Titel:
Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft
Normenkette:
BayAufnG Art. 4 Abs. 1
Leitsatz:
Ausländer, die nicht nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes (AsylbLG) leistungsberechtigt sind, die indes infolge des Erlöschens ihres Aufenthaltstitels gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG aufgrund bestandskräftiger Ausweisung vollziehbar ausreisepflichtig und deren Aufenthalt vielmehr geduldet wird, unterfallen nicht den Regelungen des Gesetzes für die Aufnahme, Unterbringung und landesinterne Verteilung von Ausländern. (Rn. 69) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Klage (Stattgabe), Verbescheidung, Private Wohnsitznahme, Atypischer Fall, Absehen von Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft, staatliche Gemeinschaftsunterkunft, Wohnsitznahmeverpflichtung, atypischer Fall
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15543
Tenor
I.Die streitgegenständlichen Bescheide vom 14. Juli 2021 und 7. März 2022 werden aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet zur Neuverbescheidung über das Absehen von der Unterbringung der Klägerin in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts.
II.Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klagepartei vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die Klägerin, geb. am … … 1974, ist serbische Staatsangehörige. Die Klägerin ist in der L. Str. 2, … seit 1. April 2020 gemeldet.
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Sie bewohnt dort mit ihrem volljährigen deutschen Sohn E. seit dem 1. April 2020 ausweislich des von ihr im Gerichtsverfahren vorgelegten Mietvertrages eine 1,5 Zimmer-Wohnung mit Küche. Die Klägerin hat noch zwei weitere deutsche minderjährige Zwillingkinder, M. und F., geb. … 2006, die beide eine spastische Behinderung haben (siehe Bl. 58f. der vom Gericht zum Verfahren beigezogenen Behördenakte der zuständigen Ausländerbehörde der LHM München – BA-LHM). Sie wohnen, jedenfalls wochentags in der Schulzeit, in dem der dortigen Schule angegliederten Wohnheim des Integrationszentrums für Cerebralparese … (ICP-Center). An den Wochenenden wie auch während der Schulferienzeiten sind die Zwillinge auch in der Wohnung der Klägerin aufhältig; umgekehrt besucht die Klägerin die Kinder auch im ICP-Center. Sie übt ihren Umgang bzw. Sorgerecht mit den beiden Kindern aus.
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Die Klägerin wurde mit bestandskräftigem Bescheid der Landeshauptstadt München vom 21. September 2015 aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen. Die Sperrfristdauer des verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots ab Ausreise beträgt acht Jahre bei Nachweis der Straf- und Drogenfreiheit, ohne Bedingung 10 Jahre. Bereits in der Ausweisungsverfügung wurde verfügt, dass die Klägerin vorerst geduldet werde. Die Duldung wurde ausweislich der Begründung auf § 60a Abs. 2 Satz 3 AufenthG gestützt wegen der Ausübung des Sorgerechts für ihre beiden minderjährigen Kinder.
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Die Klägerin beantragte beim Beklagten mit Schreiben vom 9. Juli 2020 (Eingang 14. Juli 2020) die private Wohnsitznahme in der vorgenannten Wohnung unter Hinweis darauf, dass sie dort schon mit dem Sohn E. wohne, ihre Zwillinge im Wohnheim des ICP-Centers wohnten, sie mit ihnen regelmäßigen Kontakt habe und an den Wochenenden besuche und ein Wohnen auch der Zwillinge in dieser Wohnung beabsichtigt sei, so dass das Behalten der Wohnung für sie und die Kinder sehr wichtig sei. Sie sei im Besitz einer Duldung und ihre drei Kinder seien deutsche Staatsangehörige. Sie leide auch an Morbus Crohn und fügte ein fachärztliches Attest vom 23. April 2020 dem Antrag bei.
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Im Schreiben vom 31. August 2020 wies das für Private Wohnsitznahme zuständige Sachgebiet 14.1 der Regierung von Oberbayern die Klägerin darauf hin,
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„aufgrund Ihres ausländerrechtlichen Status (Duldung) sind Sie gemäß Art. 4 Abs. 1, Art. 1 AufnG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 AsylbLG grundsätzlich verpflichtet in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Die Gestattung der privaten Wohnsitznahme ist gemäß Art. 4 Abs. 5 Sätze 1 und 2 nur in begründeten Ausnahmefällen möglich. Ein begründeter Ausnahmefall im Sinne von Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 AufnG kann vorliegen, wenn gesundheitliche Gründe der Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft entgegenstehen und daher eine Unterbringung außerhalb einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft zwingend notwendig ist. Wir benötigen bezüglich der Entscheidung über Ihren Antrag auf private Wohnsitznahme folgende Dokumente bzw. Unterlagen (in Kopie)“.
