Inhalt

VGH München, Beschluss v. 31.05.2023 – 12 CE 23.432
Titel:

Anspruch auf Ausbildungsförderung für inländisches Bachelorstudium nach fluchtbedingtem Abbruch eines Tiermedizinstudiums im Iran

Normenkette:
BAföG § 7 Abs. 3, § 17 Abs. 3
Leitsätze:
1. Die vorläufige Gewährung von Ausbildungsförderung im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung kommt, da sie die Hauptsache jedenfalls teilweise vorwegnimmt, nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne das Ergehen einer einstweiligen Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre. (Rn. 10) (red. LS Clemens Kurzidem)
2. Ist bei Abbruch eines Studiums aufgrund der Flucht vor politischer Verfolgung aus dem Heimatstaat vollkommen ungewiss, in welchem anderen Staat, zu welchem Zeitpunkt und zu welchen Bedingungen (Aufenthaltsrecht, Spracherwerb, etc.) eine begonnene Ausbildung überhaupt fortgesetzt werden kann, liegt der Sache nach ein vollständiger Abbruch der bisherigen Ausbildung vor, der durch die Aufnahme eines anderen Hochschulstudiums nach einem Zeitraum von sechs Jahren nicht nachträglich zu einem Fachrichtungswechsel iSv § 7 Abs. 3 S. 3 BAföG mutiert (VG Gelsenkirchen BeckRS 2020, 5403). (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
3. Für das Vorliegen eines unabweisbaren Grundes iSv § 7 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 BAföG ist auf den Zeitpunkt des Abbruchs der bisherigen Ausbildung abzustellen (VG Gelsenkirchen BeckRS 2020, 5403). (Rn. 14) (red. LS Clemens Kurzidem)
4. Entgegen der Verwaltungspraxis (vgl. Tz. 7.3.19 BAföG-VwV) liegt in der fluchtbedingten Übersiedlung nach Deutschland der Abbruch der bisherigen Ausbildung, sodass ein nachfolgender Fachrichtungswechsel begrifflich nicht möglich und zugleich nicht rechtfertigungsbedürftig ist, weil die Übersiedlung und der weitere Verbleib im Bundesgebiet die berufliche Perspektive im Herkunftsland endgültig hat entfallen lassen. (Rn. 15) (red. LS Clemens Kurzidem)
5. Ein unabweisbarer Grund für den Abbruch einer im Ausland begonnenen Ausbildung stellt nicht zugleich einen unabweisbaren Grund iSv § 17 Abs. 3 S. 2 BAföG dar (BVerwG BeckRS 2008, 37089), sodass unter Berücksichtigung des im Ausland erlangten Ausbildungsstands dem Auszubildenden nur so lange ein Anspruch auf Förderung im Umfang von § 17 Abs. 2 BAföG zusteht, wie die Semesterzahl der für die andere Ausbildung maßgeblichen Förderungshöchstdauer, die um die Fachsemester der vorangegangenen, nicht abgeschlossenen Ausbildung zu kürzen sind, nicht überschritten wird. Nach Überschreitung der Förderungshöchstdauer kommt daher Ausbildungsförderung lediglich als Bankdarlehen nach § 18c BAföG in Betracht. (Rn. 16) (red. LS Clemens Kurzidem)
Schlagworte:
anerkannter Asylbewerber, ausländisches Studium, ausländische Ausbildungsstätte, Flucht, Bachelorstudium, Ausbildungsförderung, Ausbildungsabbruch, Fachrichtungswechsel, unabweisbarer Grund, Förderungshöchstdauer, Bankdarlehen, vorläufiger Rechtsschutz
Vorinstanz:
VG Bayreuth, Beschluss vom 08.02.2023 – B 8 E 22.1101
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15601

Tenor

I. Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 8. Februar 2023 (Az.: B 8 E 22.1101) wird aufgehoben. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig ab Oktober 2022 bis zur Entscheidung in der Hauptsache Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe – vorliegend in Form der Darlehensgewähr nach § 18c BAföG – für den Studiengang Biologie (Bachelor) an der Universität Bayreuth zu bewilligen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt und die Beschwerde zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Gründe

1
Mit seiner Beschwerde verfolgt der 1994 geborene Antragsteller, ein anerkannter iranischer Asylbewerber, die vorläufige Gewährung von Ausbildungsförderung für sein zum Wintersemester 2022/2023 an der Universität Bayreuth aufgenommenes Bachelorstudium der Biologie bis zum Ende des Bewilligungszeitraums im September 2023 weiter.
