Inhalt

VGH München, Beschluss v. 14.06.2023 – 10 AE 23.1029
Titel:

unzulässiges Ablehnungsgesuch

Normenketten:
VwGO § 54 Abs. 1, § 83 S. 1, § 152a
GVG § 17 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Ein Ablehnungsgesuch, das erst im Anhörungsrügeverfahren geäußert wird, ist unzulässig. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Ablehnungsgesuch ist grundsätzlich kein geeignetes Mittel, sich gegen für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Weitere Gegenvorstellung, Ablehnungsgesuch, Rechtskräftig abgeschlossenes Verfahren, Verweisungsbeschluss, Anhörung, Stellungnahmefrist, Anhörungsrüge, Gegenvorstellung, offensichtlich missbräuchliche Richterablehnung, rechtliches Gehör, Verweisung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15586

Tenor

I. Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers, das gegen die an den Beschlüssen des Senats vom 6. Juni 2023 (10 AE 23.1010) und vom 7. Juni 2023 (10 AE 23.1020) beteiligten Richter gerichtet ist, wird verworfen.
II. Die weitere Gegenvorstellung wird zurückgewiesen.

Gründe

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1. Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers nach § 54 Abs. 1 VwGO ist als unzulässig zu verwerfen. Die weitere Gegenvorstellung ist zurückzuweisen.
2
a) Das Ablehnungsgesuch des Antragstellers nach § 54 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit §§ 41 ff. ZPO ist unzulässig und daher − in der für den vorliegenden Beschluss nach dem Geschäftsverteilungsplan des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs und der senatsinternen Geschäftsverteilung maßgeblichen (Stamm-)Besetzung unter Mitwirkung der beiden im Rubrum der vorgenannten Beschlüsse des Senats vom 6. und 7. Juni 2023 zuerst genannten Richter − zu verwerfen.
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aa) Zum einen ist das Ablehnungsgesuch unzulässig, weil es erstmals im Rahmen einer (weiteren) Gegenvorstellung geäußert worden ist.
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(1) So steht der Zulässigkeit eines Ablehnungsgesuchs, das erst im Anhörungsrügenverfahren geäußert wurde, entgegen, dass in dieser prozessualen Situation das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen und damit unanfechtbar ist, weil die Anhörungsrüge den Eintritt der Rechtskraft nicht hemmt, mit der Folge, dass eine weitere richterliche Streitentscheidung in der Sache nicht mehr erforderlich ist. Die abschließende Erledigung des Rechtsstreits durch eine unanfechtbare Entscheidung ist die äußerste Zeitschranke für die Ablehnung eines Richters (vgl. BayVGH, B.v. 9.3.2023 −10 AS 23.411 – juris Rn. 2; B.v. 19.2.2018 – 10 ZB 18.406 – juris Rn. 2; B.v. 7.11.2016 – 10 BV 16.962 – juris Rn. 6 ff.; OVG Bremen, B.v. 16.3.2021 – 1 B 117/21 – juris Rn. 1; ThürOVG, B.v. 2.6.2017 – 3 SO 79/17 – juris Rn. 1; SächsOVG, B.v. 11.10.2016 – 3 D 83/16 – juris Rn. 3).
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Unabhängig davon, ob eine Gegenvorstellung nach Einführung des § 152a VwGO grundsätzlich unstatthaft ist, wofür nach Auffassung des Senats einiges spricht, gilt dies auch für ein Ablehnungsgesuch, das erst nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens bei Erhebung einer Gegenvorstellung geäußert worden ist, die den Eintritt der Rechtskraft ebenfalls nicht hemmt (vgl. BayVGH, B.v. 21.3.2022 – 9 C 22.673 – juris Rn. 2; ThürOVG, B.v. 9.11.2020 – 3 EN 750/20 – juris Rn. 1 m.w.N.). Dies gilt insbesondere auch für eine weitere Gegenvorstellung (vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 9 B 6.19 – juris Rn. 6 m.w.N.: „Denn mit der die Anhörungsrüge zurückweisenden und selbst nicht mehr rügefähigen Entscheidung hat das Verfahren … endgültig seinen Abschluss gefunden“).
