Inhalt

OLG München, Beschluss v. 02.02.2023 – 14 U 1708/21
Titel:

Leistungen aus Betriebsschließungsversicherung nach behördlicher Maßnahme wegen der Corona-Pandemie

Normenketten:
IfSG § 6, § 7
AVB Betriebsschließungsversicherung
Leitsätze:
1. Versprechen die AVB einer Betriebsschließungsversicherung Versicherungsschutz für den Fall, dass die zuständige Behörde den versicherten Betrieb zur Verhinderung der Verbreitung meldepflichtiger Krankheiten und Krankheitserreger schließt und heißt es im Anschluss in einer gesonderten Bestimmung, auf die mittels Klammerzusatz verwiesen wird, "Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger", dann ist die nachfolgende Aufzählung der dem Versicherungsschutz unterfallenden Krankheiten und Krankheitserreger abschließend, sodass bei fehlender Benennung weder das Virus SARS-CoV-2 noch die Krankheit COVID-19 vom Versicherungsschutz umfasst sind (Anschluss an BGH BeckRS 2022, 533). (Rn. 15 – 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Aus der Entscheidung des BGH vom 18.1.2023 (BeckRS 2023, 216) ergibt sich für die hier maßgebliche Klauselfassung nichts Abweichendes. Insbesondere kann aus dieser nicht der Schluss gezogen werden, der BGH habe seine im Urt. v. 26.1.2022 (BeckRS 2022, 533) vertretene Ansicht aufgegeben, die im gegenständlichen Fall vorliegende Klausel beinhalte eine abschließende Regelung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger. (Rn. 22 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsschließungsversicherung, Coronavirus, SARS-CoV-2, COVID-19, abschließende Aufzählung
Vorinstanzen:
OLG München, Verfügung vom 16.12.2022 – 14 U 1708/21
LG Kempten, Endurteil vom 04.03.2021 – 31 O 922/20 Ver
Fundstelle:
BeckRS 2023, 14929

