Inhalt

VG Augsburg, Urteil v. 15.02.2023 – Au 6 K 22.1797
Titel:

erfolgreiche Anfechtung einer Nebenbestimmung zu einer Duldung

Normenketten:
AufenthG § 60a, § 61 Abs. 1f
GG Art. 6
EMRK Art. 8
Leitsatz:
Eine Nebenbestimmung, die zum Erlöschen der Duldung führt, entspricht nur dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie geeignet und erforderlich ist, den mit ihr verfolgten Zweck zu fördern, den Ausländer schon vor Ablauf der regulären Dauer der Duldung abschieben zu können, wenn die Abschiebungshindernisse weggefallen sind. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausreisepflichtiger pakistanischer Staatsangehöriger, Vaterschaftsanerkennung und gemeinsames Sorgerecht für ein von einer mit Flüchtlingsschutz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland lebenden afghanischen Staatsangehörigen geborenes Kind, Nebenbestimmung des Erlöschens der Duldung mit Bekanntgabe des Abschiebungstermins, Duldung, isolierte Aufhebung der Nebenbestimmung, Abschiebungstermin, Nachholung des Visumverfahrens, Familiennachzug, familiäre Lebensgemeinschaft
Fundstelle:
BeckRS 2023, 14283

Tenor

I. Die in der zuletzt am 15. Dezember 2022 bis zum 14. März 2023 erteilten Duldung des Landratsamts ... enthaltene Nebenbestimmung „Die Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebetermins“ wird aufgehoben.
II. Die Kosten des Verfahrens hat der Beklagte zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Aufhebung der in seiner Duldung enthaltenen Nebenbestimmung „Die Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebetermins“.
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Der am ... 1988 in Pa... geborene Kläger ist pakistanischer Staatsangehöriger und reiste über Griechenland am 16. November 2015 in die Bundesrepublik Deutschland, wo er Asyl beantragte. Er verwies für seinen Asylantrag auf eine homosexuelle Neigung, er habe schon in Pa... Beziehungen zu homosexuellen Männern gehabt und sei zu einer Erwerbstätigkeit nach Dubai gegangen. Mit Arbeitskollegen zusammen habe er einen Kurzurlaub in der Türkei unternommen, dort mit einem Arbeitskollegen einvernehmlich Geschlechtsverkehr gehabt und sei dabei von seinem Vorgesetzten erwischt worden, der Strafanzeige gegen ihn gestellt habe. Zur Untermauerung seines Vorbringens verwies er auf eine Kopie einer pakistanischen Strafanzeige über diesen Vorfall, der sich angeblich am 15. Oktober 2015 ereignet habe und bei dem der Kläger wegen Vergewaltigung des jüngeren Bruders des Anzeigeerstatters unter Nachweis eines medizinischen Attests bei einer Polizeistation in Pa... angezeigt worden sei.
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Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge lehnte den Asylantrag mit Bescheid vom 18. April 2017 ab und forderte den Kläger zur Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland auf und drohte ihm die Abschiebung nach Pa... an. Es befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot auf 30 Monate. Der Sachverhalt sei nicht glaubhaft geschildert, widersprüchlich seien die angebliche Strafanzeige in Pa... zum behaupteten Tatort in der Türkei, ebenso die angebliche Vergewaltigung gegenüber dem angeblich einvernehmlichen Geschlechtsverkehr. Zudem drohe dem Kläger auch wegen seiner behaupteten Homosexualität in Pa... keine Verfolgung, insbesondere habe er nach seinen Angaben zuvor unauffällig und unbehelligt homosexuelle Beziehungen geführt.
