötung von Individuen einer streng geschützten Art zulässt, auf Grundlage bester wissenschaftlicher Daten die ihr jeweils obliegenden „Nachweise“ erbracht hat; andernfalls ist im Hinblick auf den unionsrechtlichen Umweltvorsorgegrundsatz (Art. 191 Abs. 2 UAbs. 1 S. 2 AEUV) von der Ausnahme „abzusehen“. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Artenschutz, ausnahmsweise Zulassung einer Tötung von Fischottern, Tötungsverbot, artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung, Kulturlandschaft, Fischotter-Managementplan, Erwerbsteichanlagen, Fraßschäden, Nachweispflicht, Geeignetheit, Ungewissheit, artenschutzrechtliche Ausnahmeverordnung, RL 92/43/EWG
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 27.08.2021 – RO 4 K 20.968
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15605
Tenor
I. Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Rechtswidrigkeit des Bescheids der Regierung der O. vom 16. März 2020 in Gestalt des Änderungsbescheids vom 17. Dezember 2020 festgestellt wird.
II. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der Rechtsstreit betrifft die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer zwischenzeitlich durch Zeitablauf erledigten artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung zur Entnahme und Tötung von bis zu zwei männlichen Fischottern, die der Beklagte dem Beigeladenen, einem Jagdberechtigten, erteilt hat und gegen die sich der Kläger – eine nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung – wendet.
2
Der Bayerische Landtag forderte mit Beschluss vom 18. April 2018 (LT-Drs. 17/21770) die Staatsregierung auf, den sog. Fischotter-Managementplan dem Stand der aktuellen Entwicklung anzupassen und ihn in besonderen Fällen, in denen an Erwerbsteichanlagen keine Präventions- und Abwehrmaßnahmen umgesetzt werden könnten, um die Entnahme als vierte Stufe zu ergänzen; ursprüngliche Säulen sind Beratung, Prävention (insbesondere Zaunbau) und Entschädigung.
3
Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 16. März 2020 erteilte die Regierung der O. dem Beigeladenen gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG die artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung zur Entnahme von maximal zwei männlichen Fischottern an im Bescheid näher beschriebenen fischereiwirtschaftlich genutzten Teichanlagen, dem sogenannten Entnahmegebiet (Nr. 1 und 5 der Bescheidtenorierung), und zwar durch Fallenfang in Form von Lebendfang mit anschließender Tötung der männlichen Tiere (Nr. 2 Satz 1 der Bescheidtenorierung); gefangene weibliche Tiere oder Tiere, bei denen eine eindeutige Geschlechtsbestimmung nicht möglich ist, waren unverzüglich an Ort und Stelle aus der Falle zu entlassen (Nr. 2 Satz 2 der Bescheidtenorierung). Alternativ wurde eine unentgeltliche Abgabe männlicher Exemplare an einen Zoo oder eine ähnliche Einrichtung gestattet (Nr. 2 Satz 3, 4 der Bescheidtenorierung). Neben einigen zusätzlichen Nebenbestimmungen (Nr. 6, 7, 9 der Bescheidtenorierung) wurde die Genehmigung befristet bis zum 31. Dezember 2020 (Nr. 4 der Bescheidtenorierung). Die Entnahme wurde ausschließlich dem Beigeladenen persönlich gestattet, und zwar nur sofern er zur Jagdausübung im Entnahmegebiet berechtigt ist (Nr. 2 Satz 1 der Bescheidtenorierung); parallel wurde eine hier nicht streitgegenständliche jagdrechtliche Schonzeitaufhebung gesondert verfügt (vgl. dazu Nr. 3 der Bescheidtenorierung).
4
Der Bescheid vom 16. März 2020 enthält eine umfangreiche Begründung (dort S. 3 bis 20) und schließt mehrere Anlagen ein, nämlich ein Luftbild, einen sog. Mustersteckbrief zum konkreten Entnahmegebiet, Formblätter zur „Besonderen Schulung des Adressaten“, eine „Unterlage zur artenschutzrechtlichen Beurteilung“ (nachfolgend: Anlage Artenschutz) und eine „Verträglichkeitsabschätzung der FFH-Verträglichkeit“ (nachfolgend: Anlage FFH-Verträglichkeit); Letztere befasst sich mit der Frage, inwieweit die für das Entnahmegebiet, das selbst nicht in einem FFH-Gebiet liegt, zugelassenen Ausnahmen auch Fischotter aus nahegelegenen FFH-Schutzgebieten betreffen und sich dadurch auf die in diesen FFH-Schutzgebieten zugunsten von Fischottern geltenden Schutzziele auswirken können.
5
Die – durch die Anlagen ergänzte – Begründung des Bescheids selbst hielt unter I. (zum Sachverhalt) einen seit Jahren vor allem in Ostbayern stetig zunehmenden Fischotterbestand sowie dadurch verursachte steigende Fraßschäden am Fischbestand der oberpfälzischen Teichwirtschaft fest und sah dadurch die besondere Teichkultur in der O. gefährdet. Dabei ging der Bescheid für das Entnahmegebiet davon aus, dass sich dort Fischotter dauerhaft angesiedelt hätten, durch deren Fressverhalten bereits erhebliche Mengen des vorhandenen Fischbestands vernichtet worden seien. Der Bescheid war dabei Teil eines „Pilotprojekts“ – mit ihm und zwei weiteren Bescheiden, die andere oberpfälzische Teichanlagen in anderen Landkreisen betrafen, sollten die rechtlichen Möglichkeiten ausgelotet werden, bevor der besagte Fischotter-Managementplan bayernweit um die Entnahme als vierte Stufe ergänzt wird (vgl. Anlage FFH-Verträglichkeit, Präambel, S. 6 letzter Absatz). Die naturschutzrechtliche Prüfung (Bescheidbegründung unter II.) beschreibt zunächst das Vorliegen eines erheblichen wirtschaftlichen Schadens mit Schadensprognose (ab II.1.), befasst sich im Gefolge mit der Wirksamkeit der Entnahme und der Frage zumutbarer Alternativen (II.3.), nimmt dabei keine Verschlechterung des Erhaltungszustands der Population an (II.4.) und begründet sodann die Ermessensentscheidung für die Entnahme (II.5.). Mit der Frage des Betroffenseins nahegelegener FFH-Schutzgebiete, falls aus solchen FFH-Schutzgebieten stammende Fischotter im Entnahmegebiet entnommen werden sollten, befasst sich die Bescheidbegründung in einer Verträglichkeitsabschätzung nach § 34 BNatSchG (unter III.).
