Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 07.06.2023 – AN 4 S 23.1159
Titel:

Erfolgloser Einwand gegen die Verlegung eines Versammlungsortes

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 4 S. 1, Abs. 5 S. 1
BayVersG Art. 25
GG Art. 8 Abs. 1, Art. 4
BV Art. 113
Leitsätze:
Eine im öffentlichen Raum stattfindende religiöse Großveranstaltung hat am Ort ihres Gottesdienstes einen gesteigert zu wertenden Anspruch auf ungestörte Religionsausübung. (Rn. 21 – 37)
1. Erweist sich ein Verwaltungsakt als voraussichtlich rechtmäßig und das Hauptsacheverfahren damit als voraussichtlich erfolglos, überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse, dem der Gesetzgeber in Fällen des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 VwGO generell den Vorrang eingeräumt hat, wenn nicht ausnahmsweise besondere Umstände des Einzelfalls eine abweichende Entscheidung rechtfertigen. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Als Abwehrrecht gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG bzw. Art. 113 BV den Grundrechtsträgern ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung, damit sie selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Absicht, den Kirchentag mit einer Versammlung zu behindern, stellt keinen legitimen Versammlungszweck dar, weil es lediglich um die Negierung der Grundrechte Dritter geht. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
4. Kirchentagsbesucher sowie Veranstalter können sich auf die Religionsfreiheit des Art. 4 GG berufen, wobei es offenbleiben kann, ob sie sich zusätzlich, vor dem Hintergrund der Diskussion gesellschaftspolitischer Themen im öffentlichen Raum, auch auf die Versammlungsfreiheit berufen können. (Rn. 25 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
5. Weder das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, auch nicht in Verbindung mit der Kunstfreiheit, noch die Religionsfreiheit genießen kategorischen Vorrang. (Rn. 29 – 36) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Kirchentag, Kollision, Ort der Versammlung, Räumlicher Nutzungskonflikt, Verhinderungsabsicht, Ungestörte Religionsausübung, Grundrechtskollision, räumlicher Nutzungskonflikt, ungestörte Religionsausübung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 07.06.2023 – 10 CS 23.1025
Fundstelle:
BeckRS 2023, 15374

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Verlegung des Versammlungsortes einer von ihm angezeigten Versammlung.
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1. In der Zeit vom 7. Juni bis zum 11. Juni 20... findet im Stadtgebiet der Antragsgegnerin der Deutsche Evangelische Kirchentag ... (Kirchentag) statt. Bei ihm handelt es sich um eine Großveranstaltung mit rund 2000 (Neben-)Veranstaltungen in bzw. auf verschiedenen Örtlichkeiten sowie öffentlichen Flächen. Erwartet werden um die 100.000 Teilnehmer.
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Zum Zwecke der Durchführung des Kirchentages wurde ein umfangreiches Sicherheitskonzept erarbeitet. Die Flächen wurden per Mietvertrag und/oder Sondernutzungserlaubnisse an die Veranstalter vergeben. Das Liegenschaftsamt hat für den … eine Sondernutzungserlaubnis vom 25. Mai 2023 zum Zwecke der Durchführung der Gottesdienste sowie von Konzerten während des kompletten Veranstaltungszeitraums erteilt.
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Per Mail vom 31. Mai 2023 zeigte der Antragsteller für die Veranstalterin eine Versammlung an, die während des Kirchentages auf dem … in N. tagsüber stattfinden soll. Es wurden mehrere Versammlungsthemen genannt, insbesondere „Religionsfreie Zone zum Kirchentag 20... in N., „Gegen die verfassungswidrige Finanzierung des Evangelischen Kirchentages“ und „Die nackte Wahrheit über Martin Luther“. Die in Anspruch genommene Fläche sollte 22 x 11 Meter umfassen.
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Es fanden mehrere Kooperationsgespräche statt, in deren Rahmen über alternative Versammlungsorte gesprochen wurde.
