Titel:
Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: neun Golf 2.0)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 522 Abs. 2
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
EG-FGV § 6, § 27 Abs. 1
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; KG BeckRS 2022, 24952; OLG Bamberg BeckRS 2023, 12830; BeckRS 2023, 13603; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 21298; OLG Braunschweig BeckRS 2021, 51097; OLG Jena BeckRS 2022, 20451; BeckRS 2022, 23405; BeckRS 2022, 26587; BeckRS 2022, 33405; BeckRS 2023, 1381; BeckRS 2022, 25339; OLG Zweibrücken BeckRS 2023, 1382; BeckRS 2021, 52460; BeckRS 2023, 706; OLG München BeckRS 2023, 9206; BeckRS 2023, 10878; BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist gestellter erweiterter Antrag und ein zusätzlicher Hilfsantrag hindern eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Aus einer schuldhaften Verletzung der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, wobei unterstellt wird, diese Normen seien Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 S. 1 BGB, ergibt sich kein Anspruch auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags oder Ausgleich eines Minderwerts in Geld, sondern allenfalls ein Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung. (Rn. 18 und 32) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein unzulässiges Zusammenspiel von AGR-Rate und AdBlue-Dosierung kann es bei Fahrzeugen, die keinen SCR-Katalysator haben, nicht geben. (Rn. 27) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, (keine) Prüfstandserkennung, Minderwert, SCR-Katalysator, AdBlue-Dosierung
Vorinstanz:
LG Landshut, Endurteil vom 08.07.2022 – 15 O 294/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13938
Tenor
I. Der Antrag auf Aussetzung der Verhandlung wird zurückgewiesen.
II. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 8. Juli 2022, Az.: 15 O 294/22, wird zurückgewiesen.
III. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
IV. Das in Ziffer I genannte Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 17.040,50 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin auf Schadensersatz wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
2
Die Klägerin erwarb in der Zeit zwischen dem 15. März 2013 und dem 15. März 2015 bei der Beklagten insgesamt neun neue Golf 2.0, die sie – nach unterschiedlich intensiver Benutzung – vor Erhebung der Klage wieder verkaufte. Die Pkw sind mit einem von der Beklagten hergestellten Motor mit der Bezeichnung EA 288 ausgestattet.
3
Von den insgesamt neun Pkw unterliegen sieben der Schadstoffklasse Euro 5; bei diesen wird der Stickstoffausstoß durch ein Abgasrückführungssystem (AGR) geregelt. Bei zwei Pkw ist zusätzlich ein Stickstoffspeicherkatalysator (NSK) verbaut; diese Pkw unterliegen der Schafstoffklasse Euro 6. Bei allen Pkw ist – mit Blick auf die AGR – ein sog. Thermofenster vorhanden, welches die Abgasrückführung durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems reduziert und dazu führt, dass die Abgasreinigung bei gewissen Temperaturen nicht mehr voll funktionsfähig ist. Die Bedatung des Thermofensters ist zwischen den Parteien streitig; die Klägerin behauptet, dass die AGR nur zwischen 18 und 33 °C aktiv sei, die Beklagte behauptet zwischen – 24 und 70 °C.. Die Beklagte zeigte dem Kraftfahrtbundesamt (KBA) das Thermofenster freiwillig an, ließ es von diesem überprüfen und legte die Bedatung offen.
4
Bei allen Fahrzeugen ist eine sog. Fahrkurvenerkennung verbaut, anhand derer das Fahrzeug erkennen kann, ob es sich in einer Prüfstandsituation befindet. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dies dazu verwendet wird, die Emissionen auf dem Prüfstand unzulässigerweise zu reduzieren.
5
Entgegen der Feststellung im Ersturteil kommt in keinem der Fahrzeuge ein SCR-Katalysator zum Einsatz. Ein Rückrufbescheid des KBA existiert für die streitgegenständlichen Fahrzeugtypen und den dort jeweils verbauten Motorentyp nicht.
6
Die Klägerin hat erstinstanzlich vorgetragen, die Beklagte habe durch den Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen in die Motorsteuerung des streitgegenständlichen Fahrzeugs in verbotener Weise Einfluss auf das Emissionsverhalten genommen und so im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens unter Vorspiegelung der Einhaltung der gesetzlichen Grenzwerte die Erlangung der EG-Übereinstimmungsbescheinigung und die damit einhergehende Erteilung der Betriebserlaubnis erwirkt. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstands und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung vom 8. Juli 2022 und die dort in Bezug genommenen Schriftsätze der Parteien verwiesen.
