Inhalt

LG Nürnberg-Fürth, Endurteil v. 26.05.2023 – 8 O 3742/21
Titel:

Erlöschen der Krankentagegeldversicherung aufgrund Berufsunfähigkeit

Normenketten:
BGB § 305c, § 307
VVG § 192
MB/KT § 15 Abs. 1b
Leitsätze:
1. Bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit im Sinne von § 15 Abs. 1 lit. b MB/KT ist die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit der versicherten Person in ihrer konkreten Ausprägung maßgeblich. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
2. Erwerbsunfähigkeit auf nicht absehbare Zeit besteht nur dann, wenn nach aller Erfahrung trotz Einsatzes aller medizinischer Mittel mit einer Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit überhaupt nicht zu rechnen ist, oder sich jedenfalls aufgrund der relativ geringen Heilungschancen nicht absehen lässt, ob der Versicherungsnehmer jemals wieder erwerbsfähig sein wird. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Recht auf Beantragung einer Anwartschaftsversicherung an eine Frist – in der Regel zwei Monate – geknüpft wird. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Krankentagegeldversicherung, Versicherungsfähigkeit, Berufsunfähigkeit, Erwerbsunfähigkeit, letzte konkrete Tätigkeit, Palliativmediziner, Dauerhaftigkeit, psychische Erkrankung, Anwartschaftsversicherung, Ausschlussfrist
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 21.09.2023 – 8 U 1280/23
OLG Nürnberg, Beschluss vom 29.11.2023 – 8 U 1280/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 14839

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 31.500,00 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche aus einer Krankentagegeldversicherung.
2
Der Kläger unterhielt bei der Beklagten unter der Versicherungsschein-Nr. … einen Krankenkosten – sowie einen Krankentagegeldversicherungsvertrag nach dem Tarif TM42 plus (vgl. Anlage K1). Versichert ist im Hinblick auf das Krankentagegeld eine kalendertägliche Zahlung in Höhe von 150,00 € ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit. Dem Versicherungsvertrag liegen insbesondere die Allgemeinen Krankentagegeldversicherungsbedingungen zu Grunde (vgl. Anlagen B 1, B 2).
3
Sie lauten auszugsweise wie folgt:
„§ 15 1. Das Versicherungsverhältnis endet hinsichtlich der betroffenen versicherten Personen
b) mit Eintritt der Berufsunfähigkeit. Berufsunfähigkeit liegt vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bis ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 % erwerbsunfähig ist. (…)
b.1. Das Versicherungsverhältnis endet hinsichtlich der betroffenen versicherten Person spätestens mit Ablauf des sechsten Monats nach Eintritt der Berufsunfähigkeit.
f) Wird das Versicherungsverhältnis (…) wegen Eintritts der Berufsunfähigkeit (…) beendet, kann der Versicherungsnehmer das Versicherungsverhältnis für (…) die Dauer der Berufsunfähigkeit (…) hinsichtlich der betroffenen versicherten Person im Rahmen einer Anwartschaftsversicherung fortsetzen. Der Antrag auf diese Umwandlung des Versicherungsverhältnisses ist innerhalb von zwei Monaten (…) seit Eintritt der Berufsunfähigkeit (…), erst bei späterem Bekanntwerden des Ereignisses, gerechnet ab diesem Zeitpunkt, zu stellen.
Betreffend die weiteren Einzelheiten der Versicherungsbedingungen wird vollumfänglich auf die Anlagen BLD1 und BLD2 verwiesen.“
4
Der Kläger war zuletzt als Anästhesist auf einer Palliativstation tätig (vgl. Anlagen B 3). Der Kläger ist seit dem 12.08.20219 arbeitsunfähig erkrankt. Als Diagnosen wurde eine schwere depressive Episode sowie eine Opioidabhängigkeit angegeben. Die Beklagte erkannte ihre Leistungspflicht zunächst an und leistete insoweit bedingungsgemäß Krankentagegeldzahlungen.
5
Am 18.11.2020 ließ die Beklagte den Kläger durch Herrn Dr. … begutachten. Dieser stellte fest, dass der Kläger berufsunfähig im Sinne der Versicherungsbedingungen ist (vgl. Gutachten vom 18.11.2020, Anlage K8).