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Die Klägerin wurde aufgefordert, Personalausweise ihrer minderjährigen Kinder, den Mietvertrag und ausführliche, aussagekräftige fachärztliche Atteste vorzulegen, die nicht älter als sechs Wochen sein dürften und die belegen, dass die Unterbringung der Klägerin in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft unzumutbar sei. Das vorgelegte Attest genüge nicht.
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Sowohl die Ausländerbehörde wie auch die für Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) zustände Behörde der Landeshauptstadt München erteilten auf Anfrage des Sachgebiets 14.1 der Regierung von Oberbayern ihr Einvernehmen bzw. Benehmen zur Gestattung des Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft und der privaten Wohnsitznahme der Klägerin. Die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt München sandte am 7. Juli 2021 den Formblatt-Fragebogen des Sachgebiets 14.1 der Regierung von Oberbayern „Unterbringung von Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) – Prüfung der Möglichkeit einer privaten Wohnsitznahme außerhalb einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft (GU) für Asylbewerber gemäß Art. 4 Abs. 3 und 4 AufnG und AMS vom 30.3.2012, AZ. V 5/6745-1/66“ mit Aufdruck der Personalien der Klägerin und Angabe „Aktuelle Meldeadresse (unerlaubt privat): L… Str. 2 …, … …“ ausgefüllt zurück. Die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt München fügte in den Formblatt-Fragebogen handschriftlich ein „Kein Asylverfahren, Einreise 1986 im Familiennachzug“, kreuzte „Nein“ bei der Frage an, ob mit einer Abschiebung in absehbarer Zeit zu rechnen sei und erläuterte dazu: „Ausweisung ohne Abschiebungsandrohung wegen Sorgerecht für minderjährige – deutsche – Kinder, daher Duldung“ und fügte zur Frage einer Verurteilung durch ein deutsches Strafgericht das „Strafrechtliche Erscheinungsbild“ als Auszug aus dem gegenüber der Klägerin ergangen Ausweisungsbescheid Seite 3 an und fügte weiter „LG München am 6.6.19, 1 Jahr 8 Monate Freiheitsstrafe wegen Beihilfe zum Handel mit Betäubungsmitteln“ an.
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Das Sachgebiets 14.1 der Regierung von Oberbayern hat außer der vorgenannten Ausweisungsverfügung nur einen AZR-Auszug vom 14. Juli 2021 vor ihrer Entscheidung vorliegend, jedoch nicht die Ausländerbehördenakte der Klägerin beigezogen.
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Mit Bescheid vom 14. Juli 2021 verfügte das Sachgebiets 14.1 der Regierung von Oberbayern gegenüber der Klägerin, ihr Antrag auf Auszug aus der staatlichen Gemeinschaftsunterkunft (private Wohnsitznahme) werde abgelehnt (Nr. 1) und forderte die Klägerin auf, sich bei der Regierung von Oberbayern, Ankunftszentrum für Flüchtlinge, M. Straße 14, 80939 München zu melden und sich in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft zuweisen zu lassen (Nr. 2). In der Bescheidsbegründung wurde ausgeführt, dass die Klägerin im Besitz einer Duldung sei und grundsätzlich verpflichtet sei, in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber zu wohnen (Art. 4 Abs. 1, Art. 1 AufnG i.V.m. § 1 Abs. 1 AsylbLG). Sie habe am 15. Juli 2020 den Verzicht auf Zuweisung in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft aus gesundheitlichen und familiären Gründen beantragt. Des Weiteren sei von Amts wegen geprüft worden, ob der Klägerin eine Gestattung der privaten Wohnsitznahme auf Grundlage des Art. 4 Abs. 3 und Abs. 4 AufnG zu erteilen sei. Zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft seien berechtigt: Familien mit minderjährigen Kindern oder Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern bei Beendigung des behördlichen Asylerstverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Alleinstehende (Einzelpersonen) bei Beendigung des Asylerstverfahrens vor dem BAMF seit mindestens vier Jahren. Diese Auszugsberechtigung finde allerdings grundsätzlich keine Anwendung auf Straftäter oder Personen, die über ihre Identität getäuscht oder nicht hinreichend an deren Klärung mitgewirkt hätten. Dies bedeute, dass ein Auszug aus der staatlichen Gemeinschaftsunterkunft in der Regel zu versagen sei, wenn die Person
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● wegen einer oder mehrerer im Bundesgebiet vorsätzlich begangener Straftaten durch ein deutsches Strafgericht rechtskräftig verurteilt worden sei, wobei Geldstrafen von insgesamt bis 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen bei Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylverfahrensgesetz nur von Ausländern begangen werden können, außer Betracht blieben,
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● vorsätzlich über ihre Identität täuscht oder nicht hinreichend an deren Klärung mitwirkt,
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● erheblich, fortgesetzt und dauerhaft gegen asylverfahrens- oder aufenthaltsrechtliche Mitwirkungspflichten verstoßen habe.