7
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass in dem Thermofenster keine sittenwidrige vorsätzliche Handlung zu sehen und der Vortrag des Klägers zu sonstigen unzulässigen Abschalteinrichtungen prozessual unerheblich sei.
8
Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung, mit der sie ursprünglich unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vortrags die erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt. Sie ist der Ansicht, das Landgericht habe ihren Vortrag zu Unrecht als unsubstantiiert angesehen.
9
Wegen der Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 11. Oktober 2022 sowie die Schriftsätze vom 24. November 2022, 2. und 10. Februar 2023 Bezug genommen.
10
In der Berufungsbegründung hat die Klägerin beantragt,
1. Die Beklagtenseite wird verurteilt an die Klägerseite für die Fahrzeuge mit den FIN:
- 1.1. …786 – 1.2. …531 – 1.3. …873 – 1.4. …721 – 1.5. …802 – 1.6. …977 – 1.7. …247 – 1.8. …047 – 1.9. …896 einen Betrag in Höhe von 17.040,50 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.12.2021 zu zahlen.
2. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an die Klägerseite die außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.210,30 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
11
In ihrer Stellungnahme vom 27. April 2023 auf die Hinweisbeschlüsse des Senats vom 15. und 30. März 2023 beantragt die Klägerin:
1. Die Beklagtenseite wird verurteilt an die Klägerseite für die Fahrzeuge mit den FIN:
- 1.1. …786 – 1.2. …531 – 1.3. …873 – 1.4. …721 – 1.5. …802 – 1.6. …977 – 1.7. …247 – 1.8. …047 – 1.9. …896 einen Betrag in Höhe von 20.028,35 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.12.2021 zu zahlen.
2. Die Beklagtenseite wird verurteilt, an die Klägerseite die außergerichtlich angefallenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 2.210,30 € nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
12
Hilfsweise beantragt sie,
die Beklagte zu verurteilen an die Klägerseite jeweils einen Minderwert in Höhe von 12,5% des Nettokaufpreises, für die Fahrzeuge mit der FIN:
- 1.1. …786: € 2.342,01, – 1.2. …531: € 2.462,14, – 1.3. …873: € 2.369,01, – 1.4. …721: € 2.342,81, – 1.5. …802: € 2.375,76, – 1.6. …977: € 2.516,01, – 1.7. …247: € 2.491,42, – 1.8. …047: € 2.558,44, – 1.9. …896: € 2.518,39,
insgesamt also € 21.975,99 jeweils nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.12.2021 zu zahlen.
13
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
14
Die Berufung gegen das Endurteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 8. Juli 2022, Az.: 15 O 294/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen, da nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil erfordern und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 826 BGB sind höchstrichterlich abstrakt seit langem geklärt. Ob diese im konkreten Fall für eine Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorliegen, hängt von den in tatrichterlicher Würdigung des jeweiligen Sachvortrags zu treffenden Feststellungen des Berufungsgerichts ab und kann nicht Gegenstand einer grundsätzlichen Klärung durch den Bundesgerichtshof sein (BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – VII ZR 179/21, BeckRS 2021, 38634 Rn. 9).
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Zur Begründung der Berufungszurückweisung wird zunächst auf die vorangegangenen Hinweise des Senats vom 15. und 30. März 2023 Bezug genommen. Die Stellungnahme der Klägerin vom 27. April 2023 rechtfertigt keine andere Entscheidung, da es ihr auch darin nicht gelingt, hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorzutragen, dass sie von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden wäre. Zudem liegt der von ihr geltend gemachte Schaden außerhalb des Schutzzwecks der § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV.
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Im Einzelnen ist auf Folgendes einzugehen:
17
Der Umstand, dass die Klägerin in ihrer Stellungnahme vom 27. April 2023 auf die Hinweisbeschlüsse des Senats vom 15. und 30. März 2023 ihren in erster Instanz und in der Berufungsbegründung gestellten Antrag erweitert und einen zusätzlichen Hilfsantrag gestellt hat, hindert den Senat an einer Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht (BGH, Urteil vom 3. November 2016 – III ZR 84/15, juris Rn. 14; Beschluss vom 6. November 2014 – IX ZR 204/13, juris Rn. 2).