6
Gegen den Bescheid erhob der Kläger – gegenüber dem seitens des Beklagten keine Bekanntgabe erfolgt war – Anfechtungsklage, die am 4. Juni 2020 beim Verwaltungsgericht Regensburg einging.
7
Mit Änderungsbescheid vom 17. Dezember 2020 wurde die Befristung des Bescheids bis zum 31. Dezember 2021 verlängert. Dabei wurden sowohl zur Begründung des Bescheids selbst als auch zu den Anlagen Artenschutz und FFH-Verträglichkeit zwischenzeitlich gewonnene Daten nachgetragen, die insbesondere die Schadensentwicklung, ein Kameramonitoring der Fischotter sowie vom Verkehr verursachte Fallwildzahlen betrafen. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Entnahme und der Frage zumutbarer Alternativen wurde dabei mangels Änderungen auf die ursprünglichen Ausführungen verwiesen (Bescheid vom 17.12.2020 unter II.2.).
8
Im Gefolge bezog der Kläger den Änderungsbescheid in seine Klage ein.
9
Das Verwaltungsgericht Regensburg hob den (geänderten) Bescheid mit Urteil vom 24. August 2021 vollumfänglich auf. Es hielt die Ausnahmegenehmigung unter anderem deshalb für rechtswidrig, weil die genehmigten punktuellen Maßnahmen nicht geeignet seien, fischereiwirtschaftliche Schäden abzuwenden, da in relativ kurzer Zeit ein gebietsfremder Fischotter den Platz eines entnommenen Tieres wiederbesetzen werde. Selbst wenn man die genehmigten Ausnahmen vom Tötungsverbot für geeignet halten wollte, wären sie im Hinblick auf den hohen Schutzstatus der Fischotter nicht verhältnismäßig, weil sie wirtschaftliche Schäden lediglich partiell – nämlich nur zu einem nicht näher bekannten Bruchteil und nur zeitlich begrenzt – reduzieren würden. Für rechtswidrig hielt das Verwaltungsgericht des Weiteren, dass in die genehmigten Fallen auch weibliche Fischotter und Jungtiere gelangen würden und damit auch der Verbotstatbestand des Fangens weiblicher Tiere und von Jungtieren betroffen sei. Schließlich habe der Beklagte keine Verträglichkeitsprüfung im Hinblick auf – in der Nähe der drei Entnahmegebiete befindliche – FFH-Gebiete durchgeführt.
10
Auf Antrag des Beklagten hat der Senat mit Beschluss vom 29. Juli 2022 die Berufung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zugelassen.
11
Im Berufungsverfahren begehrt der Kläger die Feststellung der Rechtswidrigkeit des (geänderten) Bescheids, nachdem der Beklagte den zuletzt bis zum 31. Dezember 2021 befristeten Bescheid für die Zeit ab dem 1. Januar 2022 nicht weiter verlängert hatte.
12
Der Beklagte beantragt,
13
das verwaltungsgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
14
Er betont unter anderem die Bedeutung der als UNESCO-Kulturerbe anerkannten oberpfälzischen Teichwirtschaft sowie das Vorliegen ernster fischereiwirtschaftlicher Schäden. Die streitgegenständliche Ausnahme sei zur Abwehr des Schadens geeignet; sie könne mit der sukzessiven Entnahme zweier männlicher Fischotter einen nennenswerten Beitrag zur Schadensabwendung leisten und schließe die Entnahme von Fischottern durch eine weitere Ausnahme nicht aus. Soweit der Kläger – im Berufungsverfahren zusätzlich gestützt auf eine gutachterliche Stellungnahme vom 27. März 2022 – und mit ihm das Verwaltungsgericht eine kurzfristige Neubesetzung von durch die genehmigten Entnahmen freiwerdenden Revieren annehme und deshalb eine Verminderung des Fraßdrucks verneine, vertrete die Fachverwaltung des Beklagten die gegenteilige Auffassung. Es fehle insoweit an einem gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisstand, wobei der Bescheid eine plausible Auffassung zugrunde gelegt habe; insoweit sei auf die bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung hinzuweisen, nach der Gerichte nicht in der Lage sind, fachwissenschaftliche Erkenntnislücken selbständig zu schließen, und auch nicht verpflichtet sind, über Ermittlungen im Rahmen des Stands der Wissenschaft hinaus Forschungsaufträge zu erteilen. Im Hinblick auf den Schadensumfang sowie die wirtschaftliche und kulturelle Bedeutung der oberpfälzischen Teichwirtschaft seien die beiden genehmigten Entnahmen auch verhältnismäßig im engeren Sinn. Der Bescheid leiste einen Beitrag zur Schadensreduktion; bei Entnahme eines Männchens sinke die Anwesenheit der Fischotter im Entnahmegebiet und eine Schadensreduktion um mindestens 50% sei in der Zeit bis zur Wiederbesiedlung des Männchenreviers sehr wahrscheinlich, wobei der prozentuale Rückgang der Schäden auch davon abhängig sei, wie schnell die Wiederbesetzung erfolge, und die Wirksamkeit dadurch erhöht werde, dass der Bescheid eine zweite Entnahme ermögliche. Das Fangen (auch) weiblicher Fischotter sei im Tatbestand der Entnahme geregelt, weil ein Entnehmen immer auch ein Fangen enthalte; das Fangverbot sei in Bezug auf weibliche Fischotter nicht verletzt, weil diese wieder