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Am 5. Juni 2023 teilte der Antragsteller mit, er beabsichtige während des Kirchentages auch einen Aufzug, könne aus organisatorischen Gründen weder den Zeitpunkt noch die genaue Route oder die Veranstaltungsmittel mitteilen.
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2. Mit Bescheid vom 6. Juni 2023 bestätigte die Antragsgegnerin die angezeigte Versammlung mit einer Beschränkung insoweit, als das als Versammlungsort … / Ecke … festgesetzt wird. Der Bescheid enthält unter anderem folgende Auflagen:
2.3 Versammlungsort
2.3.1 Der ursprünglich rein stationär angemeldeten Versammlung wird die Versammlungsfläche … wie im Plan (s. Anlage) gekennzeichnet zugeteilt; sie ist von allen Teilnehmer/innen einzuhalten.
2.3.2 Im Gefahrenfall ist ein Einfahren von Feuerwehr- und Rettungsdienstfahrzeugen in die stehende oder sich bewegende Versammlung nötig. Der Veranstalter hat durch geeignete Maßnahmen (z.B. Ordnereinsatz) sicherzustellen, dass die Einsatzfahrzeuge im Einsatzfall die Strecke befahren können und die Teilnehmer der Versammlung keinerlei Einsatzmaßnahmen im Umfeld behindern.
Im Bereich der stationären Kundgebungen muss die Zufahrt für Feuerwehr und Rettungsdienst zu allen baulichen Anlagen möglich sein. Im Rahmen der Veranstaltung abgestellte Kraftfahrzeuge (z.B. Lautsprecherwagen) müssen so aufgestellt werden, dass sie jederzeit sofort weggefahren werden können. Aus diesem Grund müssen Fahrzeugschlüssel und Fahrer stets in unmittelbarer Nähe des Fahrzeugs sein. Brennbare Flüssigkeiten oder Gasflaschen dürfen während der Kundgebung nicht am Fahrzeug mitgeführt werden.
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Zur Begründung der Auflage 2.3.1 wird folgendes ausgeführt:
„Die Änderung des Versammlungsortes ist geeignet, erforderlich und angemessen, um sowohl die Durchführung der Versammlung als auch die der Großveranstaltung des DEKT zu ermöglichen.
Der Veranstalter äußerte im Kooperationsgespräch, dass sein primäres Ziel sei, seine Versammlung auf einer zentralen Veranstaltungsfläche des Kirchentages stattfinden zu lassen, um so deren Veranstaltungsfläche zu verkleinern. Des Weiteren gab er an, dass es ihm wichtig sei, Aufmerksamkeit bei den Passanten, insbesondere auch bei den Kirchentagsbesuchern zu generieren.
Dazu ist die zugewiesene Fläche geeignet. Die Versammlungsfläche befindet sich direkt neben der Fläche, auf welcher der Eröffnungsgottesdienst stattfindet, sodass Kirchentagsbesucher auf jeden Fall Kenntnis davon nehmen werden. Ebenso ist die Fläche auf dem … an der Ecke … dazu geeignet, Kirchentagsbesucher anzusprechen, die vom Hauptbahnhof bzw. der … aus kommend die Aktionsflächen des evangelischen Kirchentags auf dem … bzw. in der Innenstadt besuchen möchten. Der Weg über die … ins Zentrum der Innenstadt führt direkt an der Versammlungsfläche vorbei. Die zugewiesene Fläche ist außerdem eine Fläche, die dem Kirchentag auch überlassen worden ist und als Überlauffläche bei einer Vollbelegung des … vorgesehen ist.
Mildere Mittel als die Verlegung an einen anderen Ort sind nicht ersichtlich. Der vom Veranstalter angemeldete … ist während des Veranstaltungszeitraums des Kirchentags durchgängig belegt. Am Mittwochabend findet dort der Eröffnungsgottesdienst mit ca. 10.000 Personen statt, am Sonntag der Schlussgottesdienst mit ebenso vielen Besucherinnen und Besuchern.
