Titel:
erfolglose Asylklage (Somalia)
Normenketten:
AsylG § 3, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Auch wenn die wirtschaftliche und humanitäre Lage in Somalia aktuell sehr prekär ist, ist es einem jungen, gesunden arbeitsfähigen Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen, der zudem bei seiner Rückkehr auf verwandtschaftliche Unterstützung in Mogadischu ebenso wie auf Rückkehrhilfen (Rückkehrprogramm REAG/GARP) zurückgreifen kann, zumutbar, sein Existenzminimum in Mogadischu zu sichern. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Somalia, unglaubhafte Verfolgungsgeschichte, interne Schutzmöglichkeit in Mogadischu bei arbeitsfähigem Mann ohne Unterhaltsverpflichtungen und mit verwandtschaftlichem Anschluss vor Ort, Mogadischu, al-Shabaab, konstruierte Fluchtgeschichte
Fundstelle:
BeckRS 2023, 14685
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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1. Der Kläger ist nach eigenen Angaben somalischer Staatsangehöriger und dem Clan der Mahdiban zugehörig. Er reiste im Januar 2022 ins Bundesgebiet ein und stellte hier am 24. Februar 2022 einen Asylantrag. Die persönliche Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erfolgte am 25. Februar 2022. Auf die dabei gemachten Angaben des Klägers wird Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 2. März 2022 stellte das Bundesamt fest, dass dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt wird (Ziffer 1). Ebenso wurde der Antrag auf Asylanerkennung abgelehnt (Ziffer 2). Der subsidiäre Schutzstatus wurde nicht zuerkannt (Ziffer 3) und es wurde festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Ziffer 4). Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen; im Falle einer Klageerhebung ende die Ausreisefrist 30 Tage nach dem unanfechtbaren Abschluss des Asylverfahrens. Sollte der Kläger die Ausreisefrist nicht einhalten, werde er nach Somalia abgeschoben. Der Kläger könne auch in einen anderen Staat abgeschoben werden, in den er einreisen dürfe oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet sei. Die durch die Bekanntgabe dieser Entscheidung in Lauf gesetzte Ausreisefrist wurde bis zum Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist ausgesetzt (Ziffer 5). Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Ziffer 6).
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Wegen der Begründung wird auf den vorgenannten Bescheid des Bundesamts Bezug genommen. Der Bescheid ging ausweislich der bei den Behördenakten befindlichen Empfangsbestätigung am 7. März 2022 bei der Aufnahmeeinrichtung ein und wurde dem Kläger am 8. März 2022 ausgehändigt.
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2. Gegen den Bescheid des Bundesamts erhob der Kläger mit Schriftsatz vom 10. März 2022, eingegangen bei Gericht am 11. März 2022 per Telefax, Klage und lässt zuletzt beantragen,
Die Beklagte wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 2. März 2022 verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen;
hilfsweise, dem Kläger den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen;
hilfsweise, festzustellen, dass beim Kläger Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG vorliegen.
5
Wegen der Begründung wurde zunächst auf die Angaben des Klägers im Rahmen seiner Anhörung beim Bundesamt verwiesen. Ergänzend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass dem Kläger in Somalia durch al-Shabaab Verfolgung drohe und er sein Heimatland vorverfolgt verlassen habe. Eine inländische Fluchtalternative komme für den Kläger nicht in Betracht, da ihn al-Shabaab in ganz Somalia auffinden würde. Mit Blick auf die sehr schlechte humanitäre Lage in Somalia stünde dem Kläger zumindest ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
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3. Mit Schriftsatz des Bundesamts vom 17. März 2022 beantragt die Beklagte,
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Zur Begründung wurde auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
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4. Mit Beschluss vom 17. Oktober 2022 wurde der Rechtsstreit dem Einzelrichter übertragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die beigezogene Behördenakte sowie auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Das Gericht konnte im vorliegenden Fall über die Klage entscheiden, ohne dass ein Vertreter der Beklagten an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat. Das Bundesamt wurde ausweislich der Gerichtsakte ordnungsgemäß geladen. Auf den Umstand, dass beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann, wurden die Beteiligten in der Ladung ausdrücklich hingewiesen (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.
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Der Bescheid des Bundesamts vom 2. März 2022 ist rechtmäßig. Der Kläger hat zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 AsylG) keinen Anspruch auf Zuerkennung der klagegegenständlichen Schutzansprüche (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Auch die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 bzw. Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nicht zu.
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1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559, 560), wenn er sich (1.) aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (2.) außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, (a) dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder (b) in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will. Nach § 3c AsylG kann eine solche Verfolgung ausgehen von (1.) dem Staat, (2.) Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen, oder (3.) nichtstaatlichen Akteuren, sofern die in den Nrn. 1 und 2 genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht. Aus § 3a AsylG ergibt sich, welche Handlungen als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG gelten. Zwischen derartigen Handlungen und den in § 3b AsylG näher definierten Verfolgungsgründen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG).
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Die Furcht vor Verfolgung ist begründet (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG), wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – juris; BVerwG, U.v. 5.11.1991 – 9 C 118/90 – BVerwGE 1989, 162 f.; BVerwG, U.v. 15.3.1988 – 9 C 278/86 – BVerwGE 1979, 143 f.). Für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach § 3a AsylG vorliegt, ist Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (EU-Anerkennungs-RL in der Neufassung vom 13. Dezember 2011, RL 2011/95/EU) ergänzend anzuwenden. Danach ist die Tatsache, dass ein Ausländer bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass seine Furcht vor Verfolgung begründet ist bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird (BVerwG, U.v. 24.11.2009 – 10 C 24.08 – juris Rn. 14).