6
Mit Schreiben vom 07.12.2020 erklärte die Beklagte unter Bezugnahme auf § 15 Abs. 1 b) AVB, dass wegen der festgestellten Berufsunfähigkeit die Krankentagegeldversicherung spätestens zum 31.05.2021 endet (vgl. Anlage K4). Sie erklärte weiterhin:
„Sie können die Krankengeldtageversicherung für die Dauer der Berufsunfähigkeit in eine Anwartschaftsversicherung umwandeln. (…) Sind Sie interessiert? Dann melden Sie sich bitte. Gerne erhalten Sie dann weitere Informationen. Sie müssen sich auch nicht sofort entscheiden. Für die Vereinbarung einer Anwartschaftsversicherung haben Sie noch bis zum 09.02.2021 Zeit.“
7
Betreffend die weiteren Einzelheiten des Schreibens vom 07.12.2020 wird vollumfänglich auf die Anlage K4 verwiesen.
8
Am 05.02.2021 bat der Kläger um weitere Informationen zum Anwartschaftsbeitrag. Diese Nachfragen beantwortete die Beklagte mit Schreiben vom 11.02.2021 und verlängerte die Annahmefrist gleichzeitig bis zum 18.02.2021. Betreffend die weiteren Einzelheiten dieses Schreibens wird vollumfänglich auf die Anlage B 4 verwiesen.
9
Mit Schreiben vom 01.03.2021 lehnte die Beklagte den Abschluss einer Anwartschaftsversicherung ab und beruft sich darauf, dass seitens des Klägers eine fristgerechte Rückmeldung nicht erfolgt ist (vgl. Anlage K5).
10
Der Kläger behauptet, er sei weiterhin lediglich arbeitsunfähig. Eine Berufsunfähigkeit sei nicht gegeben, weswegen das Versicherungsverhältnis auch nicht beendet sei. Dem Kläger stünden daher weitere Zahlungen auf das Krankentagegeld zwischen dem 01.06.2021 und dem 30.06.2021 in Höhe von 150,00 € kalendertäglich zu.
11
Jedenfalls würde eine Anwartschaftsversicherung bestehen. Die von der Beklagten gesetzte Frist sei zum einen überraschend und zum beinhalte zum anderen eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers, da der Krankentagegeldversicherungsvertrag auch nach Ansicht der Beklagten erst zum 31.05.2021 enden sollte. Eine Fristsetzung schon zum 09.02.2021 und damit vor Ablauf des Krankentagegeldversicherungsvertrages erschließe sich daher nicht. Ein Versicherungsnehmer rechnet allenfalls damit, dass die Frist frühestens mit Beendigung des zugrunde liegenden Krankentagegeldversicherungsvertrages ende. Ungeachtet dessen hätte der Kläger auch darauf hingewiesen werden müssen, dass es sich hierbei um eine „Ausschlussfrist“ handeln soll.
12
Jedenfalls habe der Kläger auch eine Anwartschaftsversicherung beantragt: Der Kläger habe am 05.02.2021 und am 13.02.2021 Frau … um entsprechende Informationen gebeten. Danach haben noch mindestens zwei Telefonate stattgefunden, im Rahmen derer der Kläger mitgeteilt habe, dass er den Abschluss einer Anwartschaftsversicherung wünsche.
13
Der Kläger beantragt zuletzt:
I. Die Beklagte hat dem Kläger für den Zeitraum 01.06.2021 bis 30.06.2021 ein kalendertägliches Krankentagegeld in Höhe von 150,00 EUR, mithin insgesamt 4.500,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
II. Es wird festgestellt, dass der zwischen den Parteien bestehende Krankentagegeldversicherungsvertrag mit der Versicherungsschein-Nr. … nicht durch die Erklärung der Beklagten vom 07.12.2020 zum 31.05.2021 beendet wurde, sondern zu den ursprünglichen Bedingungen fortbesteht.
Hilfsweise zu 1. und 2.:
Es wird festgestellt, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten im Hinblick auf den Krankentagegeldversicherungsvertrag mit der Versicherungsschein-Nr. … ab dem 01.06.2021 ein Anwartschaftsversicherungsvertrag besteht.
14
Die Beklagte beantragt:
Klageabweisung.