freigelassen, also nicht endgültig aus dem Naturhaushalt entnommen würden. Das Fangen von Wildtieren mittels Kastenfallen sei eine bewährte praxistaugliche Methode, sodass das Verletzungs- und Tötungsverbot auch hinsichtlich weiblicher Fischotter und der Jungtiere gewahrt sei. Das Störungsverbot sei nicht verletzt, weil selbst bei Unterstellung einer Störung des Erhaltungszustands der „lokalen“ Population hinsichtlich des geschätzten Fischotterbestands in Ostbayern sich dessen Bestand nicht verschlechtere, wobei Einzäunungen als Alternative für das Entnahmegebiet ausschieden. Bezogen auf die besagte Populationsdichte stelle sich die streitgegenständliche Maßnahme im Hinblick auf den Erhaltungszustand der Population als neutral dar und ergebe sich keine Verschlechterung. Das Fehlen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung hinsichtlich nahegelegener FFH-Gebiete führe nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheids; Auswirkungen auf den Genpool der Fischotter in den betroffenen FFH-Gebieten seien ausgeschlossen und es bestünden keine direkten Fließgewässerverbindungen zwischen dem Entnahmegebiet und den FFH-Gebieten, wobei Fischotter sehr selten Wasserscheiden überquerten.
16
die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass der streitgegenständliche Bescheid in Gestalt des Änderungsbescheids rechtswidrig gewesen ist.
17
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die elektronisch vorliegende Verwaltungsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
18
Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten bleibt in der Sache erfolglos, weil die in zweiter Instanz anlässlich der Erledigung des streitgegenständlichen Bescheids auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellte Klage zulässig und begründet ist.
19
1. Der Kläger hat die Klage zulässiger Weise im Berufungsverfahren von einer Anfechtungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage umgestellt.
20
Der angefochtene Bescheid hat sich durch Ablauf seines mit Änderungsbescheid vom 17. Dezember 2020 verlängerten Geltungszeitraums (31.12.2021) erledigt. Die mit der klägerischen Berufungserwiderung erfolgte Umstellung auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage war gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 bzw. 3 VwGO auch im Berufungsverfahren zulässig (vgl. zur Zulässigkeit im Revisionsverfahren BVerwG, U.v. 26.8.2010 – 3 C 35.09 – BVerwGE 137, 377 Rn. 10); mangels Vorliegens einer Klageänderung i.S.v. § 91 VwGO war dafür keine Anschlussberufung (§ 127 VwGO) erforderlich (vgl. BVerwG, U.v. 26.7.1996 – 8 C 20.95 – Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 284; für die Verpflichtungsklage BVerwG, U.v. 4.12.2014 – 4 C 33.13 – BVerwGE 151, 36 Rn. 11 bis 13).
21
2. Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist im insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 Rn. 20) zulässig. Die ursprüngliche Anfechtungsklage war zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden; nach der Erledigung infolge Zeitablaufs des zuletzt bis zum 31. Dezember 2021 verlängerten Bescheids liegt ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse in Gestalt einer Wiederholungsgefahr vor, wovon auch Kläger und Beklagter übereinstimmend ausgehen.
22
Zwar ist zum 1. Mai 2023 § 3 der Artenschutzrechtlichen Ausnahmeverordnung (AAV) in Kraft getreten – aufgrund von § 1 Nr. 1, § 2 der auf § 45 Abs. 7 Satz 4 BNatSchG gestützten „Verordnung zur Änderung der Artenschutzrechtlichen Ausnahmeverordnung betreffend Ausnahmen für den Fischotter“ vom 25. April 2023 (BayMBl. Nr. 200) –, der nunmehr die Tötung von Fischottern gestattet, ohne dies von einem entsprechenden Verwaltungsakt im Einzelfall wie dem vorliegend streitgegenständlichen Bescheid abhängig zu machen. Für Tötungen, die aufgrund § 3 AAV n.F. erfolgen, ist lediglich eine Mitteilungspflicht vorgesehen (vgl. § 3 Abs. 6 AAV n.F.). Jedoch begründet das von § 3 AAV n.F. eröffnete Instrumentarium – dessen Wirksamkeit der Senat offenlässt und unterstellt – keine „Ausschließlichkeit“ dahingehend, dass dadurch die Erteilung davon unabhängiger Einzelausnahmen nach § 45 Abs. 7 Satz 1 und 2 BNatSchG artenschutzrechtlich gesperrt wäre (vgl. BayVGH, B.v. 26.11.2019 – 14 CS 19.617 – BeckRS 2019, 30450 Rn. 11 zu dem auf Kormorane bezogenen § 1 Abs. 4 AAV). Insoweit unterscheidet sich der Fall von der spiegelbildlichen Konstellation des Inkrafttretens eines gesetzlichen (staatsvertraglichen) Verbots mit Erlaubnisvorbehalt und dessen Auswirkung auf die Wiederholungsgefahr hinsichtlich einer vor dessen Inkrafttreten anhängigen Klage gegen eine Untersagungsverfügung (vgl. BVerwG, U.v. 16.5.2013 – 8 C 14.12 – BVerwGE 146, 303 ab Rn. 21 zum Glücksspielstaatsvertrag).
