Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 30.01.2023 – Au 9 K 22.1924
Titel:

Verdienstausfallentschädigung, häusliche Quarantäne, Ausschlusstatbestand, Möglichkeit einer Impfung zur Vermeidung der Quarantäne, Selbstauskunft des betroffenen Arbeitnehmers

Normenketten:
VwGO § 101 Abs. 2
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
IfSG § 56 Abs. 1 S. 4
IfSG § 56 Abs. 5
Schlagworte:
Verdienstausfallentschädigung, häusliche Quarantäne, Ausschlusstatbestand, Möglichkeit einer Impfung zur Vermeidung der Quarantäne, Selbstauskunft des betroffenen Arbeitnehmers
Fundstelle:
BeckRS 2023, 14287

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Erstattung der von ihm an seinen Mitarbeiter ... während seiner Quarantäne geleisteten Lohnzahlung in Höhe von 615,00 EUR und von Sozialversicherungsbeiträgen in Höhe von 399,22 EUR.
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Der Kläger betreibt ein Unternehmen im Bereich der Systemgastronomie. Der Arbeitnehmer ... ist ein Mitarbeiter im Rotationssystem, dessen Tätigkeiten u.a. das Zubereiten und der Verkauf von Speisen ist. Die vertragliche Arbeitszeit des Arbeitnehmers beträgt 39 Stunden pro Woche.
3
Mit Bescheid des Landratsamts ... vom 19. August 2021 wurde der Arbeitnehmer ... als enge Kontaktperson verpflichtet, sich umgehend in häusliche Quarantäne zu begeben. Die häusliche Quarantäne begann am 19. August 2021 und endete am 31. August 2021 (24.00 Uhr).
4
Mit Formblatt vom 10.September 2021 beantragte der Kläger die Erstattung von Arbeitgeberaufwendungen nach § 56 Abs. 1 und 5 Infektionsschutzgesetz (IfSG) und §§ 57, 58 IfSG. Im Formblattantrag ist ausgeführt, dass der betroffene Arbeitnehmer die ausgeübte Tätigkeit nicht im „Homeoffice“ habe ausüben können. Bei der Tätigkeit als Mitarbeiter im Rotationssystem sei kein Homeoffice möglich, da die Tätigkeit ausschließlich im Restaurant stattfinde. Der Arbeitnehmer sei während der angeordneten Quarantäne weder krankgeschrieben noch arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Einnahmen aus einer Ersatztätigkeit seien nicht erzielt worden. Auch bestehe keine sonstige Entschädigung bzw. Kompensation für den Verdienstausfall. Die Summe des an den Arbeitnehmer ausgezahlten Verdienstausfalls belaufe sich auf 615,00 EUR; Sozialversicherungsbeiträge seien in Höhe von 399,22 EUR abgeführt worden. Die beantragte Entschädigungssumme betrage insgesamt 1.014,22 EUR.
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Dem Formblattantrag beigefügt war eine Erklärung des betroffenen Arbeitnehmers, wonach dieser bis zum Zeitpunkt des die Absonderung auslösenden Ereignisses die Möglichkeit gehabt habe, sich vollständig gegen COVID-19 impfen zu lassen. Er sei im Zeitpunkt des die Absonderung auslösenden Ereignisses nicht vollständig gegen COVID-19 geimpft gewesen.
6
Mit Bescheid der Regierung ... vom 29. August 2022 wurde der Antrag des Klägers auf Verdienstausfallentschädigung abgelehnt. Zur Begründung seiner Entscheidung führt die Regierung von... aus, dass nach § 56 Abs. 1 IfSG eine Entschädigung erhalte, wer aufgrund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliege oder unterworfen werde. Ein Verdienstausfall liege vor, wenn für die Dauer der Quarantäne kein Anspruch auf Lohnfortzahlung aufgrund einer anderen gesetzlichen oder tarifvertraglichen Bestimmung bestehe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend beim Kläger nicht gegeben. Nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erhalte eine Verdienstausfallentschädigung nicht, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung, die im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen worden sei, ein Tätigkeitsverbot oder eine Absonderung hätte vermeiden können. Diese Voraussetzung sei für Betroffene, gegenüber denen die Quarantäne als „enge Kontaktperson“ im Sinne der AV Isolation oder als „Reiserückkehrer aus einem Hochrisikogebiet“ im Sinne der CoronaEinreiseV angeordnet worden sei, gegeben. Für diese Personengruppen bestehe eine Ausnahme von der Quarantänepflicht, wenn die Betroffenen zum Zeitpunkt der Anordnung vollständig gegen COVID-19 geimpft seien. Der Anspruch auf Verdienstausfallentschädigung entfalle, wenn der Arbeitnehmer bei einer wegen COVID-19 behördlich angeordneten Absonderung keinen vollständigen Impfschutz vorweisen kann, obwohl für ihn in einem Zeitraum von mehr als acht Wochen vor der Absonderungsanordnung eine öffentliche Empfehlung für eine Schutzimpfung gegen COVID-19 vorgelegen habe und auch keine medizinische Kontraindikation hinsichtlich der COVID-19 Schutzimpfung vorgelegen habe.
