Inhalt

VG München, Urteil v. 19.01.2023 – M 27 K 20.6017
Titel:

Heilpraktikererlaubnis, Sektorale Heilpraktikererlaubnis, Beschränkung auf Gebiet der Osteopathie, Kein eigenständiges und abgrenzbares Berufsbild, Staatlich akkreditierte Studiengänge

Normenketten:
GG Art. 12
HeilprG § 1 Abs. 1
HeilprG § 2 Abs. 1
DVO-HeilprG § 2 Abs. 1 S. 1 1.
Schlagworte:
Heilpraktikererlaubnis, Sektorale Heilpraktikererlaubnis, Beschränkung auf Gebiet der Osteopathie, Kein eigenständiges und abgrenzbares Berufsbild, Staatlich akkreditierte Studiengänge
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1537

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt vom Beklagten eine auf den Bereich der Osteopathie beschränkte sektorale Heilpraktikererlaubnis ohne Kenntnisprüfung.
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Zur Begründung seines am 4. Dezember 2019 gestellten Erlaubniserteilungsantrags führte der Kläger aus, an der staatlich anerkannten D. International University erfolgreich den Bachelorstudiengang „Osteopathische Medizin“ und den Masterstudiengang „Osteopathische Therapie“ absolviert zu haben. Dabei handele es sich um ein 5-jähriges Vollzeitstudium, in dem sowohl osteopathische, als auch wissenschaftliche Inhalte und Kenntnisse vermittelt und durch zahlreiche theoretische und praktische Prüfungen getestet würden. Unter Verweis auf ein stattgebendes Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 18. Dezember 2018 (M 27 K 17.693) zu einer sektoralen Heilpraktikererlaubnis, beschränkt auf den Bereich der Chiropraktik, wurde dargelegt, dass nach den dort dargestellten Kriterien zur Abgrenzbarkeit des Berufs- und Tätigkeitsfeldes eine Abgrenzbarkeit auch für Bereich der Osteopathie bestehe. Somit sei ihm – aufgrund seiner Studienabschlüsse auch ohne Kenntnisprüfung – eine sektorale Heilpraktikererlaubnis, beschränkt auf das Gebiet der Osteopathie, zu erteilen.
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Das Landratsamt M. am I. (Landratsamt) lehnte den Antrag mit Bescheid vom 16. März 2020 ab. Zur Begründung verwies es auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 10. Oktober 2019 (Az. 3 C 15.17), nach dem der Bereich der Osteopathie kein abgrenzbares Berufsfeld darstelle.
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Den gegen den Bescheid mit Schreiben vom 6. April 2020 erhobenen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass die dem genannten Urteil des BVerwG zugrunde gelegten Feststellungen aus dem Jahr 2017 stammten. Somit seien die neueren Entwicklungen der letzten Jahre nicht berücksichtigt worden, in denen sich das Berufsbild des Osteopathen weiter konkretisiert habe und ein entsprechendes Berufsgesetz gefordert sowie demnächst erarbeitet werden solle. Ein Berufsgesetz sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht erforderlich, wenn sich die Tätigkeit anhand eines vergleichbar fest umrissenen, abgrenzbaren Berufsbilds bestimmen lasse. Das Berufsbild des Osteopathen sei in den letzten Jahren durch verschiedene Berufsverbände und die WHO konkretisiert worden. Auch in anderen EU-Mitgliedsstaaten würden entsprechende Berufsgesetze verabschiedet. Zudem würden einschlägige Studiengänge stattlich anerkannt und akkreditiert.
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Mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 22. Oktober 2020 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass in der Sache die zur sektoralen Erlaubnis erforderliche Ausdifferenziertheit und Abgrenzbarkeit nicht gegeben sei. Unter Verweis auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 10.10.2019 – 3 C 17.17 – Rn. 23) gebe es keine einheitliche Definition der Osteopathie, die allgemein anerkannt und verbindlich sei. Auch fehle es an einheitlichen Vorgaben für die Ausbildung zum Osteopathen.
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Hiergegen ließ der Kläger am 20. November 2020 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragen,
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den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 16. März 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Oktober 2020 die Erlaubnis der berufsmäßigen Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung beschränkt auf das Gebiet der Osteopathie ohne Kenntnisprüfung zu erteilen.
