Inhalt

LG München I, Beschluss v. 08.02.2023 – 6 Qs 5/23
Titel:

Haftbeschwerdeentscheidung über die Strafbarkeit wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in einer Covid-19-Maskenaffäre

Normenkette:
AO § 370
Leitsatz:
Es besteht dringender Tatverdacht, dass der Beschuldigte durch die Behauptung einer vor Entstehung von Provisionsansprüchen bereits bestehenden GbR und durch den eingereichten Rückbeziehungsantrag für seine GmbH Beihilfe zur Steuerhinterziehung geleistet hat. (Rn. 5 – 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Steuerhinterziehung, Beihilfe, Maskenaffäre, dringender Tatverdacht, Provisionsansprüche, Rückbeziehungsantrag
Vorinstanz:
AG München vom 20.01.2023 – ER V Gs 744/23
Rechtsmittelinstanzen:
LG München I, Beschluss vom 15.03.2023 – 6 Qs 5/23
OLG München, Beschluss vom 18.04.2023 – 2 Ws 197/23, 2 Ws 198/23
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 26.05.2023 – 2 BvR 605/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 14385

Tenor

1. Die Beschwerde des Beschwerdeführers N…, eingelegt mit Schriftsatz seines Verteidigers Rechtsanwalt St. vom 24.01.2023, gegen den Haftbefehl des Amtsgerichts München vom 20.01.2023 wird als unbegründet verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe

1
Die Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung entspricht der Sach- und Rechtslage.
I.
2
Gegen den Beschwerdeführer und die Mitbeschuldigte T… ist bei der Staatsanwaltschaft München I ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung unter dem Az. … anhängig. Am 20.01.2023 erließ das Amtsgericht München gegen den Beschwerdeführer einen Haftbefehl, ER V Gs 744/23, auf den Bezug genommen wird (Bl. 18/28 der Beschwerdeakte). Als Haftgrund wurde Fluchtgefahr angegeben.
3
Der Beschwerdeführer und die Mitbeschuldigte T… wurden am 24.01.2023 gegen 11:15 Uhr vor dem Anwesen … in . festgenommen. Der Haftbefehl wurde dem Beschwerdeführer am gleichen Tag eröffnet und in Vollzug gesetzt (Bl. 29/31 der Beschwerdeakte). Mit Schriftsatz vom 24.01.2023 legte der Verteidiger des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt St., Beschwerde gegen den Haftbefehl ein (Bl. 36/39 der Beschwerdeakte) mit dem Antrag, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise außer Vollzug zu setzen und begründete diesen.
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Mit Beschluss vom 27.01.2023 half das Amtsgericht München der Beschwerde nicht ab (Bl. 53 der Beschwerdeakte). Mit Verfügung vom 30.01.2023 legte die Staatsanwaltschaft München I die Beschwerde dem Landgericht München I vor (eingegangen am gleichen Tag) und stellte den Antrag, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen. Auf die Begründung wird Bezug genommen. Mit E-Mail vom 01.02.2023 ergänzte der Verteidiger die Beschwerdebegründung.
II.
5
Die zulässige Beschwerde wird als unbegründet verworfen, da sowohl ein dringender Tatverdacht (vgl. Ziff. 1) vorliegt als auch Fluchtgefahr (vgl. Ziff. 2) besteht, § 112 Abs. 1 S. 1 StPO.
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Nach den bisherigen Ermittlungsergebnissen ist der Beschwerdeführer dringend verdächtig der Beihilfe zur Steuerhinterziehung in Tatmehrheit mit Steuerhinterziehung in zwei tatmehrheitlichen Fällen. Insoweit wird auf die Begründung im Haftbefehl sowie auf den Ermittlungsbericht (EA StA, Bd. VIII, Bl. 1712 ff) Bezug genommen.
