Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 18.01.2023 – Au 6 K 22.2096
Titel:

Kraftfahrzeug-Lackiererei, Neustarthilfe, Betroffenheit durch pandemiebedingten Umsatzrückgang (verneint)

Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1, S. 2
GG Art. 3
Neustarthilfe innerhalb der Überbrückungshilfe IV
Richtlinie für die Gewährung von Überbrückungshilfe des Bundes für kleine und mittelständische Unternehmen – Phase 5 (Überbrückungshilfe IV) – Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums für Wirtschaft Landesentwicklung und Energie vom 6. Mai 2022
Schlagworte:
Kraftfahrzeug-Lackiererei, Neustarthilfe, Betroffenheit durch pandemiebedingten Umsatzrückgang (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 14702

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger wendet sich gegen den ablehnenden Bescheid über die Corona-Überbrückungshilfe und begehrt eine Neustarthilfe unter Zahlung von 4.500,00 Euro.
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Der Kläger betreibt eine Kraftfahrzeug-Lackiererei. Mit seinem auf den 15. Juni 2022 datierten und mit Eingangsbestätigung vom 15. Juni 2022 gekennzeichneten Antrag begehrte der Kläger die Gewährung einer Neustarthilfe für das zweite Quartal 2022 im Rahmen der Überbrückungshilfe des Bundes für kleine und mittelständische Unternehmen – Phase 5 in Form (im Folgenden „Überbrückungshilfe IV“) in Höhe von insgesamt 4.750,00 Euro (Behördenakte Teil I Bl. 5).
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Auf Nachfragen der Beklagten und Anregung, den Antrag mangels Förderfähigkeit zurückzuziehen, ließ der Kläger über seine Steuerberatung zur Coronabedingtheit mitteilen, er sei weiterhin von staatlichen Coronamaßnahmen im Förderzeitraum ab April 2022 betroffen und zwar von der Corona-Verordnung von Januar bis April; auf Frage nach den individuellen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf das Geschäft im Förderzeitraum ab April 2022 ließ er angeben: Coronaverordnung von Januar bis April (ebenda Bl. 18).
Weiter ließ er mitteilen, die Corona-Verordnungen endeten zwar im März 2022, aber der Kläger leide in seinem Lackierbetrieb unter den Corona-Folgewirkungen. Die Automobilwerke seien mit der Produktion von Neufahrzeugen um Monate im Rückstand, deshalb stagniere auch der Gebrauchtwagenmarkt und als Folge daraus würden Kleinschäden nicht zwingend mangels Verkaufs repariert und lackiert. Die Instandsetzungen seien nicht ausgelastet, demzufolge hätten auch die Lackierer weniger Arbeit und in Ermangelung von Aufträgen verschmähten auch Großlackierereien keine Kleinaufträge mehr, so dass auch die Werkstatt des Klägers in der Auftragsvergabe benachteiligt werde (ebenda Bl. 31).
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Zwecks unionsrechtlicher Fristwahrung erließ die Beklagte einen vorläufigen Bescheid vom 21. Juni 2022 über eine Billigkeitsleistung dem Grunde nach zur Sicherung der beihilferechtlichen Zulässigkeit einer etwaigen späteren Auszahlung angesichts des Auslaufens des befristeten Beihilferahmens am 30. Juni 2022 und unter dem Vorbehalt der vollständigen Prüfung des Antrags (ebenda Bl. 26).
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 28. September 2022 lehnte die Beklagte den Antrag mit Verweis auf die fehlende Förderfähigkeit ab.
