Inhalt

LG Augsburg, Endurteil v. 14.02.2023 – 125 O 2241/21
Titel:

Kein Schadensersatz wegen angeblicher Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung

Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand und bei denen Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden könnten, kann bei Fehlen von konkreten Anhaltspunkten nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Denn der Einschätzung könnte auch eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung zugrunde liegen, dass es sich um eine zulässige Abschalteinrichtung handele. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das bestehende deutsche Vertrags- und Deliktsrecht hält zahlreiche – abgestufte – Instrumente bereit, die hinreichend wirksam das Interesse eines Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben und zugleich auch einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bedingen, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten. Vor diesem Hintergrund bedarf es in der deutschen Rechtsordnung über die bestehenden Institute des Vertrags- und Deliktsrechts hinaus nicht der Einordnung der Vorschriften der EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, um das Interesse der Käufer von Fahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sind, angemessen zu schützen. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unzulässige Abschalteinrichtung, Zafira Tourer, Thermofenster, Rückrufbescheid, Schutzgesetz
Rechtsmittelinstanzen:
LG Augsburg, Beschluss vom 20.03.2023 – 125 O 2241/21
OLG München, Hinweisbeschluss vom 23.05.2023 – 27 U 1189/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 14663

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 16.763,57 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aus behaupteter Dieselabgasmanipulation.
2
Die Klagepartei erwarb am 13.04.2018 für 21.420,00 € brutto bei … GmbH in Augsburg ein Gebrauchtfahrzeug Marke Opel, Typ Zafira Tourer 2.0 CDTI Business Innovation ecoFlex S (Erstzulassung 22.02.2017) mit 125 kW bzw. 170 PS mit der Fahrgestellnummer ….
3
Zum Zeitpunkt der Fahrzeugübergabe betrug der Kilometerstand 9.300 km. In dem Fahrzeug ist ein Dieselmotor mit SCR-Katalysator der zweiten/neueren Generation (Euro 6) verbaut.
4
Die Übereinstimmungsbestätigung für das Fahrzeug stammt vom 21.01.2017 ((Anlage B-3) und bezieht sich auf die am 05.12.2016 erteilte Genehmigung e4*2007/46*0204*27, die für dieses Fahrzeug einschlägig ist.
5
Das streitgegenständliche Emissionskontrollsystem kombiniert mehrere aufeinander abgestimmte Technologien, insbesondere eine Abgasrückführung (AGR) und eine Abgasnachbehandlung in Form einer sog. selektiven katalytischen Reduktion (Selective Catalytic Reduction = SCR) im Katalysator. Durch die AGR wird ein Teil der Abgase erneut dem Verbrennungsprozess zugeführt, was durch dortige Vermischung mit Sauerstoff zu einer geringeren Verbrennungstemperatur und dadurch letztlich zu geringeren Stickoxid-Emissionen führt. Bei der SCR wird Harnstoff den Abgasen beigemischt, in dessen Folge aufgrund einer chemischen Reaktion Wasser und Stickstoff entstehen und Stickoxide damit ebenfalls verringert werden.
6
Für einige Fahrzeuge mit einem SCR-Katalysator der ersten Generation ordnete das KBA ein verpflichtendes Software-Update an (Freigabe vom 09.02.2018 zur Genehmigung e1 *715/2007* 136/2014W1*1194*04 Zafira/Cascada vom 01.08.2016 sowie zu e4*2007/46*0204*24 Zafira/Cascada vom 05.08.2016 vgl. Anlage B-2) wegen unzulässiger Abschalteinrichtungen.
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Das streitgegenständliche Fahrzeug ist von einem Rückruf wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung jedoch nicht betroffen.
8
Zum Zeitpunkt der Klageerhebung betrug der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs 61.625 km, am Tag der mündlichen Verhandlung (02.02.2023) betrug er 93.474 km.
9
Die Klagepartei behauptet
im Wesentlichen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug multiple Abschalteinrichtungen verbaut seien, die in Abhängigkeit von verschiedenen Einflussfaktoren dafür sorgen, dass Grenzwerte auf dem NEFZ eingehalten würden.