1. Dringender Tatverdacht
a. Beihilfe zur Einkommensteuerhinterziehung der Mitbeschuldigten T…
7
Nach den derzeitigen Ermittlungen besteht ein dringender Verdacht dahingehend, dass die Mitbeschuldigte T… zunächst als Einzelunternehmerin Provisionsansprüche in Höhe von insgesamt 26.514.682,80 Euro erwarb und frühestens am 01.04.2020 eine V. GbR „L.. P.“ zur Vorbereitung der L1. P. GmbH mit dem Beschwerdeführer N. gründete, wodurch die Mitbeschuldigte T… in der Folge Einkommensteuer in Höhe von 8.199.396,00 Euro zzgl. Solidaritätszuschlag in Höhe von 450.966,78 Euro (wirtschaftlicher Schaden in Höhe von 4.400.822,71 Euro) sowie Schenkungsteuer in Höhe von 6.618.650,00 Euro verkürzte. Durch die Behauptung einer vor Entstehung der Provisionsansprüche bereits bestehenden GbR und den von ihm am 16.06.2020 eingereichten Rückbeziehungsantrag für seine … GmbH leistete der Beschwerdeführer der Mitbeschuldigten T… Beihilfe.
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Die Kammer verkennt dabei nicht die von der Verteidigung vorgetragenen Argumente für eine gemeinschaftliche geschäftliche Tätigkeit zwischen der Mitbeschuldigten T… und dem Beschwerdeführer. Vor dem Hintergrund der übrigen bisherigen Ermittlungsergebnisse, insbesondere der Auswertung der Chatverläufe, besteht jedoch der dringende Verdacht, dass ein Rechtsbindungswille im Rahmen einer geschäftlich tätigen Gesellschaft bürgerlichen Rechts vor dem Erwerb der hier gegenständlichen Provisionsansprüche nicht vorlag. Die von der Verteidigung zitierte Kommunikation zwischen dem Beschwerdeführer und der Mitbeschuldigten T… ist in den Kontext der sonstigen Umstände zu stellen, die deutliche Hinweise auf eine freundschaftliche oder sogar partnerschaftliche Verbundenheit der beiden Beteiligten enthalten.
9
So benennt der minderjährige Sohn des Beschwerdeführers die Mitbeschuldigte T… bereits im Juli 2019 als Lebensgefährtin seines Vaters (Email vom 15.07.2019, Sonderband Haftbefehl Bl. 87). Die Mitbeschuldigte T… bezeichnet den Beschwerdeführer gegenüber M. H… in einem Chat am 08.04.2020 als Freund (BB I, Chatverläufe, Bl. 652). Aus dem Chat „…“ (BB I, Chatverläufe, Bl. 378 ff.) geht ebenfalls hervor, dass die Mitbeschuldigte T… nicht nur zum Arbeiten beim Beschwerdeführer im Restaurant war, sondern sich auch privat dort aufhielt, beispielsweise zum gemeinsamen Filme-Schauen (BB I, Chatverläufe, Bl. 393).
10
Am 19.11.2020 kaufte der Beschwerdeführer gemeinsam mit der Mitbeschuldigten T… ein Haus in der … in G. (ErmA Steufa AT, Bl. 7), an dessen Anschrift der Vater des Beschwerdeführers seit 15.03.2021 gemeldet war. Am Tag der damaligen Durchsuchung am 24.06.2021 hatte der Beschwerdeführer dort mit der Mitbeschuldigten genächtigt (Aktenvermerk zur Durchsuchung am 24.06.2021, ErmA SteufA V, Bl. 121 f.). Laut dem Ermittlungsbericht war die Handy-PIN der Mitbeschuldigten T… das Geburtsdatum des Beschwerdeführers, und eine langjährige Freundin der Beschwerdeführerin bezeichnete beide als Pärchen (ErmA StA VIII, Bl. 1750).
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Vor diesem Hintergrund belegen die von der Verteidigung zitierten Nachrichten nicht eine geschäftliche Beziehung des Beschwerdeführers mit der Mitbeschuldigten T…, sondern sind zwanglos auch im Rahmen ihrer persönlichen Beziehung zu lesen.
12
Demgegenüber bestehen zusätzlich sehr gewichtige Hinweise dafür, dass die Mitbeschuldigte T… die Provisionsansprüche im eigenen Namen und weder als Außen GbR noch als Innen GbR gemeinsam mit dem Beschwerdeführer erwarb. Im Zeitraum 27.02.2020 bis 31.03.2020 trat die Mitbeschuldigte T… nach den bisher vorliegenden Ermittlungsergebnissen zu keinem Zeitpunkt nach außen ausdrücklich als GbR mit dem Beschwerdeführer auf. Auch wenn, wie die Verteidigung vorträgt, ein fehlender gemeinsamer Auftritt nach außen damit zu erklären sein könnte, dass der Beschwerdeführer und die Mitbeschuldigte T… sich zu einer reinen Innen GbR zusammenschlossen, sprechen jedoch die privaten Unterlagen der Mitbeschuldigten T… nicht für den Abschluss einer Innen GbR.