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 04.03. 2021, Az.: 31 O 922/20 Ver, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 13.080,-- € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 04.03.2021 Bezug genommen.
2
Der Kläger macht einen Anspruch aus einer Betriebsschließungsversicherung geltend.
3
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.
4
Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger – in der Sache dem erstinstanzlichen Antrag entsprechend -:
1. Das Urteil des Landgerichts Kempten vom 04.03.2021, zugestellt am 17.03.2021, (Az.: 31 O 922/20 Ver) wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.800,- € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.05.2020 zu bezahlen.
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Der Senat hat mit Verfügung vom 16.12.2022 (Bl. 145 f. d.A.) darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
6
Der Kläger hat dazu mit Schriftsatz der Klägervertreterin vom 31.01.2023 (Bl. 150 f. d.A.) Stellung genommen.
7
Er führt aus:
8
Der geltend gemachte Anspruch ergebe sich aus §§ 22 i.V.m. 25 Abs. 4 der in den Versicherungsvertrag einbezogenen „Bedingungen für die Sicherung von Betrieben gegen Schäden infolge Infektionsgefahr beim Menschen (Betriebsschließungsversicherung) (BS 2008)“.
9
Der Bundesgerichtshof habe mit Urteil vom 18.01.2023 – IV ZR 465/21 entschieden, dass einer Versicherungsnehmerin auf der Grundlage der hier vereinbarten Versicherungsbedingungen Ansprüche aus einer Betriebsschließungsversicherung wegen der teilweisen Einstellung ihres Hotelbetriebes im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zustünden.
10
Dies sei damit begründet worden, dass das COVID-19-Virus ab dem 23.05.2020 in den [sic] Versicherungsbedingungen namentlich erwähnt sei.
11
Insoweit sei davon auszugehen, dass dem Kläger zumindest ab dem 23.05.2020 die geltend gemachten Ansprüche zustünden.
II.
12
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allgäu) vom 04.03.2021, Az.: 31 O 922/20 Ver, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
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1. Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats Bezug genommen.
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Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
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a) Die streitgegenständliche Regelung des § 25 BS 2008 stimmt, soweit ersichtlich, mit den Regelungen überein, die Gegenstand der – nach der Einlegung der gegenständlichen Berufung verkündeten – Urteile des Senats vom 11.11.2021 – 14 U 1203/21 = BeckRS 2021, 36861 und des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21 = BGHZ 232, 344 = NJW 2022, 872 waren und in denen Ansprüche der Versicherungsnehmer jeweils verneint wurden.
16
§ 25 Abs. 4 BS 2008 enthält eine abschließende Regelung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger (vgl. BGH, a.a.O., Rdnr. 15; Senat, a.a.O., Rdnr. 84 ff.).
17
Die Klausel listet die „Meldepflichtige(n) Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen“ auf. Die Verwendung des Begriffs „meldepflichtig“ stellt zwar eine Bezugnahme auf §§ 6, 7 IfSG dar, da sich aus dem Versicherungsvertrag keine Meldepflichten des Versicherungsnehmers ergeben. Gleichzeitig wird aber durch die Formulierung „im Sinne dieser Bedingungen“ klargestellt, dass der Begriff der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger im streitgegenständlichen Versicherungsvertrag eigenständig definiert wird (vgl. BGH, a.a.O., Rdnr. 15 ff.; Senat, a.a.O., Rdnr. 91).
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der anschließenden Formulierung „die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger“.
19
Aus der Bezugnahme auf das Infektionsschutzgesetz lässt sich schließen, dass sich die Beklagte (naheliegenderweise) bei der Erstellung der anschließenden Kataloge von Krankheiten und Krankheitserregern an den Regelungen der §§ 6, 7 IfSG orientiert hat. Daraus folgt jedoch nicht, dass im Falle späterer Änderungen des Infektionsschutzgesetzes die dann geltenden gesetzlichen Kataloge für den Umfang des Versicherungsschutzes maßgeblich sein sollten, zumal im Falle einer dynamischen Verweisung die umfangreiche Auflistung bestimmter Krankheiten und Krankheitserreger in den Versicherungsbedingungen keinen Sinn hat (vgl. BGH, a.a.O., Rdnr. 19; Senat, a.a.O., Rdnr. 93).
20
Vielmehr ergibt sich aus der Formulierung „die folgenden“, dass (nur) die im Anschluss an den den Satz abschließenden Doppelpunkt aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sein sollen. Wäre die Aufzählung nicht abschließend zu verstehen, würde der durchschnittliche Leser mit einer Klarstellung wie „insbesondere“ oder „beispielsweise“ rechnen, die hier nicht verwendet wird (vgl. Senat, a.a.O., Rdnr. 94; OLG München – 25. Zivilsenat –, Urteil vom 22.10.2021 – 25 U 1534/21 – unter Punkt II. 1. a) bb) (2) (b) (aa) der Gründe).
21
Das Wort „namentlich“ ist in diesem Zusammenhang nicht als „beispielsweise“ zu verstehen. Eine Verwendung des Wortes in diesem Sinne müsste formuliert werden: „namentlich die folgenden“. Die gegenständliche Formulierung „die […] namentlich genannten“ meint vielmehr, dass die anschließend aufgelisteten Krankheiten und Krankheitserreger in §§ 6, 7 IfSG „beim Namen genannt“ werden (vgl. BGH, a.a.O., Rdnr. 20; Senat, a.a.O., Rdnr. 95).
22
b) Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.01.2023 – IV ZR 465/21 (vgl. dazu die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 12/2023 vom 18.01. 2023).
23
(1) In dem der o.g. Entscheidung vorangegangenen Verfahren hatten das Landgericht Hannover (Grund- und Teilurteil vom 19.04.2021 – 2 O 164/20 = BeckRS 2021, 36651) und ihm (insoweit) folgend das Oberlandesgericht Celle (Urteil vom 18.11.2021 – 8 U 123/21) Ansprüche einer Versicherungsnehmerin aus einer Betriebsschließungsversicherung im Zusammenhang mit einer COVID-19-bedingten Betriebsschließung bejaht, soweit die (zweite streitgegenständliche) Betriebsschließung nach der zum 23.05.2020 erfolgten Aufnahme von COVID-19 in den Katalog der in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG aufgezählten Krankheiten erfolgt war (vgl. OLG Celle, a.a.O., Rdnr. 40 f., 73 f.; LG Hannover, a.a.O., Rdnr. 4, 8).
24
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 18.01.2023 – IV ZR 465/21 die Revisionen beider Parteien gegen das o.g. Urteil des Oberlandesgerichts Celle zurückgewiesen (vgl. die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 12/2023 vom 18.01.2023).
25
Nach der unter Ziff. 1. (Revision der Beklagten) enthaltenen Darstellung der o.g. Pressemitteilung hat der Bundesgerichtshof die Ansicht des Oberlandesgerichts Celle bestätigt, dass die streitgegenständliche Klausel eine dynamische Verweisung auf §§ 6, 7 IfSG enthalte.
26
(2) Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass der Bundesgerichtshof seine im Urteil vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21 (BGHZ 232, 344 = NJW 2022, 872) vertretene Ansicht, die im gegenständlichen Fall vorliegende Klausel beinhalte eine abschließende Regelung der versicherten Krankheiten und Krankheitserreger, aufgegeben hätte.
27
Das Urteil des Oberlandesgerichts Celle vom 18.11.2021 – 8 U 123/21 und das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18.01.2023 – IV ZR 465/21 beziehen sich insofern auf einen vom gegenständlichen Fall abweichenden Sachverhalt, als die im dortigen Verfahren maßgebliche Klausel der Versicherungsbedingungen keine namentliche Aufzählung der versicherten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger enthielt (vgl. die Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs Nr. 12/2023 vom 18.01.2023 unter Ziffer 1. [Revision der Beklagten]).
28
Anders als im o.g. Fall ist im – hier gegebenen – Fall einer enumerativen Auflistung einzelner Krankheiten und Erreger aber weiterhin von einer abschließenden Regelung auszugehen (vgl. o. unter Punkt a); so auch LG Hannover, BeckRS 2021, 36651, Rdnr. 39 a.E; vgl. auch die Abgrenzung des Bundesgerichtshofs (a.a.O.) zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21).
29
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
30
4. Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10 Satz 2, 713 ZPO.
31
5. Die Voraussetzungen einer Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht erfüllt. Der Bundesgerichtshof hat mit dem Urteil vom 18.01.2023 – IV ZR 465/21 seine bisherige Rechtsprechung nicht geändert, sondern eine Abgrenzung der Auslegung verschiedener Versicherungsbedingungen vorgenommen. Die Entscheidung des Senats entspricht dem für Fälle wie den vorliegenden weiterhin maßgeblichen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 26.01.2022 – IV ZR 144/21 (BGHZ 232, 344 = NJW 2022, 872).
32
6. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG bestimmt.