Sein prüfender Dritter habe nicht dargelegt, dass sein Umsatzeinbruch coronabedingt eingetreten sei und auch nicht dargelegt, dass er einer betroffenen Branche angehöre und ausschließlich oder zumindest ganz überwiegend coronabedingte Umsatzrückgänge erlitten habe. Auf Rückfragen habe der prüfende Dritte berichtet, dass der Umsatzrückgang aufgrund einer schwachen Auftragslage entstanden sei und trotz ausdrücklichen Hinweises, dass die von ihm ausgeführten Erläuterungen keinen coronabedingten Umsatzrückgang begründeten, nicht dargelegt, dass der Umsatzrückgang coronabedingt sei. Gemäß der Richtlinie Ziffer 3.8 Buchst. a) werde den Soloselbständigen eine Neustarthilfe als Billigkeitsleistung u.a. gewährt, wenn der Umsatz während der dreimonatigen Laufzeit vom 1. April bis 30. Juni 2022 im Vergleich zu einem dreimonatigen Referenzumsatz 2019 um über 60% zurückgegangen sei. Der Antragsteller habe den Nachweis nicht erbracht, dass sein Umsatzrückgang coronabedingt ist. Der vorläufige Bewilligungsbescheid vom 21. Juni 2022 sei unter dem Vorbehalt der vollständigen Prüfung der Antragsberechtigung gestanden und werde durch diesen Bescheid ersetzt.
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Der Bescheid wurde am 29. September 2022 zum Abruf im digitalen Antragssystem bereitgestellt und dies digital dem Kläger mit dem Hinweis mitgeteilt, der Bescheid gelte unabhängig von dem tatsächlichen Abruf am dritten Tag nach dem Absenden dieser Benachrichtigungsemail als bekannt gegeben (Art. 6 Abs. 4 S. 3 BayEGovG).
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Mit am 28. Oktober 2022 eingegangenem Schreiben vom 28. Oktober 2022 erhob der Kläger Klage und beantragt zuletzt,
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1. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 28. September 2022 wird aufgehoben.
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2. Die Beklagte wird verpflichtet, über die im Antrag vom 15. Juni 2022 beantragte Neustarthilfe für das zweite Quartal 2022 in Höhe von 4.500,00 Euro neu zu entscheiden.
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Zur Begründung vertiefte der Kläger das Vorbringen seiner Steuerberaterin aus dem Antragsverfahren. Auch nach Auslaufen der Corona-Verordnungen im März 2022 litten die Automobilindustrie und die Karosserie- und Lackierwerkstätten unter den Folgewirkungen von Corona (Störung der internationalen Lieferketten, Kleinschäden an Gebrauchtfahrzeugen würden nicht zwecks Weiterverkaufs repariert und lackiert, Rückgang der Unfallzahlen in Folge vermehrten Homeoffices und Rückgang des berufsbedingten Verkehrs, Rückübertragung von Lackieraufträgen an die Lackierereien der Automobilhersteller statt an freie Werkstätten). Er verwies auf Umsatzübersichten.
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Die Beklagte trat der Klage entgegen und beantragt,
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Die Klage wird abgewiesen.
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Zur Begründung bringt sie vor, dass die streitgegenständliche Bereitstellung öffentlicher Mittel nicht Gegenstand einer gesetzlichen Anspruchsnorm sei. Die Förderung über Billigkeitsleistungen liege im weiten gestalterischen Ermessen, das maßgeblich vom politischen Willen der Verantwortlichen bestimmt werde. Ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften (wie Förderrichtlinien, FAQs etc.) würden dabei keiner eigenständigen richterlichen Auslegung wie Rechtsnormen unterliegen und daher nicht am Maßstab des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gemessen. Insoweit liege die Interpretationshoheit beim Zuwendungs- und Richtliniengeber und mit diesen bei der Beklagten (vgl. VG München, U.v. 15.9.2021 – M 31 K 21.110, juris Rn. 26). Ein Förderanspruch könne sich nur durch aus einer durch den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) begründeten Selbstbindung der Verwaltung ergeben. Dem Zuwendungsgeber stehe es frei, sich für eine bestimmte Verwaltungspraxis zu entscheiden und diese zu handhaben. Die allein relevante Willkürgrenze werde selbst dann nicht überschritten, wenn es auch für eine alternative Förderpraxis gute oder ggf. bessere Gründe gäbe. Eine Verletzung liege nur dann vor, wenn die maßgeblichen Kriterien unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar wären und sich der Schluss aufdrängen würde, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhten (vgl. VG München, U.v. 15.9.2021 – M 31 K 21.110, juris Rn. 28). Ein Anspruch könne daher nur bestehen, wenn die in den Förderrichtlinien dargelegten Voraussetzungen ausgehend von der Vollzugspraxis der Bewilligungsstelle und deren Interpretation vorliegen und vergleichbare Anträge in ständiger Förderpraxis positiv verbeschieden würden (BVerfG, B.v. 14.10.2008 – 1 BvF 4/05; BVerwG, U.v. 11.5.2006 – 5 C 10.05; B.v. 11.11.2008 – 7 B 38.08), woran es im vorliegenden Fall fehle.