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Die Klägerin erfülle die erforderlichen Voraussetzungen nicht, da sie bisher noch keinen Asylantrag gestellt habe und somit auch kein behördliches Erstverfahren vor dem BAMF durchlaufen werden konnte. Nach Auskunft der zuständigen Ausländerbehörde der Landeshauptstadt München sei die Klägerin ursprünglich als Familiennachzug nach Deutschland gekommen. Der Klägerin sei lediglich zur Ausübung des Sorgerechts für ihre minderjährigen Kinder eine Duldung ausgestellt worden, wie sich aus der Ausweisungsverfügung vom 21. September 2015 entnehmen lasse. Ein Auszug aus der staatlichen Gemeinschaftsunterkunft könne Leistungsberechtigten nach § 1 Abs. 1 AsylbLG gemäß Art. 4 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AufnG in begründeten Ausnahmefällen gestattet werden. Ein begründeter Ausnahmefall könne nach Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 AufnG vorliegen, wenn Krankheit die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft unzumutbar mache. Hierbei sei zu beachten, dass dem Ausnahmecharakter dieses Befreiungsgrundes nur diejenigen medizinischen Fälle gerecht werden könnten, welche in besonderem Maße aus der Masse an erkrankten Bewohnern besonders hervorstechen würden. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Das vorgelegte Attest sei unzureichend für einen Beleg der Unzumutbarkeit der Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft. Andere Unterlagen wie angefordert seien nicht vorgelegt worden. Ein weiterer begründeter Ausnahmefall im Sinne von Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 AufnG könne vorliegen, wenn ein Ehepartner, Elternteil oder ein minderjähriges Kind einer Familie einen Aufenthaltsstatus besitze, der diesen Personenkreis nicht zum Wohnen in einer Gemeinschaftsunterkunft verpflichte. In ihrem Antrag habe die Klägerin angegeben, dass sie drei Kinder habe und alle die deutsche Staatsangehörigkeit besäßen. Die angeforderten Personalausweise seien hierzu nicht eingereicht worden. Der Sohn E. sei volljährig. Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 AufnG greife nur bei minderjährigen Kindern. Die Zwillinge F. und M. seien noch minderjährig. Aus der Ausweisungsverfügung gehe hervor, dass sie spastisch behindert seien und im Wohnheim des ICP-Centers in … lebten. Von einem Kindsvater sei nichts erwähnt. Die Klägerin lebe zumindest getrennt. Die minderjährigen deutschen Kinder F. und M. seien nicht verpflichtet, in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft zu wohnen. Aus den Angaben in der Ausweisungsverfügung sei rückzuschließen, dass die Zwillinge bereits seit ungefähr sechs Jahren in diesem Wohnheim seien. Ob und wie eine Rückführung der Kinder in eine normale Wohnung, von der schon seit 2015 die Rede sei, aber bislang nicht erfolgt sei, möglich sei, sei nicht erläutert worden. Sinn und Zweck des Art. 4 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 AufnG sei jedoch die Herstellung der Familieneinheit. Die minderjährigen Zwillinge seien wegen der Schwere ihrer Behinderung die letzten Jahre in einem spezialisierten Wohnheim untergebracht. Sowohl aufgrund der Erkrankung der Kinder als auch faktisch wegen der regelmäßigen Aufenthalte der Klägerin in Justizvollzugsanstalten, sei eine Familienzusammenführung zumindest in Bezug auf die Haftaufenthalte selbst verschuldet nicht möglich. Ungeachtet der Schwere der begangenen Straftaten, die das deutlich einschneidendere Mittel einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet vorsehe, sei die Klägerin selbstverschuldet anderweitig untergebracht gewesen und sie zeige bis heute keine Tendenz, dieses Verhalten zu ändern. Eine Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft stelle, im Gegensatz zu einer Justizvollzugsanstalt, kein Hindernis dar, um die bislang erfolgten Besuche der Klägerin bei den Zwillingen in der auf deren Erkrankung spezialisierten Wohneinrichtung regelmäßig durchzuführen und ihr Sorgerecht in dem Umfang auszuüben, wie es aufgrund der Erkrankung der Kinder und der von Drogen geprägten Historie der Klägerin möglich sei und gegebenenfalls von den dafür involvierten Behörden zugelassen werde. Innerhalb der Beibringungsfrist habe die Klägerin keine Nachweise eingereicht, die einen anderen Ausnahmetatbestand des Art. 4 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AufnG begründen könnten. Liege ein derartiger Ausnahmefall nicht vor, so sei bei Personen, die in einer Privatwohnung leben, regelmäßig die Rückführung in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft erforderlich. Die Entscheidung entspreche pflichtgemäßer Ermessensausübung. Gemäß Art. 4 Abs. 1 AufnG sollen Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 AsylbLG in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden, soweit sie nicht gemäß § 47 Abs. 1 AsylG verpflichtet seien, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen. Ein möglicher Auszug aus der staatlichen Gemeinschaftsunterkunft könne nur in begründeten Ausnahmefällen gestattet werden. Hierbei sei eine Abwägung der privaten Interessen der Klägerin mit dem öffentlichen Interesse, der Regelunterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft, durchzuführen. Im Weiteren wird ausgeführt, dass vorliegend das öffentliche Interesse überwiege. Auf die Bescheidsbegründung wird im Übrigen verwiesen. Der Bescheid vom 14. Juli 2021 wurde der Klägerin mit Postzustellungsurkunde am 17. August 2021 zugestellt.