Ein Teil der Veranstaltungsfläche ist für zahlreiche Ehrengäste bestuhlt und abgesperrt Von Donnerstag bis Samstag ist ein Konzert-Programm sowie ein Motorrad-Gottesdienst auf der dauerhaft aufgebauten Bühne geplant – mit zahlreichen Umbauarbeiten, Soundchecks und An- und Ablieferungen.
Die vom Veranstalter gewünschte Versammlungsfläche befindet sich auf der gegenüberliegenden Seite der Stelle, an der der Kirchentag die Bühne auf dem … aufbauen wird.
Ein seitliches Verschieben auf dem … kommt ebenfalls nicht in Betracht, weil die für Kirchentagsbesucherinnen und -besucher nach Abzug aller Kirchentags-Aufbauten noch verfügbare Netto-Fläche auf dem … genau berechnet wurde und sich die maximale Besucherzahl danach bestimmt. Der vom Veranstalter vorgeschlagene Alternativstandort, die Versammlung in einem Streifen von ca. 20x3 Meter auf der Südseite des … stattfinden zu lassen, scheidet demzufolge ebenfalls aus.
Dem Veranstalter wurden zudem mehrere Alternativflächen vorgeschlagen, welche allesamt abgelehnt wurden, da seiner Einschätzung nach das vorrangige Ziel der Versammlung, die Kirchentagsflächen zu verkleinern, so nicht erreicht wird. Die dem Veranstalter für Donnerstag bis Sonntag angebotene Fläche am … wäre sogar in 70 m Entfernung mit direkter Sicht- und Hörweite des … und zwischen den Veranstaltungsflächen … und … sowie gegenüber dem Rathaus gewesen. Der Standort hätte auch nur eine sehr geringe Neigung gehabt. Die Ergänzung um einen mobilen Versammlungsteil zeigt auch, dass es dem Veranstalter anscheinend auch durchaus möglich wäre, die Örtlichkeiten zu wechseln.
Im Rahmen der Versammlungsfreiheit steht dem Veranstalter einer Versammlung ein Selbstbestimmungsrecht über den Versammlungsort zu. Das Grundrecht Versammlungsfreiheit wird jedoch nicht schrankenlos gewährleistet. Es findet seine Grenzen in kollidierenden Grundrechten Dritter, sodass eine Verlegung hier angemessen ist. Sie schafft einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen.
Der Kirchentag ist eine religiöse Veranstaltung, sodass sie dem Grundrecht der Religionsfreiheit des Veranstalters als auch der Teilnehmer unterfällt. Die dem entgegenstehende Versammlungsfreiheit muss hier schon ausweislich des Prioritätsprinzips zurücktreten. Der Veranstalter meldete seine Versammlung am 31.05.2023 an und damit zeitlich nach dem DEKT an. Dass der Kirchentag 20... von 7.-11. Juni in N. stattfindet, ist seit sehr langer Zeit öffentlich und auch dem Anmelder bekannt. Dennoch hat die Vereinigung „…“ die Versammlung nur eine gute Woche vor Beginn des Kirchentags angemeldet.
Für den Kirchentag wurde ein über 650 Seiten starken Sicherheitskonzept erstellt und mit allen beteiligten Behörden abgestimmt. Das Sicherheitskonzept und dessen Einhaltung ist Grundlage der Veranstaltungserlaubnis. Insgesamt sind während des Kirchentages 23 Versammlungen angemeldet, davon 15 Versammlungen, zum Teil auch sich fortbewegende Versammlungen, in der Innenstadt. Bis auf alle eine Versammlung wurden alle Versammlungen früher angemeldet. Alle Versammlungen wurden unter Berücksichtigung des Sicherheitskonzeptes in der Nähe von Kirchentagsflächen untergebracht.