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Das Gericht muss dabei die volle Überzeugung von der Wahrheit des vom Asylsuchenden behaupteten individuellen Schicksals und hinsichtlich der zu treffenden Prognose, dass dieses die Gefahr der Verfolgung begründet, erlangen. Angesichts des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylsuchende insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland befinden, kommt dabei dem persönlichen Vorbringen des Asylsuchenden und dessen Würdigung für die Überzeugungsbildung eine gesteigerte Bedeutung zu (BVerwG, U.v. 16.4.1985 – 9 C 109/84 – Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 32). Demgemäß setzt ein Asyl- oder Flüchtlingsanspruch voraus, dass der Asylsuchende den Sachverhalt, der seine Verfolgungsfurcht begründen soll, schlüssig darlegt. Dabei obliegt es ihm, unter genauer Angabe von Einzelheiten und gegebenenfalls unter Ausräumung von Widersprüchen und Unstimmigkeiten einen in sich stimmigen Sachverhalt zu schildern, der geeignet ist, das Asyl- bzw. Flüchtlingsbegehren lückenlos zu tragen (BVerwG, U.v. 8.5.1984 – 9 C 141/83 – Buchholz § 108 VwGO Nr. 147).
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An der Glaubhaftmachung von Verfolgungsgründen fehlt es in der Regel, wenn der Asylsuchende im Laufe des Verfahrens unterschiedliche Angaben macht und sein Vorbringen nicht auflösbare Widersprüche enthält, wenn seine Darstellung nach der Lebenserfahrung oder aufgrund der Kenntnis entsprechender vergleichbarer Geschehensabläufe unglaubhaft erscheint, sowie auch dann, wenn er sein Asylvorbringen im Laufe des Asylverfahrens steigert, insbesondere wenn er Tatsachen, die er für sein Asylbegehren als maßgeblich bezeichnet, ohne vernünftige Erklärung erst sehr spät in das Verfahren einführt (vgl. BVerfG, B.v. 29.11.1990 – 2 BvR 1095/90 – InfAuslR 1991, 94/95; BVerwG, U.v. 30.10.1990 – 9 C 72/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 135; BVerwG, B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – Buchholz 402.25 § 1 AsylG Nr. 113).
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1.2. Der Kläger ist aufgrund des von ihm vorgetragenen Verfolgungsschicksals nicht als Flüchtling im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG anzuerkennen.
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Denn die vom Kläger gemachten Angaben zu seinem (angeblichen) Verfolgungsschicksal sind völlig unglaubhaft. So hatte der Kläger beim Bundesamt zunächst vorgetragen, er sei in Somalia von al-Shabaab verfolgt worden, weil er (zu Unrecht) für einen Spion gehalten worden sei (vgl. S. 6 ff. der Anhörungsniederschrift des Bundesamts). In der mündlichen Verhandlung gab er dann an, dass seine damaligen Angaben nicht korrekt gewesen seien, er sei vielmehr tatsächlich ein Spion der Regierung gewesen (vgl. 3 der Sitzungsniederschrift). Einen plausiblen Grund, weswegen er beim Bundesamt insoweit falsche Angaben machte, vermochte der Kläger allerdings nicht vorzubringen.
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Unabhängig davon ist der Vortrag zu seinem Verfolgungsschicksal auch noch in einer ganzen Reihe weiterer Punkte widersprüchlich und damit unglaubhaft. So hatte der Kläger sowohl beim Bundesamt (vgl. S. 9 der Anhörungsniederschrift) als auch in der mündlichen Verhandlung zunächst angegeben, im Rahmen seiner zweiten Inhaftierung von al-Shabaab weder gefoltert noch geschlagen worden zu sein. Bei der Rückübersetzung gab der Kläger dann allerdings an, er sei auch bei dieser Gelegenheit geschlagen worden, nur nicht so heftig (vgl. S. 4 der Sitzungsniederschrift). Auch die klägerischen Angaben zum Zeitraum zwischen den zwei Verschleppungen variieren deutlich. Beim Bundesamt hatte er zunächst einen Zeitraum von Tagen (S. 8 der Anhörungsniederschrift) zu Protokoll gegeben, in der mündlichen Verhandlung gab er dagegen rund eine Woche an (vgl. S. 4 der Sitzungsniederschrift). Schriftsätzlich hat der Kläger schließlich vortragen lassen, es seien rund vier Wochen zwischen den beiden Inhaftierungen gewesen (vgl. Schriftsatz vom 13.3.2023, Bl. 61R der GA).
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Widersprüchlich waren auch die Angaben hinsichtlich seines Aufenthalts in Mogadischu. Zunächst hatte der Kläger beim Bundesamt vorgetragen, er sei von al-Shabaab auch in Mogadischu angegriffen worden (vgl. S. 6 der Anhörungsniederschrift), ehe er etwas später seine Aussage dahingehend abänderte, dass nicht er, sondern der Ehemann seiner Tante und deren Kinder angegriffen worden seien (S. 9 der Anhörungsniederschrift). In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger dagegen zunächst angegeben, dass seine Tante und ihre Kinder angegriffen worden seien (S. 5 der Sitzungsniederschrift), ehe er dann seinen Vortrag dahingehend anpasste, dass seine Tante und deren gesamte Familie, also inklusive Ehemann, überfallen worden seien. Grob widersprüchlich sind zudem die Angaben, wann al-Shabaab in Mogadischu bei seiner Tante vorstellig geworden sein soll. Insoweit hatte der Kläger schriftsätzlich vortragen lassen, dies sei 15 Tage nach seiner Ankunft in Mogadischu gewesen (vgl. Schriftsatz vom 13.3.2023, Bl. 62 GA). In der mündlichen Verhandlung äußerte er sich dagegen dahingehend, dass sich dieser Vorfall bereits 5 Tage nach seiner Ankunft in Mogadischu ereignet habe (S. 5 der Sitzungsniederschrift) und er insgesamt nur 15 Tage in Mogadischu verbracht habe.
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Aufgrund dieser Vielzahl an nicht aufgelösten, erheblichen Widersprüchen ist das Gericht der Überzeugung, dass es sich nicht um tatsächlich Erlebtes, sondern um eine konstruierte Fluchtgeschichte handelt, zumal die Angaben des Klägers zu seinen angeblich mehrmonatigen Inhaftierungen völlig oberflächlich und detailarm waren.
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Da dem Kläger in Somalia somit keine Verfolgung droht, hat das Bundesamt den Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung zurecht abgelehnt.
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2. Dem Kläger steht zum hier maßgeblichen Zeitpunkt auch kein Anspruch auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes gemäß § 4 AsylG zu.