23
Unabhängig davon ist § 3 AAV n.F. jedenfalls im wie gezeigt maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung nicht vollziehbar, weil bislang weder die in § 3 Abs. 4 Satz 2 AAV n.F. vorgeschriebene Gebietsverordnung in Kraft getreten noch die jährliche Höchstzahl von Fischottertötungen gemäß § 3 Abs. 4 Satz 3 AAV n.F. bekannt gemacht worden ist. Angesichts dessen ist von einer hinreichend konkreten Wiederholungsgefahr auszugehen, zumal sich der streitgegenständliche Bescheid selbst als Teil eines „Pilotprojekts“ darstellt und der Beklagte in der Berufungsbegründung und in der mündlichen Verhandlung davon ausgegangen ist, dass weitere derartige Bescheide nicht ausgeschlossen sind.
24
3. Die zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage ist begründet; der streitgegenständliche Bescheid war rechtswidrig (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5, § 2 Abs. 1 und 4 Satz 1 Nr. 2, § 3 UmwRG).
25
3.1. Maßgeblich ist dafür der Zeitpunkt der Erledigung (31.12.2021); denn der streitgegenständliche Bescheid betraf – schon wegen der Sukzessivität der mit ihm zugelassenen Tötungen – einen sich während des (verlängerten) Geltungszeitraums entwickelnden Sachverhalt und war deshalb ein sog. Dauerverwaltungsakt, für den auch der Zeitraum bis zur Erledigung in die Rechtswidrigkeitsprüfung einzubeziehen ist (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1979 – 3 C 103.79 – BVerwGE 59, 148/160).
26
3.2. Bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erledigung war der Bescheid rechtswidrig, weil der Beklagte entgegen seiner Nachweispflicht (siehe 3.2.1.) nicht nachgewiesen hat (siehe 3.2.2.), dass die von ihm zugelassenen Tötungen schon für sich betrachtet – und nicht erst zusammen mit nachfolgenden weiteren Tötungen – zur Verhütung ernster Schäden geeignet sind, und zwar auch dann nicht, wenn ein ernster fischereiwirtschaftlicher Schaden i.S.v. § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG unterstellt wird. Die These des Ausgangs- und des Änderungsbescheids (dort jeweils II.3. vorletzter Absatz), durch die Entnahme werde der „Fraßdruck“ an den Teichanlagen „spürbar nachlassen“, stellt sich als nicht hinreichend gesicherte Vermutung dar, sodass nicht auszuschließen ist, dass die Tötung „bloß“ zweier Tiere nicht geeignet ist, ernste wirtschaftliche Schäden abzuwenden, sondern dass dafür mehr Tiere „entnommen“ werden müssten.
27
3.2.1. Den Beklagten trifft aufgrund unionsrechtlichen Artenschutzrechts eine Nachweispflicht hinsichtlich der Geeignetheit der von ihm zugelassenen ausnahmsweisen Fischottertötungen.
28
3.2.1.1. Die eine Ausnahme vom strengen Artenschutz nach dem eng auszulegenden Art. 16 Abs. 1 der RL 92/43/EWG vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (FFH-Richtlinie) genehmigende nationale Behörde hat unter anderem deren Geeignetheit nachzuweisen (EuGH, U.v. 14.6.2007 – finnische Wolfsjagd, C-342/05 – ECLI:ECLI:EU:C:2007:341 Rn. 47), und zwar in der Begründung der Ausnahmeentscheidung (EuGH, U.v 14.6.2007 a.a.O. Rn. 25; vgl. auch EuGH, U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 Rn. 44 [insoweit zu Art. 16 Abs. 1 Buchst. e FFH-Richtlinie]). Es genügt dafür nicht, dass „nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann“, dass die Tötungsgenehmigung Schäden vorbeugen, ausschalten oder verringern kann; vielmehr muss diese Annahme in den Akten „bestätigt“ sein (EuGH, U.v 14.6.2007 a.a.O. Rn. 42 bis 44 und 47).
29
Der strenge Schutz der Fischotter nach Anhang IV der FFH-Richtlinie einschließlich besagter Nachweispflicht ist dabei ebenso wenig wie das „natürliche Verbreitungsgebiet“ streng geschützter Arten i.S.v. Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie auf „Schutzgebiete“ beschränkt, sondern kann durchaus auch menschliche Siedlungsgebiete einschließen, und zwar auch dann, wenn die Tiere sich von Ressourcen ernähren, die der Mensch erzeugt (EuGH, U.v. 11.6.2020 – Alianţa, C-88/19 – ECLI:ECLI:EU:C:2020:458, insb. Rn. 37 bis 39). Dass die oberpfälzische Teichwirtschaft einschließlich des Betriebs, dessen Schutz der vorliegende Bescheid dient, eine menschlich geschaffene „Kulturlandschaft“ ist, ändert deshalb nichts an der Einschlägigkeit der Anforderungen des eng auszulegenden Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie für Ausnahmen vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot für streng geschützte Arten wie den Fischotter.
30
3.2.1.2. Diese strenge Nachweispflicht hinsichtlich der „Geeignetheit“ ist wesentliches Element eines umfassenden, die Exekutive treffenden Nachweispflicht-Konzepts im Ausnahmeregime des Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie, der mit § 45 Abs. 7 Satz 1 und 2 BNatSchG umgesetzt wird.