Der Vereinigung „…“ geht es auch bei vorangegangenen Kirchentagen in anderen Städten vor allem um die Kritik an einer Finanzierung des DEKT durch die öffentliche Hand. Ziel der Versammlung ist ausweislich der Anmeldung („Anlass“) und den Ausführungen des Versammlungsleiters im Kooperationsgespräch die für den Kirchentag nutzbare Fläche (hier: …*) stark einzuschränken, um ein Zeichen gegen die „verfassungswidrige Finanzierung“ zu setzen und hierauf aufmerksam zu machen. Dieses Ziel und die damit im Kontext stehende „religionsfreie Zone“ muss nicht zwingend am … eingerichtet werden, da der Kirchentag praktisch in der gesamten Innenstadt nutzt.
Es sind keine Gründe ersichtlich, weshalb es dem Veranstalter der hier gegenständlichen Versammlung eher zustehen sollte, den … zu nutzen als dem Kirchentag, zumal durch die späte Anmeldung des Veranstalters die Entscheidung darüber nun sehr kurzfristig zu treffen ist und die Kirchentagsplanungen feststehen.
Das im Rahmen des Versammlungsrechtes zustehende örtliche Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters umfasst nicht das Recht, eine Versammlungsfläche unter dem Gesichtspunkt zu wählen, eine andere bereits zugesagte, erlaubte und durch ein Sicherheitskonzept beplante Fläche zu verkleinern. Dies stellt einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte des Kirchentages und dessen ungestörte Ausübung seiner Religionsfreiheit dar. Zudem gefährdet eine solche kurzfristig angemeldete Versammlung auf einer zentralen Veranstaltungsfläche, auf der mehrmals mit einer Vollbelegung zu rechnen ist, die durch das Sicherheitskonzept zu gewährleistende Sicherheit und Ordnung.
Die Versammlung kann im Übrigen wie geplant stattfinden. Durch die Ortsverlegung ist es möglich, sowohl dem Kirchentag als auch dem Versammlungsanmelder die Grundrechtsausübung zu ermöglichen.
Die Verlegung der Versammlungsfläche gewährleistet unter Berücksichtigung der besonderen Sicherheitslage und des Sicherheitskonzeptes für diese Großveranstaltung eine praktische Konkordanz der widerstreitenden Interessen, insbesondere der vorrangig betroffenen Grundrechte der Versammlungsfreiheit des Antragstellers und u.a. des Rechts auf körperliche Unversehrtheit, der Handlungsfreiheit und der Religionsfreiheit des Veranstalters und der Teilnehmer des Evangelischen Katholikentages sowie der Referenten und Passanten (vgl. VG Münster, Beschluss vom 09.05.2018 – 1 L 507/18).
Am 05.06.2023 teilte der Veranstalter zudem erstmalig mit, einen Teil der Versammlung als sich fortbewegenden Aufzug stattfinden lassen zu wollen. Hierzu machte er hinsichtlich der Pflichtangaben, wie beispielsweise einer konkreten Versammlungsroute und Versammlungszeit keine nach Art. 13 Abs. 2 BayVersG erforderlichen Angaben zur Versammlungsstrecke und Versammlungszeit. Eine konkrete Abstimmung im Hinblick auf Veranstaltungszeiten, andere angemeldete Versammlungen und Besucherströme ist deshalb überhaupt nicht möglich, was eine erhebliche Gefahr für die Sicherheit und Ordnung darstellt. Somit scheidet jedoch auch an den Versammlungstagen der Anlass einer Spontanversammlung (Art. 13 Abs. 4 BayVersG) aus, da sich diese Versammlungen nicht mehr aus einem unmittelbaren Anlass ungeplant entwickeln.“
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Zur Begründung der Auflage 2.3.2 wird weiter folgendes ausgeführt:
„Im Blockieren der Blaulichtfahrzeuge auf ihrem Weg zu einem Einsatzort besteht eine konkrete Gefahr für Leib und Leben von Bürgerinnen und Bürgern. Angesichts der Tatsache, dass Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst oft sehr schnell am Einsatzort benötigt werden, um in Notsituationen zu helfen oder auch Leben zu retten, ist darauf zu achten, dass die Kundgebungsteilnehmer/innen im Gefahrenfall den für die Rettung erforderlichen Bereich unverzüglich räumen und somit die Flucht- und Angriffswege frei gemacht werden sowie Kundgebungsmittel Rettungswege und Durchfahrten nicht behindern. Gegenüber der Gefahr für Leib und Leben von Bürger/innen durch Verzögerung eines Rettungseinsatzes muss das Interesse des Veranstalters an der Durchführung einer Versammlung ohne diese Beschränkungen zurücktreten.“
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3. Der Antragsteller lässt am 6. Juni 2023 im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes beantragen,
die aufschiebende Wirkung der zu erhebenden Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Juni 2023 hinsichtlich der verfügten Auflage Nr. 2.3 anzuordnen.