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(2) Gemessen daran ist das Ablehnungsgesuch des Antragstellers unzulässig. Die Beschlüsse des Senats vom 6. Juni 2023 (vgl. BA S. 4) sowie vom 7. Juni 2023 (vgl. BA S. 2) sind gemäß § 152 Abs. 1 VwGO („nicht … angefochten werden“) rechtskräftig abgeschlossen. Die Antragstellerseite macht die Richterablehnung erstmals im Verfahren der Gegenvorstellung, noch dazu einer weiteren Gegenvorstellung, geltend.
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(3) Zu keinem anderen Ergebnis führt es, wenn man darauf abstellt, ob eine richterliche Tätigkeit inmitten steht, welche sich noch auf den Aus- oder Fortgang des Verfahrens auswirken kann. Dies kann nur möglich sein, wenn der Anhörungsrüge beziehungsweise der Gegenvorstellung, so man sie für statthaft halten sollte (s.o.), stattzugeben wäre (vgl. VGH BW, B.v. 8.6.2016 – 1 S 783/16 – juris Rn. 6 ff.). Dies ist indes nicht der Fall (vgl. sogleich unter b).
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b) Zum anderen ist das Ablehnungsgesuch des Antragstellers unzulässig, weil es rechtsmissbräuchlich ist.
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aa) Ein Ablehnungsgesuch kann ausnahmsweise − unter Mitwirkung abgelehnter Richter und ohne deren dienstliche Äußerungen − als unzulässig verworfen werden, wenn es sich als offensichtlich missbräuchlich darstellt. Indizien hierfür können − unter anderem − sein, dass die Begründung des Gesuchs nicht hinreichend konkret auf den beziehungsweise die abgelehnten Richter bezogen ist, dass der Inhalt der Begründung von vornherein ersichtlich ungeeignet ist, die Besorgnis der Befangenheit zu rechtfertigen, oder dass verfahrensfremde Zwecke, wie etwa das Ziel, den Prozess zu verschleppen, verfolgt werden. Solche Indizien ermöglichen die Annahme eines rechtsmissbräuchlichen Ablehnungsgesuchs, wenn zur Begründung des Rechtsmissbrauchs nicht auf den Verfahrensgegenstand selbst eingegangen werden muss (vgl. BVerwG, B.v. 2.5.2018 – 6 B 118.18 – juris Rn. 3 m.w.N.; B.v. 29.11.2017 – 10 B 5.17 – juris Rn. 1 f.).
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bb) Gemessen daran stellt sich der Ablehnungsantrag des Antragstellers auch als rechtsmissbräuchlich in dem vorgenannten Sinne dar.
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Die Antragstellerseite bezieht das Ablehnungsgesuch pauschal auf die an den angegriffenen Beschlüssen beteiligten Richter (vgl. Senatsakte, Bl. 4: „Ihre Beschlüsse vom 06. und 07.06.2023“ sowie „lehne ich alle an Ihren o.g. Beschlüssen beteiligten Richter in Bezug auf das anhängige Hauptsacheverfahren <Ihr Az. unbekannt> … ab“).
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Inhaltlich hat sie in dem Ablehnungsgesuch lediglich vorgetragen, dass die fehlende Ausreisepflicht des Antragstellers aus verfassungsrechtlichen Gründen sehr wohl durch Tatsachen belegt und substantiiert sei, weil „diese rechtliche Bewertung immerhin einen Tatsachenkern“ enthalte, der gerichtskundig sei, und die das Gegenteil behauptenden Richter „einen unwahren Sachverhalt“ vorgetragen hätten. Außerdem hätten die Richter in dem angegriffenen Beschluss vom 6. Juni 2023 zu Unrecht behauptet, dass sie in früheren Beschlüssen das Vorliegen eines prozessualen Anerkenntnisses verneint hätten. Auch hierin liege „der Vortrag unrichtigen Sachverhalts“, weil „Sie diese Frage in allen Ihren früheren Beschlüssen in Wirklichkeit offengelassen hätten“. Dazu verweist die Antragstellerseite auf einen Schriftsatz vom 3. Juni 2023, in dem sie den letzten Satz der Randnummer 11 aus dem Beschluss des Senats vom 7. Januar 2019 zitiert.