I.
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1. Der Antragsteller studierte im Iran an der Islamischen A. Universität, Zweigestelle G., vom Studienjahr 2012/2013, 1. Halbjahr, bis zum Studienjahr 2015/2016, 2. Halbjahr, insgesamt 8 Semester Tiermedizin. Für das 9. Semester – Studienjahr 2016/2017, 1. Studienhalbjahr – wurden von ihm keine Leistungsnachweise mehr erfasst. Nach einem Schreiben von MigraNet – IQ Landesnetzwerk Bayern hat er angesichts der vorliegenden Unterlagen das Tiermedizinstudium im Iran nicht abgeschlossen, sodass eine Zeugnisbewertung nicht möglich war. Ende 2016 flüchtete der Antragsteller vom Iran in die Bundesrepublik und wurde mit rechtskräftigem Urteil des VG Regensburg vom 31. Juli 2019 (Az.: RN 4 K 17.35781) als Flüchtling anerkannt. Er ist nach eigenen Angaben im Besitz einer bis 7. Oktober 2025 gültigen Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthG. Zum Wintersemester 2022/2023 hat er ein Bachelorstudium der Biologie an der Universität Bayreuth aufgenommen.
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2. Seinen Antrag auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für dieses Studium lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 27. Oktober 2022 ab. Eine Förderung sei im Fall eines abgebrochenen Hochschulstudiums nur möglich, wenn der Abbruch oder Fachrichtungswechsel vor Beginn des 4. Fachsemesters vollzogen worden sei. Hieran fehle es vorliegend, weil der Antragsteller sein Studium nachweislich erst nach mehr als drei Semestern aufgegeben habe. Aus der Begründung seines Fachwechsels seien keine Umstände ersichtlich, die die Annahme eines unabweisbaren Grundes hierfür nach § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG rechtfertigten. Die Förderung des derzeit betriebenen Studiums sei daher nach der bestehenden Gesetzeslage nicht möglich. Gegen diesen Ablehnungsbescheid erhob der Antragsteller Widerspruch, über den das Studentenwerk bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht entscheiden hat.
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3. Seinen darüber hinaus gestellten Antrag, das Studentenwerk im Wege der einstweiligen Verfügung nach § 123 VwGO zu verpflichten, ihm vorläufig bis zum Ende des Bewilligungszeitraums im September 2023 Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in gesetzlicher Höhe zu gewähren, lehnte das Verwaltungsgericht Bayreuth mit Beschluss vom 8. Februar 2023 (in der beglaubigten Abschrift irrtümlich auf den 8. Februar 2022 datiert) ab, ebenso den hierzu gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Der Antragsteller habe keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Insbesondere fehle es an der Glaubhaftmachung eines unabweisbaren Grundes im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG für einen Ausbildungsabbruch bzw. Fachrichtungswechsel. Unabweisbar sei nur ein Grund, der die Wahl zwischen der Fortsetzung der bisherigen Ausbildung und ihrem Abbruch oder dem Wechsel in eine andere Fachrichtung nicht zulasse oder der es bei der gebotenen Interessenabwägung jedenfalls schlechterdings unerträglich erscheinen ließe, den Auszubildenden unter den gegebenen Umständen an der zunächst aufgenommenen Ausbildung festzuhalten. Ein unabweisbarer Grund liege daher dann vor, wenn er die Fortführung der bisherigen Ausbildung objektiv und subjektiv unmöglich mache. Der unabweisbare Grund müsse ferner im Zeitpunkt des Fachrichtungswechsels bestanden haben und hierfür ursächlich gewesen sein. Überdies müsse nach der Rechtsprechung der Fachrichtungswechsel unverzüglich erfolgen, sobald wichtige oder unabweisbare Gründe hierfür einträten.