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Zur Antragsbegründung wird vorgetragen, dass die versammlungsbeschränkende Auflage, sprich die örtliche Verlegung, rechtswidrig sei. Eine unmittelbare Gefahr liege nicht vor. Insgesamt falle auf, dass keine auf den Einzelfall bezogene Gefahrenprognose vorgenommen worden sei. Es werde auf ein nicht bekanntes Sicherheitskonzept und auf die Einschränkung der Religionsfreiheit verwiesen, wobei sich nicht erschließe, warum letztere nur auf dem … gegeben sein solle. Es erschließe sich ferner nicht, warum die Religionsfreiheit pauschal als höherwertig angesehen werde.
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Der Prioritätsgrundsatz gelte nicht unterschiedslos. Es werde insbesondere nicht berücksichtigt, dass der Kirchentag den Anstoß für die Versammlung des Antragstellers gesetzt habe. Die Antragsgegnerin schließe eine Anpassung der Flächenbelegung als scheinbar unmöglich aus, was dem Selbstbestimmungsrecht des Antragstellers hinsichtlich des Ortes seiner Versammlung entgegenstehe.
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Der Antragsteller habe weiter den … bewusst als Veranstaltungsort gewählt. Dieser habe einen besonderen Bezug zu der Versammlung. Auf dem … haben im 13. und im
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14. Jahrhundert Judenprogrome stattgefunden, es sei Teil des alten jüdischen Stadtviertels und hier sei früher auch ein jüdischer Markt gewesen. Die Verbindung stelle sich zum Antisemitismus Martin Luthers. Der Antragsteller habe ferner eine Verlegung seiner Veranstaltungsfläche sowie eine Verkleinerung auf 60 qm angeboten. Insgesamt sei die Beschränkung der Versammlungsfreiheit unverhältnismäßig und rechtswidrig.
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Auf den weiteren Inhalt des Vorbringens wird Bezug genommen.
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4. Die Antragsgegnerin beantragt mit Schriftsatz vom 7. Juni 2023 Den Antrag auf aufschiebende Wirkung.
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Auf den Inhalt des Vorbringens wird verwiesen.
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5. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
II.
A.
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Der zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen Ziffer 2.3.1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 6. Juni 2023 hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO kann das Gericht in den Fällen, in denen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage kraft Gesetzes – wie vorliegend gemäß Art. 25 BayVersG – entfällt, diese ganz oder teilweise anordnen. Das Gericht trifft im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO eine eigene, originäre Ermessensentscheidung, bei der es zwischen dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seiner Klage abwägt. Wesentliches – aber nicht alleiniges – Kriterium für die Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten in der Hauptsache. Ergibt die im Eilverfahren allein mögliche und gebotene summarische Prüfung, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist und das Hauptsacheverfahren damit voraussichtlich Erfolg hat, überwiegt regelmäßig das Aussetzungsinteresse des Antragstellers, denn an der Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsakts kann kein öffentliches Interesse bestehen (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 VwGO). Erweist sich der Verwaltungsakt hingegen als voraussichtlich rechtmäßig und das Hauptsacheverfahren damit als voraussichtlich erfolglos, überwiegt das öffentliche Vollziehungsinteresse, dem der Gesetzgeber in Fällen des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO generell den Vorrang eingeräumt hat, wenn nicht ausnahmsweise besondere Umstände des Einzelfalls eine abweichende Entscheidung rechtfertigen (vgl. zu allem BayVGH, B.v. 23.2.2012 – 14 CS 11.2837 – juris Rn. 38; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 24. Aufl. 2018, § 80 Rn. 146, 152 f., 158 f.).