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Bezüglich der weiteren Begründung wird auf den Bescheid der Regierung von... vom 29. August 2022 verwiesen.
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Gegen den Bescheid hat der Kläger mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2022 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg erhoben und beantragt,
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I. Der Bescheid vom 29. August 2022, Gz., wird aufgehoben.
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II. Der Beklagte wird verurteilt, Verdienstausfallentschädigung für den Mitarbeiter des Klägers, Herrn, zu bezahlen.
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Zur Begründung der Klage wird mit Schriftsatz vom 17. November 2022 ausgeführt, dass der Anspruch des Klägers auf Verdienstausfall dem Grunde und der Höhe nach bestehe, da der Mitarbeiter des Klägers den gesamten Zeitraum der quarantänebedingten Ausfallzeit kein Erkrankter im Sinne des § 2 Nr. 4 IfSG gewesen sei. Es habe sich lediglich um einen Ansteckungsverdächtigen im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG gehandelt. Bei den Bestimmungen der §§ 56 IfSG handle es sich um infektionsschutzrechtliche Billigkeitsregelungen.
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Die Regierung von... ist der Klage für den Beklagten mit Schriftsatz vom 5. Dezember 2022 entgegengetreten und beantragt,
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die Klage abzuweisen.
14
Zur Begründung wird ausgeführt, dass die Ablehnung des Antrags auf Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG und auf Beitragserstattung nach § 57 Abs. 1 und 2 IfSG aufgrund des Ausschlusstatbestandes nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG rechtmäßig erfolgt sei und der mit der Klage angegriffene Bescheid den Kläger daher nicht in seinen Rechten verletze. Die Ablehnung sei aufgrund der Anwendung des Ausschlusstatbestandes für nicht geimpfte Personen nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erfolgt. Hierbei sei die eingereichte und vom Arbeitnehmer unterschriebene Erklärung vom 10. September 2021 zugrunde gelegt worden. Im Zeitraum ab dem 1. Juli 2021 sei dem Antrag auf Gewährung einer Verdienstausfallentschädigung eine Selbstauskunftserklärung beizufügen, auf deren Richtigkeit der Beklagte grundsätzlich vertrauen dürfe. In § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG sei der Grundgedanke des Mitverschuldens normiert worden, der zu einem Anspruchsausschluss führe. Der Betroffene habe in vorwerfbarer Weise zum Schadensbeitritt beigetragen und hätte diesen durch die Inanspruchnahme der Impfmöglichkeit vermeiden können.
15
Auf die weiteren Ausführungen im Klageerwiderungsschriftsatz der Regierung ... vom 5. Dezember 2022 wird ergänzend Bezug genommen.
16
Der Beklagte hat im Schriftsatz vom 5. Dezember 2022 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
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Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 23. Dezember 2022 ergänzend ausgeführt, dass der Beklagte übersehe, dass die vertretene Rechtsansicht zum damaligen Zeitpunkt noch keine Geltung gehabt habe. Erst ab 1. November 2021 habe die Einschränkung des Entschädigungsanspruches nach § 56 IfSG bestanden. Im Übrigen greife auch nicht der Gedanke des Mitverschuldens und es bestünden erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Einschränkungen, da sich nach derzeitigem Kenntnisstand erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit der Maßnahmen stellten. Auch der durch eine Impfung geschützte Betroffene sei weiterhin infektiös.
18
Auf die weiteren Ausführungen im Schriftsatz vom 23. Dezember 2022 wird ergänzend verwiesen.