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Im Hinblick auf die genannten Voraussetzungen fehle es an der erforderlichen Glaubhaftmachung. Soweit der Antragsteller vortrage, dass er zum Zeitpunkt des Studienfachwechsels, d.h. der Aufnahme des Biologiestudiums in der Bundesrepublik Deutschland zum Wintersemester 2022/2023, mangels Erfüllung der Zulassungsvoraussetzungen keine Zulassung zum Tiermedizinstudium hätte erhalten können und ihm angesichts seiner bisherigen Ausbildung die Eignung für dieses Studium in der Bundesrepublik fehle, belege er dies nicht in ausreichendem Umfang durch die Vorlage entsprechender Ablehnungsbescheide oder zumindest verbindlicher Auskünfte. Eine gerichtliche Beweiserhebung zur Feststellung der Fördervoraussetzungen sei jedenfalls im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht angezeigt. Ferner fehlten Anhaltspunkte für die Annahme, dass das nicht berufsqualifizierend abgeschlossene Tiermedizinstudium im Ausland nicht als bisherige Ausbildung im Sinne von § 7 BAföG angesehen werden könne und sich demzufolge förderungsrechtlich als unbeachtlich erweise. Eine derartige „Unbeachtlichkeit“ wäre allenfalls dann anzunehmen, wenn die ausländische Ausbildungsstätte im Iran mit den in § 2 Abs. 1, 2 BAföG bezeichneten oder nach § 2 Abs. 3 BAföG bestimmten Ausbildungsstätten im Sinne von § 5 Abs. 4 BAföG nicht gleichwertig sei. Ferner begründe der Umstand, dass der Antragsteller derzeit weder Leistungen nach Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) noch nach dem BAföG erhalte, keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung. Als entscheidungsunerheblich erweis sich schließlich die Frage, ob es für den Studienabbruch im Iran einen unabweisbaren Grund gegeben habe, da der Fachrichtungswechsel von Tiermedizin zu Biologie erst im Bundesgebiet vollzogen worden sei. Deshalb besäßen Gründe für die Beendigung der Ausbildung im Iran sowie für die Ausreise und die Begründung des Flüchtlingsstatus für den Fachrichtungswechsel keine Relevanz.
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4. Mit seiner hiergegen eingelegten Beschwerde macht der Antragsteller geltend, dass das Verwaltungsgericht zu Unrecht von der fehlenden Glaubhaftmachung eines unabweisbaren Grundes für den Fachrichtungswechsel ausgegangen sei. Schon aufgrund seiner nicht ausreichenden Abschlussnote habe er das Studium der Tiermedizin in Deutschland nicht fortsetzen können. Soweit das Verwaltungsgericht dem Antragsteller der Sache nach vorwerfe, er habe sich nicht hinreichend um die Dokumentation der fehlenden Zugangsberechtigung zum Tiermedizinstudium gekümmert, gehe dies fehl und verkenne den Amtsermittlungsgrundsatz. Als verfehlt erweise sich auch die Auffassung des Verwaltungsgerichts, worauf es auf die Frage, ob es für den Abbruch des Studiums im Iran einen unabweisbaren Grund gegeben habe, nicht ankomme. Der Antragsteller könne sich vielmehr auf einen unabweisbaren Grund berufen, da ihm die Fortsetzung seiner Ausbildung im Iran subjektiv unmöglich gewesen und er unabwendbar aufgrund seiner Verfolgung im Iran geflohen sei. Auch habe er nicht die Fachrichtung gewechselt, sondern seine Ausbildung im Iran abgebrochen. Die Umstände, aufgrund derer ihm in Deutschland die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurden, hätten eine Wahl zwischen der Fortsetzung des Studiums und seinem Abbruch nicht zugelassen. Entgegen der Verwaltungspraxis sei die Übersiedlung nach Deutschland im Zuge des Asylverfahrens wie ein Ausbildungsabbruch zu bewerten, sodass ein nachfolgender Fachrichtungswechsel begrifflich nicht möglich und nicht rechtfertigungsbedürftig sei, weil die berufliche Perspektive im Herkunftsland mit der Übersiedlung und dem weiteren Verbleib im Bundesgebiet endgültig entfallen sei.
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5. Der Antragsgegner hat zum Beschwerdevorbringen keine Stellung genommen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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Die zulässige Beschwerde ist überwiegend begründet (vgl. zur vorliegenden Fallkonstellation den vom Bevollmächtigten des Antragstellers zitierten Beschluss des Senats vom 11. März 2019 – 12 CE 19.327 – unveröffentlicht).
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1. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann der Senat auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Ferner sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern. Voraussetzung für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bildet in beiden Fällen (vgl. § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 920 Abs. 2 ZPO), dass einerseits ein Anspruch glaubhaft gemacht wird, dessen vorläufiger Sicherung die begehrte Anordnung dienen soll (Anordnungsanspruch), und dass andererseits die Gründe glaubhaft gemacht werden, die eine gerichtliche Eilentscheidung erforderlich machen (Anordnungsgrund).