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2. Die im Rahmen des Eilverfahrens gebotene und auch ausreichende summarische Prüfung ergibt vorliegend, dass das öffentliche Vollziehungsinteresse der Antragsgegnerin gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt.
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a) Der Entscheidung liegen rechtlich zunächst folgende Erwägungen zugrunde.
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Der Antragsteller kann sich im Ergebnis vorliegend auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) berufen, das vom Bundesverfassungsgericht als „schlechterdings konstitutiv für die Demokratie“ gesehen wird. In ihrer idealtypischen Ausformung sind Versammlungen die gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen, bei der die Teilnehmer in der Gemeinschaft mit anderen eine Vergewisserung dieser Überzeugungen erfahren und andererseits nach außen – schon durch die bloße Anwesenheit, die Art des Auftretens und die Wahl des Ortes – im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen. Als Abwehrrecht gewährleistet Art. 8 Abs. 1 GG bzw. Art. 113 BV den Grundrechtsträgern daher auch ein Selbstbestimmungsrecht über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Veranstaltung. Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen am wirksamsten zur Geltung bringen können (zum Ganzen: BVerfG, U.v. 22.2.2011 – 1 BvR 699/06 – BVerfGE 128, 226 – juris Rn. 63 f. m.w.N.). Darüber hinaus kann sich der Antragsteller weiter auch auf das Grundrecht der Kunstfreiheit aus Art. 5 Abs. 3 GG berufen.
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Soweit der Antragsteller die Absicht verfolgt, den Kirchentag zu behindern, handelt es sich nicht um einen legitimen Versammlungszweck, sondern lediglich um die Negierung der Grundrechte Dritter. Die Versammlung des Antragstellers verfolgt aber darüber hinaus eigene thematische Anliegen, wie beispielsweise der Hinweis auf judenfeindliche Äußerungen bei Martin Luther sowie die Frage der Finanzierung des Kirchentages, so dass das kommunikative Anliegen des Antragstellers im Ergebnis als Versammlung zu werten ist (vgl. zum fehlenden Grundrechtsschutz reiner Verhinderungsblockaden Hong in Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, Abschn. B Rn. 92).
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Sollen mehrere Versammlungen in derselben Zeit und am selben Ort stattfinden, liegt ein Kollisionsfall vor. Die Zuweisung des Ortes richtet sich dabei nicht zwingend an der Reihenfolge der eingegangenen Anzeigen aus. Der Erstanmelder hat regelmäßig, aber nicht automatisch, Vorrang (BayVGH, B.v. 17.10.2016 – 10 CS 16.1468; BVerfG 6.5.2005 – 1 BvR 961/05). Die Versammlungsbehörde muss im Wege praktischer Konkordanz einen Ausgleich zwischen den kollidierenden Rechtsgütern durch beschränkende Verfügungen – etwa örtliche Verlegungen – herstellen, um die Ausübung der Versammlungsfreiheit so weit als möglich allen Grundrechtsträgern zu ermöglichen (BayVGH, B.v. 8.11.2005 – 24 CS 05.2916). Dabei ist der Neutralitätsgrundsatz strikt zu beachten (Dürig-Friedl/Enders VersammlG § 14 Rn. 15). In diesem Fall kommt dem Kooperationsgebot besondere Bedeutung zu (Heinold in BeckOK PolR Bayern, 21. Ed. Stand: 15.1.2023, BayVersG Art. 13 Rn. 39).
