Inhalt

VG München, Beschluss v. 23.02.2023 – M 9 E 23.499
Titel:

"Hängebeschluss" hinsichtlich der Einstellung von Bauarbeiten zum Ausbau von Wegen zu genehmigten Windkraftanlagen

Normenkette:
VwGO § 123 Abs. 1
Schlagworte:
Hängebeschluss, entscheidungsreif, Kettenkonzentration
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 12.06.2023 – 1 CE 23.519
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15584

Tenor

Der Antrag auf Erlass einer Zwischenverfügung („Hängebeschluss“) wird abgelehnt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller verlangt im einstweiligen Rechtsschutz die Verpflichtung des Antragsgegners, die von der Beigeladenen bereits begonnenen und / oder geplanten Bauarbeiten zum Ausbau der in einem der Antragsschrift beigefügten Lageplan dargestellten Wege zu den mit Bescheid des Landratsamtes … vom 5. August 2020 genehmigten drei Windkraftanlagen auf den Flurnummern 945 (WEA1), 974 (WEA2) und 977 / 978 (WEA3) der Gemarkung …, Stadt … … … einzustellen und / oder zu untersagen. Auf die Antragsschrift vom 6. Februar 2023 samt Anlagenkonvolut wird Bezug genommen, im Übrigen liegen dem Gericht noch keine Unterlagen, insbesondere keine Behördenakten vor. Für den Fall, dass dem Gericht eine kurzfristige Entscheidung nicht möglich sein sollte, werde der Erlass eines „Hängebeschlusses“ beantragt, um den Eintritt vollendeter Tatsachen zu verhindern.
II.
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Der Antrag auf Erlass eines „Hängebeschlusses“ hat keinen Erfolg.
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1. Mit einer Zwischenentscheidung (sog. Hänge- oder Schiebebeschluss) im Rahmen eines anhängigen Eilrechtsschutzverfahrens kann das Gericht in Ausnahmefällen Regelungen für den Zeitraum zwischen dem Eingang des Eilantrags und der Entscheidung des Gerichts über diesen Antrag treffen, sofern dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG erforderlich ist (vgl. BVerfG, B.v. 11.10.2013 – 1 BvR 2616/13 – juris Rn. 7 f.; OVG SH, B.v. 9.2.2021 – 3 MB 2/21 – juris Rn. 4; BayVGH, B.v. 17.12.2020 – 15 CS 20.3007 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 31.5.2019 -8 CS 19.1073 – juris Rn. 3).
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2. Zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes ist ein solcher Beschluss (nur) zulässig und erforderlich (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2019 – 8 CS 19.1073 – juris Rn. 8 m.w.N.), wenn die Entscheidungsreife für die von dem Antragsteller beantragte einstweilige Anordnung noch nicht gegeben ist (a), der Eilantrag nicht offensichtlich aussichtslos erscheint (b) und aus Gründen eines wirksamen vorläufigen Rechtsschutzes zur Vermeidung irreversibler Zustände bzw. schwerer und unabwendbarer Nachteile nicht bis zur endgültigen gerichtlichen Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abgewartet werden kann. Von diesen Voraussetzungen, die kumulativ vorliegen müssen, ist bereits die zweitgenannte nicht gegeben.
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a) Zwar ist der gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung noch nicht entscheidungsreif. Das Gericht ist gegenwärtig noch nicht in der Lage, abschließend über den Antrag zu entscheiden. Die Behördenakten liegen noch nicht vor und der Antragsgegner und die Beigeladene haben zu dem umfangreichen Antragsschriftsatz samt Anlagen noch keine Stellungnahmen abgegeben; der Beigeladenen konnte bislang nicht einmal der Antragsschriftsatz samt Anlagen zugstellt werden, die aus den von der Antragstellerseite zur Verfügung gestellten Unterlagen (andere liegen dem Gericht bislang nicht vor) übernommene Adresse der Beigeladenen stimmt offenbar nicht, die gegen Postzustellungsurkunde an diese Adresse versandte