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Grundsätzlich dient die einstweilige Anordnung der vorläufigen Sicherung eines Anspruchs bzw. der vorläufigen Regelung eines streitigen Rechtsverhältnisses. Mit der vom Antragsteller im vorliegenden Fall begehrten Entscheidung über die vorläufige Gewährung von Ausbildungsförderungsleistungen wird die Hauptsache indes – zumindest in zeitlicher Hinsicht – teilweise vorweggenommen. In einem solchen Fall sind an die Prüfung von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund qualifiziert hohe Anforderungen zu stellen, d.h. der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur in Betracht, wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache jedenfalls dem Grunde nach spricht und der Antragsteller ohne das Ergehen einer einstweiligen Anordnung unzumutbaren Nachteilen ausgesetzt wäre.
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2. Gemessen an diesem Maßstab sind die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang bis zum Zeitpunkt des Ergehens einer Entscheidung in der Hauptsache erfüllt.
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2.1 Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Überprüfung der aufgeworfenen Rechtsfragen erweist sich entgegen der Auffassung des Antragsgegners im Bescheid vom 27. Oktober 2022 sowie des Verwaltungsgerichts im angefochtenen Beschluss ein Obsiegen des Antragstellers im Hauptsacheverfahren als überwiegend wahrscheinlich.
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2.2 Die Anwendung von § 7 Abs. 3 Satz 1 BAföG auf das aktuelle vom Antragsteller betriebene Bachelorstudium der Biologie ist vorliegend nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil es sich bei dem von ihm zwischen 2012 und 2016 an der Islamischen A. Universität in G. betriebenen Tiermedizinstudium um keinen nach § 2 Abs. 1 bis 3, § 5 Abs. 4 BAföG einem deutschen Tiermedizinstudium gleichwertigen Bildungsgang gehandelt hat (vgl. hierzu OVG Lüneburg, B.v. 27.9.2019 – 4 ME 202/19 – BeckRS 2019, 23859 Rn. 4 ff.; OVG Bautzen U.v. 18.6.2020 – 3 A 227/19 – BeckRS 2020, 18170 Rn. 20 ff.). Ausweislich des von der Kultusministerkonferenz betriebenen Internetportals „anabin“ (Infoportal für ausländische Bildungsabschlüsse – https://anabin.km.org) besitzt die Islamische A. Universität, Zweigstelle G.; an der der Antragsteller studiert hat, den Status „H+“, der beinhaltet, dass die Institution im jeweiligen Herkunftsland in maßgeblicher Weise als Hochschule anerkannt und hiervon ausgehend auch in Deutschland als Hochschule anzusehen ist. Mithin ist im Rahmen summarischer Prüfung davon auszugehen, dass der Antragsteller im Iran einen institutionell der Ausbildung in Deutschland gleichwertigen Bildungsgang betrieben hatte. Da er dieses jedoch nach 8 absolvierten Studienhalbjahren nicht berufsqualifizierend abgeschlossen hatte, scheidet vorliegend die Anwendung von § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG ebenfalls aus (vgl. BVerwG, U.v. 10.4.2008 – 5 C 12.07 – BeckRS 2008, 37089).
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2.3 Entgegen der Auffassung des Antragsgegners und des Verwaltungsgerichts hat der Antragsteller das Tiermedizinstudium im Iran im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 2 BAföG mit seiner Flucht Ende 2016 abgebrochen, nicht hingegen mit der Aufnahme des Biologiestudiums an der Universität B* … zum Wintersemester 2022/2023 im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 3 BAföG die Fachrichtung gewechselt. Zwar kann im Abbruch eines Studiums und der späteren Aufnahme eines anderen Studiums auch ein Fachrichtungswechsel nach vorübergehender Unterbrechung der Ausbildung im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 3 BAföG liegen. Ist aber, wie im vorliegenden Fall, bei Abbruch des Studiums aufgrund der Flucht vor politischer Verfolgung aus dem Heimatstaat vollkommen ungewiss, in welchem anderen Staat, zu welchem Zeitpunkt und zu welchen Bedingungen (Aufenthaltsrecht, Spracherwerb, etc.) eine begonnene Ausbildung überhaupt fortgesetzt werden kann, liegt der Sache nach ein vollständiger Abbruch der bisherigen Ausbildung vor, der durch die Aufnahme eines anderen Hochschulstudiums nach einem Zeitraum von sechs Jahren nicht nachträglich zu einem Fachrichtungswechsel im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 3 BAföG mutiert (vgl. hierzu VG Gelsenkirchen, U.v. 2.3.2020 – 15 K 2516/19 – BeckRS 2020, 5403 Rn. 43 ff.). Ausbildungsabbruch und Fachrichtungswechsel schließen sich gegenseitig aus. Dies hat zur Konsequenz, dass für die Frage der Förderfähigkeit einer neuen, anderen Ausbildung hinsichtlich des Vorliegens eines unabweisbaren Grundes im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG nicht, wie das Verwaltungsgericht meint, auf den „Fachrichtungswechsel“ und den Zeitpunkt, zu dem er erfolgt ist, sondern auf den Abbruch des Erststudiums abzustellen ist (so auch VG Gelsenkirchen, a.a.O, Rn. 56 ff.).
