Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 30.01.2023 – Au 9 K 22.1795
Titel:

Verdienstausfallentschädigung, häusliche Quarantäne, Ausschlusstatbestand, Möglichkeit einer Impfung zur Vermeidung der Quarantäne, Selbstauskunft des betroffenen Arbeitnehmers

Normenketten:
VwGO § 101 Abs. 2
VwGO § 113 Abs. 5 Satz 1
IfSG § 56 Abs. 1 Satz
IfSG § 56 Abs. 5
AV Isolation BY
Schlagworte:
Verdienstausfallentschädigung, häusliche Quarantäne, Ausschlusstatbestand, Möglichkeit einer Impfung zur Vermeidung der Quarantäne, Selbstauskunft des betroffenen Arbeitnehmers
Fundstelle:
BeckRS 2023, 14288

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Erstattung der von ihr an ihren Mitarbeiter während seiner Quarantäne geleisteten Lohnzahlung in Höhe von 693,66 EUR und von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 508,37 EUR.
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Gegenstand des Geschäftsbetriebs der Klägerin ist der Betrieb und das Management von Hotels, Gastronomie und Events. Der Arbeitnehmer, für den die Erstattung der Lohnzahlung beantragt wird, ist bei der Klägerin als Kellner beschäftigt. Die vertragliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers beträgt 45 Stunden pro Woche.
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Mit Bescheid des Landratsamts … vom 11. September 2021 wurde der Arbeitnehmer der Klägerin als enge Kontaktperson verpflichtet, sich umgehend in häusliche Quarantäne zu begeben. Die häusliche Quarantäne begann am 11. September 2021 und endete am 24. September 2021 (24.00 Uhr).
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Mit Formblatt vom 4. Oktober 2021 beantragte die Klägerin die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen nach § 56 Abs. 1 und 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG) und §§ 57, 58 IfSG. Im Formblattantrag ist ausgeführt, dass der betroffene Arbeitnehmer die ausgeübte Tätigkeit nicht im „Homeoffice“ habe ausüben können. Bei der Tätigkeit als Kellner sei dies selbsterklärend. Der Arbeitnehmer sei während der angeordneten Quarantäne weder krankgeschrieben noch arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Einnahmen aus einer Ersatztätigkeit seien nicht erzielt worden. Auch bestehe keine sonstige Entschädigung bzw. Kompensation für den Verdienstausfall. Die Summe des an den Arbeitnehmer ausgezahlten Verdienstausfalls belaufe sich auf 693,66 EUR; Sozialversicherungsbeiträge seien in Höhe von 508,37 EUR abgeführt worden. Die beantragte Entschädigungssumme betrage insgesamt 1.202,03 EUR.
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Dem Formblattantrag beigefügt war eine Erklärung des betroffenen Arbeitnehmers, wonach dieser bis zum Zeitpunkt des die Absonderung auslösenden Ereignisses die Möglichkeit gehabt habe, sich vollständig gegen COVID-19 impfen zu lassen. Er sei im Zeitpunkt des die Absonderung auslösenden Ereignisses nicht vollständig gegen COVID-19 geimpft gewesen und sei auch nicht von einer Infektion genesen gewesen.