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Die Kirchentagsbesucher sowie die Veranstalter können sich jedenfalls auf die Religionsfreiheit des Art. 4 GG berufen. Dabei kann offenbleiben, ob sie sich zusätzlich, vor dem Hintergrund der Diskussion gesellschaftspolitischer Themen im öffentlichen Raum, auch auf die Versammlungsfreiheit berufen können. In der Sache ergibt sich für die Frage des Ausgleichs der konfligierenden Grundrechtspositionen nichts anderes aus dem Umstand, dass hier die Religionsfreiheit in den Ausgleich einzustellen ist, da auch insoweit praktische Konkordanz herzustellen ist.
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Die Antragsgegnerin konnte die Großveranstaltung Kirchentag ferner auch einheitlich behandeln, da sie unter einer zentralen Veranstaltungsleitung steht (zur ähnlichen Interessenlage bei einer Großdemonstration vgl. BVerfG, B.v. 14.5.1985 – Brokdorf – 1 BvR 233/81 – juris Rn. 57), was im Übrigen auch der thematischen Ausrichtung des Antragstellers entspricht.
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Ferner ist zu berücksichtigen, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit das Interesse des Veranstalters auf einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu zielen schützt, insbesondere durch die Nähe seiner Versammlung zu einem symbolträchtigen Ort (BVerfG, B.v. 27.6.2022 – 1 BvQ 45/22 – juris Rn. 6).
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b) Mit der streitgegenständlichen Auflage wurde nach vorläufiger Einschätzung praktische Konkordanz der unterschiedlichen Grundrechtspositionen in nicht zu beanstandender Weise hergestellt.
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Soweit der anwaltliche Vertreter des Antragstellers bemängelt, dass „keine auf den Einzelfall bezogene Gefahrenprognose vorgenommen worden sei“, wird grundlegend verkannt, dass sich nicht nur der Antragsteller auf Grundrechte berufen kann und es sich vorliegend um einen Fall handelt, bei dem praktische Konkordanz herzustellen ist. Weder das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, auch nicht in Verbindung mit der Kunstfreiheit, noch die Religionsfreiheit genießen kategorischen Vorrang. Etwas anderes wird auch nicht im streitgegenständlichen Bescheid behauptet. Vielmehr wird insbesondere auf das Prioritätsprinzip zur Lösung des Grundrechtsausübungskonflikts verwiesen.
31
Der Kirchentag ist die ursprüngliche Veranstaltung und der Antragsteller verweist zunächst zu Recht darauf, dass seine (Gegen-)Versammlung sich gerade auf diesen Kirchentag bezieht. Der Nutzungskonflikt des öffentlichen Raumes ergibt sich aber erst daraus, dass der Antragsteller Flächen in Anspruch nehmen will, die dem Kirchentag zugewiesen worden sind. Er will seine Versammlung quasi „in die Veranstaltung eines Dritten“ setzen.
32
Dass die Fläche auf dem … insgesamt auch für den Kirchentag benötigt wird, erscheint aufgrund der Größe der Gesamtveranstaltung plausibel. Selbst bei einer angenommenen Abteilung einer überschaubaren Fläche auf dem … scheint es dem Gericht ohne weiteres nachvollziehbar, dass sich in diesem Fall sicherheitsrelevante Fragestellungen aufwerfen und die Antragsgegnerin das vorgetragenermaßen 650 Seiten umfassende Sicherheitskonzept nicht ohne weiteres kurzfristig anpassen kann. Der anwaltliche Vertreter stellt insoweit zwar das beachtliche Argument in den Raum, dass dieses Konzept im Einzelnen nicht bekannt ist, so dass auch nicht ersichtlich ist, wie weit eine mögliche Unvereinbarkeit aussieht. Unabhängig von einem möglichen Geheimhaltungsinteresse ergibt sich aber aus der Natur der Komplexität eines Sicherheitskonzeptes, bei dem eine Vielzahl von Behörden beteiligt sind, dass dieses nicht einfach und kurzfristig anpassbar ist. In der Kürze der für die Entscheidung zur Verfügung stehenden Zeit wäre eine inhaltliche Beurteilung des Sicherheitskonzeptes auch nicht möglich (vgl. in einem ähnlichen Fall SächsOVG, B.v. 27.5.2016 – 3 B 130/16 – juris Rn. 7).