25
2.1. Anhaltspunkte dafür, dass dem Kläger in Somalia ein ernsthafter Schaden in Form der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe gem. § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG droht, sind unter Berücksichtigung seines unglaubhaften Vortrags zu seiner angeblichen Verfolgungsgeschichte (s.o. unter 1.2.) nicht erkennbar.
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2.2. Auch ist es nicht im erforderlichen Umfang wahrscheinlich, dass dem Kläger in Somalia ein Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG droht.
27
Dies gilt mit Blick auf die vom Kläger vorgetragene Verfolgungsgeschichte schon deswegen, weil diese unglaubhaft ist. Auch insoweit wird auf die entsprechenden Ausführungen oben unter 1.2. verwiesen.
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Eine unzureichende Versorgungslage im Herkunftsland vermag bereits aus Rechtsgründen die Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nicht zu begründen, sondern kann allenfalls im Rahmen eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 EMRK i.V.m. Art. 3 EMRK berücksichtigt werden. Denn nach § 4 Abs. 3 Satz 1 AsylG gelten für den subsidiären Schutz die §§ 3c bis 3e AsylG entsprechend. Damit muss für die Zuerkennung subsidiären Schutzes die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung von einem Akteur im Sinne von § 3c AsylG ausgehen (vgl. BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.2019 – juris Ls. 1; BayVGH, B.v. 18.10.2017 – 20 ZB 17.30875 – juris Rn. 14). Die schlechte Versorgungslage in Somalia bzw. in Teilen Somalias kann jedoch nicht auf einen solchen Akteur zurückgeführt werden. Sie ist vielmehr Ausdruck verschiedenster Faktoren (vgl. hierzu etwa BVerwG, U.v. 20.5.2020 – 1 C 11.2019 – juris; BayVGH, U.v. 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – juris Rn. 24).
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Ob dem Kläger in Somalia ein Schaden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG deswegen mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht, weil seine Heimatregion, H* … in Shabeelllaha Hoose, jedenfalls zum Teil unter Kontrolle der al-Shabaab steht (vgl. BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 43 f.), kann dahinstehen. Denn mit Mogadischu besteht für den Kläger zur Überzeugung des Gerichts jedenfalls eine interne Schutzmöglichkeit im Sinne von § 3e i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG.
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2.2.1. Nach § 3e Abs. 1 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft nicht zuerkannt, wenn er (1.) in einem Teil seines Herkunftslandes keine begründete Furcht vor Verfolgung oder Zugang zu Schutz vor Verfolgung nach § 3d AsylG hat und (2.) sicher und legal in diesen Landesteil reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Bei der Prüfung dieser Frage sind gemäß § 3e Abs. 2 Satz 1 AsylG die dortigen allgemeinen Gegebenheiten und die persönlichen Umstände des Ausländers gemäß Art. 4 der RL 2011/95/EU zu berücksichtigen.
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2.2.2. In Mogadischu enden regelmäßig internationaler Flüge nach Somalia (vgl. hierzu etwa AA, Lagebericht, 5/2022, S. 25; BFA, LIS – Somalia, 17.3.3023, S. 213, 284). Dorthin kann der Kläger also sicher reisen.
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2.2.3. Dass die Kläger in Mogadischu nicht aufgenommen würde, ist nicht ersichtlich. In Mogadischu können sich vielmehr Somalier jeglicher Clanzugehörigkeit niederlassen (vgl. BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 152; BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 182; EASO, Somalia – Security situation, 09/2021S. 87 f.). Zudem hat sich die Kläger bereits einige Zeit vor seiner Ausreise aus Somalia in Mogadischu bei Verwandten und Bekannten aufgehalten (vgl. Seite 3 des Sitzungsprotokolls).
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2.2.4. Darüber hinaus besteht zum hier maßgeblichen Zeitpunkt für den Kläger in Mogadischu auch keine begründete Furcht vor Verfolgung, zumal die vom Kläger vorgetragene Verfolgungsgeschichte unglaubhaft ist (vgl. oben unter 1.2.).
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2.2.5. Schließlich kann vom Kläger auch vernünftigerweise erwartet werden, dass er sich in Mogadischu niederlässt.
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Mit Niederlassung ist dabei nach seinem Wortlaut mehr als ein bloßer Aufenthalt zu verstehen. Gemeint ist vielmehr eine längerfristige Wohnsitznahme in der jeweiligen Zielregion (vgl. hierzu beispielsweise Wittmann in BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand: 1.7.2020, § 3e AsylG Rn. 36 f.). Außerdem muss von der betroffenen Person vernünftigerweise erwartet werden, dass sie sich in der in Frage kommenden Zielregion niederlässt. Der hierin enthaltene Zumutbarkeitsmaßstab geht offenkundig über das Fehlen einer existenziellen Notlage im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinaus (vgl. BVerwGE 131, 186 = NVwZ 2008, 1246/1248 f.; BVerwGE 146, 12 = NVwZ 2013, 1167/1169). Hieraus folgt unmittelbar, dass dem Betroffenen am Zielort das wirtschaftliche Existenzminimum zur Verfügung stehen muss (BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris). Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich die allgemeinen Lebensverhältnisse im Herkunftsstaat – wie hier – auf einem niedrigen Niveau befinden (BVerwG, U.v. 18.2.2021 – 1 C 4.20 – juris). Denn sieht man die Anforderungen an die Zumutbarkeit der internen Fluchtalternative als Ausprägung des Refoulement-Verbots, ist es genügend, dass sich der Betroffene durch die Umstände vor Ort nicht zur Rückkehr in nicht verfolgungssichere Gebiete genötigt sieht (vgl. VGH BW, U.v. 16.10.2017 – A 11 S 512/17 – BeckRS 2017, 135067 Rn. 66; Marx ZAR 2017, 304/306 f., mit aber teilweise anderen Schlussfolgerungen; a.A. wohl OVG Bremen, U.v. 26.5.2020 – 1 LB 56/20 – juris).