Der Kläger sei nicht vom Kreis der förderberechtigten Unternehmen erfasst. Dies beruhe auf einer politischen Abwägung der zuständigen Organe des Bundes, gegen die verfassungsrechtlich nichts zu erinnern sei. Es fehle insofern an der nach Ziffer 3.8 Buchst. a und Buchst. e der Richtlinie für die Gewährung von Überbrückungshilfe IV erforderlichen Antragsberechtigung, denn sein Umsatz sei während der dreimonatigen Laufzeit von April bis Juni 2022 (2. Quartal 2022) im Vergleich zum dreimonatigen Referenzumsatz (in der Regel aus 2019) nicht coronabedingt um mindestens 60% zurückgegangen. Als objektiven Anknüpfungspunkt für die Förderberechtigung stelle die Beklagte in ihrer ständigen Verwaltungspraxis auf die Betroffenheit von Infektionsschutzmaßnahmen ab wie etwa die Zugehörigkeit oder die Nähe zu einer von Schließungsanordnungen betroffenen Branche. Nicht als coronabedingt gälten beispielsweise Umsatzeinbrüche, die auf wirtschaftliche Faktoren allgemeiner Art (wie Liefer- oder Materialengpässe) zurückzuführen seien oder die sich erkennbar daraus ergäben, dass Umsätze beziehungsweise Zahlungseingänge sich lediglich zeitlich verschöben. Ebenso seien Umsatzeinbrüche aufgrund von Schwierigkeiten in der Mitarbeiterrekrutierung nicht coronabedingt. Die vom Kläger angegebenen Umsatzeinbußen in den Fördermonaten April 2022 bis Juni 2022 seien nicht coronabedingt entstanden, denn er sei als Inhaber eines Karosserie- und Lackierbetriebs in diesem Zeitraum unstreitig nicht von bis März 2022 reichenden staatlichen Schließungsverordnungen betroffen gewesen. Gerade aufgrund des weitgehenden Wegfalls von Infektionsschutzmaßnahmen zu diesem Zeitpunkt sei ab April 2022 ein strengerer Maßstab an die Coronabedingtheit eines Umsatzeinbruches anzulegen als noch im Januar bis März 2022. Ein im April 2022 auftretender Umsatzeinbruch sei vielfach gerade nicht mehr auf die Corona-Pandemie, sondern auf andere wirtschaftliche Effekte, wie ein geändertes Kaufverhalten, zurückzuführen. Der Vortrag des Klägers im Förderverfahren, von einem Auftragsrückgang betroffen zu sein, den er u.a. auf gestörte Lieferketten in der Automobilindustrie zurückführe, werde diesem Maßstab nicht gerecht. Der Auftragsrückgang lasse sich objektiv nicht mit im Förderzeitraum noch bestehenden pandemiebedingten Einschränkungen begründen. Dass seine Kunden seine Leistungen weniger in Anspruch nähmen, sei vielmehr ein unabhängig von der Pandemie bestehendes Geschäftsrisiko des Klägers. Derartige generelle unternehmerische Risiken würden in ständiger Verwaltungspraxis der Beklagten nicht mit der Neustarthilfe 2022 ausgeglichen. Es sei nicht willkürlich und ohne Sachgrund, die streitgegenständliche Förderung auf solche Betriebe zu beschränken, deren Umsatzeinbruch coronabedingt sei. Mit der Neustarthilfe 2022, die als außerordentliche Wirtschaftshilfe im Rahmen des Förderprogramms der Überbrückungshilfe IV ausgestaltet sei, sollten diejenigen Unternehmen gefördert werden, die erhebliche Umsatzausfälle aufgrund der Corona-Pandemie erlitten hätten, vgl. Ziffer 1 der Richtlinie zur Überbrückungshilfe IV. Diesem Zweck widerspräche, würden auch Umsatzausfälle ausgeglichen, die auf wirtschaftliche Faktoren allgemeiner Art zurückzuführen seien. Mit Blick auf den Zweck des Förderverfahrens, eine rasche und unkomplizierte Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel zu gewährleisten, seien klare Abgrenzungskriterien erforderlich. Es sei auch deshalb sachgerecht, auf objektive und eindeutige Kriterien wie die Betroffenheit von Infektionsschutzmaßnahmen beziehungsweise die Zugehörigkeit zu einer von Schließungsanordnungen betroffenen Branche abzustellen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte sowie das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage erweist sich als zulässig, aber unbegründet.