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Zur Begründung der Klage wird im Wesentlichen weiter ausgeführt, dass sich der Lerninhalt in den vom Kläger absolvierten, in Zusammenarbeit mit dem vom Holistea Collegue Osteopathie European angebotenen Studiengängen streng an der vorgegeben Studienordnung der D. International University, einer staatlich anerkannten Zweigstelle der Technischen Universität Dresden, orientiere. Der Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids sei rechtswidrig. Der Kläger habe einen Anspruch auf die begehrte sektorale Heilpraktikererlaubnis ohne Kenntnisprüfung. Er habe durch Absolvierung von Studium und den enthaltenen Prüfungen eine umfangreiche Kenntnisprüfung für den Bereich der Osteopathie abgelegt. Der Kläger habe zusätzlich die Berechtigung zum Tragen des Titels „Osteopath DO Holistea“ erworben, der in Frankreich direkt zur Berufsausübung berechtige. Das Berufsbild und Tätigkeitsfeld des Klägers beschränke sich allein auf die in dem Studium erworbenen Kenntnisse und Behandlungsmethoden. Für ihn sei daher klar abgrenzbar, welche Behandlungsmethoden dem Bereich Osteopathie zuzuordnen seien bzw. auf welche Krankheitsbilder bzw. Symptomatik sich seine Fähigkeit beschränke. Er wolle ausschließlich die im Studium erlernten Fähigkeiten anwenden. Die absolvierte Ausbildung bzw. die Prüfungen entsprächen auch den Anforderungen an eine entsprechend sektorale Kenntnisprüfung. Die in den Leitlinien zur Überprüfung von Heilpraktikeranwärterinnen und - anwärtern festgelegten Kriterien würden auch im Rahmen des Studiums geprüft. Die einzelnen in den Leitlinien enthaltenen Anforderungen seien ausweislich der Studienordnung durch die Absolvierung des Studiums erfüllt. Der Bereich der Osteopathie sei auch klar abgrenzbar und hinreichend ausdifferenziert. Eine gesetzliche Regelung hinsichtlich der Zulassung des Osteopathen fehle zwar, sei für die Abgrenzbarkeit und Ausdifferenziertheit aber nicht erforderlich. Es habe sich zwischenzeitlich ein für die Erlaubniserteilung ausreichendes, in vergleichbarer Weise fest umrissenes, abgrenzbares Berufsfeld herausgebildet. Eine Veröffentlichung der World Health Organisation (WHO) aus dem Jahr 2010 enthalte eine Definition für den Bereich der Osteopathie. Anhand dieser Definition sei die DIN-Norm „Osteopathische Gesundheitsversorgung; Deutsche Fassung EN 16686:2015“ für Qualitätskriterien in der Osteopathie festgelegt worden. Auf europäischer Ebene bestünden zahlreiche Berufsverbände wie etwa „The International Academy of Osteopathie“ (IAO), die auf internationaler Ebene zusammenarbeiten, die Entwicklungen in verschiedenen Ländern zusammentragen und einheitliche Qualitätsstandards herauszuarbeiten versuchen würden. Die Definition der IAO stimme inhaltlich mit der Definition der WHO überein. Die europaweit stattfindende Bewegung zur Qualitätssicherung bzw. Vereinheitlichung zeige sich auch durch die Umsetzung des Bologna-Prozesses und damit im Erhalt akkreditierter Studienabschlüsse. Auch in Deutschland gebe es mehrere Berufsverbände für Osteopathen wie etwa den „Verband der Osteopathen Deutschland e.V.“ (VOD), die „Bundesarbeitsgemeinschaft Osteopathie e.V.“ (BAO), die „Konsensgruppe Osteopathie Deutschland“ (KOD), die ebenfalls von einer weitgehend einheitlichen, auf der Definition der WHO basierenden Definition des Tätigkeitsbereichs ausgehen würden. Jedenfalls im Bereich der akademisch ausgebildeten Osteopathen habe sich ein einheitliches Verständnis der Osteopathie herausgebildet. Es bestehe Einigkeit, dass es sich um eine eigenständige Behandlungs- und Diagnoseform handele, die auf einer ganzheitlichen Betrachtung des Körpers basiere und ausschließlich mit manuellen Therapien und Behandlungsmethoden versuche, die Selbstregulation des Körpers zu unterstützen. Auch bei Fort- und Weiterbildungen für Ärzte werde weitgehend von der Definition der WHO ausgegangen. So wolle auch die „Ärztegesellschaft für Osteopathie e.V.“ (Dägo) einen Facharzttitel für Osteopathie initiieren und gehe dabei von einer der WHOentsprechenden Definition aus. Weiter gebe es Forderungen nach einem Berufsgesetz sowie die staatliche Anerkennung von Studiengängen für Osteopathie. So biete auch die private Hochschule Fr., die Internationale Studien- und Berufsakademie (ISBA) sowie die Hochschule für gesundheitsorientierte Wissenschaften Rh.