19
Der Kläger hat sich im vorbezeichneten Schriftsatz ebenfalls mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
20
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte und auf die vom Beklagten vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer konnte über die Klage des Klägers im Wege des schriftlichen Verfahrens (§ 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO) entscheiden, da sich die Beteiligten hiermit jeweils einverstanden erklärt haben.
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Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zwar zulässig, aber unbegründet.
23
Der Kläger besitzt keinen Anspruch auf die Erstattung der von ihm an seinen Arbeitnehmer gezahlten Verdienstausfallentschädigung sowie abgeführter Sozialversicherungsbeiträge (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Der diesen Anspruch versagende Bescheid des Beklagten vom 29. August 2022 ist rechtmäßig und nicht geeignet, den Kläger in seinen Rechten zu verletzen.
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1. Für die Sach- und Rechtslage des Anspruchs ist auf die Fassung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) vom 10. August 2021 abzustellen, die Gültigkeit bis zum 14. September 2021 beanspruchte.
25
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts richtet sich die Frage des richtigen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage nach dem Prozessrecht, so dass der Kläger im verwaltungsgerichtlichen Verfahren mit einem Aufhebungsbegehren wie mit einem Verpflichtungsbegehren nur dann Erfolg haben kann, wenn er im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsakts bzw. einen Anspruch auf die erstrebte Leistung hat. Ob ein solcher Anspruch jedoch besteht, das heißt, ob ein belastender Verwaltungsakt den Kläger im Sinne des § 113 Abs. 1 VwGO rechtswidrig in seinen Rechten verletzt oder die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsakts im Sinne des § 113 Abs. 5 VwGO rechtswidrig ist, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen (st. Rspr., vgl. BVerwG, U.v. 31.3.2004 – 8 C 5.03 – juris Rn. 35). Insbesondere bei zeitgebundenen Ansprüchen, d.h. bei Ansprüchen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt entstehen oder die sich auf einen bestimmten Zeitraum beziehen, ergibt sich der zeitliche Bezugspunkt nach dem Fachrecht, weil es andernfalls die Behörde oder das Gericht allein durch die Steuerung der Bearbeitungszeit in der Hand hätte, einen zunächst begründeten Antrag unbegründet werden zu lassen oder umgekehrt (vgl. VG Hannover, U.v. 1.10.2008 – 11 A 7719.06 – juris).
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2. Gemäß § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 56 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 IfSG in der zum Zeitpunkt der Quarantäne im August 2021 maßgeblichen Fassung mit Gültigkeit vom 10. August 2021 bis zum 14.September 2021 erhält ein Arbeitgeber, der für die zuständige Behörde die Entschädigung an seinen Arbeitnehmer auszahlt, auf Antrag eine entsprechende Erstattung, wenn sein Arbeitnehmer aufgrund des Infektionsschutzgesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtigte abgesondert wurden oder werden. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch gemäß § 56 Abs. 1 IfSG ist ein vorrangiger, dem Arbeitnehmer des Klägers zustehender Entschädigungsanspruch aus § 56 Abs. 1 IfSG, der dann aufgrund der im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden Vorschrift des § 56 Abs. 5 Satz 2 IfSG auf den Kläger übergegangen ist.
27
a) Der Arbeitnehmer des Klägers wurde aufgrund der Quarantäneanordnung des Landratsamts ... vom 19. August 2021 ab dem 19. August 2021 bis zum 31. August 2021 abgesondert, weil er als enge Kontaktperson einer an COVID-19 erkrankten Person als Ansteckungsverdächtiger im Sinne des § 2 Nr. 7 IfSG galt. Nach dieser Vorschrift ist „Ansteckungsverdächtiger“ eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Da der Arbeitnehmer selbst nicht erkrankt war, lagen die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 IfSG insoweit vor.
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b) In der Zeit der Absonderung zahlte der Kläger ausweislich der Gehaltsabrechnung des Arbeitnehmers auch die diesem zustehende arbeitsvertragliche Vergütung.
29
c) Mit dem Beklagten ist die Kammer jedoch der Auffassung, dass ein Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers für dessen erlittenen Verdienstausfall nach § 56 Abs. 1 Satz 4 Alt. 1 IfSG in der maßgeblichen Fassung vom 10. August 2021 ausgeschlossen ist.