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Ob ein Ort zumutbaren internen Schutz bietet, ist zwar grundsätzlich unabhängig von den Verhältnissen am Heimat- bzw. Verfolgungsort des Betroffenen zu beurteilen. Fehlt es etwa an der Existenzgrundlage am Zufluchtsort, scheidet interner Schutz auch dann aus, wenn im Herkunftsgebiet des Betroffenen die Lebensverhältnisse gleichermaßen schlecht sind (BVerwG, U.v. 29.05.2008 – 10 C 11.07 – NVwZ 2008, 1246 Rn. 32). So wie dem Betroffenen demnach eine schlechte Lage in seinem Herkunftsgebiet (also am Ort der Verfolgung) nicht zum Nachteil gereichen darf, kann er allerdings auch nicht umgekehrt verlangen, dass die allgemeinen Lebensverhältnisse am Ort des internen Schutzes in jedem Fall besser sein müssen, als die am Ort der Verfolgung (VGH BW, U.v. 16.10.2017 – 11 S 512/17 – BeckRS 2017, 135067 Rn. 67 ff.).
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2.2.6. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kann mit Blick auf die Sicherheitslage in Mogadischu vom Kläger erwartet werden, dass er sich in Mogadischu niederlässt.
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Zwar ist die allgemeine Sicherheitslage in Somalia weiterhin unbeständig (vgl. UN Security Council, Situation in Somalia – Report of the Secretary-General, 1.9.2022, S. 3). Die Hauptstadt Mogadischu befindet sich weiter unter der Kontrolle von Regierung und AMISOM, die bemüht sind, in der Stadt eine permanente Präsenz zu zeigen. Dies und die gesteigerten Kapazitäten der Sicherheitsbehörden führten zu einer generellen Verbesserung der Lage für die Zivilbevölkerung in Mogadischu. Es gilt folglich als höchst unwahrscheinlich, dass al-Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt (vgl. BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 49).
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Dennoch ist die Sicherheitslage in Mogadischu ständigen Änderungen unterworfen. So nahmen beispielsweise Auseinandersetzungen während des Wahlprozesses im vergangen Jahr, insbesondere im Februar und März 2022 zu (vgl. HRW, World Report 2023: Somalia, 23.1.2023, S. 2). In diesem Zeitraum griff al-Shabaab auch mit dem Wahlprozess in Verbindung stehende Zivilisten an, wobei sie auf wahllose Methoden zurückgriff, was eine hohe Zahl ziviler Opfer mit sich brachte (vgl. EUAA, Country of Origin Information, Somalia: Security Situation, 02/2023, S. 18). Nach der Wahl von H* … S* … M* … hat sich die Atmosphäre in Mogadischu allerdings wieder verändert und die Stadt ist, zumindest hinsichtlich der politischen Auseinandersetzungen, ruhiger geworden (vgl. BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 49).
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Obgleich der vorhandenen Sicherheitskräfte ist al-Shabaab in der Lage, ihre Aktivitäten in weiten Teilen der Stadt auszuüben und nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben zu erheben (vgl. EUAA, Country of Origin Information, Somalia: Security Situation, 02/2023, S. 111). Die Stadt bietet für al-Shabaab schon alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (vgl. BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 49). In den eigentlich von der Miliz befreiten Gebieten kommt es daher weiterhin zu Terroranschlägen (vgl. AA Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, Stand 28.6.2022, S. 4).
41
Die verdeckte Präsenz der al-Shabaab besteht zwar im gesamten Stadtgebiet, deren Ausmaß ist jedoch unterschiedlich (vgl. (vgl. BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 49). Üblicherweise zielt die Miliz mit ihren Attentaten auf Sicherheitskräfte und Vertreter des Staates ab, wobei auch die Örtlichkeiten angegriffen werden, die von Regierungsvertretern und Wirtschaftstreibenden sowie Sicherheitskräften vorzugsweise frequentiert werden (vgl. EUAA, Country of Origin Information, Somalia: Security Situation, 02/2023, S. 114). Nicht alle Teile Mogadischus sind bezüglich Übergriffen von al-Shabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist grundsätzlich kein Ziel der al-Shabaab (vgl. EUAA, Country of Origin Information: Somalia, Security Situation, 02/2023; S. 114; EUAA, Country Guidance: Somalia, 06/2022, S. 152).
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Die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle in Benadir schwankte im Zeitraum von Juli 2021 bis November 2022, wobei im Vergleich zum Jahr 2021 eine leichte Erhöhung festzustellen ist, die Zahlen seit August 2022 jedoch wieder rückläufig sind (vgl. EUAA Country of Origin Information: Somalia. Security Situation, 02/2023; S. 116). Bei etwa 898 Vorfällen in der Region Benadir (Explosionen, Auseinandersetzungen und Gewalt gegen Zivilisten) sind Schätzungen zufolge 901 Todesopfer zu verzeichnen (ohne Unterscheidung zwischen Zivilisten und Nicht-Zivilisten, vgl. EUAA Country of Origin Information: Somalia, Security Situation, 02/2023; S. 117). Die in Mogadischu lokalisierten Vorfälle im Zeitraum von Januar 2020 bis Juni 2021 ereigneten sich schwerpunktmäßig in den Stadteilen Hodan, Dayniile, Hawl-Wadaag, Dharkenley und Wadajir. In anderen Stadtteilen Mogadischus kam es im vorgenannten Zeitraum dagegen nur zu wenigen oder gar keinen (Gewalt-)Vorfällen gegen Zivilisten (z.B. in Shibis, Shangaani oder Cabdulcasiis, vgl. BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 53; EASO, Somalia Security Situation, 09/2021, S. 92).