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Die Klage gegen diesen Bescheid wurde als „offensichtlich unbegründet“ abgewiesen (VG München, U.v. 9.1.2019 – M 5 K 17.38217, Behördenakte des Beklagten Bl. 126 ff.). Der Vortrag des Klägers zur angeblichen Verfolgung sei völlig unglaubhaft und höchst widersprüchlich. Widersprüchlich sei bereits, dass der Kläger wegen einer angeblich in der Türkei stattgefundenen Straftat in Pa... angezeigt worden sein soll; ebenso unschlüssig sei, dass er davon noch während des Urlaubsaufenthalts in der Türkei erfahren haben und dann gleich nach Deutschland weitergereist sein wolle. Seine angebliche homosexuelle Orientierung habe er entgegen seiner Angaben beim Bundesamt nun bestritten, er habe sie doch nicht gehabt. Er lebe jetzt „normal“ wie ein Mann und in einer Familie. Andererseits habe er sich auch nicht für bisexuell erklärt, er lebe jetzt mit einer Frau zusammen, die ein Kind von ihm erwarte. Diese plötzliche Änderung seiner sexuellen Ausrichtung sei völlig unglaubhaft. Ebenso habe er noch beim Bundesamt zahlreiche Affären mit anderen Männern behauptet, dies aber in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht ausdrücklich und ohne weitere Begründung verneint. Daher sei auch der Inhalt der angeblichen Strafanzeige in Pa... unglaubhaft und der darin geschilderte Sachverhalt jedenfalls mit dem Vorkommnis frei erfunden.
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Das zunächst zuständige Landratsamt ... forderte den Kläger zur Identitätsklärung und zur Passbeschaffung auf und duldete ihn zunächst mangels Reisedokumenten. Der Kläger erkannte mit Urkunden vom 4. Februar 2019 vorgeburtlich die Vaterschaft für ein von einer afghanischen Staatsangehörigen zu diesem Zeitpunkt noch zu gebärendes Kind an und vereinbarte mit ihr das gemeinsame Sorgerecht. Am ...2019 gebar die Kindesmutter das Kind. Nach Aktenlage hat die Kindesmutter selbst als Minderjährige die Flüchtlingseigenschaft von ihrem Vater als Stammberechtigten abgeleitet und daher eine Aufenthaltserlaubnis für Deutschland nach § 25 Abs. 2 AufenthG; auch ihr Kind hat nach Aktenlage wiederum von ihr den Flüchtlingsschutz abgeleitet erhalten.
6
Der Kläger ließ durch seinen Bevollmächtigten die Streichung der Nebenbestimmung zur Duldung „Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebetermins“ beantragen; hierauf dann auch einen Eilantrag nach § 123 VwGO zum Verwaltungsgericht München stellen. Das Verfahren wurde eingestellt, nachdem das Landratsamt ... die Nebenbestimmung strich.
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Einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für den Kläger lehnte das Landratsamt ... mit Bescheid vom 4. August 2020 im Wesentlichen unter Verweis darauf ab, dass der Kläger aufgrund seiner Ablehnung des Asylantrags als offensichtlich unbegründet einer Erteilungssperre nach § 10 Abs. 3 AufenthG unterliege und keinen strikten Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis zu familiären Zwecken habe, welche die Erteilungssperre durchbrechen könnte. Für das Kind lebe die Mutter als personensorgeberechtigte Person im Bundesgebiet, sodass ein Nachzug als sonstiger Familienangehöriger nach § 36 Abs. 2 AufenthG im Ermessen der Behörde stehe. Ein Nachzug zur Kindesmutter komme mangels in Deutschland gültiger Eheschließung ebenso nicht in Betracht. Das am Verwaltungsgericht München anhängige Klageverfahren wird vom Landratsamt ... weitergeführt.
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In der Folgezeit legte der Kläger eine pakistanische Identitätskarte und einen pakistanischen Reisepass für sich vor. Der Kläger wurde mit erheblicher zeitlicher Verzögerung mangels geringer Mitwirkung schließlich in den Landkreis ... umverteilt. Eine private Wohnsitznahme scheiterte zunächst, Mutter und Kind leben in S. an einer anderen Adresse als der Kläger.
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Das Landratsamt ... erteilte dem zwischenzeitlich zugezogenen Kläger erstmals am 25. Mai 2021, befristet zunächst bis 24. November 2021, eine Duldung mit der Erlaubnis zur Erwerbstätigkeit in einem Pizzaservice und mit der Nebenbestimmung: „Die Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebetermins“. Weitere Duldungen mit der auflösenden Bedingung wurden am 29. November 2021, gültig bis zum 28. Februar 2022, am 31. August 2022, gültig bis zum 1. Dezember 2022, zuletzt am 15. Dezember 2022, gültig bis zum 14. März 2023, erteilt.