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Mit Eingang am 10. September 2021 ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht München erheben und beantragte zunächst, den Bescheid des Beklagten vom 14. Juli 2021 aufzuheben. Mit Eingang am 15. März 2022 erweiterte der Bevollmächtigte der Klägerin die Klage um die Aufhebung des Bescheides des Beklagten vom 7. März 2022, der der Klageerweiterung beigefügt war.
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In diesem Bescheid vom 7. März 2022 mit Betreff „Antrag auf Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft (private Wohnsitznahme)“ gegenüber der Klägerin verfügte das Sachgebiet 14.1. der Regierung von Oberbayern, den Antrag abzulehnen (Nr. 1) und forderte die Klägerin auf, sich bei der Regierung von Oberbayern, Ankunftszentrum für Flüchtlinge, Maria-Probst- Straße 14, 80939 München zu melden und sich in eine staatliche Gemeinschaftsunterkunft zuweisen zu lassen. Auf die Ausführungen in der Bescheidsbegründung zum fehlenden Vorliegen eines Ausnahmefalls für eine Gestattung des Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft gemäß Art. 4 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AufnG und zur Ermessensausübung insoweit wird verwiesen.
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Auf die Sachstandsanfrage des Berichterstatters hin, teilte das Sachgebiet 14.1. der Regierung von Oberbayern mit Schreiben vom 11. Juli 2022 ohne Vorlage der weiter angefallenen Behördenakte mit, es sei in der Sache keine Änderung eingetreten. Auf die Ablehnung des Antrags der Klägerin mit Schreiben vom 9. Juli 2020 wird eingegangen. Weiter wird ausgeführt, die Klägerin habe mit Schreiben vom 7. Dezember 2021 erneut einen Antrag auf Gestattung eines Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft eingereicht, den sie wiederum auf Art. 4 Abs. 5 Sätze 1 und 2 Nr. 1 AufnG gestützt habe. Mit Bescheid vom 7. März 2022 sei dieser Antrag abgelehnt worden. Die zusätzlich eingereichten Gehaltsnachweise würden der Höhe nach nicht ausreichen, um alternativ eine Ausnahme nach Art. 4 Abs. 5 Sätze 1 und 2 Nr. 3 AufnG zu begründen. Weitere Ausnahme des Art. 4 Abs. 5 Sätze 1 und 2 lägen nicht vor und hätten nicht ausreichend dargelegt werden können. Die Klägerin wohne bis heute (unerlaubt) privat in der L Str. 2, München und sei bis heute noch nie einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft zugewiesen gewesen.
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Auch der Klägerbevollmächtigte teilte mit Schreiben vom 13. Juli 2022 mit, dass die Klägerin nach wie vor unter den mitgeteilten gesundheitlichen Einschränkungen leide und sich der Sachstand nach Klageerhebung letztlich nicht verändert habe.
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Auf gerichtlich Nachfrage teilte das Sozialreferat der Landeshauptstadt München über die Ausländerbehörde der Landeshauptstadt München mit, dass die Klägerin seit 1. Juli 2019 laufend Hilfeleistungen nach dem AsylbLG erhalte. Seit dem 1. Juli 2021 erhalte die Klägerin aufgrund ihres regelmäßigen Arbeitseinkommens nur aufstockende Hilfeleistungen nach dem AsylbLG. Seit dem 1. Juli 2022 würden in ihrem Hilfebedarf aufgrund der Ablehnung ihres Antrags auf Genehmigung zur privaten Wohnsitznahme keine Unterkunftskosten mehr berücksichtigt.