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Zivilisten werden von al-Shabaab also nicht gezielt angegriffen (vgl. BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 51). Dennoch leiden sie unter deren Gewalt. Zum einen sind diejenigen einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al-Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden. Zum anderen besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderen Gewaltakten zu werden (vgl. BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 174; Landinfo, Somalia: Violence in Mogadishu and developments, 30.10.2020, S. 3, 10). Damit einher geht, dass Zivilisten in eine Art alltägliche Unsicherheit in allen Lebensbereichen geraten – und das, obwohl die Wahrscheinlichkeit, von einem Anschlag getroffen zu werden, relativ gering ist (vgl. ACCORD Somalia: Al-Shabaab und Sicherheitslage; 31.5.2021, S. 27). Zudem kommt es in Mogadischu auch immer wieder zu Auseinandersetzungen der somalischen Sicherheitskräfte untereinander, bei denen nicht selten ebenfalls Unbeteiligte geschädigt werden (vgl. BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 42). Unter Berücksichtigung der sich in Mogadischu darstellenden Lage, der Organisation der al-Shabaab, der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach ein Risiko von 1:800 bzw. 0,125% als Zivilperson binnen eines Jahres verletzt oder getötet zu werden, weit von der Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit eines drohenden Schadens infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts entfernt ist (vgl. BVerwG, U.v. 17.11.2011 – 10 C 13/10 – juris Rn. 22 f; BayVGH, B.v. 11.12.2017 – 13a ZB 17.31374 – juris Rn. 7) sowie des Umstands, dass eine quantitative Bewertung der Gefahrendichte in Mogadischu mangels belastbarer Zahlen zu den aktuellen Einwohnerzahlen einerseits und Opferzahlen im Hinblick auf das Tötungs- und Verletzungsrisiko andererseits kaum verlässlich möglich ist, geht das Gericht davon aus, dass es derzeit ohne das Hinzutreten gefahrerhöhender individueller Umstände in Mogadischu an einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge kämpferischer Auseinandersetzungen fehlt (vgl. hierzu auch SächsOVG, U.v. 12.10. 2022 – 5 A 78/19.A – juris Rn. 32 m.w.N.).
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Gefahrerhöhende Umstände sind unter Berücksichtigung seines völlig unglaubhaften Verfolgungsschicksals in der Person des Klägers nicht erkennbar. Vom Kläger kann daher mit Blick auf die Sicherheitslage erwartet werden, dass er sich in Mogadischu niederlässt.
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2.2.7. Gleiches gilt mit Blick auf die wirtschaftliche und humanitäre Lage in Mogadischu, auch wenn diese aktuell sehr prekär ist.
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Zur aktuellen wirtschaftlichen Lage in Somalia sind valide Zahlen nicht zu erhalten bzw. nicht zu verifizieren (siehe hierzu etwa BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 193 ff.). Die somalische Wirtschaft hat sich trotz mehrerer Schocks (Covid-19-Pandemie, Heuschreckenplage, Überschwemmungen und Dürren) allerdings als resilienter erwiesen, als zunächst angenommen: Ursprünglich war für 2020 ein Rückgang des BIP um 2,5 Prozent prognostiziert worden, tatsächlich sind es dann nur minus 0,4 Prozent geworden (BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 193 f.). Für 2021 wurde ein Wachstum von 2,4 Prozent prognostiziert, geworden sind es dann 2,9 Prozent (BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 194). Für das Jahr 2022 prognostizierte die Weltbank ein Wachstum von 3,2 Prozent (BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 194).
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Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Erholung sind Remissen und anhaltende Investitionen. Ein resilienter Privatsektor und starke Remissen aus der Diaspora bleiben die Grundlage für weiteren Optimismus. Zudem gibt es unentwickelte Möglichkeiten aufgrund der Urbanisierung sowie auf den Gebieten neuer Technologien, Bildung und Gesundheit. Die Geldrückflüsse nach Somalia sind 2021 im Vergleich zu 2020 noch einmal gestiegen, von 30,8 Prozent des BIP auf 31,3 Prozent. Neben der Diaspora (VICE 1.3.2020) sind auch zahlreiche Agenturen der UN (etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR) tatkräftig dabei, das Land wiederaufzubauen. Das Maß an privaten Investitionen bleibt konstant. Die Inflation lag 2021 bei 4,6 Prozent, für 2022 wurden aufgrund höherer Nahrungsmittel- und Treibstoffpreise sowie der herrschenden Dürre allerdings 9,4 Prozent prognostiziert (vgl. zum Vorstehenden BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 194 m.w.N.).
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Nach den vorliegenden Erkenntnismitteln wird aber auch deutlich, dass Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen limitiert sind. Zugezogene tun sich oft schwer, eine geregelte Arbeit bzw. überhaupt Arbeit zu finden. Verfügbare Jobs werden vor allem über Clan-Netzwerke vergeben (BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 195). Für kleinere oder mittelgroße Berufsaktivitäten ist allerdings kein Netzwerk nötig (BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 220). Die Arbeitslosenquote ist landesweit hoch. Dementsprechend sind viele Haushalte in Somalia auf Remissen von Verwandten aus dem Ausland angewiesen (BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 227).
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Speziell in Mogadischu gibt es Arbeitsmöglichkeiten am Bau, im Hafen, in Restaurants und Teehäusern. Auch leben viele Menschen vom Kleinhandel (vgl. BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 195 f). Die Mehrheitsbevölkerung ist derartigen Arbeiten allerdings wegen des geringen Ansehens abgeneigt, so dass vor allem marginalisierte Gruppen in diesen Bereichen Arbeit finden (BFA, LIS – Somalia, vom 27.7.2022, S. 196). So kann beispielsweise ein Bauarbeiter oder Wasserträger in Mogadischu rund 250,00 US-Dollar im Monat verdienen, Kellner oder Bajaj-/Tuktuk-Fahrer 300,00 US-Dollar im Monat. (BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 230 f.; BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 196; FIS, Somalia, Security situation und humanitarian conditions in Mogadishu, 7.8.2020, S. 33). Unter Tagelöhner sind Jobs auf Baustellen aufgrund der dort höheren Verdienstmöglichkeiten daher am begehrtesten, zumal über 70 Prozent der Bevölkerung Somalias mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag auskommen müssen (vgl. BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 242; BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 200 u. 204). Frauen sind in Somalia in mittlerweile fast der Hälfte aller Haushalte die Hauptverdiener (BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 199 f.). Frauen ohne besondere (Berufs-)Bildung arbeiten beispielsweise als Hausangestellte, Köchin, Straßenverkäuferin oder Kleinhändlerin (BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 199 f.). Eine Fleischverkäuferin verdient dabei zwischen 4 bis 8 US-Dollar am Tag, eine Tagelöhnerin 4 US-Dollar/Tag (BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 196).