-N. ein Studium der Osteopathie an. Zudem etabliere sich der Bereich der Osteopathie als wissenschaftliche Disziplin und Forschungsbereich. Daraus ergebe sich im Rückschluss, dass eine Abgrenzung zu anderen Behandlungsmethoden für die wissenschaftliche Forschung unabdingbar sei. Des Weiteren sei der Zugang zur unbeschränkten Kenntnisprüfung im Landkreis München derzeit wegen nur zweimal jährlichem Stattfinden, begrenzten Teilnehmerzahlen sowie pandemiebedingten Absagen von Prüfungsterminen erschwert, sodass aktuell Absolventen mit staatlich anerkanntem Abschluss keine Möglichkeit hätten, ihren Beruf auszuüben. Weiter wird vorgetragen, dass in tatsächlicher Hinsicht durch die deutschland- und europaweit bestehenden akademischen Berufsmöglichkeiten ein einheitliches Berufsbild bestehe, aufgrund dessen in der Praxis die erforderliche Abgrenzbarkeit gegeben sei. Zudem werde auf ein Rechtsgutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit von Prof. Dr. C. S. vom 21. April 2021 verwiesen, der bei der Erstellung im Auftrag des Bundesministeriums für Gesundheit zu dem Schluss gekommen sei, dass das Bundesverwaltungsgericht an die Feststellungen der Vorinstanz gebunden gewesen sei. Jedoch sei die Tatsachenlage inzwischen anders zu beurteilen. So sei der Bachelorstudiengang im Jahr 2016 akkreditiert und der Masterstudiengang im Jahr 2017 staatlich anerkannt worden.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen vorgetragen, dass das Berufsbild des Osteopathen anders als die Psychotherapie und Logopädie bislang nicht gesetzlich geregelt sei. Auch nach einer Beurteilung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom 30. Januar 2020 sei der Beruf des Osteopathen nicht eindeutig definierbar.
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In der mündlichen Verhandlung am 19. Januar 2023 macht der Kläger zusätzlich geltend, dass er – anders als wohl im Fall des BVerwG vom 10. Oktober 2019 (3 C 15.17) – nicht nur ein Teilzeit-, sondern ein fünfjähriges Vollzeitstudium absolviert habe.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die vorgelegte Behördenakte sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19. Januar 2023.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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I. Der Ablehnungsbescheid in der Form des Widerspruchsbescheids ist rechtmäßig und nicht rechtsverletzend (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf die begehrte sektorale, auf den Bereich der Osteopathie beschränkte Heilpraktikererlaubnis ohne Kenntnisprüfung.
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1. Anspruchsgrundlage für eine sektorale Heilpraktikererlaubnis ist § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung (Heilpraktikergesetz) vom 17. Februar 1939, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2016, BGBl. I S. 3191 (HeilprG). Danach bedarf der Erlaubnis, wer die Heilkunde ausüben will, ohne als Arzt bestallt zu sein. Auf die Erteilung der Erlaubnis besteht ein Rechtsanspruch, wenn kein – rechtsstaatlich unbedenklicher – Versagensgrund nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der Ersten Durchführungsverordnung zum Gesetz über die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde ohne Bestallung vom 18. Februar 1939, zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2016, BGBl. I, S. 3191 (1. DVO-HeilprG) besteht. Ausübung der Heilkunde nach § 1 Abs. 2 HeilprG ist jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden beim Menschen. Wegen der mit dem Erlaubniszwang verbundenen Beschränkung der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG fallen darunter nur solche Heilbehandlungen, die heilkundliche Fachkenntnisse erfordern und gesundheitliche Schäden verursachen können, wobei ein nur geringfügiges Gefährdungspotential nicht ausreicht (vgl. BVerwG, U.v. 10.10.2019 – 3 C 15.17 – juris Rn. 9 f.; so auch in den Parallelentscheidungen v. 10.10.2019 – 3 C 16.17, 3 C 17.17 – juris jeweils Rn. 9 f.).