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Bricht ein Student, wie der Antragsteller, sein Hochschulstudium im Iran ab und flieht anschließend nach Deutschland, kann ihm die Fortsetzung seiner im Iran begonnenen Ausbildung in der Folge auch nicht mehr zugemutet werden, sodass nach der insoweit maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 10.4.2008 – 5 C 12.07 – BeckRS 2008, 37089 Rn. 17) vom Vorliegen eines unabweisbaren Grundes für den Abbruch der bisherigen Ausbildung auszugehen ist (so auch BayVGH, B.v. 11. März 2019 – 12 CE 19.327 – Rn. 8; vgl. ferner VG Karlsruhe, B.v. 23.6.2016 – 5 K 2654/16 – BeckRS 2016, 49928). Entgegen der Verwaltungspraxis (dokumentiert in Tz. 7.3.19 BAfög-VwV; daran festhaltend jedoch OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 25.10.2019 – OVG 6 S 49.19 – BeckRS 2019, 30109 Rn. 6; VG Potsdam, B.v. 2.12.2019 – VG 7 L 958/19 – BeckRS 2019, 34169) ist demnach bereits die Übersiedlung nach Deutschland als Abbruch der bisherigen Ausbildung zu bewerten, sodass ein nachfolgender Fachrichtungswechsel begrifflich nicht möglich und zugleich nicht rechtfertigungsbedürftig ist, weil die Übersiedlung und der weitere Verbleib im Bundesgebiet die berufliche Perspektive im Herkunftsland endgültig hat entfallen lassen (vgl. Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 7 Rn. 123). Ausschließlich in einer solchen Lebenssituation besteht zugleich ein öffentliches Interesse, den Betroffenen überhaupt zu fördern, damit er einer geordneten Berufstätigkeit an seinem neuen Aufenthaltsort im Bundesgebiet nachgehen kann. Auch der Personenkreis der anerkannten Flüchtlinge besitzt das Recht auf eine seiner Neigung, Eignung und Leistung entsprechenden Ausbildung im Sinne von § 1 BAföG, was sich häufig – wie auch im vorliegenden Fall – nur durch einen Wechsel der Ausbildung erreichen lässt. Anders als der Antragsgegner meint, muss sich der Antragsteller daher auch nicht an seiner im Ausland getroffenen Ausbildungswahl festhalten lassen. Damit ist im Übrigen auch keine Besserstellung von anerkannten Flüchtlingen gegenüber anderen auf Berufsausbildung angewiesenen Studierenden verbunden (so auch VG Gelsenkirchen, U.v. 2.3.2020 – 15 K 2516/19 – BeckRS 2020, 5403 Rn. 59).
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2.4 Allerdings besteht im Falle einer im Ausland begonnenen Ausbildung nur ein unabweisbarer Grund im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG, nicht hingegen zugleich ein solcher im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 2 BAföG (vgl. BVerwG, U.v. 10.4.2008 – 5 C 12.07 – BeckRS 2008, 37089 Rn. 18). Der durch die Auslandsausbildung erlangte Ausbildungsstand des Auszubildenden und die dort erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten sind gemäß § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BAföG zu berücksichtigen, sodass dem Auszubildenden nur so lange ein Anspruch auf Förderung im Umfang des § 17 Abs. 2 BAföG zusteht, wie die Semesterzahl der für die andere Ausbildung maßgeblichen Förderungshöchstdauer, die um die Fachsemester der vorangegangenen, nicht abgeschlossenen Ausbildung zu kürzen sind, nicht überschritten wird (vgl. Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 7 Rn. 163 aE). Letzteres dürfte vorliegend angesichts der Regelstudienzeit von sechs Semestern für das Bachelorstudium Biologie und des mindestens acht Semester währenden Tiermedizinstudiums im Iran nicht mehr der Fall sein, sodass für den Antragsteller Ausbildungsförderung ausschließlich als Bankdarlehen nach § 18c BAföG in Betracht kommt.