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Auch der Zugang zu bezahlbarem Wohnraum stellt sich in Somalia und insbesondere in Mogadischu zunehmend schwieriger dar (BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 221). Die Miete eines 25 m2-großen Raumes kostet in „besseren“ Stadtteilen 50-100 US-Dollar im Monat, in Gebieten am Stadtrand sind die Preise allerdings günstiger; dort sind Unterkünfte ab 13 US-Dollar im Monat zu bekommen (vgl. BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 221; BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 237 und 254; ACCORD, Anfragebeantwortung zu Somalia: Mogadischu: Sozioökonomische Lage, 31.1.2020, S. 25 f.; FIS, Somalia, Security situation und humanitarian conditions in Mogadishu, 7.8.2020, S. 31 f.).
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2.2.8. Unter Berücksichtigung dieser Umstände und den persönlichen Verhältnissen des Klägers ist es dem Kläger auch mit Blick auf die aktuell sehr schwierige wirtschaftliche und humanitäre Lage zumutbar, sich in Mogadischu niederzulassen, da es dem Kläger dort nach Einschätzung des Gerichts möglich sein wird, sein Existenzminimum – ggf. mit anfänglicher Unterstützung von Verwandten, Freunden und Bekannten, wie dies in Somalia üblich ist (BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 214 f.; BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 254) – zu sichern.
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Der Kläger hat nach eigenen Angaben beim Bundesamt neun Jahre die Schule besucht (vgl. S. 5 der Anhörungsniederschrift) und in der Türkei bereits als Kellner gearbeitet, er verfügt somit über eine gewisse Arbeitserfahrung. Gerade in Restaurants oder Teehäusern arbeiten viele Menschen in Somalia, auch wenn die Arbeit dort mit wenig Ansehen verbunden ist (vgl. BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 196; BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 228 f.). In Mogadischu liegen die monatlichen Lebenshaltungskosten derzeit bei mindestens 200,00 US Dollar (BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 236), wobei das durchschnittliche Einkommen eines Kellners oder Bajaj-/Tuktuk-Fahrers in Mogadischu bei 300,00 US-Dollar im Monat, das eines Bauarbeiters oder Wasserträgers bei 250,00 US-Dollar im Monat liegt (BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 230 f.). Kontakt zu seiner Ehefrau hat der Kläger nach eigenen Angaben nicht mehr, auch liegt aufgrund seiner unglaubhaften Verfolgungsgeschichte keine verfolgungsbedingte Trennung vor (vgl. hierzu VGH BW, U.v. 16.10.2017 – A 11 S 512/17 – juris Ls. 3; OVG Bremen, B.v. 21.4.2020 – 1 LA 85/18 – juris Rn. 2), so dass der Kläger nur für sich sorgen muss und kann.
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Darüber hinaus ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger jedenfalls für die Anfangszeit bei seiner Tante in Mogadischu unterkommen kann, die ihm bereits 2.000,00 US-Dollar für seine Reise bis in die Türkei zukommen ließ (vgl. S. 2 der Sitzungsniederschrift) und damit für somalische Verhältnisse über überdurchschnittliche Finanzmittel (vgl. BFA, LIS – Somalia, 27.7.2022, S. 204; BFA, LIS – Somalia, 17.3.2023, S. 230 f.) verfügt, zumal der Ehemann der Tante weiterhin in Katar arbeiten soll (vgl. S. 3 der Sitzungsniederschrift).
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Die Angaben des Klägers, seine Tante und deren Familie hätten Mogadischu mittlerweile verlassen, stuft das Gericht als nicht glaubhaft ein. Bei seiner Anhörung beim Bundesamt hatte der Kläger nämlich noch vorgetragen, dass seine Tante samt Familie noch in Mogadischu leben würden (vgl. S. 4 der Anhörungsniederschrift). In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger dann zwar geäußert, diese Tante sei mit ihrer Familie im September 2022 nach Kenia geflüchtet (vgl. S. 3 der Sitzungsniederschrift). Diese Angabe steht aber im Widerspruch zu den eigenen Angaben des Klägers gegenüber seiner Bevollmächtigten. Denn dieser gegenüber hatte der Kläger in einer Besprechung im Mai 2022 vorgetragen, seine Tante habe (zu diesem Zeitpunkt) Somalia bereits verlassen (vgl. S. 3 des Schriftsatzes vom 13.3.2023, Bl. 62 GA i.V.m. S. 5 der Sitzungsniederschrift). Auch diesen Widerspruch vermochte der Kläger nicht aufzulösen, und er schließt nahtlos an eine Vielzahl an widersprüchlichen und damit unglaubhaften Angaben zum angeblichen Fluchtschicksal des Klägers an. Das Gericht wertet daher auch diese Aussagen des Klägers als asyltaktisch motiviert und damit unglaubhaft.
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Das Gericht geht daher davon aus, dass die Tante des Klägers mit ihrer Familie weiterhin in Mogadischu lebt und den Kläger jedenfalls in der Anfangszeit unterstützen kann. Auf die Frage, ob seine wohlhabende Großmutter in Somalia noch lebt (so noch im Zeitpunkt der Anhörung beim Bundesamt, vgl. S. 4 und 5 der Anhörungsniederschrift), kommt es damit nicht mehr an.
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Vom Kläger kann aufgrund seiner persönlichen Umstände, insbesondere auch mit Blick auf den zur Überzeugung des Gerichts in Mogadischu weiterhin bestehenden verwandtschaftlichen Anschluss, auch aus wirtschaftlicher Sicht erwartet werden, sich in Mogadischu niederzulassen (in diesem Sinne für derartige Fallkonstellation auch EUAA, Country Guidance: Somalia, 6/2022, S. 203). Mit Mogadischu besteht für die Kläger somit zur Überzeugung des Gerichts eine interne Schutzmöglichkeit im Sinne von § 3e AsylG, so dass ein Anspruch des Klägers auf Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausscheidet (vgl. § 3e Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 3 AsylG).
57
2.3. Dementsprechend droht dem Kläger jedenfalls in Mogadischu auch keine ernsthafte individuelle Bedrohung aufgrund willkürlicher Gewalt im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG. Diesbezüglich wird auf die Ausführungen zur Sicherheitslage in Mogadischu oben unter 2.2.6. Bezug genommen.
58
Einen Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gem. § 4 AsylG hat der Kläger somit zum hier maßgeblichen Zeitpunkt nicht.
59
3. Ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht für den Kläger ebenfalls nicht.