10
Das streitgegenständliche Fahrzeug sei mit einem Emissionskontrollsystem ausgestattet, welches in Abhängigkeit u.a. von Umgebungstemperatur (unterhalb 17°C), Umgebungsluft-druck (unterhalb 91,5 kPa) und Motorendrehzahl (oberhalb von 2.750 U/min) in seiner Wir-kungsweise verringert werde (Klage S. 8).
1. Thermofenster (Klage S. 8, Triplik S. 18-20)
11
Die Klagepartei behauptet, die Abgasrückführung werde unterhalb von 17°C verringert (Klage S. 8).
2. Geschwindigkeit
12
Es besteht eine Abschalteinrichtung beim streitgegenständlichen Fahrzeug in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit. Sofern das streitgegenständliche Fahrzeug die Geschwindigkeit von 140 km/h erreiche, werde die Urea-Dosierung reduziert. Bei einer Geschwindigkeit von 145 km/h werde die Dosierung von Harnstoff sogar eingestellt. Dies hat einen drastischen Anstieg der Stickoxid-Emissionen zur Folge (Replik S: 15 und ähnlich Triplik S. 1-4).
3. Umgebungsluftdruck (Replik S. 22, Triplik S. 4-6)
13
Eine weitere illegale Abschalteinrichtung stellt die Einwirkung in die Emissionskontrolle abhängig vom Außenluftdruck dar.
14
Die Emissionskontrolle werde bereits bei einem Außenluftdruck von unter 915 mbar verringert, da die Abgasrückführung und die Nachbehandlungsmaßnahmen ab diesem Außenluftdruck reduziert.
4. Motorendrehzahl (Replik s. 22 f., Triplik S. 6-12)
15
Ebenso finde sich im streitgegenständlichen Fahrzeug eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung in Abhängigkeit der Motordrehzahl. (Replik S. 22 f.) Bei einer Motordrehzahl von oberhalb 2.400 Umdrehungen/min eine Reduzierung der Abgasrückführung statt, eine Erhöhung der Abgasrückführung erfolge erst wieder, sofern die Drehzahl von 1.250 Umdrehungen/min unterschritten werde.
5. 1180 Sekunden (Replik S. 27)
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Es sei eine Softwarefunktion vorhanden, die dafür sorge, dass das Fahrzeug 1180 Sekunden nach Motorstart in einen anderen Betriebsmodus (den „schmutzigen“) Abgasmodus wechsele und in auf eine Reduzierung der Emissionsminderungsmaßnahmen umgeschaltet werde.
6. OBD-Manipulation (Replik S. 9)
17
Das OBD-System, welches einen Warnhinweis im Cockpit zeigen müsse, sobald der tatsächliche Stickoxiausstoß über 80 mg/km betrage, sei im streitgegenständlichen Fahrzeug derart manipuliert, dass keine Fehlermeldung im Fehlerspeicher des Bordcomputers des Fahrzeugs angezeigt werde, trotz eines dauerhaften Stickoxidausstoßes von mehr als 80 mg/km.
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Die Klagepartei sei immer noch Eigentümer des Fahrzeugs.
19
Die Klagepartei beantragt zuletzt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerpartei EUR 21.420,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit abzüglich einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung Zug-um-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Marke Opel, Modell Zafira Tourer mit der Fahrgestellnummer …91 zu zahlen
und bezifferte die Nutzungsentschädigung im Termin mit 5.292,07 €.
20
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
21
Die Beklagte trägt vor, das Fahrzeug – Erstzulassung 2017 – sei bereits ab Werk mit der neusten Softwareversion zur Optimierung und Verbesserung der Emissionsminderungsleistung ausgestattet, die vom Kraftfahrt-Bundesamt nach intensiven Verifizierungsprüfungen als gesetzeskonform bestätigt und genehmigt worden sei. Im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens für das Emissionskontrollsystem habe die Beklagte alle Informationen über die sog. Standard-Emissionsstrategien (BES) und zusätzlichen Emissionsstrategien (AES) offengelegt (Klageerwiderung S. 3).
22
Dass das streitgegenständliche Fahrzeug ab Werk über die neueste Software-Version verfügt, ergibt sich bereits aus dem Freigabebescheid für das Software-Update sowie aus der Übereinstimmungsbescheinigung für das streitgegenständliche Fahrzeug (Anlage B-3).