15
Die Beklagte behauptet, ausweislich des ärztlichen Gutachtens läge beim Kläger Berufsunfähigkeit vor, weswegen die Krankengeldtageversicherung nach § 15 Abs. 1 b AVB in Verbindung mit dem Zusatz unter Absatz b.1 spätestens mit Ablauf des sechstens Monats nach Eintritt der Berufsunfähigkeit, mithin hier zum 31.05.2021, ende. Hilfsweise sei eine vollständige Arbeitsunfähigkeit über den 31.05.2021 hinaus nicht gegeben.
16
Eine Anwartschaftsversicherung bestehe nicht, da der Kläger innerhalb der gesetzten Frist eine entsprechende Willenserklärung nicht. Im Rahmen des Telefonats am 05.02.2021 habe der Kläger lediglich die Kosten erfragt, der Wunsch auf Einrichtung einer Anwartschaftsversicherung sei erst danach bekundet worden. Aus § 16 AVB ergebe sich das Erfordernis der Textform bei Willenserklärungen gegenüber dem Versicherer. Die Fristsetzung ergebe sich aus § 15 Ziff. 1 f AVB und diene dem Interesse aller Beteiligten an der Schaffung von Rechtsklarheit. Ohne eine solche Fristsetzung könne der Versicherungsnehmer mit der Einrichtung einer Anwartschaft unbegrenzt zuwarten und sich dementsprechend auch die erforderlichen Prämienzahlungen ersparen.
17
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 10.12.2021 durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Sachverständigen …, welcher dieses unter dem 11.05.2022 erstattete, unter dem 31.08.2022 schriftlich ergänzte und im Termin am 17.03.2023 mündlich erläuterte. Bezüglich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten vom 11.05.2022 (Bl. 85 ff. d.A.) nebst testpsychologischer Zusatzbegutachtung vom 09.05.2022 (Bl. 72 ff. d.A.), auf das Ergänzungsgutachten vom 31.08.2022 (Bl. 126 ff. d.A.) sowie auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 17.03.2023 (Bl. 152 ff. d.A.) verwiesen. Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird vollumfänglich auf die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

18
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
A.
19
Das gegenständliche Versicherungsverhältnis endete wegen eingetretener Berufsunfähigkeit des Klägers gemäß § 15 Abs. 1 b), Abs. b.1 AVB zum 31.05.2021. Dem Kläger steht aus diesem Grund weder weiteres Krankentagegeld ab dem 01.06.2021 zu, noch war festzustellen, dass der Versicherungsvertrag nicht durch die Erklärung der Beklagten vom 07.12.2020 beendet wurde. Im Einzelnen:
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I. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht für das Gericht fest, dass beim Kläger Berufsunfähigkeit eingetreten ist.
21
Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person nach medizinischem Befund im bisher ausgeübten Beruf auf nicht absehbare Zeit mehr als 50 % erwerbsunfähig ist, § 15 Abs. 1 b) AVB. Der Sachverständige … konnte das Vorliegen dieser Voraussetzungen eindeutig feststellen.
22
1. Der Sachverständige hat hinsichtlich der Beurteilung die vom Kläger angegebene Tätigkeitsbeschreibung in den Anlagen K10 und K11 sowie die Angaben des Klägers im Rahmen der durchgeführten Eigenanamnese herangezogen.
23
Hieraus ergibt sich, dass der Kläger zuletzt als Anästhesist in der Palliativmedizin eingesetzt war. Eine Beweisaufnahme zum konkreten bestrittenen Tätigkeitsprofil des Klägers war nicht veranlasst, da auch unter Zugrundelegung dieser Angaben eine Berufsunfähigkeit zu bescheinigen ist.