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Mit Bescheid der Regierung von … vom 3. August 2022 wurde der Antrag des Klägers auf Verdienstausfallentschädigung abgelehnt. Zur Begründung der Entscheidung führt die Regierung von … aus, dass nach § 56 Abs. 1 IfSG eine Entschädigung erhalte, wer aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliege oder unterworfen werde und dadurch einen Verdienstausfall erleide. Bei Arbeitnehmern habe der Arbeitgeber für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen. Die ausgezahlten Beträge würden dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet. Ein Verdienstausfall liege vor, wenn für die Dauer der Quarantäne kein Anspruch auf Lohnfortzahlung aufgrund einer anderen gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmung bestehe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend bei der Klägerin nicht gegeben. Nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erhalte eine Verdienstausfallentschädigung nicht, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung, die im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen worden sei, ein Tätigkeitsverbot oder eine Absonderung hätte vermeiden können. Der Anspruch sei also ausgeschlossen, wenn das Tätigkeitsverbot oder die Absonderung im Falle eines vollständigen Impfschutzes nicht erlassen worden wäre. Diese Voraussetzung sei für Betroffene, gegenüber denen die Quarantäne als „enge Kontaktperson“ im Sinne der AV Isolation oder als „Reiserückkehrer aus einem Hochrisikogebiet“ im Sinne der CoronaEinreiseV angeordnet worden sei, gegeben. Für diese Personengruppen bestehe eine Ausnahme von der Quarantänepflicht, wenn die Betroffenen zum Zeitpunkt der Anordnung vollständig gegen COVID-19 geimpft seien. Der Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung entfalle, wenn der Arbeitnehmer bei einer wegen COVID-19 behördlich angeordneten Absonderung keinen vollständigen Impfschutz vorweisen kann, obwohl für ihn in einem Zeitraum von mehr als acht Wochen vor der Absonderungsanordnung eine öffentliche Empfehlung für eine Schutzimpfung gegen COVID-19 vorgelegen habe und auch keine medizinische Kontraindikation hinsichtlich der COVID-19 Schutzimpfung vorgelegen habe.
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Der Bescheid wurde am 10. August 2022 versandt.
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Gegen den Bescheid ließ die Klägerin am 5. September 2022 zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage erheben und beantragt,
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Der Bescheid des Beklagten vom 3. August 2022, mit welchem der Antrag der Klägerin auf Verdienstausfallentschädigung für Herrn … nach § 56 Abs. 1 IfSG und Beitragserstattung nach § 57 IfSG abgelehnt wurde, wird aufgehoben und die beantragte Erstattung wird gewährt.
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Zur Begründung der Klage wird ausgeführt, dass die verschärften Anforderungen in der Rechtsanwendung von § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG erst seit dem 1. November 2021 gälten. Es sei keinesfalls transparent, dass Bayern quasi im Nachhinein einen Sonderweg plante. Für die Klägerin als Arbeitgeberin sei dies nicht nachvollziehbar, da allgemein gegolten habe, dass die Bundesländer die Vorschrift nicht anwenden. Hinzu komme, dass es jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt dem Arbeitgeber gar nicht zugestanden habe, sich Nachweise über etwaige Gründe einer nicht erfolgten Impfung vorlegen zu lassen. In der Ausarbeitung des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom 20. September 2021 in der aktualisierten Fassung vom 23. November 2021 sei ausgeführt worden, dass die Ausschlussregelung des § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG in den Bundesländern bislang nicht angewendet werde, da nicht flächendeckend ein Impfangebot unterbreitet werden konnte. Bayerns Gesundheitsminister habe noch am 9. September 2021 in der Sendung «M. I.» im ZDF ausdrücklich formuliert: «Wenn die Impfung zumutbar ist und nicht gesundheitliche Gründe dagegen sprechen, dann gibt es irgendwann auch keinen Grund mehr, dass diese Verdienstausfallsentschädigung letztlich vom Steuerzahler gezahlt wird». Jetzt im Nachhinein von der Nichtanwendungspraxis abzuweichen, während zuvor angesichts der allseitig kommunizierten Nichtanwendung der Ausschlussregelung des § 56 Abs. 1 S. 4 IfSG der Arbeitgeber entsprechend verpflichtet war, seinen Arbeitnehmern die Verdienstausfallentschädigung gemäß § 56 IfSG vorzustrecken sei rechtswidrig und gleichheitswidrig. Die Argumentation des Beklagten erscheine auch deshalb willkürlich und rechtswidrig, nachdem man heute wisse, dass auch eine Impfung letztlich zu keiner Veränderung in der konkreten Situation geführt hätte. Nachdem heute bekannt sei, dass Impfdurchbrüche nicht die Ausnahme, sondern die Regel seien, und nicht zuletzt deshalb die Isolation von Kontaktpersonen wieder aufgegeben worden sei, rechtfertige sich auch aus diesem Grund keine Versagung.