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Das Gericht hat am 2. März 2023 die Ausländerakte der Klägerin zum Verfahren beigezogen.
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Der Klägerbevollmächtigte teilte mit Schriftsatz vom 17. März 2023 mit, dass die Klägerin mit ihrem Sohn E. in der L str. 2, München wohne und die Zwillinge jedes Wochenende bei ihr in der Wohnung seien. Der Mietvertrag, der als Mieter neben der Klägerin deren Sohn E. aufweist, und Lohnabrechnungen der Klägerin für die Monate Dezember 2022 bis Februar 2023 wurden vorgelegt.
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Mit Beschluss vom 31. März 2023 wurde die Entscheidung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung stellt der Klägerbevollmächtigten den Antrag,
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die streitgegenständlichen Bescheide vom 14. Juli 2021 und vom 7. März 2022 aufzuheben und
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den Beklagten zur Neuverbescheidung über das Absehen von der Unterbringung der Klägerin in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten.
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Der Beklagte beantragte
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Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung wird verwiesen.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Behördenakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage hat Erfolg.
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Die streitgegenständlichen Bescheide vom 14. Juli 2021 und vom 7. März 2022 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten. Nach dem gemäß § 88 VwGO auszulegenden Klagebegehren ist dieses darauf gerichtet, den Beklagten zur Neuverbescheidung über das Absehen von der Unterbringung der Klägerin in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft unter Beachtung der Rechtsauffassung zu verpflichten. Die Klägerin hat einen Rechtsanspruch auf Neuverbescheidung über das Absehen ihrer Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft (§ 113 Abs. 5 S. 2 VwGO).
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1. Der Antrag der Klägerin auf „Gestattung des Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft“, den diese beim Beklagten stellte, ist nach vorliegender Sach- und Rechtslage als ein Antrag gerichtet auf Entscheidung bzw. Feststellung des Nichtvorliegens einer Wohnverpflichtung in der Gemeinschaftsunterkunft auszulegen.
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2. Das Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (Aufnahmegesetz – AufnG) vom 24. Mai 2002, in Kraft seit 1. Juli 2002, in der Fassung vom 9. Dezember 2022 regelt
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- in Art. 1 Abs. 1 AufnG:
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„Dieses Gesetz gilt für die Aufnahme, Unterbringung und landesinterne Verteilung von Ausländern, die nach § 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) leistungsberechtigt sind.“
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- in Art. 4 Abs. 1 AufnG:
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„Personen im Sinn des Art. 1 Abs. 1 sollen in der Regel in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden. Satz 1 findet keine Anwendung auf Leistungsberechtigte nach § 1 Abs. 1 Nr. 2und 3 AsylbLG oder solange Personen gemäß § 47 AsylbLG verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.
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- in Art. 4 Abs. 3 AufnG:
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„Zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft berechtigt sind
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1. Familien mit mindestens einem minderjährigen Kind und Alleinerziehende mit mindestens einem minderjährigen Kind nach Abschluss des behördlichen Erstverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, wenn die Abschiebung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen unmöglich ist, und
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2. Personen im Sinn des Art. 1 Abs. 1 nach Ablauf von vier Jahren nach Abschluss des behördlichen Erstverfahrens vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge,
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wenn durch den Ausländer eine anderweitige Unterkunft nachgewiesen wird, deren Aufwendungen den angemessenen Umfang nicht übersteigen und der Auszug mindestens zwei Monate vorher der zuständigen Behörde angezeigt wird. Die zuständige Behörde kann die Frist nach Satz 1 verkürzen. Familie im Sinn des Satzes 1 Nr. 1 ist die Lebensgemeinschaft von zwei Personen, die die Personensorge ausüben.“
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- in Art. 4 Abs. 4 AufnG:
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„Abs. 3 findet keine Anwendung auf
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1. Personen, die wegen einer oder mehrerer im Bundesgebiet vorsätzlich begangener Straftaten durch ein deutsches Strafgericht rechtskräftig verurteilt wurden, wobei Geldstrafen von insgesamt bis zu 50 Tagessätzen oder bis zu 90 Tagessätzen wegen Straftaten, die nach dem Aufenthaltsgesetz oder dem Asylgesetz nur von Ausländern begangen werden können, grundsätzlich außer Betracht bleiben, oder
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2. Personen, die vorsätzlich über ihre Identität täuschen oder nicht hinreichend an der Klärung ihrer Identität mitwirken und hierdurch die Aufklärung ihrer Identität erheblich erschweren oder sonst erheblich, fortgesetzt und dauerhaft gegen asylverfahrensrechtliche oder aufenthaltsrechtliche Mitwirkungspflichten verstoßen haben.