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Am 5. September 2022 ließ der Kläger Klage erheben mit dem Antrag:
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Die in der Duldung des Klägers enthaltene auflösende Bedingung „Die Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebetermins“ wird aufgehoben.
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Zudem beantragt er die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung seines Bevollmächtigten und Akteneinsicht zur Klagebegründung.
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Die Akteneinsicht wurde am 15. September 2022 mit der Bitte um Aktenrückgabe bis 30. September 2022 gewährt. Am 26. September 2022 wurde eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt, zu welcher das Verwaltungsgericht mit Schreiben vom 27. September 2022 und unter Fristsetzung bis 15. Oktober 2022 um Erläuterung zu mehreren unschlüssigen Angaben bat. Die Akten wurden am 24. Oktober 2022 dem Verwaltungsgericht zurückgegeben.
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Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wegen der fehlenden wirtschaftlichen Bedürftigkeit des Klägers ab (VG Augsburg, B.v. 29.11.2022 – Au 6 K 22.1797).
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Nach Fristsetzung erfolgte eine Klagebegründung dahin, der Kläger habe einen von der früher zuständigen Ausländerbehörde nicht erfüllten Anspruch auf Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG und er könne schon wegen seines Zusammenlebens mit dem Kind nicht abgeschoben werden.
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Der Beklagte beantragt,
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Klageabweisung.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger lebe nicht mit dem Kind zusammen, übe nicht nachweislich das Sorgerecht aus und es bestehe keine Erziehungs- und Betreuungsgemeinschaft.
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In der mündlichen Verhandlung verwies der Beklagte darauf, den Kläger wegen des anhängigen Klageverfahrens beim Verwaltungsgericht München zu dulden. Der Kläger ließ darauf hinweisen, außer diesem gebe es wegen der familiären Lebensgemeinschaft mit dem Kind und der Prüfung eines Antrags auf Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG beim Beklagten zwei weitere Duldungsgründe, so dass die auflösende Bedingung zur Duldung unbestimmt und rechtswidrig sei; auch bei Fortfall eines Duldungsgrundes könne der Kläger jedenfalls wegen der anderen Duldungsgründe nicht abgeschoben werden.
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Ergänzend wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der vorgelegten Behördenakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist begründet, da die seiner Duldung beigefügte auflösende Bedingung rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des Anfechtungsbegehrens gegen die Nebenbestimmung zur Duldung ist grundsätzlich der Zeitpunkt des Bescheidserlasses, soweit darin nicht wegen Unabtrennbarkeit der angefochtenen Nebenbestimmungen ein Verpflichtungsbegehren auf Erteilung einer Duldung ohne diese Nebenbestimmungen liegt.
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I. Die Anfechtungsklage ist zulässig.
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1. Die Anfechtungsklage ist auch ohne vorherigen Antrag des Klägers auf Streichung der Nebenbestimmung beim Beklagten zulässig, denn es handelt sich um eine belastende Nebenbestimmung, für welche der Beklagte wegen des Gesetzesvorbehalts nach Art. 20 Abs. 3 GG einer Rechtfertigung nach § 61 Abs. 1f AufenthG bedarf und sie – unabhängig von einem Antrag auf Streichung – nur erlassen und in weiteren Duldungen beibehalten darf, wenn ihre Voraussetzungen erfüllt sind.
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2. Die Anfechtungsklage gegen die Nebenbestimmung ist statthaft, weil eine isolierte Aufhebung der Nebenbestimmung in Betracht kommt.
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a) Klagegegenstand des Anfechtungsantrags ist die jeweilige Duldung mit der darin enthaltenen Nebenbestimmung, da dem Klageantrag keine Beschränkung auf die im Zeitpunkt der Klageerhebung geltende Duldung zu entnehmen ist. Dies ist die Duldung vom 15. Dezember 2022, gültig bis 14. März 2023.
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b) Gegen belastende Nebenbestimmungen eines Verwaltungsakts ist die Anfechtungsklage statthaft, wenn geltend gemacht wird, eine konkrete Nebenbestimmung finde im Gesetz keine Grundlage.