2. Zum Antrag auf Vertagung
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Eine Vertagung oder Aussetzung des Verfahrens ist aus den in den Hinweisbeschlüssen vom 15. und 30. März 2023 dargelegten Gründen nicht angezeigt. Darin hat der Senat zum Urteil des Europäischen Gerichtshof vom 21. März 2023 im Verfahren C-100/21 Folgendes ausgeführt:
„Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21. März 2023 im Verfahren C-100/21 an der bisherigen Einschätzung der Sach- und Rechtslage nichts ändert. Insoweit wird auf die Ausführungen im Hinweisbeschluss zur Stellungnahme des Generalanwalts R. verwiesen, die im Wesentlichen dieselben Erwägungen enthält, wie sie der Gerichtshof in seinem Urteil niedergelegt hat.
Zwar vertritt auch der Gerichtshof die Auffassung, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 dahin auszulegen seien, dass sie neben allgemeinen Rechtsgütern die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs gegenüber dessen Hersteller schützen, wenn dieses Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 85). Entgegen der Meinung der Klagepartei widerspricht dies jedoch nicht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass es sich bei den Normen der EG-FGV nicht um solche Schutznormen handelt, aus deren Verletzung der Kläger einen gegen den Hersteller gerichteten Anspruch auf (Rück-)Abwicklung eines mit einem Dritten geschlossenen Kaufvertrags herleiten könnte (BGH, Urteile vom 25. Mai 2020 – VI ZR 252/19, juris Rn. 72 ff.; vom 30. Juli 2020 – VI ZR 5/20, juris Rn. 10 ff und zuletzt vom 31. Mai 2022 – VI ZR 804/20, juris Rn. 13 m.w.N.). Denn der Europäische Gerichtshof hat die Frage danach, ob es mit Unionsrecht unvereinbar sei, wenn ein Erwerber einen Anspruch auf Erstattung des für das Fahrzeug bezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs nur ausnahmsweise dann geltend machen kann, wenn der Fahrzeughersteller vorsätzlich und sittenwidrig gehandelt hat, unbeantwortet gelassen (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 86 u. 38).
Nach Ansicht des Gerichtshofs ergebe sich aus den europarechtlichen Bestimmungen, dass ein individueller Käufer eines Kraftfahrzeugs gegen den Hersteller dieses Fahrzeugs einen Anspruch darauf habe, dass dieses Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 89). Auch müssten die Mitgliedsstaaten vorsehen, dass der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs einen Anspruch auf Schadensersatz durch den Hersteller dieses Fahrzeugs hat (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 91). Dies jedoch nur dann, wenn dem Käufer durch diese Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist (EuGH, a.a.O.), wobei der Gerichtshof davon ausgeht, dass das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung per se keinen Schaden begründet. Dies ergibt sich daraus, dass er zum einen davon spricht, dass die Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung zu einem Schaden führen „kann“ (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 84) und er zum zweiten den nationalen Gerichten aufgibt festzustellen, ob ein Schaden „tatsächlich entstanden ist“ (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 95 f.).
Der Gerichtshof hat zwar nicht konkret dargelegt, worin ein etwaiger Schaden liegen kann und worauf der sich aus dem Europarecht ergebende Anspruch auf Ersatz eines (festgestellten) Schadens gerichtet ist. Seinen Ausführungen ist jedoch zu entnehmen, dass der Schadensersatzanspruch dazu dienen soll, den Anspruch des Käufers darauf sicherzustellen, dass das gekaufte Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 89) . Zudem hat der Gerichtshof ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es Sache der Mitgliedsstaaten sei, die Modalitäten des europarechtlich geforderten Schadensersatzanspruchs festzulegen (EuGH, Urteil vom 21. März 2023 – C-100/21, juris Rn. 92 u. 96). Die Auffassung des Senats, dass sich aus einer – zu Gunsten der Klagepartei unterstellten – schuldhaften Verletzung der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, wobei – ebenfalls zu Gunsten der Klagepartei – weiter unterstellt wird, diese Normen seien Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB, allenfalls ein Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit einer Abschalteinrichtung ergibt, steht daher im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.“
19
Die Klägerin setzt sich mit diesen Ausführungen weder inhaltlich auseinander, noch hat sie den Hinweis zum Anlass genommen, ihren Antrag entsprechend umzustellen. Auch die seitenweise Wiedergabe von Aussetzungsentscheidungen anderer Gerichte in anderen Verfahren vermag eine Aussetzung dieses Verfahren nicht zu rechtfertigen.
