Titel:
Kein Schadensersatz wegen angeblicher Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen
Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Bei einer unzulässigen Abschalteinrichtung, die im Prüfzyklus und im Realbetrieb grundsätzlich in gleicher Weise arbeitet und auch keine spezifisch auf die Rahmenbedingungen des NEFZ abgestimmte Bedatung aufweist, ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur gerechtfertigt, wenn weitere bzw. andere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für den Hersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt dann jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Umstand, dass die Grenzwerte für Stickoxide bei Messungen im realen Fahrbetrieb im Einzelfall nicht eingehalten werden mögen, genügt nicht als greifbarer Anhaltspunkt für die Verwendung einer unzulässigen Steuerungsstrategie. Die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgasskandal, Thermofenster, 1180-Sekunden-Regelung, Prüfstanderkennung, Grenzwerte, temperaturabhängige Steuerung
Vorinstanzen:
LG Augsburg, Beschluss vom 20.03.2023 – 125 O 2241/21
LG Augsburg, Endurteil vom 14.02.2023 – 125 O 2241/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 14662
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 14.02.2023, Az. 125 O 2241/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Es ist beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf bis zu 19.000 € festzusetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen sieben Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.
Entscheidungsgründe
1
Das Endurteil des Landgerichts Augsburg entspricht der Sach- und Rechtslage.
2
1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere an sich statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.
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2. Die Berufung ist aber offensichtlich unbegründet. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Entscheidungserhebliche Rechtsfehler im Sinne des § 520 Abs. 3 ZPO sind nicht ersichtlich und werden von der Berufung auch nicht aufgezeigt.
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Das Landgericht hat gegen die Beklagte allein in Betracht kommende deliktische Ansprüche im Zusammenhang mit dem von der Klagepartei am 13.04.2018 von der vorgenommenen Erwerb eines Pkws Zafira Tourer 2.0 CTDI, ausgestattet mit einem Dieselmotor mit einer Leistung von 125 kW der EU 6- Norm zu einem Kaufpreis von 21.420,00 € zu Recht abgelehnt.
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Die mit der Berufung erhobenen Rügen verfangen nicht. Zu den Berufungsangriffen ist Folgendes anzumerken:
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a) Zu Recht hat das Erstgericht gerade auch Ansprüche aus § 826 BGB i.V m. § 31 BGB bzw. § 831 BGB gegen die Beklagte mangels Substantiierung abgelehnt. So fehlt es von vornherein an einer Darlegung der objektiven Sittenwidrigkeit.
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Der Senat teilt in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung die Auffassung, dass für eine deliktische Haftung der Beklagten die Klagepartei grundsätzlich die volle Darlegungs- und Beweislast für alle Anspruchsvoraussetzungen trägt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19 Rz. 35 m.w.N.).
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Vorliegend fehlt es indes bereits an einer schlüssigen Darlegung für eine objektive Sittenwidrigkeit i.S. § 826 BGB in Bezug auf sämtliche mit der Berufung thematisierten Abschalteinrichtungen.
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Dabei ist seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. Januar 2021- VI ZR 433/19 (vgl. dort Rn. 18), welcher sich der Senat anschließt, auch höchstrichterlich geklärt, dass ein in der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 715/2007/EG liegender Gesetzesverstoß auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten nicht per se geeignet ist, den Einsatz dieser Abschalteinrichtung durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich im Sinne § 826 BGB erscheinen zu lassen. Steht eine unzulässige Abschalteinrichtung inmitten, die im Prüfzyklus und im Realbetrieb grundsätzlich in gleicher Weise arbeitet und auch keine spezifisch auf die Rahmenbedingungen des NEFZ abgestimmte Bedatung aufweist, ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit nur gerechtfertigt, wenn zu einem – unterstellten – Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere bzw. andere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der für den Hersteller handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen. Die Annahme von Sittenwidrigkeit setzt dann jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Gerade auch hierfür trifft die Klagepartei die Darlegungs- und Beweislast (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, Rn. 19, juris).
11
aa) Dass das streitgegenständliche Fahrzeug mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet ist, die an eine Prüfstanderkennung geknüpft wäre bzw. an eine Bedatung mit Parametern, die im realen Betrieb praktisch in dieser Kombination nicht vorkommt (vgl. BGH, Urt. v. 13.10.2021 – VII ZR 179/21, juris Rn. 25, OLG Stuttgart, Urteil vom 28. Juni 2022 – 24 U 115/22 –, Rn. 52, juris), hat die Klagepartei ebenso wenig schlüssig dargetan wie sonstige Umstände, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen.