23
Das Abgasrückführungssystem (AGR-System) des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei in einem Temperaturbereich von minus 11 °C bis plus 50 °C wirksam. Zwischen plus 2° C und plus 37 °C werde die Abgasrückführung mit maximalen Abgasrückführungsraten betrieben. Es finde auch keine Abschaltung bei 915 mbar (oder 91,5 kPa) (ca. 800 Meter über NN) statt, vielmehr sei die Emissionskontrolle bis in große Höhenlagen bei einem Umgebungsluftdruck von 84 kPa wirksam. Die Abgasrückführung werde ab einer Drehzahl von 2.900 U/min (und nicht bei 2.400 oder 2.750 U/min) reduziert und sei bis ca. 3.300 U/min aktiv, der SCR-Katalysator ist durchgängig aktiv (Klageerwiderung S. 7).
24
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird hinsichtlich der weiteren Einzelheiten auf die zwischen den Parteien gewechselten anwaltlichen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 02.02.2023 (Bl. 146/147 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

25
Die zulässige Klage ist unbegründet.
A.
26
Die Klage ist zulässig.
27
Das Landgericht Augsburg ist gem. § 1 ZPO i.V.m. §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gemäß § 32 ZPO örtlich zuständig.
28
B. Die Klage ist jedoch vollumfänglich unbegründet.
I. Kein deliktischer Anspruch der Klagepartei
29
Der Klagepartei steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu. Insbesondere bestehen aufgrund des vorgetragenen Sachverhalts keine deliktischen Schadensersatzansprüche. Ob die Klagepartei weiterhin Eigentümer des Fahrzeugs ist, bedarf keiner Entscheidung.
1. Kein Anspruch gem. § 826 BGB
30
Zwar hat die Beklagte vorgetragen, das Abgasrückführungssystem (AGR-System) des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei in einem Temperaturbereich von minus 11 °C bis plus 50 °C wirksam. Zwischen plus 2° C und plus 37 °C werde die Abgasrückführung mit maximalen Abgasrückführungsraten betrieben. Es finde auch keine Abschaltung bei 915 mbar (oder 91,5 kPa) (ca. 800 Meter über NN) statt, vielmehr sei die Emissionskontrolle bis in große Höhenlagen bei einem Umgebungsluftdruck von 84 kPa wirksam. Die Abgasrückführung werde ab einer Drehzahl von 2.900 U/min (und nicht bei 2.400 oder 2.750 U/min) reduziert und sei bis ca. 3.300 U/min aktiv, der SCR-Katalysator ist durchgängig aktiv (Klageerwiderung S. 7).
31
Doch allein hieraus kann keine sittenwidrige Schädigung hergeleitet werden.
32
Denn ein Verstoß gegen die Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007 EG allein wäre nicht ausreichend, um von einem sittenwidrigen Verhalten mit Schädigungsvorsatz auszugehen (vgl. auch BGH, Beschluss v. 19.01.2021 – VI ZR 433/19).
33
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (Grüneberg/Sprau, 81. Aufl. 2022, BGB § 826 Rn. 4). Dafür genügt nicht schon der Verstoß gegen vertragliche oder gesetzliche Pflichten, vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann (vgl. BGH, Urteil v. 15.10.2013 – VI ZR 124/12 m.w.N.). Schon zur Feststellung der Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen (vgl. BGH, Urteil v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15 m.w.N.). Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben.
34
Vorliegend vermag das Gericht auch auf Basis des klägerischen Vortrags nicht darauf zu schließen, dass die Beklagte bei der Entscheidung zum Einbau des konkreten Motors in das Fahrzeug der Klagepartei in sittenwidriger Weise tätig wurde. Anders als eine Software zur Prüfstanderkennung zielt das sog. Thermofenster nicht darauf, auf dem Prüfstand und auf der Straße per se unterschiedliche Abgasrückführungsmodi zu aktivieren. Vielmehr wird die Abgasrückführung temperaturabhängig stärker oder weniger stark aktiviert beziehungsweise abgeschaltet. Wenn das für das Fahrzeug der Klagepartei in Rede stehende Thermofenster nicht zwischen Prüfstand und realem Betrieb unterscheidet, sondern sich nach der Umgebungstemperatur richtet, ist es nicht offensichtlich auf eine „Überlistung“ der Prüfungssituation ausgelegt. Bei Abschalteinrichtungen, die vom Grundsatz her im normalen Fahrbetrieb in gleicher Weise arbeiten wie auf dem Prüfstand und bei denen Gesichtspunkte des Motor- bzw. des Bauteilschutzes als Rechtfertigung ernsthaft angeführt werden könnten, kann bei Fehlen von konkreten Anhaltspunkten nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die Handelnden bzw. Verantwortlichen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, möglicherweise eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Denn der Einschätzung im Hinblick auf das Thermofenster könnte auch eine möglicherweise falsche, aber dennoch vertretbare Gesetzesauslegung zugrunde liegen, dass es sich um eine zulässige Abschalteinrichtung handele (vgl. OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019 – 10 U 134/19). Schließlich war es zumindest bis zum Urteil des EuGH vom 17.12.2020 (Az. C-693/18) höchst umstritten, ob es sich bei einem Thermofenster überhaupt um eine Abschalteinrichtung handelt und wie weit der Rechtfertigungsgrund des Motorschutzes reicht (vgl. OLG München, Hinweisbeschluss v. 13.05.2020 – 27 U 1368/20).