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Das Vorbringen ist in dem vorgenannten Sinne untauglich. Damit wendet sich die Antragstellerseite offenkundig gegen die Würdigung des Senats. Ein Ablehnungsgesuch ist jedoch grundsätzlich kein geeignetes Mittel, sich gegen für unrichtig gehaltene Rechtsauffassungen eines Richters zu wehren (vgl. BayVGH, B.v. 8.2.2022 – 6 CE 21.3272 – juris Rn. 10). Besondere Umstände, aus denen geschlossen werden könnte, die angeführten Entscheidungen beruhten auf einer unsachlichen Einstellung der abgelehnten Richter oder auf Willkür, hat die Antragstellerseite nicht in nachvollziehbarer Weise aufgezeigt.
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Abgesehen davon erweist sich das Vorbringen für sich genommen als haltlos. Der Senat hat in dem angegriffenen Beschluss vom 6. Juni 2023 in den Randnummern 5 und 6 (vgl. BA S. 6) wie folgt entschieden (Unterstreichung d. Senats):
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„Im Übrigen hat der Senat bereits mehrfach in den Antragsteller betreffenden Verwaltungsstreitsachen entschieden, dass es sich bei der Ausweisungsverfügung vom 31. Juli 2014 um eine gegenüber dem aufgehobenen Bescheid vom 5. März 2009 völlig eigenständigen, erneuten Verwaltungsakt handle, an dessen Erlass der Antragsgegner weder aus Gründen des Vertrauensschutzes noch aus anderen Gründen gehindert gewesen sei; insbesondere sei der von Antragstellerseite vertretenen Auffassung, durch die Erledigterklärung im Anschluss an die Aufhebung der Ausweisungsverfügung in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 habe der Antragsgegner ein prozessuales Anerkenntnis im Sinne von § 307 ZPO abgegeben und somit einen Verzicht auf eine künftige Ausweisung bei unveränderter Sach- und Rechtslage erklärt, nicht zu folgen (vgl. nur B.v. 6.6.2016 – 10 C 15.1347 –, B.v. 7.1.2019 – 10 C 17.213 –, B.v. 26.3.2019 – 10 ZB 19.129 – und zuletzt B.v. 20.2.2023 – 10 C 23.299 – jeweils juris).“
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In der von der Antragstellerseite zitierten Randnummer 11 des Beschlusses des Senats vom 7. Januar 2019 hat dieser ausdrücklich Folgendes ausgeführt (Unterstreichung d. Senats):
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„Der Kläger vertritt nunmehr in diesem Zusammenhang die Ansicht, durch die „Erledigterklärung“ im Anschluss an die Aufhebung der Ausweisungsverfügung in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 habe der Beklagte ein prozessuales Anerkenntnis im Sinn von § 307 ZPO abgegeben und somit einen Verzicht auf eine künftige Ausweisung bei unveränderter Sach- und Rechtslage erklärt. Dem kann nicht gefolgt werden. …“
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Im Übrigen ist das Vorbringen lückenhaft und unvollständig. Zu den übrigen von dem Senat angeführten Entscheidungen verhält sich das Ablehnungsgesuch nicht.
19
b) Die weitere Gegenvorstellung des Antragstellers ist zurückzuweisen.
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aa) Dabei kann, wie bereits erörtert, dahinstehen, ob diese deshalb unzulässig ist, weil der Gesetzgeber mit der Schaffung der Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zum Ausdruck gebracht hat, dass daneben die gesetzlich nicht geregelte Gegenvorstellung nicht mehr zuzulassen ist (s.o.).