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Die nach § 1 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 HeilprG zur Ausübung erforderliche Erlaubnis ist grundsätzlich teilbar. Wenn eine Antragstellerin oder ein Antragsteller die Heilkunde nur auf einem abgrenzbaren Gebiet ausüben will, dessen Tätigkeitsumfang hinreichend ausdifferenziert ist, genügt, unter Berücksichtigung der Freiheit der Berufsauswahl gem. Art. 12 Abs. 1 GG, eine auf dieses Gebiet beschränkte Erlaubnis auszusprechen, solange sichergestellt ist, dass die Antragstellerin bzw. der Antragsteller die Grenzen seines Könnens kennt und beachtet (vgl. BVerwG, U.v. 10.10.2019 – 3 C 15.17 – juris Rn. 13 f.). Die für die Erteilung einer sektoralen Heilpraktikererlaubnis erforderliche Ausdifferenziertheit und Abgrenzbarkeit eines beantragten Tätigkeitssektors ist gegeben, wenn sich der Umfang der erlaubten Heiltätigkeit klar bestimmen und von anderen Bereichen der Heilkunde abgrenzen lässt. In der Praxis dürfen keine Unklarheiten darüber bestehen, ob eine konkrete Behandlungsmaßnahme zu den betreffenden Tätigkeitsgebiet zählt oder nicht. Es muss eindeutig sein, welche Behandlungsmethoden und Therapieformen vom Gebiet umfasst werden und zur Behandlung welcher Krankheiten sie eingesetzt werden. Die Zuerkennung einer sektoralen Heilpraktikererlaubnis ist daher nur möglich, soweit sich auf dem Gebiet der Heilkunde ein eigenständiges und abgrenzbares Berufsfeld herausgebildet hat (vgl. BVerwG, U.v. 10.10.2019 – 3 C 15.17 – juris Rn. 16). Da eine sektorale Heilpraktikererlaubnis zur bundesweiten Berechtigung zur Ausübung der (gebietsbeschränkten) Heilkunde berechtigt, bedarf es einer bundeseinheitlichen Ausdifferenziertheit. Denn nur dann können ortsunabhängig in der Praxis keine Unklarheiten darüber aufkommen, ob eine bestimmte Maßnahme zur Osteopathie zählt oder nicht (vgl. VG Stuttgart, U.v. 26.1.2017 – 4 K 5923/15; 4 K 5924/15; 4 K 5925/15 – juris Rn. 25).
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2. Die vom Kläger beabsichtigte eigenverantwortliche Anwendung osteopathischer Behandlungsmethoden ohne ärztliche Verordnung stellt unstreitig Ausübung der Heilkunde dar und ist somit erlaubnisbedürftig. Ein eigenständiges und abgrenzbares Berufsbild für das Gebiet der Osteopathie besteht jedoch nicht, sodass die Voraussetzungen für die Erteilung einer sektoralen Heilpraktikererlaubnis nicht vorliegen. Die Kammer folgt insoweit der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts (U. v 10.10.2019 – 3 C 15.17; 3 C 16.17; 3 C 17.17 – juris) sowie des Verwaltungsgerichts Stuttgart als Vorinstanz (U.v. 26.1.2017 – 4 K 5923/15; 4 K 5924/15; 4 K 5925/15 – juris). Anlass zur Annahme einer relevanten Änderung der Sachlage für den Bereich der Osteopathie sowie deren rechtliche Bewertung besteht nicht.
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a. Zum Entscheidungszeitpunkt der mündlichen Verhandlung besteht – gleichlaufend zur bundesverwaltungsgerichtlichen Fallgestaltung (vgl. BVerwG, U.v. 10.10.2019 – 3 C 15.17 – juris Rn. 17-19) – weder eine bundesgesetzliche Fixierung des Berufsbildes der Osteopathie noch handelt es sich nach § 2 Abs. 1 Satz 2 der Heilmittel-Richtlinie (in der Fassung der letzten Änderung vom 15.9.2022, veröffentlicht im Bundesanzeiger (BAnz AT 08.12.2022 B2), in Kraft getreten am 1.1.2023) bei der Osteopathie um ein gesetzlich vorgesehenes Heilmittel der gesetzlichen Krankenversicherung.
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b. Unabhängig davon, ob sich vor dem Hintergrund des Schutzes der Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG eine erforderliche Ausdifferenziertheit und Abgrenzbarkeit eines bestimmten Gebiets der Heilkundeausübung überhaupt ohne ein gesetzlich fixiertes Berufsbild ergeben kann (offengelassen in BVerwG, U.v. 10.10.2019 – 3 C 15.17 – juris Rn. 20-22), liegt zur Überzeugung der Kammer auch zum Entscheidungszeitpunkt in der Praxis kein selbstständiges und abgrenzbares Berufsbild der Osteopathie vor. Zwar stellt die Kammer die individuellen Studienleistungen des Klägers nicht in Abrede. Objektiv werden die Anforderungen an ein abgrenzbares Berufsfeld aber nicht erfüllt.