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In diesen Fällen findet eine Einzelfallprüfung statt.“
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- in Art. 4 Abs. 5 AufnG:
49
„In begründeten Ausnahmefällen kann die zuständige Behörde den Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft gestatten. Ein begründeter Ausnahmefall liegt insbesondere vor, wenn
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1. Krankheit die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft unzumutbar macht,
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2. auf Grund Schwangerschaft die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft unangemessen ist,
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3. Personen im Sinn des Art. 1 Abs. 1 über ein so hohes Erwerbseinkommen oder Vermögen verfügen, dass sie den gesamten Lebensunterhalt für sich oder, sofern sie eine Familie haben, ihre Familie tragen können oder
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4. Ehepartner oder Eltern und ihre minderjährigen Kinder über unterschiedliche ausländerrechtliche Status verfügen und mindestens eine Person auf Grund ihres Aufenthaltsstatus zum Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft berechtigt ist.
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Ein begründeter Ausnahmefall liegt in der Regel nicht vor bei Personen, die nicht im Besitz gültiger Pässe sind, obwohl sie in zumutbarer Weise einen Pass erlangen könnten, oder bei der Beschaffung von Heimreisedokumenten nicht mitwirken. Die Gestattung ist unter dem Vorbehalt des Widerrufs zu erteilen.“
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3. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Beschluss vom 19. November 2003, Az. 4 CS 03.2466 – juris- aus:
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a) Das Aufnahmegesetz (Gesetz über die Aufnahme und Unterbringung der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz – AufnG – vom 24. Mai 2002, GVBl. S. 192) und die u.a. auf dessen Grundlage erlassene Asyldurchführungsverordnung (Verordnung zur Durchführung des Asylverfahrensgesetzes, des Asylbewerberleistungsgesetzes und des Aufnahmegesetzes – DVAsyl – vom 4. Juni 2002, GVBl. S. 218) sind auf die Antragsteller anzuwenden. Als geduldete Ausländer sind sie gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG leistungsberechtigt, woran Art. 1 AufnG anknüpft.
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b) Die in der Zuweisungsentscheidung vom 8. Oktober 2003 enthaltene Umzugsaufforderung findet ihre Rechtsgrundlage in Art. 4 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2 AufnG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 2 DVAsyl. Danach kann der Leistungsberechtigte aus Gründen des öffentlichen Interesses aufgefordert werden, in eine andere Unterkunft oder in eine Gemeinschaftsunterkunft umzuziehen. Die materiellrechtliche Voraussetzung des öffentlichen Interesses konkretisiert der Verordnungsgeber in § 8 Abs. 5 DVAsyl dahingehend, dass er insbesondere auf die Regelung des Art. 4 Abs. 1 und 4 AufnG verweist. Dort ist die gesetzgeberische Grundentscheidung niedergelegt, dass alle Leistungsberechtigten, die sich nach dem normativen Leitbild des Gesetzes nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhalten, „im Interesse eines landesweit einheitlichen Vollzuges“ (LT-Drs. 14/8632, S. 6) in der Regel in staatlichen Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden sollen. Gemäß Art. 4 Abs. 4 AufnG kann abweichend von dieser Grundregel im begründeten Ausnahmefall der Auszug aus der Gemeinschaftsunterkunft gestattet werden; der Gesetzgeber ist davon ausgegangen, dass diese „aus Kostengründen absolute Ausnahme“ wichtige Gründe voraussetzt wie z.B. Krankheit eines Familienmitglieds oder die auf Dauer gesicherte Möglichkeit der Bestreitung des Lebensunterhalts aus eigenen Mitteln (LT-Drs. 14/8632 a.a.O.).
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Formell erklärt § 8 Abs. 4 DVAsyl [a.F.; jetzt § 9 Abs. 4 DVAsyl] durch Rückgriff auf die Vorschrift des § 7 Abs. 4 Satz 2 DVAsyl [a.F.; jetzt § 7 Abs. 2 Satz 4 DVAsyl] hinsichtlich Form, Begründung und Bekanntgabe der Umzugsaufforderung die Regelungen des § 50 Abs. 4 und 5 AsylVfG für anwendbar. Danach bedarf die Anordnung weder einer vorhergehenden Anhörung noch einer Begründung. Daher geht die Rüge, die Antragsteller seien vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids nicht angehört worden, ins Leere.