13
In den von der Mitbeschuldigten T… J geführten, auf den 05.03.2020 datierenden Unterlagen, waren die Provisionsansprüche für sie mit „D1.“ notiert, während erstmals die auf den 28.04.2020 datierte Aufstellung Provisionsansprüche der L. P. aufführt (siehe Ermittlungsbericht EA StA, Bd. VIII, Bl. 1751 Rückseite f., BB II, Bl. 35 ff.). Da die Mitbeschuldigte T… damit zunächst die Provisionsansprüche auch intern, in ihren eigenen Unterlagen allein auf ihren Namen erfasste, während sie später diese für die L. P. notierte, spricht dies erheblich dafür, dass zu den gegenständlichen Vertragsabschlusszeitpunkten die Mitbeschuldigte T… nicht nur im Außenverhältnis allein unter ihrem Namen und nicht unter einer GbR handelte, sondern auch aus ihrer Sicht nur für sich allein die Provisionsansprüche erwarb. Jedenfalls besteht insoweit ein dringender Tatverdacht und damit ein dringender Tatverdacht hinsichtlich der Behilfehandlung des Beschwerdeführers.
14
Zugleich besteht spiegelbildlich bei einem ausschließlich der Mitbeschuldigten T… zustehenden Provisionsanspruch ein dringender Tatverdacht hinsichtlich eines unentgeltlichen, schenkweise überlassenen hälftigen Provisionsbetrags an den Beschwerdeführer, der entsprechend Schenkungsteuer auch für ihn als Beschenkten auslöst.
b. Gewerbesteuer
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Ein dringender Tatverdacht besteht auch im Hinblick auf den Vorwurf der Gewerbesteuerhinterziehung in Höhe von 8.231.982,85 Euro abzüglich gezahlter Gewerbesteuer in Höhe von 4.032.000,00 Euro (wirtschaftlicher Schaden in Höhe von 4.199.982,85 Euro), da der Beschwerdeführer gemeinsam mit der Mitbeschuldigten T… zwar ihre L2. P. GmbH an der Anschrift „…, 8... G.“ anmeldeten und Gewerbesteuern an die Gemeinde G. abführten, tatsächlich jedoch dringend verdächtig sind, die Geschäftsleitung in M. ausgeübt zu haben. Insoweit wird auf den Ermittlungsbericht Bezug genommen (EA StA, Bd. VIII, Bl. 1757 ff).
2. Haftgrund der Fluchtgefahr
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Der Haftgrund der Fluchtgefahr ist gegeben, § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Dieser liegt vor, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen bei Würdigung der Umstände des Einzelfalles eine höhere Wahrscheinlichkeit für die Annahme spricht, der Beschuldigte werde sich dem Strafverfahren entziehen, als für die Erwartung, er werde sich ihm zur Verfügung halten (Schmitt in Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, § 112 Rn. 17 m.w.N.). Die festgestellten Tatsachen, die für und gegen eine Fluchtgefahr sprechen, sind im jeweiligen Einzelfall im Rahmen einer Gesamtabwägung gegeneinander abzuwägen. Hierbei ist auch die zu erwartende Strafe zu berücksichtigen, wobei diese allein die Fluchtgefahr nicht begründen kann (BeckOK StPO/Krauß, 46. Ed. 1.1.2023, StPO § 112 Rn. 27).
17
Aufgrund der Höhe der vorgeworfenen Steuerhinterziehungen ist eine erhebliche Strafe zu erwarten, bei der auch zu berücksichtigen sein wird, dass er bereits einschlägig vorbestraft ist. Daneben bestehen weitere Umstände, die eine Fluchtgefahr vorliegend begründen:
18
Der Beschwerdeführer hat neben der deutschen Staatsbürgerschaft auch die iranische und besitzt im Iran Bankkonten. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass er mit der Mitbeschuldigten T… derart verbunden ist, dass auch ein gemeinsamer Umzug in die Sch. in die Immobilie der Familie T… möglich erscheint. Demgegenüber sind soziale Bindungen im Inland nur eingeschränkt feststellbar.