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3.1. Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Verbürgt sind insoweit u.a. das Recht auf Leben (Art. 2 EMRK), das Verbot der Folter, unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung (Art. 3 EMRK) sowie das Recht auf Freiheit und Sicherheit (Art. 5 EMRK). § 60 Abs. 5 AufenthG erfasst dabei nur zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 35).
61
Für den Begriff der Gefahr im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG gilt der Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, B.v. 18.7.2001 – 1 B 71/01 – juris Rn. 2). Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Art. 3 EMRKwidrige Behandlung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine qualifizierende Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Ein gewisser Grad an Mutmaßung ist dem präventiven Schutzzweck des Art. 3 EMRK immanent, sodass ein eindeutiger, über alle Zweifel erhabener Beweis dafür, dass der Betroffene im Falle seiner Rückkehr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt wäre, nicht verlangt werden kann (EGMR, U.v. 9.1.2018 – Nr. 36417/16, X./Schweden – Rn. 50; BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris Rn. 14).
62
Dabei entspricht es der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass in besonderen Ausnahmefällen auch schlechte humanitäre Verhältnisse im Zielstaat der Abschiebung ein Abschiebungsverbot nach Art. 3 EMRK begründen können. Hierfür sind allerdings strengere Maßstäbe anzulegen, sofern es an einem verantwortlichen (staatlichen) Akteur fehlt: Schlechte humanitäre Bedingungen, die ganz oder in erster Linie auf Armut oder auf das Fehlen staatlicher Mittel zum Umgang mit auf natürlichen Umständen beruhenden Gegebenheiten zurückzuführen sind, können eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nur in ganz außergewöhnlichen Fällen („very exceptional cases“) begründen, in denen humanitäre Gründe zwingend („compelling“) gegen eine Abschiebung sprechen. Solche ganz außergewöhnlichen Umstände können auch solche sein, die eine Person mit anderen Personen teilt, welche Träger des gleichen Merkmals sind oder sich in einer im Wesentlichen vergleichbaren Lage befinden (vgl. BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris Rn. 15 unter Bezug auf EGMR, U.v. 13.12.2016 – Nr. 41738/10, Paposhvili/Belgien – NVwZ 2017, 1187 Rn. 183).
63
In einem solchen Fall kann ein Verstoß gegen Art. 3 EMRK ausnahmsweise etwa dann vorliegen, wenn die Abschiebung, wenngleich nicht unmittelbar zum Tod des Betroffenen, so doch zu einer ernsthaften, schnellen und irreversiblen Verschlechterung („serious, rapid and irreversible decline“) seines Gesundheitszustands führen würde, die ein schweres Leiden oder eine erhebliche Verringerung der Lebenserwartung zur Folge hätte. Die einem Ausländer im Zielstaat drohenden Gefahren müssen hierfür jedenfalls ein „Mindestmaß an Schwere“ („minimum level of severity“) aufweisen; diese kann erreicht sein, wenn der Ausländer seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann, kein Obdach findet oder keinen Zugang zu einer medizinischen Basisbehandlung erhält (BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris Rn. 15; U.v. 4.7.2019 – 1 C 45.18 – BVerwGE 166, 113, Rn. 12 m.w.N.).
64
Diese Erheblichkeitsschwelle kann in Bezug auf vulnerable Personen schneller erreicht sein als etwa in Bezug auf gesunde und erwerbsfähige erwachsene Personen (vgl. EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 u.a. – juris Rn. 90 ff.; BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris Rn. 16). Für die Erfüllung der vorbezeichneten Grundbedürfnisse gelten – gerade bei nicht vulnerablen Personen – nur an dem Erfordernis der Wahrung der Menschenwürde orientierte Mindestanforderungen. Das wirtschaftliche Existenzminimum ist immer dann gesichert, wenn erwerbsfähige Personen durch eigene, notfalls auch wenig attraktive und ihrer Vorbildung nicht entsprechende Arbeit, die grundsätzlich zumutbar ist, oder durch Zuwendungen von dritter Seite jedenfalls nach Überwindung von Anfangsschwierigkeiten das zu ihrem Lebensunterhalt unbedingt Notwendige erlangen können. Zu den im vorstehenden Sinne zumutbaren Arbeiten zählen auch Tätigkeiten, für die es keine Nachfrage auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gibt, die nicht überkommenen Berufsbildern entsprechen und die nur zeitweise, etwa zur Deckung eines kurzfristigen Bedarfs ausgeübt werden können, selbst wenn diese im Bereich der sogenannten „Schatten- oder Nischenwirtschaft“ angesiedelt sind (BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris Rn. 17; B.v. 9.1.1998 – 9 B 1130.97 – juris Rn. 5; B.v. 17.5.2006 – 1 B 100.05; EuGH, U.v. 2.10.2019 – juris Rn. 48;).
65
Können extrem schlechte materielle Lebensverhältnisse, welche die Gefahr einer Verletzung des Art. 3 EMRK begründen, somit durch eigene Handlungen (z.B. den Einsatz der eigenen Arbeitskraft) oder die Inanspruchnahme der Hilfe- oder Unterstützungsleistungen Dritter (seien es private Dritte, seien es nichtstaatliche Hilfs- oder Unterstützungsorganisationen) abgewendet werden, besteht schon nicht mehr die ernsthafte Gefahr einer Situation extremer materieller Not, die unter Umständen eine staatliche Schutzpflicht zu (ergänzenden) staatlichen Leistungen auslösen kann (BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10/21 – juris Rn. 17; vgl. zur Berücksichtigung von nichtstaatlichen Unterstützungsleistungen in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union: BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 3.21 – juris Rn. 25 ff.).