Antragsschrift samt Anlagenkonvolut kam als unzustellbar zurück. Der Antragsschriftsatz wirft Fragen auf, zu denen auch im Eilverfahren die übrigen Beteiligten noch Stellung zu nehmen haben werden bzw. dazu Gelegenheit haben müssen, insbesondere was die Fragen bzw. den Vortrag des Antragstellers dazu anbelangt, ob die verfügten Schutzmaßnahmen bei den Wegebauten (Reptilienschutzzaun, Bauzaun usw.) eingehalten werden oder nicht. Dass hierzu die Angaben des Antragstellers nicht zu Grunde gelegt werden können, ohne dass die übrigen Beteiligten Gelegenheit hatten, eine Stellungnahme hierzu abzugeben, ergibt sich aus der E-Mail des Landratsamts … an das Gericht vom 9. Februar 2023, die der Antragstellerseite mit der Eingangsbestätigung des Antrags zur Verfügung gestellt wurde. Diesbezüglich wird etwa ausgeführt, „dass naturschutzfachlich […] die Wirksamkeit des Reptilienschutzzauns auf der gesamten Länge wiederhergestellt und zudem im westlichen Teil der geplanten Erschließungsmaßnahmen ab der Zuwegungsgabelung zu WEA1 ein Bauzaun errichtet“ wurde. Damit könne sichergestellt werden, dass die Verwirklichung artenschutzrechtlicher Verbotstatbestände zuverlässig ausgeschlossen werde. Daher scheidet es vorliegend gegenwärtig auch aus, „im Rahmen einer ‚herkömmlichen’ Entscheidung nach § 80a Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO allein die einander gegenüberstehenden Interessen (…) zu gewichten“ (BayVGH, B.v. 17.12.2020 – 15 CS 20.3007 – juris Rn. 15), da wie gezeigt nicht ungeprüft die Angaben aus der Antragsschrift zu Grunde gelegt werden können.
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b) Der gestellte Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist jedoch möglicherweise bereits unzulässig, unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage im hiesigen Entscheidungszeitpunkt aber jedenfalls offensichtlich unbegründet.
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Unter Berücksichtigung des den Beteiligten bekannten Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Februar 2023 (Az. 22 CS 22.1908) bestehen bereits erhebliche Zweifel, ob in der hier vorliegenden Konstellation ein Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO statthaft ist bzw. ob nicht durch die gerade genannte, nicht mehr anfechtbare Beschwerdeentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bereits hinsichtlich des Eilrechtsschutzes formelle Rechtskraft eingetreten ist, die auch die hier streitgegenständlichen Fragen erfasst. Der Bayerische Verwaltungsgerichthof kommt in der genannten Entscheidung zusammengefasst zum Ergebnis, dass die im hiesigen Antragsverfahren gegenständliche Frage des Baus der Zuwegungen zu den vom Antragsteller abgelehnten Windkraftanlagen richtigerweise Teil der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung ist bzw. zu sein hat; dies ergebe sich hier aus der Rechtsfigur der sogenannten „Kettenkonzentration“ d.h., dass die hier angegriffenen Wegebaumaßnahmen Bestandteil des bauordnungsrechtlichen Gesamtvorhabens seien und die im immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigungsbescheid vom 5. August 2020 konzentrierte Baugenehmigung ihrerseits die Rodungserlaubnis einschließe, weshalb die im Rahmen der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung enthaltene Rodungserlaubnis und die korrespondierenden Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen auch die Zuwegung erfassen, dagegen dürften diese Umstände nicht in ein separates Verfahren ausgelagert werden. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsauffassung ist es konsequent, die geltend gemachte Rechtswidrigkeit der Wegebaumaßnahmen hinsichtlich des einstweiligen bzw. vorläufigen Rechtsschutzes nicht einem Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO, gerichtet auf bauaufsichtliches Einschreiten gegen die Wegebaumaßnahmen, sondern (ebenso wie das Gesamtvorhaben Windkraftanlagen) dem diesem vorgehenden (§ 123 Abs. 5 VwGO) Verfahren nach §§ 80, 80a VwGO betreffend den vorläufigen Rechtsschutz gegen die immissionsschutzrechtliche Anlagengenehmigung zuzuweisen. Da die Beschwerdeentscheidung hierzu bereits ergangen ist, ist der Rechtsschutz insoweit auch bereits gewährt bzw. erfüllt.