12
Auch wenn aus einem verbindlichen Rückruf des Kraftfahrbundesamtes wegen der Ausstattung eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung nach den obigen Ausführungen allein keinen Rückschluss auf eine besondere Verwerflichkeit der für den Automobilhersteller handelnden Personen erlaubt, so hat die Klagepartei einen entsprechenden Rückruf (wegen der Ausstattung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung) in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug bereits nicht schlüssig dargetan. Wie aus der klägerseits als Anlage K 9 vorgelegten Liste der betroffenen Fahrzeugtypen ersichtlich, sind Fahrzeuge des streitgegenständlichen Typs nur mit den Genehmigungsnummern e4*2007/46*0204*19 – 22 von einem Rückruf betroffen und mithin nicht das streitgegenständliche Fahrzeug mit der Genehmigungsnummer e4*2007/46*0204*- 27.
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Die Ausstattung des streitgegenständlichen Fahrzeugs mit einer sog. 1180 Sekunden-Regelung stellt sich als durch nichts gestützter Vortrag ins Blaue hinein dar.
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Insbesondere trägt das Vorbringen, dass das streitgegenständliche Fahrzeug – wie im Einzelnen von der Klagepartei beschreiben – mit einem Emissionskontrollsystem ausgestattet sein soll, welches in Abhängigkeit u.a. Umgebungsluftdruck, Geschwindigkeit und Motorendrehzahl in seiner Wirkungweise verringert wird, trägt eine Prüfstandsbezogenheit nicht. Allein der Umstand, dass sich eine Abschalteinrichtung außerhalb des Prüfstandes nur innerhalb eines kurzen Zeitraums auswirkt, trägt eine Prüfstandsbezogenheit nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 29. September 2021 – VII ZR 126/21 –, Rn. 17, juris). Dass die Abschalteinrichtung auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise arbeitet, hat die Klagepartei nicht in Abrede gestellt.
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Auch das Thermofenster unterscheidet nicht danach, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befindet (vgl. hierzu grundlegend BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19).
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Der Umstand, dass die Grenzwerte für Stickoxide bei Messungen im realen Fahrbetrieb im Einzelfall nicht eingehalten werden mögen, genügt vorliegend bereits nicht als greifbarer Anhaltspunkt für die Verwendung einer unzulässigen Steuerungsstrategie (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2021 – VI ZR 128/20 –, Rn. 23, juris). So sprechen höhere Abgaswerte im Realbetrieb im Vergleich zu den Werten im Rahmen des NEFZ nicht per se für das Vorliegen einer Abschalteinrichtung. Die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet (vgl. BGH, Hinweisbeschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21, BeckRS 2021, 37995 Rn. 30). Weiter war in diesem Zusammenhang zu sehen, dass Fahrzeuge der Abgasnorm Euro 4 oder 5 oder 6 im NEFZ noch ohne Realmessfahrt typgenehmigt wurden. Die erste Abgasnorm, bei der eine Realmessung vorgesehen ist, ist die Norm Euro 6d-TEMP, der das streitgegenständliche Fahrzeug als Fahrzeug der Abgasnorm Euro 6 aber nicht unterliegt (vgl. OLG Celle, Urteil vom 13.11.2019 – 7 U 367/18 BeckRS 2019, 29587 Rn. 28 f.; LG Stuttgart, Urteil vom 22.06.2021 – 8 O 115/21, BeckRS 2021, 15833 Rn. 34).
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bb) Gerade auch in Bezug auf das Thermofenster wäre der Vorwurf der Sittenwidrigkeit gegenüber der Beklagten nur gerechtfertigt, wenn zu einem angenommenen Verstoß gegen die Verordnung 715/2007/EG weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für sie handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. So setzt die Annahme von Sittenwidrigkeit jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt.
18
Solche Umstände hat die gerade auch insoweit darlegungs- und beweisbelastete Klagepartei (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, Rn. 19) nicht substantiiert dargetan.