35
Dass die Beklagte gar nicht vorgehabt hätte, den europäischen Vorgaben unter Einhaltung des Art. 5 Abs. 2 EG 715/2007 EG nachzukommen und der „Motorschutz“ nur vorgeschoben wird, ist nicht ersichtlich. Angesichts der Umstände muss man auch nicht den Schluss ziehen, dass die Beklagte die Unerlaubtheit des Vorgehens erkannt haben müssen und folglich die Typengenehmigungsbehörde und die Käufer hätten täuschen wollen (vgl. OLG Nürnberg, Urteil v. 19.07.2019 – 5 U 1670/18).
36
Insoweit fehlt es jedenfalls an dem für eine deliktische Haftung notwendigen Schädigungsvorsatz bzw. dem Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. OLG Schleswig, Urteil v. 18.09.2019 – 12 U 123/18; OLG München, Beschluss v. 29.08.2019 – 8 U 1449/19). Anders als in den Fällen einer Prüfstandserkennungssoftware, in denen sich die Gesetzeswidrigkeit aufdrängt, kann für ein „Thermofenster“ nicht aus der bloßen Existenz eines solchen auf einen Schädigungsvorsatz geschlossen werden (vgl. OLG Schleswig, Urteil v. 18.09.2019 – 12 U 123/18; OLG Frankfurt, Urteil v. 07.11.2019 – 6 U 119/18, OLG Stuttgart, Urteil v. 30.07.2019 – 10 U 134/19).
37
Solange in Betracht zu ziehen ist, dass die Beklagten bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs die Rechtslage fahrlässig verkannt haben, fehlt es in subjektiver Hinsicht an dem für die Sittenwidrigkeit erforderlichen Bewusstsein der Rechtswidrigkeit (vgl. Grüneberg/Sprau, 81. Aufl. 2022, BGB § 826 Rn. 8). Dass auf Seiten der Beklagten die Erkenntnis eines möglichen Gesetzesverstoßes, zumindest in Form eines billigenden Inkaufnehmens desselben, vorhanden war, ist weder dargetan noch ersichtlich.
38
Sinngemäß dasselbe wie für das Thermofenster gilt für die anderen von der Beklagten mitgeteilten Parameter.
39
Auch für einen Laien ist nachvollziehbar, dass das genaue Mischverhältnis von Frischluft und zurückgeführten Abgasen nicht unter allen denkbaren Betriebsbedingungen gleich bleiben kann, um die Funktionsfähigkeit des Motors zu erhalten und Schäden abzuwenden. Vor diesem Hintergrund ist der Rückschluss der Klagepartei von abweichenden Schadstoffausstößen im realen Fahrbetrieb auf das Vorliegen einer illegalen Abschalteinrichtung unsubstantiiert, weil der Schadstoffausstoß gerade von den Betriebsbedingungen abhängt.
40
Der Vortrag der Klagepartei, das Emissionskontrollsystem verringere seine Wirkung in bereits unterhalb 91,5 kPa und der Motorendrehzahl oberhalb 2.750 U/min, sowie bereits ab unter 17°C, stellt sich für das Gericht als Vortrag ins Blaue hinein dar.