33
Für die praktische Konkordanz ergeben sich ferner keine maßgeblich anderen Gesichtspunkte aus dem Vortrag zur besonderen Bedeutung der Versammlungsfläche. Dieser Zusammenhang erscheint unnatürlich und konstruiert. Insbesondere ist nicht nachvollziehbar, in welchem Zusammenhang der historische Antisemitismus in N. zu der Judenfeindlichkeit stehen soll, den der Antragsteller Martin Luther zuschreibt.
34
Unabhängig von diesen Überlegungen ist das Gericht der Auffassung, dass die Kirchentagsbesucher und -veranstalter gerade am Ort der zentralen Gottesdienstveranstaltungen einen Anspruch auf ungestörte Religionsausübung haben und sich insoweit, im Vergleich zu einer anderen Versammlung, auf einen weitergehenden Abwehranspruch berufen können. Der Gottesdienst dürfte in den Kernbereich der Religionsausübungsfreiheit fallen (Kokott in Sachs, Grundgesetz, 9. Auflage 2021, Art. 4 Rn. 76) und unabhängig von der Frage eines einheitlichen Schutzbereichs (vgl. etwa BVerfGE 108, 282, (297)) im besonderen Maße den Grundrechtsträgern einen Anspruch auf Ungestörtheit im Sinne des Art. 4 Abs. 2 GG vermitteln (zu einem speziellen Schutz vor Störungen der Religionsausübung vgl. weiter Sachs a.a.O. – juris Rn. 95). Hierzu gehört nicht nur, dass sich die Kirchentagsbesucher während des Gottesdienstes nicht mit einer sich entblößenden Luther-Skulptur konfrontieren lassen müssen, sondern dass sie während des Gottesdienstes und am zentralen Veranstaltungsort generell ungestört sein dürfen und auch insoweit die für Gegendemonstrationen geltende Überlegung der Sichtbarkeit der abweichenden Auffassungen nicht einschlägig ist.
35
Der festgesetzte Alternativstandort befindet sich an einer zentralen Hauptachse im Innenstadtbereich der Antragsgegnerin, so dass der Antragsteller durch den gewählten Standort wesentliche Wahrnehmbarkeit bei Kirchentagsbesuchern und anderen Passanten erhält.
36
Hinsichtlich der Auflagen 2.3.2 ist nicht ersichtlich, in wie weit diese für den Antragsteller eine unverhältnismäßige Belastung darstellen soll.
37
c) Besondere Gründe für eine Vollzugsanordnung sind vorliegend nicht ersichtlich. Es bleibt daher bei dem grundsätzlichen Überwiegen des öffentlichen Vollzugsinteresses bei der Beurteilung eines Bescheides als voraussichtlich rechtmäßig, weshalb der Antrag abzulehnen ist.
B.
38
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
C.
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Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Der Empfehlung Ziffer 45.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 wird in entsprechender Anwendung der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs nicht gefolgt (BayVGH, B.v. 5.10.22 – 10 C 22.1713). Da die vorliegende Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz die Entscheidung in der Hauptsache vorwegnehmen sollte, wurde der Empfehlung in Ziffer 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 folgend der Streitwert auf die Höhe des für das Hauptsacheverfahren anzunehmenden Wertes angehoben.