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bb) Die weitere Gegenvorstellung des Antragstellers hat jedenfalls keinen Erfolg, weil der Vortrag der Antragstellerseite keinen Anlass zur Änderung gibt.
22
(1) Die Antragstellerseite trägt nunmehr vor, der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts, auf dessen Grundlage der Senat mit Beschluss des Senats vom 6. Juni 2023, entschieden hat, sei unter Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG ergangen, weil die von dem Verwaltungsgericht gesetzte Frist für die Gelegenheit zur Stellungnahme (zugestellt am 5.6.2023 um 15.39 Uhr) bis zum 6. Juni 2023 um 9.30 Uhr, und damit von weniger als achtzehn Stunden, zu kurz bemessen gewesen sei, und die Bevollmächtigte erst gegen Mitternacht davon Kenntnis erlangt habe, so dass der Verweisungsbeschluss die Zuständigkeit des Senats nicht habe begründen können, der folglich selbst gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verstoßen habe. Außerdem sei das Vorbringen des Antragstellers, dass er aus verfassungsrechtlichen Gründen so zu behandeln sei, als wäre er nicht ausreisepflichtig, sehr wohl durch Tatsachen belegt und substantiiert gewesen.
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(2) Damit ist eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht aufgezeigt. Insbesondere lässt sich dem Vorbringen die gerügte Unangemessenheit der von dem Verwaltungsgericht gesetzten Stellungnahmefrist nicht entnehmen. Zwar beinhaltet der Anspruch auf rechtliches Gehör es nach § 83 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG auch, vor der Verweisung gehört zu werden. Er gebietet eine Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemessener Frist. Diese kann allerdings auch angemessen sein, wenn sie (sehr) kurz ausgestaltet ist, um insbesondere in Eilverfahren zu vermeiden, das die Entscheidung des sachlich zuständigen Gerichts zu spät kommt. Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerseite die (besondere) Eilbedürftigkeit der Sache nicht nur nicht in Frage gestellt, sondern diese selbst vorgetragen (vgl. Senatsakte 10 AE 23.1010, Bl. 3: „unmittelbar bevorstehende Abschiebung“). Eine Fristverlängerung hat sie nicht beantragt (vgl. VG München, Gerichtsakte M 12 E 23.2720 <EGVP>, Bl. 1 ff.). Ebenso wenig hat sie vorgetragen, dass ihr ein solcher Antrag unmöglich oder unzumutbar gewesen wäre. Dies ist auch nicht anderweitig ersichtlich, zumal die Antragstellerseite selbst vorträgt, noch vor Ablauf der Frist tatsächlich Kenntnis genommen zu haben. Folglich hat sich die Antragstellerseite rügelos darauf eingelassen. Im Übrigen hat die Antragstellerseite in der weiteren Gegenvorstellung auch nicht erläutert, was sie bei Gewährung der Gelegenheit zur Stellungnahme vorgetragen hätte. Nur dann kann jedoch geprüft und entschieden werden, ob die angegriffene Entscheidung auf dem Gehörsverstoß beruht. Schließlich ist der Verweisungsbeschluss nach § 83 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 17 Abs. 2 Satz 3 GVG bindend. Von einer Ausnahme hiervon im Falle einer grob fehlerhaften oder willkürlichen Verweisung kann keine Rede sein, worauf der Senat bereits in dem Beschluss vom 7. Juni 2023 hingewiesen hat. Das Vorbringen des Antragstellers zu der seiner Auffassung nach fehlenden Ausreisepflicht aus verfassungsrechtlichen Gründen ist (erneut) gänzlich substanzlos.
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3. Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.