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aa. Denn für den Bereich der Osteopathie bestehen Unklarheiten darüber, ob eine konkrete Behandlungsmaßnahme zu dem betreffenden Tätigkeitsgebiet zählt oder nicht. Nach dem von der Klägerseite in Bezug genommenem Rechtsgutachten vom 21. April 2021 gelingt eine Typisierung des Berufsfelds der Osteopathie anhand der Behandlungsmethoden nicht (vgl. S. 194, 197 unter Nr. 5.2). Deshalb ist eine Abgrenzung der Osteopathie zur Chiropraktik bzw. Chirotherapie nicht immer möglich.
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bb. Es ist zudem nicht hinreichend eindeutig, welche Behandlungsmethoden und Therapieformen von der Osteopathie umfasst werden und zur Behandlung welcher Krankheiten, Leiden und Beschwerden sie eingesetzt werden. Aus den klägerseitig vorgelegten Definitionsansätzen ergibt sich nicht hinreichend eindeutig, welche Behandlungsmethoden und Therapieformen vom Gebiet der Osteopathie umfasst und zur Behandlung welcher Krankheiten, Leiden und Beschwerden sie eingesetzt werden. Soweit die Definitionen ihrem Inhalt nach in Übereinstimmung gebracht werden können, stellt sich die Osteopathie als ganzheitlicher Behandlungsansatz durch (überwiegend) manuelle Behandlung dar. So spricht die WHO davon, dass sich die Osteopathie auf manuellen Kontakt für Diagnose und Behandlung stütze […], wobei eine Vielzahl von therapeutischen manuellen Techniken verwendet werde (Osteopathy (also called osteopathic medicine) relies on manuel contact for diagnosis and treatment. […] Osteopathic practitioners use a wide variety of therapeutic manuel techniques […].). Zumindest insoweit inhaltlich übereinstimmend stellt die IAO die Osteopathie als ein „manuelles Untersuchungs- und Behandlungsverfahren für Bewegungsapparat, Organe und Gewebe im Körper“ dar. Im Wesentlichen identisch geht der VOD von einer „ganzheitlichen Form der Medizin“ aus, „in der Diagnostik und Behandlung mit den Händen erfolgen“. Auch der BAO-Definitionsansatz geht von einem „ganzheitlichen Ansatz“ aus, wobei die Diagnose alle Körperbereiche mit einbeziehe; ebenso die KOD, die von einer Untersuchung und Behandlung mit den Händen spricht und die Gesamtsituation bzw. der Gesundheitszustand unter Einbeziehung der individuellen Ressourcen umfassend beurteilt werde. Die Osteopathie lässt sich somit nach ihrem Selbstverständnis nicht in ihrem Tätigkeitsumfang definieren (vgl. so auch VG Braunschweig, U.v. 18.8.2022 – 1 A 145/20 – juris Rn. 39). Aufgrund der Verfolgung eines ganzheitlichen Ansatzes kann die Osteopathie somit mangels Beschränkung auf bestimmte Krankheiten, Leiden und Beschwerden nicht hinreichend trennscharf von Behandlungsmethoden anderer Bereiche der Heilkunde abgegrenzt werden. Ebenfalls zu diesem Ergebnis kommt das von der Beklagtenseite in Bezug genommene Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestags vom 20. Dezember 2019 (Az. WD 9 – 3000 – 091/19, S. 1): Demnach ist die Osteopathie international weder eindeutig definiert, noch existiert ein eigenständiges Berufsbild Osteopath.
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cc. Eine hinreichende Abgrenzbarkeit der Osteopathie zu anderen Tätigkeitsfeldern der Heilpraktikerausübung ergibt sich auch nicht aus den sonstigen in der verwaltungsgerichtlichen Praxis herangezogenen Kriterien, nämlich, ob es im Bundesgebiet Institutionen wie insbesondere Berufsverbände gibt, die einheitliche Antworten auf die Fragen an Prüfung, Fortbildung und Berufsbild des betreffenden Gebiets der Heilkunde geben und ob es im Bundesgebiet Ausbildungsstätten gibt (vgl. VG München, U.v. 18.1.2018 – M 27 K 17.693 – juris Rn. 31 m.w.N.).