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Diese spezialgesetzlichen Abweichungen von Art. 28 und 39 BayVwVfG ändern jedoch nichts an der Struktur der materiellen Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 AufnG als einer vom Gesetzgeber vorgeprägten Ermessensentscheidung: Durch die Betonung des „in der Regel“ und die verdichtete Normverknüpfung „soll“ ist die gesetzliche Rechtsfolgenanordnung für die Behörde im Regelfall rechtlich zwingend und steht einer gebundenen Anordnung gleich. Im Regelfall bedeutet das „soll“ ein „muss“. Nur bei Vorliegen atypischer Umstände darf die Behörde anders als im Gesetz vorgesehen verfahren und den Ausnahmefall nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (vgl. BVerwGE 90, 275/278; 56, 220/223; 49, 16/23); die Frage, ob ein Regel- oder Ausnahmefall vorliegt, unterliegt voller gerichtlicher Kontrolle. Sie bestimmt sich unter Beachtung des Normzwecks nach dem Gewicht der kollidierenden öffentlichen und privaten Interessen; in diese nach Verhältnismäßigkeitsaspekten gesteuerte, voll justiziable Abwägung fließen grundrechtliche Wertungen mit ein, soweit ihnen nicht bereits durch den Normgeber Rechnung getragen wurde (vgl. § 8 Abs. 6 DVAsyl [a.F.; jetzt § 9 Abs. 6 DVAsyl] zur Haushaltsgemeinschaft zwischen Ehegatten sowie Eltern und ihren minderjährigen Kindern und sonstigen humanitären Gründen von gleichem Gewicht).
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(Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 19. November 2003 – 4 CS 03.2466 –, Rn. 7 – 10, juris)
61
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof führt in seinem Urteil vom 23. Januar 2009, Az. 21 BV 08.30134 – juris – aus:
62
Der Kläger ist Inhaber einer Duldung (§ 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG) und gehört somit unstreitig zu dem Personenkreis, der in einer Gemeinschaftsunterkunft untergebracht werden soll. Die Behörde ist damit grundsätzlich verpflichtet, die Unterbringung vorzunehmen, ohne dass für sie ein Ermessenspielraum besteht. Liegt dagegen kein Regelfall, sondern ein begründeter Ausnahmefall im Sinn des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 AufnG vor, so ist für die Behörde ein Ermessensspielraum für ihre Entscheidung über die Gestattung des Auszugs aus einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft oder, wenn wie hier, der Betroffene noch nicht in einer solchen untergebracht ist, über das Absehen von der Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft eröffnet. Die Frage, ob der Regelfall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG oder ein begründeter Ausnahmefall nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 AufnG vorliegt, ist dabei eine tatbestandliche Rechtsfrage, die der vollen Überprüfung durch die Verwaltungsgerichte unterliegt. Denn bei der Voraussetzung „begründeter Ausnahmefall“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der für die Behörde keinen Beurteilungsspielraum enthält, sondern aufgrund der gegebenen Umstände des Einzelfalls nach objektiven Kriterien zu beurteilen ist.
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(Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 23. Januar 2009 – 21 BV 08.30134 –, Rn. 13, juris)
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4. Unter Zugrundelegung der vorgenannten obergerichtlichen Rechtsprechung ist bei der vorliegenden Sachlage, die sich insbesondere aus der beigezogenen Ausländerakte ergibt, vorliegend ein atypischer Fall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG gegeben. Der Beklagte hat eine Ermessensentscheidung zu treffen über das Absehen / Nichtabsehen von der Unterbringung der Klägerin in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft.
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Die Feststellung des Vorliegens eines atypischen Falls nach Art. 4 Abs. 1 AufnG trifft das Gericht in Ausübung voller gerichtlicher Kontrolle. Die Frage, ob ein Regelfall oder Ausnahmefall vorliegt, bestimmt sich unter Beachtung des Normzwecks nach dem Gewicht der kollidierenden öffentlichen und privaten Interessen; in diese nach Verhältnismäßigkeitsaspekten gesteuerte, voll justiziable Abwägung fließen grundrechtliche Wertungen mit ein, denen der Normgeber nicht, noch nicht oder nicht in diesem Umfang Rechnung getragen hat.
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4.1. Der Beklagte hat das Vorliegen eines atypischen Falls nach Art. 4 Abs. 1 AufnG nicht einmal im Ansatz erkannt. Der Beklagte hat zwar erkannt, dass die Klägerin als Geduldete (nur mehr) nach § 1 AsylbLG leistungsberechtigt ist. Er hat aber nicht erkannt, dass die in Art. 4 Abs. 1 und Abs. 4 AufnG niedergelegte gesetzgeberische Grundentscheidung, dass alle Leistungsberechtigten, die sich nach dem normativen Leitbild des Gesetzes nur vorübergehend im Bundesgebiet aufhalten, auf die Klägerin bereits deshalb nicht zutrifft, denn die vorliegende Fallgestaltung der Klägerin ist kein Regelfall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG; als Ausnahmefall unterliegt er deshalb der pflichtgemäßen Ermessensentscheidung der Behörde nach Art. 4 Abs. 1 AufnG über das Absehens von der Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft im Rahmen des für die Behörde bestehenden Ermessensspielraums. Der Antrag der Klägerin „auf Gestattung des Auszugs aus der Gemeinschaftsunterkunft“ ist als „formloser (verzichtbarer) Antrag“ auf Absehen von der Unterbringung in einer staatlichen Gemeinschaftsunterkunft im Rahmen des für die Behörde bestehenden Ermessensspielraums anzusehen.