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aa) Nach dem durch das MasernschutzG vom 10. Februar 2020 (BGBl. I S. 148) als damaliger § 56 Abs. 1 Satz 3 IfSG angefügten und durch das 3. BevSchG vom 18. November 2020 (BGBl. I S. 2397) um die Reisekonstellation erweiterten jetzigen § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG erhält derjenige keine Entschädigung nach § 56 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 IfSG, der (Alt. 1) durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist, ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder eine Absonderung hätte vermeiden können. Hintergrund dieser Ausschlussregelung ist ausweislich der Beschlussempfehlung zum MasernschutzG der Grundsatz, dass derjenige, der das schädigende Ereignis (Tätigkeitsverbot/Absonderung) in vorwerfbarer Weise verursacht hat, nicht auf Kosten der Allgemeinheit Entschädigung erhalten soll, wenn er Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird (BT-Drs. 19/15164, 59f.). Grundsätzlich ist es im Schadensersatzrecht anerkannt, dass es jedem obliegt, die Sorgfalt zu beachten, die nach Lage der Sache erforderlich ist, um sich selbst vor Schaden zu bewahren. Auch wenn keine Pflicht zur Einhaltung einer solchen Sorgfalt besteht, so folgt dennoch aus der Verletzung dieser Obliegenheit die Kürzung bzw. der Ausschluss des jeweiligen Ersatzanspruches. Dieser Systematik folgt § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG, der in der Sache den Fall einer Obliegenheitsverletzung betrifft. Obliegenheitsverletzungen, welche im Schadensersatzrecht teilweise als „Verschulden gegen sich selbst“ bezeichnet werden, sind in § 254 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) unter dem Begriff des „Mitverschuldens“ geregelt (vgl. zum Ganzen Gerhardt in Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 6. Aufl. 2022, § 56 Rn. 14a; Kümper in Kießling, Infektionsschutzgesetz, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 56 Rn. 28, 29).
31
Wurde eine gemäß § 20 Abs. 3 IfSG von den obersten Landesgesundheitsbehörden empfohlene Schutzimpfung gegen COVID-19 nicht in Anspruch genommen, führt dies zum Anspruchsausschluss, wenn die Impfung der konkreten Person möglich sowie auch unter gesundheitlichen Gesichtspunkten zumutbar war und sie im Falle der Impfung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht abgesondert worden wäre (vgl. Eckard-Kruse in: Beck-OK Infektionsschutzgesetz, Stand: 1. Juli 2022, § 56 Rn. 39.1).
32
bb) Der Kläger muss sich vorliegend den Ausschluss eines auf ihn übergegangenen Verdienstausfallanspruchs seines Arbeitnehmers entgegenhalten lassen. Es lag für den Arbeitnehmer eine öffentliche Impfempfehlung vor (1), die Schutzimpfung war für den Arbeitnehmer auch möglich (2), die Impfung hätte nach den in Bayern geltenden Regelungen der AV Isolation vom 14. April 2021 eine Absonderungsanordnung verhindert (3) und die Ausschlussregelung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG konnte auch vor dem 1. November 2021 angewendet werden (4).
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(1) Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfahl bereits am 23. Dezember 2020 für Erwachsene die Schutzimpfung gegen COVID-19.
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(2) Für den betroffenen Arbeitnehmer, der den entsprechenden Verdienstausfall erlitten hat, war im Zeitpunkt der Absonderung (19. August 2021 bis 31. August 2021) in Bayern auch eine Grundimmunisierung gegen das Virus SARS-CoV-2 möglich und erreichbar. Nach dem Beginn der Impfkampagne gegen COVID-19 am 27. Dezember 2020 wurde die Impfung zwar zunächst wegen der nur begrenzten Impfstoffverfügbarkeit lediglich Personen angeboten, die ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche Verläufe haben oder die beruflich entweder besonders exponiert waren oder engen Kontakt zu vulnerablen Personengruppen hatten (Priorisierung). Am 28. Juni 2021 wurde in den Impfzentren Bayerns jedoch die Priorisierung einzelner Personengruppen aufgehoben, so dass spätestens ab diesem Zeitpunkt jedem Bewohner Bayerns die Möglichkeit einer Impfung offenstand (https://www.br.de/nachrichten/bayern/priorisierung-in-impfzentren-wird-aufgehoben,SbcgY0C). Diese Erkenntnis deckt sich im Übrigen auch mit der Selbstauskunft des betroffenen Arbeitnehmers, der am 10. September 2021 im Antragsformular angegeben hat, dass für ihn die Möglichkeit bestanden hat, sich in ausreichender Weise gegen das Virus SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Dass die im Rahmen des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG bis zum 30. September 2021 für die Grundimmunisierung erforderlichen zwei Impfungen für den betroffenen Arbeitnehmer nicht erreichbar gewesen wären, ist für das Gericht nicht ersichtlich und wird vom Kläger auch nicht vorgetragen.