31
So steht der Geeignetheitsnachweis in untrennbarem Zusammenhang mit dem zusätzlich erforderlichen Nachweis des Fehlens anderweitiger zufriedenstellender Lösungen (EuGH, U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 ab Rn. 47) – die Behörde hat zu begründen und nachzuweisen, dass es unter Berücksichtigung der besten einschlägigen wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse sowie der Umstände des konkreten Falls „keine anderweitige zufriedenstellende Lösung“ gibt, um das verfolgte Ziel unter Beachtung der in der FFH-Richtlinie niedergelegten Verbote zu erreichen (EuGH, U.v. 10.10.2019 a.a.O. Rn. 49 bis 51); ein solcher Nachweis fehlender anderweitiger zufriedenstellender Lösungen ließe sich nicht führen, wenn nicht einmal nachgewiesen ist, dass das in der Ausnahmezulassung von der Exekutive gewählte Mittel seinerseits „geeignet“ ist.
32
Darüber hinaus knüpft an den Geeignetheitsnachweis der außerdem notwendige Nachweis an, dass trotz der Ausnahmeregelung der „günstige Erhaltungszustand“ der Population nicht beeinträchtigt wird (EuGH, U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 ab Rn. 54), wofür auch die „Höchstzahl“ von zu tötenden Individuen relevant ist (EuGH, U.v. 10.10.2019 a.a.O. Rn. 62 bis 65) – die Behörde hat auf Grundlage wissenschaftlicher Daten nachzuweisen, dass durch die Ausnahmegenehmigung die betroffenen Populationen in einem günstigen Erhaltungszustand verbleiben (EuGH, U.v. 10.10.2019 a.a.O. Rn. 67), wobei sie von einer Ausnahme „absehen muss“, wenn nach der Prüfung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten eine „Ungewissheit“ hinsichtlich des Erhaltungszustands bestehen bleibt (EuGH, U.v. 10.10.2019 a.a.O. Rn. 66), was auch dann gilt, wenn es nur um eine sog. neutrale Ausnahme für eine vornherein begrenzte Zahl von Individuen geht (EuGH, U.v. 10.10.2019 a.a.O. Rn. 69, 68). Ein solcher, auf die Population und die von ihr verkraftbare Höchstzahl von Tötungen bezogener Erhaltungszustandsnachweis lässt sich ohne „Geeignetheitsnachweis“ nicht führen, denn erst wenn nachgewiesen ist, dass gerade die zugelassene Anzahl von Tötungen geeignet ist, um (als „mindestens“ erforderliche Anzahl) das mit der Ausnahme jeweils verfolgte Ziel zu erreichen, kann der zusätzliche Nachweis geführt werden, dass damit die „Höchstzahl“ der von der betroffenen Population verkraftbaren Tötungen nicht überschritten wird.
33
In diesem Nachweispflichtkonzept der FFH-Richtlinie liegt eine unionsartenschutzrechtliche Spezialregelung sowohl im Hinblick auf die Bedeutung der behördlichen Amtsermittlungspflicht im Verwaltungsverfahren (Art. 24 BayVwVfG) als auch im Hinblick auf die Bedeutung der Begründungspflichten im Bescheid (Art. 39 BayVwVfG) mit vorentscheidender Bedeutung auch für das verwaltungsgerichtliche Prüfprogramm und den daraus folgenden Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Amtsermittlung (§ 86 VwGO; siehe 3.2.1.3.).
34
3.2.1.3. Auch das verwaltungsgerichtliche Prüfprogramm bezieht sich auf die besagten (siehe 3.2.1.2.) strengen unionsartenschutzrechtlichen Nachweispflichten für Bescheide, die gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 BNatSchG (i.V.m. Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie) eine Ausnahme vom Tötungsverbot des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG (i.V.m. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a FFH-Richtlinie) zulassen.
35
Infolge dessen ist es Aufgabe des Gerichts festzustellen, ob die Behörde, die gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 und 2 BNatSchG (i.V.m. Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie) ausnahmsweise die Tötung von Individuen einer streng geschützten Art zulässt, auf Grundlage bester wissenschaftlicher Daten die ihr jeweils obliegenden „Nachweise“ erbracht hat (EuGH, U.v. 14.6.2007 – finnische Wolfsjagd, C-342/05 – ECLI:ECLI:EU:C:2007:341 Rn. 47, 42, 25; U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 Rn. 67 [siehe auch Rn. 44, 51, 66 bis 69]); andernfalls ist im Hinblick auf den unionsrechtlichen Umweltvorsorgegrundsatz (Art. 191 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 2 AEUV) von der Ausnahme „abzusehen“ (EuGH, U.v 10.10.2019 a.a.O. Rn. 66, 69).
36
Diese aus Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie folgenden unionsrechtlichen Vorgaben für das gerichtliche Prüfprogramm hinsichtlich einer gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 und 2 BNatSchG erfolgenden Genehmigung von Ausnahmen vom Tötungsverbot (§ 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG i.V.m. Art. 12 Abs. 1 Buchst. a FFH-Richtlinie) sind streng zu unterscheiden von der gänzlich anders gelagerten Ausgestaltung verwaltungsgerichtlicher Kontrolle bei Eingriffen und Vorhaben i.S.v. § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG, die selbst gerade nicht die Tötung von Individuen streng geschützter Arten zum Gegenstand haben, sondern lediglich mit einem Tötungs-„Risiko“ verbunden sind.
37
Während nämlich bei einer ausnahmsweisen Tötungsgenehmigung gemäß § 45 Abs. 7 Satz 1 und 2 BNatSchG (wie hier) die Tötung nicht nur ein „Risiko“, sondern ganz im Gegenteil gerade den eigentlichen Regelungs- und Streitgegenstand darstellt, betrifft demgegenüber § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG Fälle, bei denen der Eingriff als solcher bzw. das Vorhaben als solches selbst jeweils nicht in einer Tötung besteht, wie es insbesondere beim Bau von Straßen, Eisenbahnlinien und Windrädern der Fall ist, bei denen die Tötung eine (zum Teil unausweichliche) „Konsequenz“ des Vorhabens ist (vgl. BVerwG, U.v. 9.7.2008 – 9 A 14.07 – BVerwGE 131, 274 Rn. 91); nur in solchen Fällen kann i.S.v. § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG vom (bloßen, das eigentliche Vorhaben begleitenden) „Risiko“ einer Tötung die Rede sein und nur für solche Fälle kann es auf das in § 44 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 BNatSchG genannte Kriterium der „signifikanten“ Erhöhung des „Risikos“ der Tötung ankommen.