19
Insbesondere hat die Klagepartei Anhaltspunkte für wissentlich unterbliebene oder unrichtige Angaben der Beklagten im Typgenehmigungsverfahren, die noch dazu auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des KBA und damit auf einen bewussten Gesetzesverstoß hindeuten würden, nicht dargelegt (BGH Beschluss vom 29.9.2021 – VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 20, beck-online).
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Unabhängig davon wäre die Typgenehmigungsbehörde nach dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG ggf. gehalten gewesen, Angaben zu den Einzelheiten der Abgasrückführung zu erfragen, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung zu prüfen (vgl. BGH Beschluss vom 29.9.2021 – VII ZR 126/21, BeckRS 2021, 33038 Rn. 20, beck-online).
21
Auch finden sich Umstände, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen, nicht in dem Vorbringen der Klagepartei zur behaupteten Manipulation des OBDS. Eine Manipulation der Beklagten zum Nachteil ihrer Kunden ist nicht darin zu sehen, dass das OBD-System im Fahrzeug der Klagepartei nicht mittels eines Warnhinweises im Cockpit anzeigt, sobald der tatsächliche Stickoxidausstoß den Grenzwert überschreitet. Das On-Bord-Diagnosesystem dient, wie dem Senat aus anderen Verfahren bekannt ist, dazu, Fehlfunktionen und deren wahrscheinliche Ursachen anzuzeigen. Ein OBD-System ist ein System, das in der Lage ist, mithilfe rechnergespeicherter Fehlercodes den Bereich von Fehlfunktionen anzuzeigen (Art. 3 Nr. 9 VO 715/2007/EG). In Art. 4 Nr. 2 VO 692/2008/EG wird verlangt, dass das OBD-System so ausgelegt, gebaut und im Fahrzeug installiert ist, dass es in der Lage ist, während der gesamten Lebensdauer des Fahrzeugs bestimmte Arten von Verschlechterungen oder Fehlfunktionen zu erkennen. Die UN/ECE-Regelung Nr. 83 sieht etwa in der zum 23.06.2011 in Kraft getretenen Fassung (ABl. 2012 L 42/1, S. 174) im Anhang 11 und 3.3.2 vor, dass das OBD-System die Fehlfunktionen eines emissionsrelevanten Bauteils oder Systems anzeigen muss, wenn diese Fehlfunktion dazu führt, dass die Abgasemissionen bestimmte Schwellenwerte übersteigen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 23.06.2021 – 6 U 142/20, BeckRS 2021, 19764 Rn. 89). Daraus ist in obergerichtlicher Rechtsprechung geschlossen worden, Veranlassung des OBD-Systems für eine Messung von Schwellenwerten (diese modifiziert im Anhang XI zur VO 692/2008/EG) bestehe nur im Fall des Ausfalls emissionsrelevanter Bauteile oder Systeme; hingegen sei es nicht Aufgabe des OBD-Systems, konstante Messungen der Schadstoffemissionen vorzunehmen und bei Überschreitung bestimmter Schwellenwerte Signale zu setzen bzw. zu speichern (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 28.01.2021 – 18 U 21/20, BeckRS 2021, 10679 Rn. 132). Soweit die Motorsteuerung, mag sie auch als unzulässig zu qualifizierende Elemente umfassen, bestimmungsgemäß arbeitet, besteht bei dieser Sichtweise kein Anlass zu Fehlermeldungen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 23.06.2021 – 6 U 142/20, BeckRS 2021, 19764 Rn. 89).
22
Da das On-Board-Diagnose-System lediglich die werkseitig vorgesehene Funktionsweise des Fahrzeugmotors nachvollzieht, kann aus dem Ausbleiben einer Fehlermeldung mithin nicht der Schluss darauf gezogen werden, dass dessen Ausgestaltung in Kenntnis einer vermeintlich unzulässigen Abschalteinrichtung erfolgt ist (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 05. Januar 2022 – 2 U 86/21 –, Rn. 38, juris m.w.N.).
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Kurz gesagt: Arbeitet eine (unterstellte) Abschalteinrichtung technisch so, wie sie programmiert ist, liegt keine Fehlfunktion vor, deren Anzeige durch das OBD veranlasst wäre. Das OBD dient nicht dazu, zwischen einer rechtlich zulässigen und einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu unterscheiden (vgl. BGH, Urteil vom 08.12.2021 – VIII ZR 190/19, juris Rn. 91 m.w.N.).