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Die Regierung von … ist der Klage für den Beklagten mit Schriftsatz vom 2. Januar 2023 entgegengetreten und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Ablehnung des Antrags auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG und auf Beitragserstattung nach § 57 Abs. 1 und 2 IfSG aufgrund des Ausschlusstatbestandes nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG rechtmäßig erfolgt sei und der mit der Klage angegriffene Bescheid die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletze. Die Ablehnung sei aufgrund der Anwendung des Ausschlusstatbestandes für nicht geimpfte Personen nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erfolgt. Im vorliegenden Fall hätte die Absonderung und der damit verursachte Verdienstausfall vermieden werden können, wenn der betroffene Mitarbeiter einen vollständigen Impfschutz gehabt hätte. Nach 2.1.1.2 der Allgemeinverfügung „Quarantäne von Kontaktpersonen und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen“ (AV Isolation) wäre die Quarantäneverpflichtung bei Vorliegen einer vollständigen Impfung entfallen. Die verschärfte Rechtsanwendung seit dem 1. November 2021 bedeute nicht, dass erst seit dem 1. November 2021 der Ausschlusstatbestand nach § 56 Abs. 1 S.4 IfSG angewendet wird, sondern, dass im Rahmen des Vollzugs davon auszugehen ist, dass für jede Person die Möglichkeit eines vollständigen Impfschutzes durch die Inanspruchnahme eines Impfangebots besteht. Die Behauptung, die Impfung sei bisher nicht möglich gewesen, werde dann grundsätzlich nicht mehr akzeptiert. Im Zeitraum ab dem 1. Juli 2021 sei mit dem Antrag eine Selbstauskunft einzureichen, auf deren Richtigkeit grundsätzlich vertraut werde. Gibt der betroffene Mitarbeiter jedoch ausdrücklich an, er habe eine Möglichkeit gehabt einen vollständigen Impfschutz zu erlangen, habe diese aber nicht in Anspruch genommen, sei genau der Grundgedanke des Mitverschuldens, der in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG normiert wurde, erfüllt. Weder die vorgebrachten Quellen des wissenschaftlichen Dienstes noch die Aussagen des bayerischen Gesundheitsministers in einer TV-Sendung hätten rechtliche Bindungswirkung. Die Handhabung im bayernweiten einheitlichen Vollzug sei entgegen der Ansicht der Klägerin weder willkürlich noch gleichheitswidrig. Auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung werde verzichtet.
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Die Bevollmächtigte der Klägerin erklärte mit Schreiben vom 20. Januar 2023 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die vom Beklagten vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer konnte über die Klage der Klägerin im Wege des schriftlichen Verfahrens (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit jeweils einverstanden erklärt haben.
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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
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Die Klägerin besitzt keinen Anspruch auf die Erstattung der von ihr an seinen Arbeitnehmer gezahlten Verdienstausfallentschädigung sowie abgeführter Sozialversicherungsbeiträge (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der diesen Anspruch versagende Bescheid des Beklagten vom 3. August 2022 ist rechtmäßig und nicht geeignet, die Klägerin in ihren Rechten zu verletzen.
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1. Für die Sach- und Rechtslage des Anspruchs ist auf § 56 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) in der Fassung vom 28. Mai 2021 (BGBl. I S. 1174) gültig bis zum 23. November 2021 abzustellen.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich die Frage des richtigen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem Prozessrecht, sodass ein Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit einem Aufhebungsbegehren wie mit einem Verpflichtungsbegehren nur dann Erfolg haben kann, wenn er im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsakts bzw. einen Anspruch auf die erstrebte Leistung hat. Ob ein solcher Anspruch jedoch besteht, das heißt, ob ein belastender Verwaltungsakt einen Kläger im Sinne des § 113 Abs. 1 VwGO rechtswidrig in seinen Rechten verletzt oder die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsakts im Sinne des § 113 Abs. 5 VwGO rechtswidrig ist, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 31.3.2004 – 8 C 5.03 – juris Rn. 35). Insbesondere bei zeitgebundenen Ansprüchen, d.h. bei Ansprüchen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt entstehen oder die sich auf einen bestimmten Zeitraum beziehen, ergibt sich der zeitliche Bezugspunkt nach dem Fachrecht, weil es andernfalls die Behörde oder das Gericht allein durch die Steuerung der Bearbeitungszeit in der Hand hätte, einen zunächst begründeten Antrag unbegründet werden zu lassen oder umgekehrt (vgl. VG Hannover, U.v. 1.10.2008 – 11 A 7719.06 – juris).