41
Nachdem die Klagepartei in der Klage zunächst behauptet hatte, für das streitgegenständliche Fahrzeug habe das Kraftfahrtbundesamt (KBA) am 23.01.2020 einen Rückrufbescheid mit der KBA-Referenznummer 8290 veröffentlicht (Klage S. 2), ist sie in ihren auf die Klageerwiderung folgenden Schriftsätzen kaum auf den Vortrag der Beklagten eingegangen, das streitgegenständliche Fahrzeug unterfalle dem Rückruf nicht und sei ab Werk mit der seit Sommer 2016 neuen geprüften Emissionssteuerungssoftware ausgestattet. In der Replik wird mit Nichtwissen bestritten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug über die neues Software-Version verfüge, da das streitgegenständliche Fahrzeug ausweislich des Fahrzeugscheines am 05.12.2016 die Typgenehmigung erhalten habe (Replik S. 2). Das Gericht geht daher davon aus, dass sich alle Ausführungen der Klageseite auf die Fahrzeuge beziehen, die dem Rückruf durch das KBA unterlegen haben. Darauf, dass der Vortrag ohne Bezug zum streitgegenständlichen Fahrzeug erfolgt, hat die Beklagte bereits hingewiesen (Schriftsätze um 04.11.2022 und vom 27.01.2023).
42
Durch die Vorlage des Freigabebescheids (Anlage B-2) und der Übereinstimmungserklärung (Anlage B-3) sowie der unstreitigen Genehmigungsnummer ist für das Gericht aber bewiesen, dass das Fahrzeug nicht baugleich mit den Fahrzeugen ist, die dem behördlichen Rückruf unterfielen. Das Gericht ist vielmehr überzeugt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit der gleichen verbesserten Software ausgestattet ist, wie sie im vom KBA im Software-Update genehmigt wurde.
43
Denn wie die Beklagte ausführt, betrifft der Freigabebescheid (Anlage B-2) Fahrzeuge mit einer Typgenehmigungsnummer, die auf *24 endet. Fahrzeuge mit zeitlich nachfolgenden Typgenehmigungsnummern, die fortlaufend vergeben werden, enthielten deshalb bereits die verbesserte Software-Version, die zuvor vom Kraftfahrt-Bundesamt freigegeben worden ist. Die Typgenehmigung des streitgegenständlichen Fahrzeugs endet auf *27 und erfolgte damit zu einem Zeitpunkt, als die Neufahrzeuge der Beklagten bereits mit geänderter Software vom Band liefen.
44
Warum im streitgegenständlichen Fahrzeug dieselben Abschalteinrichtungen vorliegen sollten, wie im von der Klagepartei laut ihrem Vortrag in Bezug genommenen Fahrzeugen mit einem Rückruf, ist unklar. In keiner der umfangreichen von der Klagepartei vorgelegten und teils auch falsch benannten (z.B. Anlage K14) Anlagen wird auf die Fahrzeuge der Beklagten, mit einem Produktionsdatum nach Sommer 2016 eingegangen.
45
Das Gericht sieht auch sonst keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte, die darauf hinweisen, dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine Abschalteinrichtung, die den Ausstoß von Stickoxid unter den Bedingungen des Prüfstandbetriebs (NEFZ) derart „optimiere“, dass nur unter den Bedingungen des Prüfstands die Abgasreinigung vollständig aktiviert sei. Dies und die von der Klagepartei behaupteten Abschalteinrichtungen stellen sich als reine pauschale Behauptung ins Blaue hinein dar, die zu keiner Beweisaufnahme führen können. Diese darf gerade nicht der bloßen Ausforschung dienen. Ansonsten würde der Beibringungsgrundsatz ausgehöhlt und dem verklagten Autohersteller eine in der Zivilprozessordnung nicht vorgesehene allgemeine Aufklärungspflicht auferlegt werden.
46
Auf die bestrittene Eigentümerstellung der Klagepartei kommt es nicht an.
2. Kein Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4, 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder den Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46 der RL 2007/46/EG
47
Die Klagepartei hat keinen Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4, 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder den Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46 der RL 2007/46/EG.
48
Zunächst ist schon nicht substantiiert vorgetragen, dass die einschlägigen Grenzwerte im streitgegenständlichen Fahrzeug überschritten sind oder unzulässige Abschalteinrichtungen vorliegen, sondern es wird auch hier eine Behauptung ins Blaue hinein aufgestellt.
49
Doch selbst wenn dies der Fall wäre, würde ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4, 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder den Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46 der RL 2007/46/EG ausscheiden.