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Der Antrag auf Erlass der beanspruchten einstweiligen Anordnung ist im hiesigen Entscheidungszeitpunkt aber unabhängig davon jedenfalls offensichtlich unbegründet. Die vom Antragsteller vorgetragenen Einwände gegen den Bau der Zuwegungen sind unter Berücksichtigung des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Februar 2023 (Az. 22 CS 22.1908) nicht geeignet, die beanspruchte einstweilige Anordnung zu tragen. Bereits aus dem Tenor dieses Beschlusses geht hervor, dass die verlangte Verpflichtung zur (einstweiligen) Baueinstellung bzw. Untersagung der Wegebauarbeiten nicht beansprucht werden kann, da weder der tatbestandlich für die Baueinstellung gemäß Art. 75 Abs. 1 BayBO geforderte Widerspruch zu öffentlichrechtlichen Vorschriften noch gar die erforderliche Ermessensreduzierung auf Null vorliegen. Die Beschwerde im Verfahren gegen den Sofortvollzug der immissionsschutzrechtlichen Anlagengenehmigung wurde mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die auch für den Wegebau beachtlichen und in der Rodungserlaubnis verfügten Nebenbestimmungen, die richtigerweise in der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zu verfügen gewesen wären, bei den Wegebauarbeiten vom Antragsgegner und der Beigeladenen als verbindlich erachtet und eingehalten werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof geht (Rn. 120 des Entscheidungsumdrucks) ausdrücklich davon aus, dass durch die in der Rodungserlaubnis enthaltenen Nebenbestimmungen bzw. durch die in dem Tenor seiner Entscheidung verfügten Maßgabe sichergestellt ist, dass schon vor Heilung des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheids durch einen Ergänzungsbescheid sichergestellt ist, dass während der Bauphase für die Zuwegung die Einhaltung der naturschutzfachlichen Anforderungen sichergestellt ist. Vor diesem Hintergrund könnte der hiesige Antrag nur noch dann Erfolg haben, wenn feststünde, dass Antragsgegner und Beigeladene die Nebenbestimmungen und die Maßgabe im Tenor des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ignorierten. Das ist nicht der Fall. Die Antragsschrift datiert vom 6. Februar 2023, zu diesem Zeitpunkt konnte den Beteiligten der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Februar 2023 noch nicht bekannt sein. Dass danach, trotz Kenntnis dieses Beschlusses, die Nebenbestimmungen und die Maßgabe aus dem Tenor des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht befolgt würden, ist dagegen (zwischenzeitlich) nicht geltend gemacht worden, für ein solches Verhalten bestehen auch sonst keine Anzeichen. Vielmehr zeigt die oben erwähnte E-Mail des Landratsamtes …, dass die Nebenbestimmungen beachtet werden. Andere Umstände als solche, mit denen sich der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. Februar 2023 (Az. 22 CS 22.1908) befasst, d.h. solche, die nicht vom per Konzentrationswirkung fixierten Streitgegenstand dieser Entscheidung umfasst sind, macht der gegenständliche Antrag nicht geltend.
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Daher wird der Erlass einer Zwischenverfügung abgelehnt.
10
3. Eine Kostenentscheidung und eine Streitwertfestsetzung sind bei diesem Beschluss nicht veranlasst (vgl. BayVGH, B.v. 31.5.2019 – 8 CSA 19.1073 – juris Rn. 22).