38
Nicht auf Ausnahmeentscheidungen i.S.v. § 45 Abs. 7 Satz 1 und 2 BNatSchG übertragbar sind deshalb – entgegen der Ansicht des Beklagten – auch die insbesondere im Kontext des Baus von Straßen, Eisenbahnen und Windenergieanlagen entwickelten Regeln zur gerichtlichen Kontrolldichte beim Fehlen anerkannter fachlicher Maßstäbe und Methoden hinsichtlich der Frage einer „signifikanten Risikoerhöhung“, nämlich die Beschränkung der gerichtlichen Kontrolle auf die Prüfung der „Vertretbarkeit“ der exekutiven Bewertung der Signifikanz, die auch verfassungsgerichtlich anerkannt sind (BVerfG, B.v. 23.10.2018 – 1 BvR 2523/13 u.a. – BVerfGE 149, 407 LS 1, Rn. 18 ff. im Fall einer gerichtlichen Kontrolle der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung einer Windenergieanlage [vorgehend BVerwG, U.v. 27.6.2013 – 4 C 1.12 – BVerwGE 147, 118 Rn. 11 m.w.N.]).
39
Die unterschiedlichen Vorgaben für die gerichtliche Kontrolle bei Ausnahmen i.S.v. Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie (Überprüfung der Nachweisführung durch die Verwaltung mit „Absehenmüssen“ bei fehlendem Nachweis) einerseits und bei Tötungs-„Risiken“ anderweitiger Projekte (Überprüfung der „Vertretbarkeit“ der von der Verwaltung vorgenommenen Bewertung bei Fehlen fachlicher Maßstäbe und Methoden) andererseits stehen nicht zueinander im Gegensatz, sondern betreffen verschiedene, sich nicht überschneidende Fallkonstellationen. Es ist nämlich zu sehen, dass die besagte „Signifikanz“-Rechtsprechung gerade dazu dient, die „Ausnahmen“ nicht zum „Regelfall“ werden zu lassen (BVerwG, U.v. 9.7.2008 – 9 A 14.07 – BVerwGE 131, 274 Rn. 91), worum es von vornherein nicht gehen kann, wenn der Streitgegenstand (wie hier) gerade in einer von der Exekutive ausnahmsweise zugelassenen gezielten Tötung besteht. Unionsrechtlich ist die besagte „Signifikanzrechtsprechung“ vor dem Hintergrund zu sehen, dass eine „Absichtlichkeit“ i.S.v. Art. 12 Abs. 1 Buchst. „a“ FFH-Richtlinie (Tötungsverbot) nicht nur vorliegt, wenn (wie hier) der Fang oder die Tötung von Individuen der geschützten Art sogar „gewollt“ ist, sondern bereits dann, wenn Fang oder Tötung „zumindest in Kauf genommen“ werden (vgl. EuGH, U.v. 18.5.2006 – C-221/04 – ECLI:ECLI:EU:C:2006:329 Rn. 71; ebenso zu Art. 12 Abs. 1 Buchst. „a“ bis „c“ FFH-Richtlinie EuGH, U.v. 4.3.2021 – Skydda Skogen, C-473/19 u.a. – ECLI:ECLI:EU:C:2021:166 Rn. 51 m.w.N.).
40
3.2.2. Vorliegend ist der dem Beklagten obliegende Nachweis der Geeignetheit der zugelassenen Tötungen zur Erreichung des Ziels der Verhinderung ernster fischereiwirtschaftlicher Schäden (siehe 3.2.1.) nicht geführt; vielmehr bestehen Ungewissheiten hinsichtlich der Nachbesetzung der Territorien getöteter Fischottermännchen beim zeitlichen Rahmen der Nachbesetzung (kurz- oder mittelfristig) und bei der Frage, ob die Nachbesetzung nur durch benachbarte Revierinhaber oder auch und mit welchem Anteil durch neu einwandernde Männchen erfolgt.
41
3.2.2.1. Der fehlende Nachweis der Geeignetheit ergibt sich schon daraus, dass die Begründung des Bescheids widersprüchliche Aussagen zur „Nachbesetzung“ enthält. Einerseits wird in Abschnitt II.3. (dort vorletzter Absatz Zeilen 5 bis 8) des Ausgangsbescheids vom 16. März 2020 (in Bezug genommen im Verlängerungsbescheid vom 17.12.2020) für das Entnahmegebiet ausgeführt, es werde wieder einige Zeit dauern, bis ein gebietsfremder Fischotter das frei gewordene Revier nachbesetze und sein Fressverhalten entsprechend spezialisiere, sodass in der Zwischenzeit der Fraßdruck an den Teichanlagen spürbar nachlassen werde. Andererseits führt der Ausgangsbescheid in Abschnitt III (dort dritter Absatz Zeilen 2 bis 7) über die „Verträglichkeitsabschätzung nach § 34 BNatSchG“ aus, dass auch wenn ein territoriales Männchen aus dem FFH-Gebiet vom Fang und der Tötung betroffen sein würde, davon auszugehen sei, dass die entstandene Lücke „in kurzer Zeit“ durch ein anderes Männchen aufgefüllt werde. Es ist dabei nicht nachgewiesen, weshalb für die Nachbesetzung in FFH-Gebieten etwas Anderes gelten sollte als in den Entnahmegebieten, die ihrerseits keine FFH-Gebiete sind. Auch der Umstand, dass die Anlage FFH-Verträglichkeit (dort S. 41 zweiter Absatz) es hinsichtlich der FFH-Gebiete für grundsätzlich wahrscheinlich hält, dass das frei gewordene Revier „mittelbeziehungsweise langfristig“ durch ein zufällig durchziehendes Männchen neubesetzt werde, und davon ausgeht, dass „mittelfristig“ aus den umgebenden Bereichen Fischotter zuwandern (dort S. 51 vorletzter Absatz), stützt nicht die besagte Passage des streitgegenständlichen Bescheids in Abschnitt III (Auffüllung der Lücke „in kurzer Zeit“) und ist deshalb nicht geeignet, die dort bestehende Widersprüchlichkeit auszuräumen.