50
Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 4, 5 Abs. 1 VO (EG) Nr. 715/2007 scheitert daran, dass die Normen kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.2021 – VI ZR 676/20). Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Schlussanträge des Generalanwalts Rantos vom 02.06.2022. Der VO (EG) Nummer 715/2007, die unmittelbar anwendbar ist, misst selbst der Generalanwalt keine Schutzwirkung zugunsten von Vermögensinteressen von Fahrzeugerwerbern zu (vgl. OLG München Hinweisbeschluss v. 25.7.2022 – 24 U 2890/22, BeckRS 2022, 18805 Rn. 5-13, beck-online), so dass dieser Vorschrift die Eigenschaft eines Schutzgesetzes auch nach den Schlussanträgen nicht zukommt.
51
Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV scheitert daran, dass die Normen ebenfalls kein Schutzgesetz darstellen. Selbst wenn entsprechend der in den Schlussanträgen des Generalanwalts Rantos vom 02.06.2022 (dort Rn. 50 und Rn. 78 Ziff. 1) vertretenen Auffassung davon ausgegangen würde, die Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG solle (auch) das Interesse des individuellen Erwerbers eines Kraftfahrzeugs schützen, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, handelt es sich bei den zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen §§ 6 und 27 EG-FGV nicht um Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB (OLG München Hinweisbeschluss v. 25.7.2022 – 24 U 2890/22, BeckRS 2022, 18805 Rn. 5-13, beck-online). Das bestehende deutsche Vertrags- und Deliktsrecht hält zahlreiche – abgestufte – Instrumente bereit, die hinreichend wirksam das Interesse eines Erwerbers schützen, nicht ein mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattetes Fahrzeug zu erwerben und zugleich auch einen erheblichen Anreiz für die Hersteller von Motoren bedingen, unionsrechtliche Vorschriften einzuhalten (OLG München aaO). Vor diesem Hintergrund bedarf es in der deutschen Rechtsordnung über die bestehenden Institute des Vertrags- und Deliktsrechts hinaus nicht der Einordnung der Vorschriften der EG-FGV als Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, um das Interesse der Käufer von Fahrzeugen, die mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet sind, angemessen zu schützen (OLG München aaO unter Bezugnahme auf die Entscheidung des OLG Stuttgart, Urteil vom 28.06.2022, 24 U 115/22). Zuletzt wäre – wie das Oberlandesgericht München ausführt – zu sehen, dass, da die Umsetzung einer Richtlinie in nationales Recht infrage steht, selbst bei – unterstellten – Defiziten zuvörderst der nationale Gesetzgeber gefordert sein dürfte, soweit nicht im Auslegungswege abgeholfen werden kann, was hier vom Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung hinsichtlich der Regelungen der EG-FGV mit Recht verneint wird (vgl. OLG München a.a.O.).
52
Die Richtlinie 2007/46/EG selbst scheidet mangels unmittelbarer Geltung (vgl. Art. 288 Abs. 3 AEUV) als Schutzgesetz aus (vgl. OLG München Beschl. v. 14.9.2022 – 27 U 2945/22).
53
Demnach war auch eine Aussetzung des Verfahrens vor diesem Hintergrund nicht geboten.
3. Kein Anspruch aus § 831 BGB
54
Ein Anspruch aus § 831 BGB scheitert ebenfalls an einem substantiiert vorgetragenen deliktisch relevanten Handeln der Beklagten.
II. Keine weiteren durchgreifenden Anspruchsgrundlagen
55
Weitere durchgreifende Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.
C.
56
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 Abs. 1 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
D.
57
Die Streitwertfestsetzung basiert auf § 63 Abs. 2 S. 1 GKG. Maßgebend war gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. §§ 3, 4 I ZPO der höchste klageweise geltend gemachte Hauptsachebetrag. Der von der Klagepartei zuletzt beantragte Betrag ist geringer als der Betrag, der bei Klageerhebung unter Zugrundelegung eines Kilometerstands von 61.625 km bei Klageerhebung und 250.000 km Gesamtlaufleistung nach Schätzung des Gerichts errechnet wird (21.420,00 – 21.420*(61.625,00 km – 9.300 km) / (250.000 km – 9.300 km) = 16.763,57), deshalb war der Betrag bei Klageerhebung als Streitwert anzusetzen.