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2. Gemäß § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 IfSG in der zum Zeitpunkt der Quarantäne im September 2021 maßgeblichen Fassung erhält ein Arbeitgeber, der für die zuständige Behörde die Entschädigung an seinen Arbeitnehmer auszahlt, auf Antrag eine entsprechende Erstattung, wenn sein Arbeitnehmer auf Grund des Infektionsschutzgesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtigte abgesondert wurden oder werden. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch gemäß § 56 Abs. 1 IfSG ist ein vorrangiger, dem Arbeitnehmer des Klägers zustehender Entschädigungsanspruch aus § 56 Abs. 1 IfSG, der dann aufgrund der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Vorschrift des § 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG auf den Kläger übergegangen ist.
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a) Der Arbeitnehmer der Klägerin wurde aufgrund der Quarantäneanordnung des Landratsamts … vom 11. September 2021 ab dem 11. September 2021 bis zum 24. September 2021 abgesondert, weil er als enge Kontaktperson einer an COVID-19 erkrankten Person als Ansteckungsverdächtiger im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG galt. Nach dieser Vorschrift ist „Ansteckungsverdächtiger“ eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Da der Arbeitnehmer selbst nicht erkrankt war, lagen die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 IfSG insoweit vor.
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b) In der Zeit der Absonderung zahlte die Klägerin ausweislich der Gehaltsabrechnung des Arbeitnehmers auch die diesem zustehende arbeitsvertragliche Vergütung.
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c) Mit dem Beklagten ist die Kammer jedoch der Auffassung, dass ein Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers für dessen erlittenen Verdienstausfall nach § 56 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 IfSG in der zum Zeitpunkt der Quarantäne maßgeblichen Fassung ausgeschlossen ist.
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aa) Nach dem durch das MasernschutzG vom 10. Februar 2020 (BGBl. I S. 148) als damaliger § 56 Abs. 1 Satz 3 IfSG angefügten und durch das 3. BevSchG vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) um die Reisekonstellation erweiterten jetzigen § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erhält derjenige keine Entschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 IfSG, der (Alt. 1) durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist, ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder eine Absonderung hätte vermeiden können. Wurde eine gemäß § 20 Abs. 3 IfSG von den obersten Landesgesundheitsbehörden empfohlene Schutzimpfung gegen COVID-19 nicht in Anspruch genommen, führt dies zum Anspruchsausschluss, wenn die Impfung der konkreten Person möglich sowie auch unter gesundheitlichen Gesichtspunkten zumutbar war und sie im Falle der Impfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht abgesondert worden wäre (vgl. Eckard-Kruse in: Beck-OK Infektionsschutzgesetz, Stand: 1. Juli 2022, § 56 Rn. 39.1).
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Hintergrund dieser Ausschlussregelung ist ausweislich der Beschlussempfehlung zum MasernschutzG der Grundsatz, dass derjenige, der das schädigende Ereignis (Tätigkeitsverbot/Absonderung) in vorwerfbarer Weise verursacht hat, nicht auf Kosten der Allgemeinheit Entschädigung erhalten soll, wenn er Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird (BT-Drs. 19/15164, 59f.). Diese Regelung entspricht dem im Schadensersatzrecht anerkannten Grundsatz, dass es jedem obliegt, die Sorgfalt zu beachten, die nach Lage der Sache erforderlich ist, um sich selbst vor Schaden zu bewahren. Derartige Obliegenheitsverletzungen, welche im Schadensersatzrecht teilweise als „Verschulden gegen sich selbst“ bezeichnet werden, sind in § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unter dem Begriff des „Mitverschuldens“ geregelt (vgl. zum Ganzen Gerhardt in Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 6. Aufl. 2022, § 56 Rn. 14a; Kümper in Kießling, Infektionsschutzgesetz, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 56 Rn. 28, 29). Dieser Systematik folgt § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG, der in der Sache den Fall einer Obliegenheitsverletzung betrifft. Auch wenn keine Pflicht zur Einhaltung einer solchen Sorgfalt besteht, so folgt dennoch aus der Verletzung dieser Obliegenheit die Kürzung bzw. der Ausschluss des jeweiligen Ersatzanspruches.