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Ob diese Klage zur isolierten Aufhebung der Nebenbestimmung führen kann und deswegen die Anfechtungsklage statthaft ist, hängt davon ab, ob der begünstigende Verwaltungsakt ohne die Nebenbestimmung sinnvoller- und rechtmäßigerweise bestehen bleiben kann; dies ist eine Frage der Begründetheit und nicht der Zulässigkeit des Anfechtungsbegehrens, sofern nicht eine isolierte Aufhebbarkeit offenkundig von vornherein ausscheidet (vgl. BVerwG, U.v. 6.11.2019 – 8 C 14.18 – juris Rn. 15 ff.). Dies ist hier nicht ersichtlich, da die Duldung auch ohne diese Nebenbestimmung ihre regelnde Funktion für den illegalen Aufenthalt des nicht schutzbedürftigen und deswegen ausreisepflichtigen Klägers im Bundesgebiet erfüllen kann.
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3. Die Klagebefugnis für die Anfechtungsklage folgt aus § 42 Abs. 2 VwGO i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG und der Adressatenstellung des Klägers.
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II. Die Klage ist begründet, weil die Nebenbestimmung rechtswidrig ist.
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1. Die erforderliche Rechtsgrundlage der beigefügten Nebenbestimmung folgt aus § 61 Abs. 1f AufenthG.
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Nach § 61 Abs. 1f AufenthG (vgl. zur Vorgängervorschrift § 61 Abs. 1e AufenthG a.F. OVG Berlin-Bbg, B.v. 7.12.2015 – 12 S 77.15 – juris Rn. 4 m.w.N.; BayVGH, B.v. 18.2.2015 – 10 C 14.1117 u.a. – juris Rn. 25) können zu einer Duldung nach § 60a AufenthG weitere Bedingungen und Auflagen angeordnet werden; ihre Anordnung steht damit im Ermessen der Behörde. Zu diesen nach Art. 36 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 VwVfG möglichen Bedingungen gehört auch eine auflösende Bedingung, wonach die Duldung mit der Bekanntgabe des Abschiebungstermins erlischt, da diese auflösende Bedingung einen gesonderten Widerruf der Duldung nach § 60a Abs. 5 Satz 2 und Satz 4 AufenthG entbehrlich macht und dieselbe Hinweisfunktion gegenüber dem Betroffenen hat (vgl. OVG LSA, B.v. 17.8.2010 – 2 M 124/10 – juris Rn. 4; VGH BW, U.v. 24.2.2016 – 11 S 1626/15 – juris Rn. 30 f.). Hinzu kommt, dass nach § 59 Abs. 1 Satz 8 AufenthG sonst nach Ablauf der Frist zur freiwilligen Ausreise wie hier der Abschiebungstermin nicht mehr angekündigt werden darf. Genau diese vorgesehene Ankündigung aber ist mit der Mitteilung des Abschiebungstermins verbunden und hat nicht die Rechtswidrigkeit der Nebenbestimmung zur Folge (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2015 – 10 C 14.1117 u.a. – juris Rn. 25).
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2. Die Nebenbestimmung „Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebetermins“ ist nicht unbestimmt.
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Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit einer Nebenbestimmung in Form einer auflösenden Bedingung i.S.d. § 61 Abs. 1f AufenthG ist, dass das den Eintritt der Bedingung auslösende Ereignis sowohl der Sache nach als auch dem abstrakten Eintrittszeitpunkt nach so eindeutig und klar umschrieben ist, dass nicht bereits zum Zeitpunkt der Beifügung der Bedingung ein Streit zwischen den Beteiligten absehbar ist, ob die Bedingung eingetreten ist oder nicht (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2015 – 10 C 14.1117 u.a. – juris Rn. 26). Diesem Erfordernis genügt die Nebenbestimmung, wonach die Duldung mit Bekanntgabe des Abschiebetermins erlischt. Der betroffene Ausländer kann ohne weiteres erkennen, dass in dem Zeitpunkt, in dem ihm der Zeitpunkt seiner Abschiebung bekannt gegeben wird, die Duldung erlischt (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2015 – 10 C 14.1117 u.a. – juris Rn. 26).