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4.2. Die Fallgestaltung der Klägerin ist kein Regelfall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG, sondern ein atypischer Fall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG.
68
Hinsichtlich der Beurteilung des Vorliegens eines Ausnahmefalls ist allgemein zu sehen, dass sich auch aus der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Januar 2009 – 21 BV 08.30134 – juris Rn. 17 keine außergewöhnliche Schwellenhöhe ergibt.
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Zu dem nach Art. 1 AufnG dem Aufnahmegesetz unterfallenden Personenkreis der nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 AsylbLG Leistungsberechtigten sind bezüglich Art. 4 Abs. 1 AufnG regelhaft diejenigen Personen zu zählen, deren Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht auf einem negativ entschiedenen Asylverfahren beruht und diesem Verfahrensausgang nachfolgender Aussetzung der Abschiebung. Diesem Personenkreis gehört die Klägerin nicht an. Bereits deshalb liegt im vorliegenden Fall ein Ausnahmefall vor.
70
Die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht der Klägerin beruht nicht auf einem negativ entschiedenen Asylverfahren und diesem Verfahrensausgang nachfolgender Aussetzung der Abschiebung. Die Klägerin ist vielmehr infolge des Erlöschens ihres Aufenthaltstitels gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG aufgrund bestandskräftiger Ausweisung vollziehbar ausreisepflichtig und ihr Aufenthalt wird geduldet, respektive ihre Abschiebung aus verfassungsrechtlichen Gründen des Art. 6 Grundgesetz ausgesetzt (vgl. § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG).
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4.3. Bei einer Sachverhaltskonstellation, bei der die Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht nicht (unmittelbar) auf einem negativ entschiedenen Asylverfahren beruht und diesem Verfahrensausgang unmittelbar nachfolgend eine Aussetzung der Abschiebung getroffen wurde, ist der Beklagte ohne Beiziehung der jeweiligen Ausländerakte und Kenntnis über die Entwicklung bis zum aktuellen Sachstand und ggf. der Sachstandseinholung bei der für die Leistungsgewährung nach dem AsylbLG zuständigen Leistungsbehörde schlichtweg nicht in der Lage, die für den vorliegenden Ausnahmefall nach Art. 4 Abs. 1 AufnG anstehende Ermessensentscheidung zu treffen.
72
Hinzutretend und klarstellend ist zu betonen, dass bei der vorliegend vorzunehmenden Abwägung im Rahmen der Ermessensentscheidung sich die Klägerin im Hinblick auf ihre deutschen Kinder und der mit ihnen gepflegte Umgang nicht auf die Einhaltung des in § 9 Abs. 6 DVAsyl normierten Schutzniveaus und Schutzumfangs verweisen lassen muss oder beschränkt werden kann. Insbesondere darf der Beklagte weder die mit dem volljährigen deutschen Kind in der Wohnung gelebte Lebensgemeinschaft noch die mit den minderjährigen Kindern gelebte, auf Grund deren Behinderung benötigte regelmäßige Wohnform im Schulinternat und damit atypische gelebte Lebensgemeinschaft mit der Klägerin in deren Wohnung bei seiner Ermessensentscheidung außer Acht lassen.
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Im Rahmen der Auswertung der Ausländerakte und Anhörung der Klägerin ist zu auch ermitteln, wer in welchem Umfang für die Mietkosten aufkommt und in welchem Umfang überhaupt öffentliche Mittel in diesem Zusammenhang in Anspruch genommen werden. Des Weiteren ist auch abzuschätzen, ob und zu welchem Zeitpunkt mit einem Ende der Sperrfristdauer der Ausweisung (z.B. durch deren auf Null-Setzung) zu rechnen und ob einhergehend damit mit einer Veränderung des Aufenthaltsstatus und Wegfall des Unterfallens unter den Kreis der Leistungsberechtigten nach dem Asylbewerberleistungsgesetz zu rechnen ist.
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5. Der Klage war mit der Kostenfolge aus § 154 VwGO stattzugeben.
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Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.