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bb) Die Klägerin muss sich vorliegend den Ausschluss eines auf sie übergegangenen Verdienstausfallanspruchs ihres Arbeitnehmers entgegenhalten lassen. Es lag für den Arbeitnehmer eine öffentliche Impfempfehlung vor (1), die Schutzimpfung war für den Arbeitnehmer auch möglich (2), die Impfung hätte nach den in Bayern geltenden Regelungen der AV Isolation vom 14. April 2021 eine Absonderungsanordnung verhindert (3) und die Ausschlussregelung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG konnte auch vor dem 1. November 2021 angewendet werden (4).
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(1) Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfahl bereits am 23. Dezember 2020 für Erwachsene die Schutzimpfung gegen COVID-19.
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(2) Für den betroffenen Arbeitnehmer, der den entsprechenden Verdienstausfall erlitten hat, war im Zeitpunkt der Absonderung (11. September 2021 bis 24. September 2021) in Bayern auch eine Grundimmunisierung gegen das Virus SARS-CoV-2 möglich und erreichbar. Nach dem Beginn der Impfkampagne gegen COVID-19 am 27. Dezember 2020 wurde die Impfung zwar zunächst wegen der nur begrenzten Impfstoffverfügbarkeit lediglich Personen angeboten, die ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe haben oder die beruflich entweder besonders exponiert waren oder engen Kontakt zu vulnerablen Personengruppen hatten (Priorisierung). Am 28. Juni 2021 wurde in den Impfzentren Bayerns jedoch die Priorisierung einzelner Personengruppen aufgehoben, sodass spätestens ab diesem Zeitpunkt jedem Bewohner Bayerns die Möglichkeit einer Impfung offenstand (https://www.br.de/nachrichten/bayern/priorisierung-in-impfzentren-wird-aufgehoben,SbcgY0C). Diese Erkenntnis deckt sich im Übrigen auch mit der Selbstauskunft des betroffenen Arbeitnehmers (Bl. 13 der Behördenakte), der am 4. Oktober 2021 im Antragsformular angegeben hat, dass für ihn die Möglichkeit bestanden hatte, sich in ausreichender Weise gegen das Virus SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Dass die im Rahmen des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG bis zum 30. September 2021 für die Grundimmunisierung erforderlichen zwei Impfungen für den betroffenen Arbeitnehmer nicht erreichbar gewesen wären, ist für das Gericht nicht ersichtlich und wird von der Klägerin auch nicht vorgetragen.
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(3) Nach der in Bayern geltenden Rechtslage zum Zeitpunkt der Quarantäne im September 2021 hätte der Arbeitnehmer des Klägers bei entsprechend vorgenommener Schutzimpfung nicht abgesondert werden müssen.
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In Bayern bestand seit dem 14. April 2021 und damit auch im maßgeblichen Quarantänezeitpunkt die Allgemeinverfügung zur Quarantäne von Kontaktpersonen und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Isolation – Az. G51s-G8000-2021/505-38; BayMBl. 2021 Nr. 276) nach dessen Nr. 2.1.1.2 die Quarantänepflicht nicht für enge Kontaktpersonen gilt, die vollständig gegen COVID-19 geimpft sind (ab Tag 15 nach der abschließenden Impfung) (Buchst. a). Damit hätte eine vom betroffenen Arbeitnehmer durchgeführte Schutzimpfung die gegen ihn ab 11. September 2021 angeordnete Absonderung verhindern und ein der Regelung in § 56 Abs. 1 IfSG zugrundeliegender Verdienstausfall als Auslöser für die Billigkeitsentschädigung vermieden werden können. Entgegen der im Klageschriftsatz vom 5. September 2022 geäußerten Auffassung spielt die Wirksamkeit einer entsprechenden vollständigen Schutzimpfung für den in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG normierten Ausschluss einer Verdienstausfallentschädigung keine Rolle. Es kommt lediglich darauf an, ob das Vorliegen einer Schutzimpfung die tatsächlich angeordnete Absonderung des Arbeitnehmers hätte vermeiden können. Das war aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt seit April 2021 geltenden Regelungen in der AV Isolation zweifellos der Fall. Abzustellen ist in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG auf die Vermeidbarkeit der Absonderung durch entsprechende Schutzimpfung, nicht aber die Vermeidbarkeit einer möglichen Ansteckung mit dem SARS-CoV-2 Virus. Diesen Unterschied übersieht die Bevollmächtigte der Klägerin.