42
Eine nachträgliche Heilung der besagten Widersprüchlichkeit des Ausgangsbescheids ist weder im Verlängerungsbescheid noch zu einem anderen Zeitpunkt vor Erledigung der Ende 2021 ausgelaufenen Genehmigung erfolgt. Nach Eintritt der Erledigung war eine Heilung des Bescheids ausgeschlossen (vgl. BVerwG, U.v. 22.3.2012 – 3 C 16.11 – BVerwGE 142, 205 Rn. 18; BFH, U.v. 17.1.2017 – VIII R 52/14 – BFHE 257, 1 Rn. 19 m.w.N.; VGH BW, U.v. 27.2.2006 – 6 S 1508/04 – BeckRS 2006, 22823 Rn. 38 m.w.N.) und ist vom Beklagten zurecht auch nicht versucht worden.
43
3.2.2.2. Unabhängig davon räumt die „Anlage Artenschutz“, die integrierter Teil des streitgegenständlichen Bescheids ist, unter Nr. 6.2 (dort dritter Absatz) selbst ein, es lägen bisher keine Erfahrungswerte über ein „Wirkungsmonitoring“ nach einer Fischotterentnahme vor. Schon angesichts dessen ist nach dem Bescheid selbst nicht nachgewiesen, dass die Entnahme zweier Fischotter für sich gesehen hinreicht, um das vom Bescheid verfolgte Ziel zu erreichen.
44
3.2.2.3. Unabhängig von den Ausführungen des Bescheids im Zeitpunkt der Erledigung ist auch nach den bis zur gerichtlichen Entscheidung angefallenen Akten die Geeignetheit nicht nachgewiesen. So geht der Beklagte im Schriftsatz vom 16. Februar 2023 (dort S. 4 zweiter Absatz) hinsichtlich der Geeignetheit der zugelassenen Tötungen im Kontext der Frage der Nachbesetzung von Fischotterrevieren, die durch die Tötungen frei werden, selbst davon aus, dass es insoweit an einem gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisstand fehlt und unterschiedliche fachliche Auffassungen bestehen. Außerdem belegt die vom Kläger vorgelegte gutachterliche Stellungnahme vom 27. März 2022, dass die Aussagen zur Nachbesetzung im streitgegenständlichen Bescheid jedenfalls wissenschaftlich nicht „gewiss“ sind.
45
Angesichts dieser Ungewissheiten ist nicht nachgewiesen, ob nicht die mit der Ausnahmegenehmigung beabsichtigte Schadensreduzierung erst mit weiteren Tötungen erreicht werden kann.
46
3.2.2.4. Erst recht ist in den Ausnahmegenehmigungen nicht nachgewiesen – zumal wie gezeigt schon der Nachweis fehlt, ob und wie viele Folgetötungen vorzunehmen sind, um das Ziel der Schadensvermeidung auf „geeignete“ Weise zu erreichen –, bis zu welcher „Höchstzahl“ solche Folgetötungen maximal von der betroffenen Fischotterpopulation verkraftbar sind im Hinblick auf die Auswirkungen der für eine Zielerreichung erforderlichen Gesamtzahl von Tötungen auf den Erhaltungszustand (siehe dazu EuGH, U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 Rn. 62 bis 65).
47
Dabei muss von Ausnahmen nach Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie schon dann abgesehen werden, wenn nach der Prüfung der besten verfügbaren wissenschaftlichen Daten eine Ungewissheit darüber bestehen bleibt, ob der „günstige“ Erhaltungszustand der Populationen einer vom Aussterben bedrohten Art trotz dieser Ausnahmeregelung gewahrt oder wiederhergestellt werden kann (EuGH, U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 Rn. 66). Dies ist auch bei solchen Ausnahmegenehmigungen zu beachten, die lediglich eine „begrenzte Zahl“ von Individuen betreffen und sich für die betreffende Art als „neutral“ darstellen (EuGH, U.v. 10.10.2019 a.a.O. Rn. 69, 68). Bezogen auf den dem Beklagten obliegenden Nachweis, dass der „Erhaltungszustand“ der betroffenen Fischotterpopulation sich nicht unzulässig verschlechtert, greift das Konzept des streitgegenständlichen Bescheids als „Pilotprojekt“ zu kurz. Weder ist hinreichend nachgewiesen, wie viele Tötungen notwendig sind, um ernste fischereiwirtschaftliche Schäden zu vermeiden, noch entwickelt der Bescheid ein Gesamtkonzept dazu, wie viele der (mindestens) erforderlichen Entnahmen die Population höchstens verkraften kann, ohne dass die naturschutzrechtlichen Vorgaben zum Ziel eines günstigen Erhaltungszustands gefährdet werden. Vielmehr bleibt Letzteres nach dem streitgegenständlichen Bescheid im Ergebnis offen, wobei auch die Berufungsbegründung vom 4. Oktober 2022 (dort unter III.2. drittletzter Absatz) insoweit lediglich ausführt, die sukzessive Entnahme zweier männlicher Fischotter schließe für die Zukunft die Entnahme von Fischottern durch eine weitere Ausnahme nicht aus. Ein Nachweis, ob und wie viele „zukünftige“ Entnahmen erforderlich sind und bis zu welcher Höchstzahl die betroffene Fischotterpopulation dies verkraften kann, ist damit nicht geführt.