66
Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG müssen zudem grundsätzlich landesweit drohen, um ein Abschiebungsverbot zu begründen; etwas Anderes gilt nur, soweit der Betroffene bei lediglich in Gebietsteilen drohenden Gefahren das sichere Gebiet in seinem Heimatstaat nicht erreichen kann (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 26; B.v. 15.9.2006 – 1 B 116.06 – juris Rn. 4). Es darf also für den Betroffenen keine interne/innerstaatliche Fluchtalternative („internal flight alternative“) bestehen. Für die Annahme einer solchen internen Fluchtalternative im Rahmen des Art. 3 EMRK müssen jedoch gewisse (dem internen Schutz nach § 3e AsylG durchaus ähnliche) Voraussetzungen erfüllt sein: Die abzuschiebende Person muss in der Lage sein, sicher in das betroffene Gebiet zu reisen, Zutritt zu diesem zu erhalten und sich dort niederzulassen. Ein anderer Ort im Zielstaat kann dem Betroffenen nicht zugemutet werden, wenn dort keine hinreichenden sozialen Bedingungen herrschen, die ein menschenwürdiges Dasein einschließlich des Zugangs zu einer Grundversorgung sowie der erforderlichen sanitären Einrichtungen für die individuell betroffene Person ermöglichen. Erforderlich ist (wiederum) eine Gesamtschau und auf den konkreten Einzelfall bezogene Prüfung unter Berücksichtigung objektiver Gesichtspunkte, darunter insbesondere die wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung sowie die Sicherheitslage am Ankunftsort sowie an dem Ort, an den der Betroffene letztlich dauerhaft zurückkehren soll, und persönlicher und familiärer Umstände. Relevant kann dabei sein, ob die Person in der fraglichen Region eine familiäre Anbindung hat (vgl. hierzu etwa VGH BW, U.v. 3.11.2017 – A 11 S 1704/17 – juris Rn. 194 ff. unter Verweis insbesondere auf EGMR, U.v. 28.6.2011 „Sufi und Elmi/Vereinigtes Königreich“, Nr. 8319/07, NVwZ 2012, 681 Rn. 266 und 294 f.).
67
3.2. Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben und seiner persönlichen Umstände steht dem Kläger zum hier maßgeblichen Zeitpunkt (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AsylG) der mündlichen Verhandlung kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK zu. Insoweit wird auf die entsprechenden Ausführungen zur internen Fluchtalternative (s.o. unter 2.2.5. bis einschließlich 2.2.8.) Bezug genommen, die hier entsprechend gelten.
68
Nur ergänzend und ohne dass es hierauf für sich betrachtet noch entscheidungserheblich ankäme, sei darauf hingewiesen, dass der Kläger zudem Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen kann (vgl. hierzu IOM, Rückkehrprogramm REAG/GARP, wonach der Kläger neben einer Reisebeihilfe auch eine einmalige finanzielle Starthilfe beantragen kann, vgl. https://www.returningfromgermany.de/de/countries/somalia, zuletzt abgerufen am 21.3.2023; ergänzend hierzu (vgl. Ziffer 10 der Förderrichtlinie) kann der Kläger zudem Rückkehrhilfen nach dem „Bayerischen Rückkehrprogramm“ beantragen (vgl. Bayerische Richtlinie zur Förderung der freiwilligen Rückkehr ins Herkunftsland vom 10.2.2023 – Az.: LfAR-SGR2-6747-4-5), so dass der Kläger auf diesem Wege zusätzlich sogar auf ein für somalische Verhältnisse ordentliches finanzielles Startkapital zurückgreifen könnte; vgl. zur Frage der Berücksichtigung von Rückkehrhilfen bei der Gefahrenprognose nach § 60 Abs. 5 AufenthG BVerwG, U.v. 21.4.2022 – 1 C 10.21 – juris).
69
Die Verletzung sonstiger Konventionsrechte ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG hat der Kläger daher nicht
70
4. Dem Kläger steht auch kein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu.
71
4.1. Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Erforderlich, aber auch ausreichend für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG ist, dass sich die vorhandene Erkrankung des Ausländers auf Grund zielstaatsbezogener Umstände in einer Weise verschlimmert, die zu einer erheblichen und konkreten Gefahr für Leib oder Leben führt, d.h. dass eine wesentliche Verschlimmerung der Erkrankung alsbald nach der Rückkehr des Ausländers droht (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – NVwZ 2007, 712 f.).
72
Ein strengerer Maßstab gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allerdings dann, wenn zielstaatsbezogene Verschlimmerungen von Krankheiten als allgemeine Gefahr oder Gruppengefahr im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG zu qualifizieren sind. Dies kommt allerdings bei Erkrankungen nur in Betracht, wenn es – etwa bei Aids – um eine große Anzahl Betroffener im Zielstaat geht und deshalb ein Bedürfnis für eine ausländerpolitische Leitentscheidung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG besteht (vgl. auch hierzu zuletzt BVerwG, U.v. 18.7.2006, BeckRS 2006, 25786, unter Hinweis auf BVerwG, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 12 = NVwZ 1998, 973).
73
In solchen Fällen kann Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung nur dann gewährt werden, wenn im Abschiebezielstaat für den Ausländer (entweder auf Grund der allgemeinen Verhältnisse oder auf Grund von Besonderheiten im Einzelfall, vgl. BVerwG, Buchholz 402.240 § 53 AuslG Nr. 22 und BVerwGE 108, 77 [83] = NVwZ 1999, 666) landesweit eine extrem zugespitzte Gefahr wegen einer notwendigen, aber nicht erlangbaren medizinischen Versorgung zu erwarten ist, wenn mit anderen Worten der betroffene Ausländer im Falle seiner Abschiebung gleichsam sehenden Auges dem Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde (BVerwG, U.v. 17.10.2006 – 1 C 18/05 – NVwZ 2007, 712 f.; BVerwGE 99, 324 [328] = NVwZ 1996, 199).
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Gefahren im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG müssen zudem grundsätzlich landesweit drohen, um ein Abschiebungsverbot zu begründen; etwas Anderes gilt nur, soweit der Betroffene bei lediglich in Gebietsteilen drohenden Gefahren das sichere Gebiet in seinem Heimatstaat nicht erreichen kann (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris Rn. 38; B.v. 15.9.2006 – 1 B 116.06 – Rn. 4).
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4.2. Die Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG sind nicht erfüllt. Derartig schwerwiegende Erkrankungen liegen beim Kläger nicht vor.
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5. Schließlich bestehen auch gegen die Abschiebungsandrohung und die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG zum hier maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keine rechtlichen Bedenken. Solche wurden vom Kläger auch nicht vorgetragen.
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Die Klage war daher vollumfänglich abzuweisen.
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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gerichtskostenfrei (§ 83b AsylG).