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(4) Dem Ausschluss des Erstattungsanspruchs steht auch der Beschluss der 94. Gesundheitsministerkonferenz (GMK) vom 22. September 2021 nicht entgegen, in dem die Gesundheitsminister der Bundesländer vereinbarten, dass die Länder spätestens ab dem 1. November 2021 denjenigen Personen keine Entschädigungsleistungen gemäß § 56 Abs. 1 IfSG mehr gewähren, die als Kontaktpersonen oder als Reiserückkehrer aus einem Risikogebiet bei einem wegen COVID-19 behördlich angeordneten Tätigkeitsverbot oder behördlich angeordneter Absonderung keinen vollständigen Impfschutz mit einem auf der Internetseite des Paul-Ehrlich-Instituts (www.pei.de/impfstoffe/covid-19) gelisteten Impfstoff gegen COVID-19 vorweisen können, obwohl für sie eine öffentliche Empfehlung für eine Schutzimpfung nach § 20 Abs. 3 IfSG vorliegt.
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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Ausschlussregelung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG um eine geltende gesetzliche Regelung handelt, die von den Vollzugsbehörden zu beachten und anzuwenden ist. Die Behörden des Freistaats Bayern, denen nach dem föderalen Prinzip der Bundesrepublik Deutschland der Vollzug der Bundesgesetze obliegt, haben geltendes Recht und im konkreten Fall den Ausschlusstatbestand des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG grundsätzlich anzuwenden. Die Übereinkunft der Gesundheitsministerkonferenz vom 22. September 2021, dass (erst) spätestens ab dem 1. November 2021 den betroffenen Personen der Ausschlussgrund des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG entgegengehalten wird, findet im Gesetzeswortlaut keine Grundlage. Die Vereinbarung beruhte auf der Tatsache, dass zum damaligen Zeitpunkt in den einzelnen Bundesländern große Unterschiede bezüglich des Impffortschritts vorlagen und für breite Bevölkerungsschichten Schwierigkeiten bestanden, eine Corona-Schutzimpfung zu erlangen. Aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips war es daher geboten, den unterschiedlichen Möglichkeiten der Inanspruchnahme einer Impfung gegen das Corona-Virus beim Vollzug des Gesetzes Rechnung zu tragen.
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Dem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz ist auch lediglich zu entnehmen, dass die Vorschrift des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG spätestens ab November 2021 bundeseinheitlich zum Ausschluss von Verdienstausfallansprüchen führen sollte. Dies zugrunde gelegt war es dem Freistaat Bayern unbenommen, wie in den Vollzugshinweisen des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege geschehen, einen Anspruchsausschluss bereits für Absonderungen im Zeitraum ab dem 1. Juli 2021 vorzusehen (Nr. 7 der Vollzugshinweise) und diese im Zeitraum zwischen Juli 2021 und Ende Oktober 2021 an eine Selbstauskunft des betroffenen Arbeitnehmers zu dessen Impf- und Genesenenstatus zu knüpfen. Der jeweilige Arbeitnehmer hatte mit dieser Erklärung die Möglichkeit, im Verfahren geltend zu machen, ob für ihn im Zeitpunkt des die Absonderung auslösenden Ereignisses die Möglichkeit einer vollständigen Impfung bestanden hat. Dieses Verlangen nach einer Selbstauskunft ist auch durch Art. 26 Abs. 1 Nr. 2 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (BayVwVfG) gedeckt, wonach die Behörde schriftliche Äußerungen von Beteiligten einholen kann. Der Beklagte durfte auf die Richtigkeit der entsprechenden Erklärung des betroffenen Arbeitnehmers vertrauen, im gerichtlichen Verfahren wurde diese auch nicht in Frage gestellt. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Verdienstausfallentschädigung um ein Massenverfahren handelt, welches ohne näher erkennbare Anhaltspunkte für eine inhaltliche Fehlauskunft eine Überprüfung der Erklärungen auf deren Richtigkeit ausschließt. Es wäre deshalb am Arbeitnehmer selbst gelegen, darzulegen, warum eine Impfmöglichkeit für ihn zum maßgeblichen Zeitpunkt gerade nicht bestanden hat.