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I. Die Klage ist zulässig.
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1. Die Klage ist statthaft als Verpflichtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO in Form der Versagungsgegenklage auf Neuverbescheidung gegen den ablehnenden Verwaltungsakt der Beklagten vom 28. September 2022.
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2. Der Kläger ist klagebefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO, weil ein Anspruch aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. der tatsächlichen Vergabepraxis auf Neuverbescheidung nicht von vornherein auszuschließen ist.
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3. Die Klagefrist nach § 74 Abs. 2, Abs. 1 Satz 2 VwGO ist gewahrt, denn gegen den Bescheid vom 28. September 2022 hat der Kläger am 28. Oktober 2022 – und damit vor Ablauf der Klagefrist am 2. November 2022 um 24 Uhr – Klage erhoben.
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II. Die Klage ist unbegründet, weil die Ablehnung des Verwaltungsakts nicht rechtswidrig ist, da kein Anspruch auf Neuverbescheidung besteht (§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO). Die Ermessensentscheidung der Beklagten erweist sich nicht als ermessensfehlerhaft (§ 114 VwGO).
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die hier begehrte Ermessensentscheidung ist nach der geübten und gerichtsbekannten Verwaltungspraxis der Beklagten der Zeitpunkt des Bescheidserlasses. Die gerichtliche Prüfung erstreckt sich demnach nur auf Ermessensfehler, die dem Bescheid zu entnehmen sein müssen (§ 114 VwGO). Über bloße Erläuterungen des bisherigen Vorbringens hinausgehender Vortrag neuer Tatsachen und die Vorlage neuer, nicht bis zum Bescheidserlass vorgelegter Urkunden sind daher unbeachtlich (vgl. VG Augsburg, U.v. 21.12.2022 – Au 6 K 22.955 – Rn. 41 mit Verweis auf VG Würzburg, U.v. 29.11.2021 – W 8 K 21.982 – BeckRS 2021, 42720 Rn. 16 m.w.N.).
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1. Die Rechtmäßigkeit der Ablehnung der Überbrückungshilfe richtet sich allein nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis. Maßgeblich dafür sind insbesondere die Richtlinien für die Gewährung von Hilfen sowie die FAQ (dazu VG Würzburg, U.v. 24.10.2022 – W 8 K 21.1263 – juris Rn. 28 ff. m.w.N.).
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a) Die Förderrichtlinien stellen zwar keine Rechtsnormen dar, begründen aber als Verwaltungsvorschriften über den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) und das im Rechtsstaatsprinzip verankerte Gebot des Vertrauensschutzes (Art 20 Abs. 3 und Art. 28 GG) Außenwirkung in der Gestalt, die sie durch die ständige Verwaltungspraxis gefunden haben (BayVGH, B.v. 3.5.2021 – 6 ZB 21.301 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 18.5.2020 – 6 ZB 20.438 – juris Rn. 6).