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Dieses Ereignis setzt voraus, dass alle tatsächlichen und organisatorischen Hindernisse für die Abschiebung beseitigt sind, mithin der bisherige Duldungsgrund nicht mehr besteht. Ob ein anderer Duldungsgrund der Abschiebung in diesem künftigen Zeitpunkt entgegenstehen wird oder nicht, kann und braucht im Zeitpunkt der Beifügung der Nebenbestimmung noch nicht abgesehen werden.
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3. Die Nebenbestimmung „Duldung erlischt mit Bekanntgabe des Abschiebetermins“ ist aber unverhältnismäßig.
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Eine Nebenbestimmung, die zum Erlöschen der Duldung führt, entspricht nur dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wenn sie geeignet und erforderlich ist, den mit ihr verfolgten Zweck zu fördern, den Ausländer schon vor Ablauf der regulären Dauer der Duldung abschieben zu können, wenn die Abschiebungshindernisse weggefallen sind (vgl. BayVGH, B.v. 18.2.2015 – 10 C 14.1117 u.a. – juris Rn. 26).
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Die Nebenbestimmung ist grundsätzlich geeignet und erforderlich zur Verfolgung dieses Zwecks. Da der Beklagte beabsichtigt, die Ausreisepflicht des Klägers durchzusetzen und ihn abzuschieben, sobald der beklagtenseitig zugrunde gelegte Duldungsgrund des anhängigen Klageverfahrens beim Verwaltungsgericht München wegfällt, muss mit einer Terminierung, Entscheidung und einem Verfahrensabschluss innerhalb des Duldungszeitraums – hier von drei Monaten (Duldung vom 15. Dezember 2022 gültig bis 14. März 2023) – gerechnet werden können. Das ist nicht von vornherein ausgeschlossen, hängt aber auch – anders als z.B. ein Duldungsgrund wegen Passlosigkeit – nicht maßgeblich vom Verhalten des Klägers, sondern der Terminierung durch das Verwaltungsgericht München ab.
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Die Nebenbestimmung ist allerdings nicht verhältnismäßig im engeren Sinn, weil unter Abwägung des öffentlichen Interesses an einem vorzeitigen (vor Ablauf der aktuellen Duldung) Vollzug der im Asylverfahren erlassenen Abschiebungsandrohung mit dem privaten Interesse des Klägers, hiervon verschont zu bleiben bis zum Ablauf der Duldungsdauer, im vorliegenden Einzelfall das private Interesse überwiegt. Der Beklagte wird den Kläger unabhängig von dem von ihm genannten Duldungsgrund zumindest zum Schutz einer familiären Lebensgemeinschaft nach Art. 6 GG und Art. 8 EMRK dulden müssen, solange diese besteht und bis der Kläger alle erforderlichen Vorkehrungen zur Nachholung eines Visumverfahrens unter Hinnahme einer nur überschaubaren Trennung vom Kind oder für die gemeinsame Ausreise mit Kindesmutter und Kind nach Pa... getroffen hat. Vorliegend macht der Kläger geltend, er könne rechtlich gar nicht abgeschoben werden, da er sonst auf unbestimmte Zeit von seinem Kind getrennt würde. Allerdings hat der Kläger auch nicht dargelegt, dass und welche Vorbereitungen er getroffen hat, um eine Aufenthaltserlaubnis zu einem Familiennachzug unter Nachholung des Visumverfahrens nach § 36 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG bzw. § 25 Abs. 5 i.V.m. § 5 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Satz 2 AufenthG zu erhalten (vgl. zur Thematik einer im Einzelfall unzumutbaren Nachholung BVerfG, B.v. 9.12.2021 – 2 BvR 1333/21 – juris Rn. 55; zum Ganzen BayVGH, U.v. 7.12.2021 – 10 BV 21.1821 – Rn. 47). Dass er aber aktuell ab Abschluss des Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht München noch innerhalb des Geltungszeitraums der aktuellen Duldung abgeschoben werden könnte, ist derzeit jedenfalls nicht absehbar.
40
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.