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Die vom Kläger geltend gemachte Ausbildungssituation, insbesondere in Form von staatlicher Akkreditierung von (Vollzeit-)Studiengängen an staatlich anerkannten privaten Hochschulen führt nicht zu einem bundesweit einheitlichen Berufsbild.
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Die staatliche Anerkennung von nicht staatlichen Hochschulen erfolgt gem. § 70 Abs. 1 des Hochschulrahmengesetzes grundsätzlich durch nähere Bestimmungen des Landesrechts. In Bayern erfolgt die staatliche Anerkennung gem. Art. 102 Abs. 3 Satz 1 und 2 Nr. 1 des Bayerischen Hochschulinnovationsgesetzes dann, wenn die Qualität der angebotenen Bachelor- und Masterstudiengänge durch Akkreditierung nach Maßgabe des Studienakkreditierungsstaatsvertrags (StAkkrStV) nachgewiesen wird. Nach Art. 2 Abs. 1 und 3 StAkkrStV gehören dazu auch fachlich-inhaltliche Kriterien zur Gewährleistung einer Berufsrelevanz. Gem. Art. 4 Abs. 1 StAkkrStV wird wiederum das Nähere zu den fachlich-inhaltlichen Kriterien durch die Länder durch Rechtsverordnungen geregelt, in Bayern durch §§ 11 ff. der Bayerische Studienakkreditierungsverordnung.
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Aufgrund der fachlich-inhaltlichen Kriterien des Art. 2 Abs. 3 StAkkrStV zwar dem Rahmen nach länderübergreifend vorgegebenen, letztendlich aber aufgrund der Verordnungsermächtigung in Art. 4 Abs. 1 StAkkrStV in Länderhand liegenden Akkreditierung von Studiengängen kann alleine aus dem Vorhandensein solcher Studiengänge an staatlich anerkannten privaten Hochschulen noch nicht auf ein bundesweit einheitliches Berufsbild geschlossen werden.
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Es ist auch nicht feststellbar, dass sich in der Praxis ein einheitliches Ausbildungs- und Berufsbild etabliert hat. Nach dem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes vom 20. Dezember 2019 (Az. WD 9 – 3000 – 091/19, S. 8 ff. unter Punkt 2.2), dass auch die Studienangebote an der D. und Fr. Hochschule berücksichtigt (vgl. a.a.O., S. 10), bestehen im Bundesgebiet unterschiedliche Ausbildungswege mit unterschiedlichem Ausbildungsumfang sowie uneinheitlichem Angebot hinsichtlich der Anzahl der Unterrichtsstunden. Somit ergibt sich insbesondere im Vergleich zu den bundesgesetzlich fixierten Ausbildungsanforderungen für andere Heilberufsbereiche wie die Ergotherapie (vgl. § 5 Abs. 1 des Ergotherapeutengesetzes i.V.m. der Ergotherapeutenausbildungs- und Prüfungsverordnung), Logopädie (vgl. § 5 Abs. 1 des Gesetzes über den Beruf der Logopäden i.V.m. der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Logopäden), Physiotherapie (vgl. § 13 des Masseur- und Physiotherapeutengesetzs i.V.m. der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung der Physiotherapeuten), Podologie (vgl. § 7 des Podologengesetzes i.V.m. der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Podologinnen und Podologen) und Psychotherapie (vgl. § 20 Psychotherapeutengesetz i.V.m. der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Psychologische Psychotherapeuten) mit jeweils konkreten Vorgaben zum zeitlichen (Mindest-)Umfang sowie den Inhalten der theoretischen und praktischen Prüfung kein einheitlicher Ausbildungsstandard in der Praxis. Aufgrund dessen sowie aufgrund der nach wie vor bestehenden Vielzahl von Berufsverbänden in Deutschland kann in der Praxis nach wie vor von keinem bundesweit einheitlichem Berufsbild ausgegangen werden.
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3. Da die Heilpraktikererlaubnis nicht auf das Gebiet der Osteopathie beschränkt werden kann, kann es dahinstehen, ob für den Kläger eine entsprechend zu beschränkende (vgl. BVerwG, U.v. 26.8.2009 – 3 C 19.08 – juris Rn. 28; Schelling in: Spickhoff, Medizinrecht, 4. Auflage 2022, § 2 HeilprG Rn. 29 und § 2 HeilprG-DVO Rn. 14) Kenntnisprüfung aus Verhältnismäßigkeitsgründen ausnahmsweise entfallen kann.
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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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III. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit sowie zur Abwendungsbefugnis ergibt sich aus § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708, 711 ZPO.