24
Im Übrigen ist – wie es der Sachverständige auch zunächst zutreffend zu Grunde gelegt hat – auf die Tätigkeit des Klägers als Anästhesist in der Palliativmedizin abzustellen. Bei der Prüfung der Berufsunfähigkeit im Sinne von § 15 Abs. 1 b) AVB ist die zuletzt ausgeübte berufliche Tätigkeit der versicherten Person in ihrer konkreten Ausprägung maßgeblich (vgl. BGH, Beschluss v. 14. Dezember 2016 – IV ZR 422/15). Die Formulierung „bisher ausgeübter Beruf“ lässt nicht offen, ob damit ein allgemeines Berufsbild zu verstehen ist oder der bisherige Beruf in seiner konkreten Ausprägung. Vielmehr muss auch der durchschnittliche, um Verständnis bemühte Versicherungsnehmer erkennen, dass unter dem „bisher ausgeübten Beruf“ dasselbe zu verstehen ist wie unter dem Begriff der „beruflichen Tätigkeit“ im Sinne des § 1 Abs. 3 MB/KT (vgl. BGH, Beschluss v. 14. Dezember 2016, a.a.O.). Mithin ist die konkrete berufliche Tätigkeit bei Eintritt des Versicherungsfalles maßgebend, wobei es auf die ganz konkrete Art der bisherigen Berufsausübung ankommt (vgl. Langheid/Wandt/Hütt, 2. Aufl. 2017, VVG § 192 Rn. 195 m.w.N.).
25
Im Streitfall kann mithin nicht pauschal auf die Tätigkeit als Facharzt für Anästhesie abgestellt werden. Vielmehr kommt es auf die ganz konkrete Art der Berufsausübung und damit auf die Ausgestaltung der Tätigkeit als Anästhesist auf der Palliativstation an. Diese Tätigkeit hat der Kläger unstreitig zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalles ausgeübt. Im Übrigen berichtet auch der Kläger gegenüber dem Sachverständigen im Rahmen der Anamnese, dass sich sein Tätigkeitsprofil auf der Palliativstation verändert habe (vgl. Gutachten v. 11.05.2022, S. 9, Bl. 93 d.A.), da hier insbesondere nach den eigenen Angaben des Klägers die Betreuung der Patienten im Vordergrund stand.
26
2. Im Übrigen ist auf Grundlage der sachverständigen Feststellungen von einer Berufsunfähigkeit im Sinne des § 15 Abs. 1 b) AVB auszugehen.
27
a) Der Sachverständige kommt hierbei nach gründlicher Auswertung der vorhandenen ärztlichen Unterlagen sowie nach Durchführung einer eigenen Anamnese insbesondere zum Vorliegen einer eine Anpassungsstörung im Übergang zu einer Double Depression mit mittelgradig bis intermittierend schwerer depressiver Episode sowie eine Opiodabhängigkeit womit sich insgesamt Beeinträchtigungen für die Bereiche Ausdauer, Konzentration und Entscheidungsfähigkeit ergeben (vgl. Gutachten v. 11.05.2022, S. 17, Bl. 101 d.A.).
28
b) Unter Berücksichtigung der Tätigkeit eines in der Palliativmedizin tätigen Anästhesisten ergibt sich eine Berufsunfähigkeit im Zeitraum August 2019 bis Mai 2021 von 80 % und ab Juni 2021 in einer Größenordnung von 50 % und damit auch ab dem maßgebenden Zeitpunkt November 2020.
29
(1) Es kommt hierbei darauf an, ob die versicherte Person auf Dauer zu mehr als 50 % erwerbsunfähig ist und daher den beruflichen Anforderungen nicht mehr gerecht werden kann. Die Erwerbsunfähigkeit muss weiter „auf nicht absehbare Zeit“ fortbestehen, wobei es um einen Zustand geht, dessen Fortbestand aus sachkundiger Sicht für nicht absehbarer Zeit prognostiziert wird, der jedoch typischerweise nicht als endgültig oder unveränderlich beurteilt werden kann (vgl. BeckOK VVG/Gramse, 18. Ed. 1.2.2023, VVG § 192 Rn. 313 m.w.N.). Eine Erwerbsunfähigkeit auf nicht absehbarer Dauer besteht daher nur dann, wenn nach aller Erfahrung trotz Einsatzes aller medizinischer Mittel mit einer Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit überhaupt nicht zu rechnen ist, oder sich jedenfalls aufgrund der relativ geringen Heilungschancen nicht absehen lässt, ob der Versicherungsnehmer jemals wieder erwerbsfähig sein wird (vgl. Prölss/Martin/Voit, 31. Aufl. 2021, MB/KT 2009 § 15 m.w.N.).