3. Zum Verfahren 5 KLs 64 Js 22724/19 des Landgerichts München II
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Soweit die Klägerin mit (vermeintlichen) Erkenntnissen aus dem Verfahren 5 KLs 64 Js 22724/19 des Landgerichts München II argumentiert, können diese – auch mit Blick auf das Thermofenster – keine greifbaren Anhaltspunkte für ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten der Beklagten darstellen. Erstens waren die im dortigen Verfahren Angeklagten keine Organe der Beklagten gemäß § 31 BGB. Zweitens sind im dortigen Verfahren keine Motoren des Typs EA 288 gegenständlich. Drittens reicht es für eine Haftung gemäß § 826 BGB nicht aus, dass der Handelnde vorsätzlich handelte; sein Verhalten muss zudem sittenwidrig sein. Mit Blick auf eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 StGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB ist zu berücksichtigen, dass es sich bei den Geschädigten des in dem Verfahren 5 KLs 64 Js 22724/19 in Betracht kommenden Betrugs nicht um Endkunden handelt. Schließlich stellt die von der Klägerin als Beweis angebotene „Beiziehung der Akte“ keinen ordentlichen Beweisantritt dar. Denn dazu gehört, dass der Aktenbestandteil konkret bezeichnet wird; die pauschale Bezeichnung einer Akte genügt nicht (Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl., § 432 Rn. 2; MüKoZPO/Schreiber, 6. Aufl., § 432 Rn. 6; Musielak/Voit/Huber, ZPO, 20. Aufl., § 432 Rn. 3).
4. Zur Tatbestandswirkung der Typengenehmigung und zum Verfahren 3 A 113/18 des Verwaltungsgerichts Schleswig
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Die Auffassung der Klägerin, dass die von der zivilrechtlichen Rechtsprechung angenommene Tatbestandswirkung von Verwaltungsakten aufgrund des Urteils des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 20. Februar 2023 im Verfahren 3 A 113/18 „rechtlich substanzlos und überholt“ sei, überzeugt nicht. Wie bereits im Hinweisbeschluss vom 15. März 2023 ausgeführt, geht die Rechtsprechung zur Tatbestandswirkung eines Verwaltungsakts gerade davon aus, dass diesem die sog. Tatbestandswirkung nur solange zukommt, solange er nicht durch die zuständige Behörde oder ein Verwaltungsgericht aufgehoben worden oder nichtig ist. Dass das Verwaltungsgericht Schleswig die Typengenehmigung aufgehoben hätte, die sich auf die streitgegenständlichen Fahrzeuge bezieht, hat die Klägerin nicht vorgetragen. Im Übrigen stellt der Beweis „Beiziehung der Akte“ keinen zulässigen Beweisantritt dar (s. o.).
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Soweit die Klägerin die S. 7 f. des Hinweisbeschlusses des Senats vom 15. März 2023 auszugsweise wiedergibt und meint, dass der Senat darauf abgestellt habe, dass eine Täuschung von vornherein ausscheide, wenn das KBA „entgegen des Amtsermittlungsgrundsatzes (sic.)“ nicht ermittelt habe, ist festzustellen, dass der Senat das Wort „Täuschung“ in diesem Zusammenhang nicht verwendet hat und es sich insbesondere auch nicht in dem von der Klägerin wiedergegebenen Teil des Hinweisbeschlusses findet. Der Senat hat lediglich eine Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (nahezu wörtlich) wiedergegeben und das entsprechende Zitat kenntlich gemacht.