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Die Richtlinien begründen vom Ansatz her keinen gebundenen Anspruch auf eine Billigkeitsleistung in bestimmter Höhe, sondern es besteht zusammen mit Art. 40 BayVwVfG, wonach die Behörde, wenn sie ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten hat, ein Anspruch eines jeden Antragstellers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Behörde über seinen Antrag. Dabei ist die gerichtliche Kontrolle nach § 114 Satz 1 VwGO auf die Prüfung beschränkt, ob der Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. (BayVGH, B.v. 8.11.2021 – 6 ZB 21.2023 – juris Rn. 6; VG Düsseldorf, U.v. 15.9.2022 – 16 K 5167.21 – juris Rn. 29)
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Im Rahmen des behördlich auszuübenden Ermessens kommt den Förderrichtlinien, bei denen es sich nicht um eine Rechtsnorm, d.h. nicht einen Rechtssatz mit Außenwirkung, sondern um eine (bloße) interne Verwaltungsvorschrift handelt, die Funktion zu, für die Verteilung der Fördermittel einheitliche Maßstäbe zu setzen und dadurch das Ermessen der Bewilligungsbehörde intern zu binden und zu steuern. Als ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften unterliegen derartige Förderrichtlinien auch keiner eigenständigen richterlichen Auslegung wie Rechtsnormen. Entscheidend ist vielmehr, wie die zuständigen Behörden die Verwaltungsvorschrift im maßgeblichen Zeitpunkt in ständiger Praxis gehandhabt haben und in welchem Umfang sie infolgedessen durch den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG gebunden sind. Durch den Gleichheitssatz ist die Bewilligungsbehörde in ihrem rechtlichen Verhältnis zum Förderempfänger – abgesehen von den sonstigen gesetzlichen Grenzen des Verwaltungshandelns – gebunden. Wenn sich die Behörde an ihre Förderrichtlinien hält, ist sie durch das Gleichbehandlungsgebot verpflichtet, dies auch weiterhin zu tun, sofern nicht sachliche Gründe im Einzelfall eine Abweichung rechtfertigen oder gar gebieten. Weicht sie hingegen generell von den Förderrichtlinien ab, so verlieren diese insoweit ihre ermessensbindende Wirkung; ob das Verwaltungshandeln mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar ist, beurteilt sich dann nur nach der tatsächlichen Verwaltungspraxis. Dem Zuwendungsgeber steht es frei, sich für eine bestimmte Verwaltungspraxis zu entscheiden und diese konsequent anzuwenden. Die allein relevante Willkürgrenze wird selbst dann nicht überschritten, wenn es auch für eine alternative Förderpraxis gute oder ggf. bessere Gründe gäbe. Eine Verletzung liegt nur dann vor, wenn die maßgeblichen Kriterien unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar wären und sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruhen (BayVGH, B.v. 8.11.2021 – 6 ZB 21.2023 – juris Rn. 6 und 13; VG Düsseldorf, U.v. 15.9.2022 – 16 K 5167.21 – juris Rn. 30 m.w.N.).
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Zur Feststellung der tatsächlich ausgeübten Verwaltungspraxis kann dabei neben den Förderrichtlinien ergänzend auf öffentliche Verlautbarungen der Bewilligungsbehörde, der dieser übergeordneten Landesbehörde oder der aufgrund Verwaltungsvereinbarung in die Förderung eingebundenen zuständigen Bundesbehörde zurückgegriffen werden, wenn diese Aufschluss über die tatsächlich geübte Verwaltungspraxis geben (VG Düsseldorf, U.v. 15.9.2022 – 16 K 5167.21 – juris Rn. 32 m.w.N.). Relevant insoweit sind namentlich die gemeinsam vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und dem Bundesministerium der Finanzen veröffentlichten FAQs zur „Corona-Überbrückungshilfe IV“.