30
Die Prognose ist – gegebenenfalls rückschauend – für den Zeitpunkt zu stellen, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet (vgl. BGH, Urteil v. 30. Juni 2010 – IV ZR 163/09). Die Beurteilung ist aus der ex ante Sicht vorzunehmen, weswegen auch der Verlauf zwischen dem Zeitpunkt des ärztlich dokumentierten Befundes, für den der Versicherer das Ende seiner Leistungspflicht behauptet, und dem Zeitpunkt der Begutachtung durch den Sachverständigen außer Betracht bleibt (vgl. HK-VVG/Jens Rogler, 4. Aufl. 2020, MB/KT 2009 § 15 Rn. 12 m.w.N.).
31
(2) Der Sachverständige begründet die von ihm festgestellte Berufsunfähigkeit nachvollziehbar mit den Diagnosen einer Anpassungsstörung im Übergang zu einer Double Depression und einer persistierenden Opiod-Abhängigkeit – namentlich in der Interaktion mit einer Achse 2 Störung einer ängstlich vermeidenden, dependenten Persönlichkeit. Der Sachverständige stellt insofern auch klar, dass namentlich die Interaktion aus den suchtspezifischen Anteilen, der affektiven Komponente in Interaktion mit einer Achse 2 Störung für die Berufsunfähigkeit relevant ist. Zwar ist zweifelsohne eine Besserung eingetreten, im Ergebnis jedoch dennoch graduell eine weiterhin bestehende Berufsunfähigkeit zu bejahen (vgl. Gutachten v. 31.08.2022, S. 4, Bl. 129 d.A.).
32
(3) Hierbei hat der Sachverständige auch ausgeführt, dass es sich gerade im Hinblick auf das chronifizierte Befundbild um ein nicht nur vorübergehendes Befundbild handelt und eine Änderung des Zustandsbildes nicht absehbar ist (vgl. Gutachten v. 11.05.2022, S. 19 f., Bl. 104 f. d.A.). Vielmehr lässt sich nicht absehen, ob der Kläger trotz Einsatzes aller medizinischer Mittel jemals wieder zu 50 % erwerbsfähig sein wird.
33
Unter Zugrundelegung der oben angeführten rechtlichen Ausführungen mag dem Umstand, dass beim Kläger eine Verbesserung des Gesundheitszustandes eingetreten ist – daher deutliche Hinweise auf eine Remission bestehen und der Kläger auch zum 01.06.2021 für drei Wochen als Arzt gearbeitet hat – keine grundlegende Bedeutung zukommen. Jedenfalls ergibt sich – soweit der Sachverständige auch die künftige Entwicklung mit einbezogen hat (vgl. Niederschrift v. 17.03.2023, S. 4, Bl. 155 d.A.) – keine andere Beurteilung hinsichtlich der Prognoseentscheidung. Insofern hat der Sachverständige nachvollziehbar erläutert, dass das Befundbild des Klägers zunächst nicht aus einer endogenen Depression heraus resultiert, sondern aus einer primären Reaktion aus der Persönlichkeit und der Situation namentlich im Hinblick auf die Palliativpatienten. Die prognostisch zukünftige Wahrscheinlichkeit ist in diesem Fall gegeben, wenn auch die Wahrscheinlichkeit für den Bereich der Arbeit auf der Palliativstation als höher einzustufen ist (vgl. Niederschrift v. 17.03.2023, S. 4., Bl. 155 d.A.).
34
Ergänzend ist an dieser Stelle anzuführen, dass das Gericht keinerlei Zweifel daran hat, dass der Sachverständige den Begriff der Berufsunfähigkeit im Sinne der Krankentagegeldversicherung zu Grunde gelegt hat. Zum einen wurde dem Sachverständigen im Beweisbeschluss die Definition des Begriffes klar vorgegeben und zum anderen hat der Sachverständige auch nochmals im Rahmen der mündlichen Erörterung des Gutachtens klargestellt, dass dieser ihm vorgegebene Begriff der Begutachtung zu Grunde gelegt wurde und er namentlich eine retrospektive Beurteilung vorgenommen hat. Wenn der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten den Begriff der „Verweisungstätigkeit“ verwendet hat, so mag dies unter Berücksichtigung sämtlicher Ausführungen des Sachverständigen ernsthafte Zweifel nicht hervorrufen zu können.