19
Zwar hat der Beschwerdeführer drei Kinder, wovon zwei in Deutschland leben. Das einzige noch minderjährige Kind hat seinen Aufenthalt überwiegend bei seiner Mutter, von der der Beschwerdeführer seit Jahren getrennt lebt. Der Beschwerdeführer stellte sich im Juni 2020 gegenüber der Mutter seines Kindes im Hinblick auf seine Kindesunterhaltszahlungen als vermögenslos und ohne Gewinneinnahmen dar (Schreiben des Rechtsanwalts Dr. G. vom 25.06.2020). Da der Beschwerdeführer damit offensichtlich nicht gewillt war, sein Vermögen auch seinem Sohn zugute kommen zu lassen, ist die Tragfähigkeit seiner Bindung zu seinem Sohn fraglich.
20
Seine unternehmerische Tätigkeit, das Restaurant A., hat der Beschwerdeführer aufgegeben. Eine derzeitige berufliche Tätigkeit ist nicht bekannt. Aus den TKÜ-Protokollen geht hervor, dass für den Beschwerdeführer „hier alles passé“ sei (Gespräch vom 14.12.2021) und er nicht mehr in M. wohnen wolle, auch nicht in Deutschland, sondern lieber im Ausland (Gespräch vom 27.06.2021).
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Die Kammer verkennt dabei nicht, dass diese Äußerungen bereits länger zurückliegen und der Beschwerdeführer seither dennoch in M. verblieben ist. Allerdings ließ der Beschwerdeführer zuletzt die Ermittlungsbehörden im Unklaren über seinen Aufenthaltsort. Der Beschwerdeführer ist weiterhin allein in der … in M. gemeldet. Nach den derzeitigen Ermittlungsergebnissen ist jedoch davon auszugehen, dass er gemeinsam mit der Mitbeschuldigten T… in G. in der … lebt. Dort erfolgte auch die Festnahme, wobei die Besichtigung durch die anwesenden Polizeibeamten die gemeinsame Nutzung bestätigte. So konnten ein genutztes Doppelbett, einen vollständig mit Bekleidungsstücken gefüllten, begehbaren Kleiderschrank und ein mit persönlichen Gegenständen ausgestattetes, offensichtlich in Benutzung befindliches Badezimmer aufgefunden werde, was insgesamt das Bild eines gemeinsam dem Beschwerdeführer mit der Mitbeschuldigten T… bewohnten Hauses bot.
22
Dieses Anwesen wurde darüber hinaus gemeinsam vom Beschwerdeführer und der Mitbeschuldigten T… über die von ihnen mit ihren Gesellschaften … GmbH und … GmbH gegründete … I2. GbR am 17.11.2020 erworben (Kaufvertrag, ErmA Steufa III Bl. 245 ff). Für die Bezeichnung der GbR wählten der Beschwerdeführer und die Mitbeschuldigte T… dabei die Initialen ihrer beiden Vornamen sowie ein X, eine Kombination, die auch für die … GmbH und die … GmbH Verwendung fand. Bis heute ist weder der Beschwerdeführer noch die Mitbeschuldigte T… an an diesem Anwesen wenigstens mit dem melderechtlich erforderlichen Zweitwohnsitz gemeldet.
23
Da nunmehr der Schlussbericht vorliegt und damit eine Anklageerhebung unmittelbar bevorsteht, besteht ein zusätzlicher Fluchtanreiz. Zwar ist dem Beschwerdeführer das Verfahren bereits seit längerem bekannt, jedoch konkretisieren sich durch den nun vorliegenden Schlussbericht der Steuerfahndung eine drohende Anklage und mögliche folgende Hauptverhandlung mit möglicherweise negativem Ausgang als Folge, die bisher bei den üblicherweise lang andauernden Ermittlungen in Wirtschaftsstrafverfahren noch in weiter Ferne zu liegen schien.
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Dem aus diesen Umständen bestehenden Fluchtanreiz kann auch nicht ausreichend mit einer Außervollzugsetzung begegnet werden, da ein Umzug in die Schweiz oder ggf. auch den Iran weder durch eine Passabgabe noch durch Meldeauflagen oder eine hohe Sicherheitsleistung verhindert werden kann, zumal die Beschuldigten über weitere, trotz der arrestierten Vermögenswerte, erhebliche finanzielle Mittel verfügen, die auch ein Leben außerhalb Deutschlands vereinfachen.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.