48
3.2.2.5. Der Senat lässt offen, inwieweit die unionsrechtlichen Nachweispflichten der eine Tötung zulassenden Behörde es gestatten, das Fehlen eines hinreichenden, der Behörde obliegenden Nachweises der Geeignetheit im Ausnahmebescheid während des gerichtlichen Verfahrens durch Änderung des Ausnahmebescheids nach nationalen verwaltungsverfahrensrechtlichen und -prozessualen Regeln (vgl. Art. 45 Abs. 2 BayVwVfG; § 114 Satz 2 VwGO) nachträglich zu „heilen“. Denn selbst wenn die Heilungsregelungen des nationalen Rechts anzuwenden sein sollten, wäre vorliegend eine solche „Heilung“ jedenfalls nicht erfolgt. Der streitgegenständliche Bescheid hat sich mit Ablauf seines verlängerten Geltungszeitraums erledigt, ohne dass zuvor im Ausgangsbescheid selbst (einschließlich seiner Anlagen) bzw. im Verlängerungsbescheid vom 17. Dezember 2020 die hier fehlenden Nachweise hinsichtlich der Geeignetheit erbracht worden wären (siehe 3.2.2.). Nach Eintritt der Erledigung war eine Heilung des Bescheids von vornherein ausgeschlossen (siehe 3.2.2.1. [a.E.] m.w.N.) und ist vom Beklagten zurecht zweitinstanzlich auch nicht versucht worden.
49
3.3. Auf die übrigen Streitpunkte, die die Beteiligten anknüpfend an das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil schriftsätzlich und in der Senatsverhandlung umfangreich diskutiert haben, kommt es – ungeachtet des Pilotcharakters des (geänderten) Bescheids – nicht mehr an, weil bereits der fehlende Nachweis der Geeignetheit zum vollständigen Erfolg der Fortsetzungsfeststellungsklage führt (siehe 3.2.).
50
Dahinstehen lässt der Senat insbesondere die zusätzlichen verwaltungsgerichtlichen Erwägungen zur Unverhältnismäßigkeit des (geänderten) Bescheids wegen gegenüber dem Schadensreduzierungsziel überwiegenden Gewichts des strengen Fischotterschutzes, wegen Verletzung artenschutzrechtlicher Verbote hinsichtlich (auch) weiblicher Fischotter und wegen Fehlens einer FFH-Verträglichkeitsprüfung im Verwaltungsverfahren, wobei es für die Fortsetzungsfeststellungsklage, die nur auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheids gerichtet ist, auf die in § 7 Abs. 5 UmwRG vorgeschriebene Begrenzung „gerichtlicher Kassationsmöglichkeiten“ nicht ankäme.
51
Offen bleibt weiter, ob sich bei sog. neutralen Maßnahmen, die – wie die vorliegende „lokale“ Maßnahme – von vornherein nur eine „begrenzte Anzahl“ von Individuen betreffen können (EuGH, U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 Rn. 69, 68), eine Eingrenzung der räumlichen Prüfungsperspektive des Bescheids auf das bayerische Staatsgebiet, wie sie der Beklagte hier vorgenommen hat, rechtfertigen lässt, obwohl Art. 16 Abs. 1 FFH-Richtlinie auf das „natürliche Verbreitungsgebiet“ abstellt (siehe auch EuGH, U.v. 10.10.2019 a.a.O. Rn. 58 f., 68), Schutzmaßnahmen eine gemeinsame Verantwortung der Mitgliedstaaten auf ihrem Territorium darstellen (EuGH, U.v. 15.3.2012 – polnische Fischotter, C-46/11 – ECLI:ECLI:EU:C:2012:146 Rn. 26; deutsche Übersetzung bei ZUR 2013, 489) und fraglich ist, ob nicht jedenfalls für den „Erhaltungszustand“ einer Population auf die mitgliedstaatliche Meldung für die Bundesrepublik Deutschland gemäß Art. 17 FFH-Richtlinie, mithin auf das mitgliedstaatliche Territorium abzustellen ist (siehe dazu auch das derzeit beim EuGH anhängige Vorabentscheidungsersuchen C-436/22 des Tribunal Superior de Justicia des Castilla y León [Spanien] vom 1.7.2022, ABl EU C 359/45 vom 19.9.2022 [Vorlagefrage Nr. 5]).
52
Dahinstehen lässt der Senat außerdem, ob als mildere Alternative zur zugelassenen Tötung männlicher Fischotter (vgl. zu diesem Nachweiserfordernis EuGH, U.v. 10.10.2019 – Tapiola, C-674/17 – ECLI:ECLI:EU:C:2019:851 Rn. 47 bis 53) die Möglichkeit einer Aussetzung gefangener männlicher Fischotter an anderen Stellen der freien Natur für das gesamte bayerische Staatsgebiet, das Bundesgebiet oder die kontinentale biogeographische Region einschließlich des zugehörigen EU-Auslands hätte systematisch ermittelt werden müssen.
53
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
54
5. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
55
6. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO vorgesehenen Zulassungsgründe vorliegt; insbesondere sind die der Behörde im unionsrechtlichen Artenschutzrecht obliegenden Nachweispflichten höchstgerichtlich geklärt (siehe 3.2.1.).