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b) Der Kläger hat nach diesen Maßstäben keinen Anspruch auf eine Billigkeitsleistung in Form der Neustarthilfe. Er ist zwar allgemein von den Folgen der Corona-Pandemie betroffen, aber nicht in der für die hier begehrte Hilfe erforderlichen Weise.
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Grundlage für eine etwaige Förderfähigkeit der geltend gemachten Aufwendungen sind Ziffer 2.1 Satz 1 und Satz 3 bis Satz 5 sowie Ziffer 3.8 der Richtlinie für die Überbrückungshilfe IV.
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Antragsberechtigt für die Neustarthilfe im Zeitraum Januar 2022 bis Juni 2022 (Förderzeitraum) sind Soloselbständige, wenn ansonsten keine betrieblichen Fixkosten gemäß Ziffer 3.1 geltend gemacht werden und der Umsatz coronabedingt während der Laufzeit im ersten Quartal Januar 2022 bis März 2022 bzw. im zweiten Quartal im Zeitraum April 2022 bis Juni 2022 im Vergleich zum dreimonatigen Referenzumsatz (in der Regel aus 2019) um mindestens 60% zurückgegangen ist.
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Dies zugrunde gelegt hat die Beklagte ermessensgerecht die Gewährung der Neustarthilfe versagt: Nach dem Vorbringen des Klägers war er seit April 2022 und damit ab Beginn des Förderzeitraums nicht von coronabedingten Schließungsanordnungen betroffen, sondern konnte sein Geschäft unbeschränkt öffnen und offenhalten. Er konnte sein Leistungsangebot in vollem Umfang anbieten. Wie die Beklagte nachvollziehbar ausgeführt hat, war er hingegen von Veränderungen der Nachfrage nach seinen Leistungen betroffen, da er nach eigenen Angaben unter dem Rückgang des Verkehrsaufkommens, der Verkehrsunfälle und damit auch der Unfallschäden an gebrauchten Kraftfahrzeugen sowie der verringerten Automobilproduktion in Folge gestörter internationaler Lieferketten litt (vgl. Protokoll v. 18.1.2023, S. 2). Dies sind gesamtwirtschaftliche Veränderungen, die nicht spezifisch ihn oder seine Branche allein trafen, sondern eine größere Zahl an Branchen. Diese Auswirkungen sind Fernwirkungen der Corona-Pandemie, aber nicht coronabedingt im Sinne einer unmittelbaren oder mittelbaren Verursachung durch staatliche Schließungsanordnungen in Deutschland und werden nach der von der Beklagten dargelegten Förderpraxis nicht mit der Neustarthilfe 2022 ausgeglichen.
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c) Die Beklagte hat zu ihrer Förderpraxis plausibel ausgeführt, dass mit Blick auf den Zweck des Förderverfahrens, eine rasche und unkomplizierte Verteilung der zur Verfügung stehenden Mittel zu gewährleisten, klare Abgrenzungskriterien erforderlich seien. Es sei auch deshalb sachgerecht, auf objektive und eindeutige Kriterien wie die Betroffenheit von Infektionsschutzmaßnahmen beziehungsweise die Zugehörigkeit zu einer von Schließungsanordnungen betroffenen Branche abzustellen.
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Die Beklagte hat nachvollziehbar dargelegt, dass die Überbrückungshilfe IV als außerordentliche Wirtschaftshilfe ausgestaltet sei und Unternehmen gefördert werden sollten, die erhebliche Umsatzausfälle aufgrund der staatlichen Beschränkungen der wirtschaftlichen Tätigkeit zur Bekämpfung der Corona-Pandemie wie Schließungsanordnungen erlitten hätten. Dieser Zweck wäre gefährdet, würden auch Umsatzausfälle ersetzt, die auf wirtschaftliche Faktoren allgemeiner Art wie Lieferengpässe zurückzuführen sind, mögen diese auch Fernwirkungen der Pandemie sein. Diese Gründe sind sachgerecht und vertretbar, ein Überschreiten der Willkürgrenze ist nicht ersichtlich.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V. m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.