24
Nach alledem lässt sich das OBD-System ausgehend von seiner Funktion, während des Fahrbetriebs u.a. alle abgasbeeinflussenden Systeme zu überwachen, auch nicht als Abschalteinrichtung i.S. Art. 3 Nr. 10 i. V. m. Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 klassifizieren.
25
b) Auch die Voraussetzungen der §§ 823 Abs. 2, 31 BGB/ 831 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB sind nicht erfüllt. Jedenfalls ist die für den Betrugstatbestand erforderliche Stoffgleichheit zwischen einer etwaigen Vermögenseinbuße der Klagepartei mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter (§ 31 BGB) oder Verrichtungsgehilfe (§ 831 BGB) der Beklagten für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte, nicht gegeben, weil diese bzw. die Beklagte keinen unmittelbaren Vorteil aus dem Kaufvertrag der Klagepartei mit dem nicht am Verfahren beteiligten Verkäufer ziehen konnten (vgl. BGH, NJW 2020, 2798, 2801). Ein etwaiger der Klagepartei entstandener Schaden kann stoffgleich allenfalls mit dem Vorteil sein, der dem Verkäufer aus dem Fahrzeugverkauf zugeflossen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 14.09.2021 – VI ZR 491/20, Rn. 14; BGH, NJW 2020, 2798, 2801; OLG Karlsruhe, Urteil vom 12.05.2021 – 6 U 15/20, BeckRS 2021, 16080 Rn. 124).
26
c) Ebenso wenig kann die Klagepartei den geltend gemachten Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. m. § 31 BGB bzw. § 831 BGB, Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. §§ 6, 27 EG-FGV bzw. § 831 BGB herleiten.
27
aa) Ein entsprechender Anspruch scheitert bereits am Merkmal des Schadens.
28
Mit dem Bundesgerichtshof geht der Senat weiterhin davon aus, dass das wirtschaftliche Selbstbestimmungsinteresse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im sachlichen Aufgabenbereich der Vorschriften des Typgenehmigungsrechts bzw. des deutschen Umsetzungsrechts liegt (vgl. grundlegend BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, BGHZ 225, 316-352, Rn. 72 ff, sowie etwa BGH, Urteil vom 24. März 2022 – III ZR 270/20 –, juris m.w.N.).
29
Dass diese Auffassung im Einklang mit den Vorschriften des Europarechts steht, ist der jüngst ergangenen Entscheidung des EuGH vom 21.3.2023 – C-100/21 zu entnehmen (vgl. EuGH, Urteil vom 21.03.2023, C-100/21, Celex-Nr. 62021CJ0100, juris).
30
Zwar hat der EuGH in seinem Urteil anerkannt, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs schützen und damit ein Anspruch des Käufers einhergeht, dass das Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist (vgl. EuGH Urt. v. 21.3.2023 – C-100/21, Rn. 88 f.). Er hat indes nicht festgestellt, dass bereits die Nichterfüllung dieses Anspruchs bei richtlinien- und / oder verordnungsgetreuer Auslegung automatisch einen Schaden darstellt / darstellen muss. Vielmehr hat der EuGH nur deutlich gemacht, dass die Mitgliedstaaten vorsehen müssen, dass der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz durch den Hersteller dieses Fahrzeugs – hier also nach § 823 Abs. 2 BGB – hat, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (vgl. EuGH Urt. v. 21.3.2023 – C-100/21, Rn. 91 – siehe auch Rn. 95 „soweit“). Entsprechend hat er auch ausgeführt, dass eine unzulässige Abschalteinrichtung u. a. eine Unsicherheit hinsichtlich der Möglichkeit hervorrufen kann, das Fahrzeug anzumelden, zu verkaufen oder in Betrieb zu nehmen, und letztlich beim Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüsteten Fahrzeugs zu einem Schaden führen kann (vgl. EuGH Urt. v. 21.3.2023 – C-100/21, Rn. 84).
31
(Hinreichend konkrete) Schäden im Zusammenhang mit einer verzögerten Fahrzeugzulassung oder einer konkret drohenden Betriebsuntersagung (vgl. BGH, Urteil vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19 –, BGHZ 225, 316-352,Rn. 74 ff.) stehen indes nicht im Raum, ebenso wenig solche im Zusammenhang mit einem etwaigen (Weiter-)Verkauf des Fahrzeugs. Eine Betriebsbeschränkung drohte angesichts dessen, dass das KBA – wie aus einer Vielzahl von Auskünften bekannt – das Thermofenster bislang nicht als unzulässige Abschalteinrichtung qualifizierte, zu keinem Zeitpunkt (vgl. hierzu OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.03.2022, 8 U 245/21), noch droht sie konkret aktuell.