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(3) Nach der in Bayern geltenden Rechtslage zum Zeitpunkt der Quarantäne im August 2021 hätte der Arbeitnehmer des Klägers bei entsprechend vorgenommener Schutzimpfung nicht abgesondert werden müssen.
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In Bayern bestand seit dem 14. April 2021 und damit auch im maßgeblichen Quarantänezeitpunkt die Allgemeinverfügung zur Quarantäne von Kontaktpersonen und von Verdachtspersonen, Isolation von positiv auf das Coronavirus SARS-CoV-2 getesteten Personen (AV Isolation) (Az. G51s-G8000-2021/505-38; BayMBl. 2021 Nr. 276) nach dessen Nr. 2.1.1.2 die Quarantänepflicht nicht für enge Kontaktpersonen gilt, die vollständig gegen COVID-19 geimpft sind (ab Tag 15 nach der abschließenden Impfung) (Buchst. a). Damit hätte eine vom betroffenen Arbeitnehmer durchgeführte Schutzimpfung die gegen ihn ab 19. August 2021 angeordnete Absonderung verhindern und ein der Regelung in § 56 Abs. 1 IfSG zugrundeliegender Verdienstausfall als Auslöser für die Billigkeitsentschädigung vermieden werden können. Entgegen der Auffassung des Klägerbevollmächtigten im Schriftsatz vom 23. Dezember 2022 spielt die Wirksamkeit einer entsprechenden vollständigen Schutzimpfung für den in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG normierten Ausschluss einer Verdienstausfallentschädigung keine Rolle. Es kommt lediglich darauf an, ob das Vorliegen einer Schutzimpfung die tatsächlich angeordnete Absonderung des Arbeitnehmers hätte vermeiden können. Das war aufgrund der zum damaligen Zeitpunkt seit April 2021 geltenden Regelungen in der AV Isolation zweifellos der Fall. Abzustellen ist in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG auf die Vermeidbarkeit der Absonderung durch entsprechende Schutzimpfung, nicht aber die Vermeidbarkeit einer möglichen Ansteckung mit dem SARS-CoV-2 Virus. Diesen Unterschied übersieht der Bevollmächtigte des Klägers.
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(4) Dem Ausschluss des Erstattungsanspruchs steht auch der Beschluss der 94. Gesundheitsministerkonferenz (GMK) vom 22. September 2021 nicht entgegen, in dem die Gesundheitsminister der Bundesländer vereinbarten, dass die Länder spätestens ab dem 1. November 2021 denjenigen Personen keine Entschädigungsleistungen gemäß § 56 Abs. 1 IfSG mehr gewähren, die als Kontaktpersonen oder als Reiserückkehrer aus einem Risikogebiet bei einem wegen COVID-19 behördlich angeordneten Tätigkeitsverbot oder behördlich angeordneter Absonderung keinen vollständigen Impfschutz mit einem auf der Internetseite des Paul-Ehrlich-Instituts (www.pei.de/impfstoffe/covid-19) gelisteten Impfstoff gegen COVID-19 vorweisen können, obwohl für sie eine öffentliche Empfehlung für eine Schutzimpfung nach § 20 Abs. 3 IfSG vorliegt.
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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei der Ausschlussregelung des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG um eine geltende gesetzliche Regelung handelt, die von den Vollzugsbehörden zu beachten und anzuwenden ist. Die Behörden des Freistaats Bayern, denen nach dem föderalen Prinzip der Bundesrepublik Deutschland der Vollzug der Bundesgesetze obliegt, haben geltendes Recht und im konkreten Fall den Ausschlusstatbestand des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG grundsätzlich anzuwenden. Die Übereinkunft der Gesundheitsministerkonferenz vom 22. September 2021, dass (erst) spätestens ab dem 1. November 2021 den betroffenen Personen der Ausschlussgrund des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG entgegengehalten wird, findet im Gesetzeswortlaut keine Grundlage. Die Vereinbarung beruhte auf der Tatsache, dass zum damaligen Zeitpunkt in den einzelnen Bundesländern große Unterschiede bezüglich des Impffortschritts vorlagen und für breite Bevölkerungsschichten Schwierigkeiten bestanden, eine Corona-Schutzimpfung zu erlangen. Aus Gründen des Rechtsstaatsprinzips war es daher geboten, den unterschiedlichen Möglichkeiten der Inanspruchnahme einer Impfung gegen das Corona-Virus beim Vollzug des Gesetzes Rechnung zu tragen.