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3. Ungeachtet dessen spricht vorliegend auch der Gesichtspunkt der Folgenabwägung für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung.
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3.1 Kann im Eilverfahren nicht in allen Einzelheiten abschließend festgestellt werden, ob ein Anordnungsanspruch besteht, so hat das Gericht über den Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache lediglich auf der Grundlage einer Folgenabwägung zu entscheiden, es sei denn, der Antrag in der Hauptsache erwiese sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 25.7.1996 – 1 BvR 638/96 –, NVwZ 1997, 479 [480 f.]; vom 29.11.2007 – 1 BvR 2496/07 –, NVwZ 2008, 880 [881]; vom 25.2.2009 – 1 BvR 120/09 –, NVwZ 2009, 715 f.; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 123, Rn. 79, 100 m.w.N.; Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl., 2017, Rn. 200). Kann Letzteres nicht festgestellt werden und muss demnach der Ausgang des Hauptsacheverfahrens als offen angesehen werden, sind die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, der Antrag in der Hauptsache aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abzuwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag in der Hauptsache aber später erfolglos bliebe (vgl. Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl., 2017, Rn. 202 ff.).
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3.2 Der vom Antragsteller im Widerspruchsverfahren weiterverfolgte Förderanspruch ist – wie bereits dargelegt – weder von vorneherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Würde die einstweilige Anordnung erlassen, stellte sich aber später im Widerspruchsverfahren heraus, dass dem Antragsteller der geltend gemachte materielle Anspruch auf Ausbildungsförderung endgültig nicht zusteht, so wäre diese auf der Grundlage des Erlasses der einstweiligen Anordnung zu Unrecht gewährt worden und der Antragsteller wäre zur Rückzahlung der bereits erhaltenen Darlehenssumme verpflichtet. Auch wenn insoweit die – geringe – Gefahr besteht, dass der Antragsteller nicht in der Lage sein könnte, seiner Rückzahlungsverpflichtung Folge zu leisten, so ist dieses Restrisiko vom Antragsgegner doch gleichwohl in noch zumutbarer Weise hinzunehmen. Würde hingegen der Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt, stellte sich im Hauptsacheverfahren aber heraus, dass dem Antragsteller endgültig ein Förderungsanspruch zusteht, so wäre dem mittellosen Antragsteller die Fortsetzung des Studiums über einen erheblichen Zeitraum, möglicherweise sogar gänzlich, in unzumutbarer Weise unmöglich gemacht. Darüber hinaus entspricht es gefestigter Rechtsprechung, in Fällen der Gefährdung der sozialen, beruflichen oder wirtschaftlichen Existenz des Betroffenen eine vorläufige Vorwegnahme der Hauptsache zuzulassen (vgl. Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 7. Aufl. 2017, Rn. 198 n.w.N.). Dies gilt namentlich in dem hier vorliegenden Fall der vorläufigen Gewährung von Ausbildungsförderung (vgl. OVG Bautzen, B. v. 19.5.2010 – 1 B 89/10 – BeckRS 2010, 50436), allerdings nicht im begehrten Umfang für den gesamten Bewilligungszeitraum. Insoweit ist der Antragsteller auf das Hauptsacheverfahren zu verweisen.
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Angesichts dessen überwiegt das persönliche Interesse des Antragstellers am Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung gegenüber den möglicherweise entgegenstehenden öffentlichen Belangen. Diesen ist durch die Rückzahlungsverpflichtung im Rahmen der Darlehensgewähr angemessen Rechnung getragen.
21
4. Der Antragsteller hat im Übrigen hinreichend glaubhaft gemacht, seinen Lebensunterhalt nach dem Ausscheiden aus dem SGB-II-Bezug ohne Inanspruchnahme staatlicher Ausbildungsförderung nicht mehr bestreiten zu können. Damit ist zugleich der erforderliche Anordnungsgrund gegeben. Auf den weiteren Bezug von SGB-II-Leistungen kann der Antragsteller nicht verwiesen werden, da nach § 7 Abs. 5 SGB II Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderfähig ist, keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts besitzen.
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5. Angesichts des Obsiegens des Antragstellers bedarf sein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren keiner Entscheidung.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Ausbildungsförderungsrechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Die Beschränkung der einstweiligen Anordnung auf den Zeitraum bis zum Ergehen einer Hauptsacheentscheidung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens – statt bis zum Ende des Bewilligungszeitraums im September 2023, wie vom Antragsteller beantragt – fällt kostenrechtlich nicht ins Gewicht (§ 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO).
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Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.