32
bb) Darüber hinaus fehlt es bezüglich des sog. Thermofensters am gemäß § 823 Abs. 2 BGB erforderlichen Verschulden der Beklagten. Fahrlässigkeit hinsichtlich eines Verstoßes gegen drittschützende Normen kann hier nicht festgestellt werden.
33
(1) Maßstab für die Bestimmung der Fahrlässigkeit im Rahmen von § 823 Abs. 2 BGB ist § 276 Abs. 2 BGB (vgl. BGH, VersR 1968, 378, 379; MüKoBGB/Wagner, 8. Auflage 2020, BGB § 823 Rn. 611) . Gemäß dieser Vorschrift handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Welche Sorgfalt jeweils erfordert wird, ist ohne Rücksicht auf die individuellen Kenntnisse und Fähigkeiten des Betroffenen nach einem objektiven Maßstab zum Zeitpunkt der Verursachung des Schadens bzw. dem Zeitpunkt, zu dem eine Schadensabwendung in Betracht kam, zu beurteilen (vgl. BGH, NJW 2021, 1818 Rn. 32 m. w. N.; OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2022 – 21 U 106/21, BeckRS 2022, 19655 Rn. 10; Grüneberg/Grüneberg, BGB, § 276 Rn. 15 f). Fahrlässigkeit setzt unter anderem die Erkennbarkeit der Rechtswidrigkeit voraus. Ein Rechtsirrtum ist nur ganz ausnahmsweise unvermeidbar, wenn der Schuldner nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte. Es genügt zum Beispiel, wenn die zuständige Aufsichtsbehörde die Rechtsfrage zugunsten des Schuldners beantwortet hätte. In diesem Fall sind auch die sonst zu fordernden Erkundigungen des Schuldners über Bestand und Umfang seiner Verpflichtung entbehrlich und scheidet eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit dem Schutzgesetz aus (vgl. BGH, NJW-RR 2017, 1004, 1005; OLG Hamm, Urteil vom 24.06.2022 – 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 Rn. 66; OLG Hamm, Beschluss vom 04.08.2022 – 21 U 106/21, BeckRS 2022, 19655 Rn. 10). Mithin ist eine Schutzgesetzverletzung nicht als schuldhaft begangen anzusehen, wenn sie auf einer fehlerhaften Rechtsauffassung des Schädigers beruht, die von der für den Vollzug des Schutzgesetzes zuständigen Behörde bei Einholung einer entsprechenden Erkundigung bestätigt worden wäre (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl., § 823 Rn. 610; Staudinger/Hager, BGB (2021), § 823 G, Rn. 38; BeckOK BGB/Förster, 62. Ed., § 823 Rn. 285; BGH, Urteil vom 27. Juni 2017 – VI ZR 424/16, juris Rn. 15 ff.).
34
(2) Unter Beachtung dieser Grundsätze hat die Beklagte durch den Einbau eines sog. Thermofensters in das streitgegenständliche Fahrzeug nicht fahrlässig gehandelt. So hätte – wie dem Senat aus einer Vielzahl von KBA-Auskünften bekannt – das Kraftfahrt-Bundesamt als der in Deutschland gemäß § 2 Abs. 1 EG-FGV in Verbindung mit Art. 3 Nr. 29 und Art. 4 Abs. 4 und Abs. 2 der RL 2007/46/EG für den Vollzug der VO (EG) 715/2007 zuständigen Behörde bei einer entsprechenden Anfrage das von der Beklagten im Fahrzeug des Klägers verwendete Thermofenster nicht als unzulässig beurteilt (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 24.06.2022 – 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 Rn. 65 ff., 69 f.). Dieser Schluss ist im Hinblick auf das Thermofenster schon deshalb gerechtfertigt, weil dem Kraftfahrt-Bundesamt sowohl das Vorhandensein als auch die grundsätzliche Funktionsweise und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz seit Jahren bekannt ist (vgl. BGH, VersR 2022, 1173 Rn. 25; OLG Hamm, Urteil vom 24.06.2022 – 30 U 90/21, BeckRS 2022, 18539 Rn. 70).
35
Da die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).