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Dem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz ist auch lediglich zu entnehmen, dass die Vorschrift des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG spätestens ab November 2021 bundeseinheitlich zum Ausschluss von Verdienstausfallansprüchen führen sollte. Dies zugrunde gelegt war es dem Freistaat Bayern unbenommen, wie in den Vollzugshinweisen des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege mit Stand April 2022 geschehen, einen Anspruchsausschluss bereits für Absonderungen im Zeitraum ab dem 1. Juli 2021 vorzusehen (Nr. 7 der Vollzugshinweise) und diese im Zeitraum zwischen Juli 2021 und Ende Oktober 2021 an eine Selbstauskunft des betroffenen Arbeitnehmers zu dessen Impf- und Genesenenstatus zu knüpfen. Der jeweilige Arbeitnehmer hatte mit dieser Erklärung die Möglichkeit, im Verfahren geltend zu machen, ob für ihn im Zeitpunkt des die Absonderung auslösenden Ereignisses die Möglichkeit einer vollständigen Impfung bestanden hat. Dieses Verlangen nach einer Selbstauskunft ist auch durch Art. 26 Abs. 1 Nr. 2 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) gedeckt, wonach die Behörde schriftliche Äußerungen von Beteiligten einholen kann. Der Beklagte durfte auf die Richtigkeit der entsprechenden Erklärung des betroffenen Arbeitnehmers vertrauen, im gerichtlichen Verfahren wurde diese auch nicht in Frage gestellt. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Verdienstausfallentschädigung um ein Massenverfahren handelt, welches ohne näher erkennbare Anhaltspunkte für eine inhaltliche Fehlauskunft eine Überprüfung der Erklärungen auf deren Richtigkeit ausschließt. Es wäre deshalb am Arbeitnehmer selbst gelegen, darzulegen, warum eine Impfmöglichkeit für ihn zum maßgeblichen Zeitpunkt gerade nicht bestanden hat.
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cc) Die nicht in Anspruch genommene Möglichkeit einer Impfung durch den Arbeitnehmer führt auch zum Ausschluss des lediglich auf den Kläger und Arbeitgeber übergeleiteten Erstattungsanspruchs. Auch wenn der Arbeitgeber keinen Einfluss auf die Entscheidung des Arbeitnehmers über die Inanspruchnahme einer Impfung besitzt, folgt nach der gesetzlichen Konzeption des § 56 IfSG, dass Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch des Arbeitgebers ein originärer, gesetzlich nicht ausgeschlossener Anspruch des Arbeitnehmers auf Verdienstausfallentschädigung ist. Ist aber bereits – wie hier – ein Anspruch des Arbeitnehmers nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG ausgeschlossen, kann dieser begrifflich auch nicht gemäß § 56 Abs. 5 IfSG auf den Kläger als Arbeitgeber übergehen.
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3. In der Folge besteht aber auch kein Anspruch auf Erstattung der für den Arbeitnehmer abgeführten Sozialversicherungsbeiträge gemäß § 57 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 IfSG, da hierfür ein Anspruch gemäß § 56 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 56 Abs. 1 IfSG zwingende Voraussetzung wäre (vgl. VG Würzburg, U.v. 15.11.2021 – W 8 K 21.864 – juris Rn. 32). Wie bereits ausgeführt, hat der betroffene Arbeitnehmer des Klägers jedoch gerade keinen Anspruch auf eine Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Abs. 1 IfSG, sodass in der Folge auch kein Erstattungsanspruch des Klägers nach § 57 Abs. 1 IfSG besteht.
42
4. Weitere Anspruchsgrundlagen kommen nicht in Betracht, da ein Rückgriff auf allgemeine Entschädigungs- bzw. Erstattungsregelungen aufgrund der abschließenden Regelungen im Infektionsschutzgesetz ausscheidet.
43
5. Nach allem war die Klage daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Als im Verfahren unterlegen hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 i.V.m. § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).