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Angesichts des bayernweit durch die Vollzugshinweise des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege einheitlich geregelten Verwaltungsvollzugs kann sich die Klägerin nicht auf eine gleichheitswidrige Behandlung ihres Erstattungsantrags berufen. Auch bindet angesichts der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland eine möglicherweise unterschiedliche Handhabung der Vorschrift des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG durch Behörden anderer Bundesländer die bayerischen Behörden nicht. Nichts Anderes gilt im Hinblick auf die Beschlussfassung der Gesundheitsministerkonferenz vom 22. September 2022. Dieser Beschluss machte durch die Formulierung, dass § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG spätestens ab November 2021 bundeseinheitlich zum Ausschluss von Verdienstausfallansprüchen führen sollte, deutlich, dass Bundesländer schon vorher von der Regelung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG Gebrauch machen. Auch ist die Äußerung eines Politikers in einer Talksendung nicht geeignet, einen Vertrauenstatbestand dahingehend zu schaffen, dass der gesetzlich vorgesehene Ausschlussgrund des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG dem Anspruch des Arbeitnehmers vor dem 1. November 2021 nicht entgegengehalten wird. Gleiches gilt für die angeführte Stellungnahme des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, die für den Vollzug des Infektionsschutzgesetzes und die Anwendung des Ausschlusstatbestands des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG durch die bayerischen Behörden keine Bindungswirkung entfaltet.
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cc) Die nicht in Anspruch genommene Möglichkeit einer Impfung durch den Arbeitnehmer führt zum Ausschluss des lediglich auf die Klägerin und Arbeitgeberin übergeleiteten Erstattungsanspruchs. Auch wenn ein Arbeitgeber keinen Einfluss auf die Entscheidung des Arbeitnehmers über die Inanspruchnahme einer Impfung besitzt, folgt nach der gesetzlichen Konzeption des § 56 IfSG, dass Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch des Arbeitgebers ein originärer, gesetzlich nicht ausgeschlossener Anspruch des Arbeitnehmers auf Verdienstausfallentschädigung ist. Ist aber bereits – wie hier – ein Anspruch des Arbeitnehmers nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG ausgeschlossen, kann dieser begrifflich auch nicht gemäß § 56 Abs. 5 IfSG auf die Klägerin als Arbeitgeberin übergehen.
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3. In der Folge besteht aber auch kein Anspruch auf Erstattung der für den Arbeitnehmer abgeführten Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 57 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 IfSG, da hierfür ein Anspruch gemäß § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 1 IfSG zwingende Voraussetzung wäre (vgl. VG Würzburg, U.v. 15.11.2021 – W 8 K 21.864 – juris Rn. 32). Wie bereits ausgeführt, hat der betroffene Arbeitnehmer der Klägerin jedoch gerade keinen Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG, sodass in der Folge auch kein Erstattungsanspruch der Klägerin nach § 57 Abs. 1 IfSG besteht.
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4. Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht, da ein Rückgriff auf allgemeine Entschädigungs- bzw. Erstattungsregelungen aufgrund der abschließenden Regelungen im Infektionsschutzgesetz ausscheidet.
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5. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat die Klägerin die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 i.V.m. § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).