B.
35
Zwischen den Parteien besteht kein Anwartschaftsversicherungsvertrag, sodass der Hilfsantrag insoweit abzuweisen war. Der Kläger hat innerhalb der mit Schreiben vom 07.12.2020 (Anlage K4) gesetzten Frist, welche mit Schreiben vom 11.02.2021 (Anlage B 4) verlängert wurde, einen formwirksamen Antrag auf Abschluss einer Anwartschaftsversicherung nicht gestellt.
36
I. In den dem Versicherungsvertrag zu Grunde liegenden Versicherungsbedingungen ist geregelt, dass im Falle der Beendigung des Versicherungsverhältnisses, insbesondere wegen Eintritt, der Berufsunfähigkeit, der Antrag innerhalb von zwei Monaten seit Eintritt der Berufsunfähigkeit zu stellen ist, § 15 f) AVB.
37
Eine derartige Klausel ist weder überraschend, noch benachteiligt sie den Versicherungsnehmer unangemessen, § 305 c, § 307 BGB.
38
Es ist nicht zu beanstanden, wenn das Recht auf Beantragung einer Anwartschaftsversicherung an eine Frist – in der Regel zwei Monate – geknüpft wird. Eine solche dient vielmehr dem beiderseitigen Interesse an der Schaffung klarer rechtlicher Verhältnisse. Insofern stößt es auch auf keine Bedenken, wenn die Frist bereits vor Beendigung des Versicherungsverhältnisses endet (vgl. zu alldem Langheid/Wandt/Hütt, 2. Aufl. 2017, VVG § 192). Namentlich kann nicht angeführt werden, der Versicherungsnehmer werde zur Aufgabe seiner Rechtsposition gedrängt, weil diesem auch ohne Weiteres die Möglichkeit offen steht, das Angebot auf Einrichtung einer Anwartschaftsversicherung auch vorbehaltlich der gerichtlichen Nachprüfung des Eintritts der Berufsunfähigkeit anzunehmen (Bach/Moser/Hütt, 6. Aufl. 2023, MB/KT § 15, Rn. 6).
39
II. Auch ein expliziter Hinweis darauf, dass es sich hierbei um eine „Ausschlussfrist“ handelt, ist jedenfalls im Streitfall nicht notwendig.
40
Bereits mit Schreiben vom 07.12.2020 (Anlage K4) wurde der Kläger darauf hingewiesen, dass er für die Vereinbarung einer Anwartschaftsversicherung noch bis zum 09.02.2021 „Zeit habe“. Nachdem erst kurz vor Fristablauf entsprechende Nachfragen durch den Kläger erfolgt sind und in diesem Zuge die Frist entsprechend verlängert wurde, erfolgte ein expliziter und durch Unterstreichungen optisch hervorgerufener Hinweis, dass sich der Kläger „spätestens bis zum 18.02.2021“ schriftlich zu melden habe.
41
Ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer muss bei aufmerksamer Durchsicht dieser Schreiben und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges erkennen, dass der Antrag auf Einrichtung einer Anwartschaftsversicherung nach diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich ist. Dies gilt zuletzt auch deswegen, weil die Fristsetzung an sich in den Versicherungsbedingungen innerhalb der maßgebenden Vorschrift geregelt ist.
42
III. Ein entsprechender Antrag des Klägers ist auch innerhalb der verlängerten Frist unstreitig nicht gestellt worden. Darauf, ob der Kläger telefonisch den Wunsch auf Einrichtung einer Anwartschaftsversicherung gestellt hat, kommt es nicht an, da ein solcher Antrag jedenfalls den Erfordernissen des § 16 AVB nicht gerecht wird.
43
IV. Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten sowie die insoweit beantragte Verzinsung.
C.
44
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1, Satz 2 ZPO.
45
Der Streitwert beträgt insgesamt 31.500,00 € (Antrag Ziffer I: 4.500,00 €; Antrag Ziffer II: 27.000,00 €, vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2016 – IV ZR 477/15). Die Nichtberücksichtigung des Hilfsantrages ergibt sich aus § 45 Abs. 1 Satz 2, Satz 3 GKG.