5. Zur Darlegungs- und Substantiierungslast der Klägerin
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Die Klägerin ist für die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten grundsätzlich darlegungsbelastet. Bei der Frage, ob ihre Behauptungen zu einzelnen Tatbestandsmerkmalen der Haftungsnorm prozessual erheblich sind, kommt es u. A. darauf an, dass sie für die – von ihr vermuteten – Behauptungen greifbare tatsächliche Anhaltspunkte vorträgt. Insoweit ist es unbehelflich, (potentiellen) Vortrag der Beklagten zu bestreiten. Ein die klägerischen Fahrzeuge betreffender Rückrufbescheid des KBA könnte einen zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkt für das Vorliegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung darstellen. Sein Fehlen stellt aber selbst dann keinen solchen Anhaltspunkt dar, wenn seitenweise Behauptungen aufgestellt werden, die erklären sollen, warum es einen solchen Bescheid nicht gibt, bspw. weil das KBA nicht alles untersucht, eine falsche Rechtsansicht und nicht neutrale Firmen mit Untersuchungen beauftragt hätte.
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Genauso wenig stellen Auskünfte des KBA in anderen Verfahren greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Haftung der Beklagten dar, wenn die entsprechenden Klagen – offenbar unter Berücksichtigung der Auskünfte – rechtskräftig abgewiesen wurden und dabei darauf abgestellt wurde, dass die Auskünfte belegen, dass die entsprechenden Fahrzeuge keine unzulässige Abschalteinrichtung aufweisen (wie zum Beispiel im Verfahren 16 U 202/19 des OLG Stuttgart oder im Verfahren 30 U 2403/20 des OLG München).
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Die von der Klägerin behaupteten Angaben des Herrn Dr. K. in einem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Köln stellen bereits deswegen keine greifbaren Anhaltspunkte dafür dar, dass die Klägerin von der Beklagten vorsätzlich sittenwidrig geschädigt wurde, weil die Klägerin die Aussage des Herrn Dr. K. nicht vollständig wiedergibt.
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In der Art einer Rosinenpickerei gibt die Klägerin nur diejenigen Aussageteile wieder, die sie als günstig für sich erachtet. Aber auch aus dem von der Klägerin wiedergegebenen Protokollauszug ergibt sich, dass Herr Dr. K. offenbar auch angegeben hat, dass die unterschiedlichen Funktionsweisen der Abgasnachbehandlung keinen Einfluss auf das Emissionsverhalten des Fahrzeugs haben. Des Weiteren hat Herr Dr. K. ausgesagt, dass die Prüfstandserkennung gegenüber dem KBA „zeitnah“ nach dem Oktober 2015 offengelegt worden sei. Das KBA habe daraufhin die Erteilung von Typengenehmigungen ausgesetzt und nach einer Prüfung wieder angefangen, „die Typengenehmigungen zu erteilen“. Dies führt dazu, dass das Verhalten der Beklagten – wie bereits im Hinweisbeschluss vom 15. März 2023 näher dargelegt – nicht als fahrlässig zu beurteilen ist.
27
Aus den entsprechenden Behauptungen der Klägerin ergibt sich überdies, dass es sich bei dem in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht Köln streitgegenständlichen Fahrzeug um ein solches mit SCR-Katalysator handelt. Solche Fahrzeuge sind nicht Gegenstand der hiesigen Klage. Wie der Senat bereits in den Hinweisbeschlüssen ausgeführt hat, stellen Behauptungen zu Fahrzeugen mit Motoren, bei denen die Abgas(nach) behandlung mit anderen technischen Verfahren erfolgt, aufgrund der erheblichen Unterschiede in den Verfahren keine greifbaren tatsächlichen Anhaltspunkte dafür dar, dass bei den streitgegenständlichen Fahrzeugen Vergleichbares vorliegt. Gerade das von der Klägerin in diesem Zusammenhang vorgebrachte Zusammenspiel von AGR-Rate und AdBlue-Dosierung kann es bei Fahrzeugen, die wie die streitgegenständlichen keinen SCR-Katalysator haben, nicht geben.
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Auch hier gilt, dass der Umstand, dass Herr Dr. K. etwas nicht gesagt hat auch bei dessen Unglaubwürdigkeit nicht dazu führt, dass es greifbare Anhaltspunkte für das Nichtgesagte gibt. Genauso wenig würde ein greifbarer Anhaltspunkt für eine Verschlechterung der Emissionen unter normalen Betriebsbedingungen vorliegen, sollte sich die von Herrn Dr. K. behauptete Verbesserung nicht erweisen. Der von der Klägerin angebotene Sachverständigenbeweis zur Glaubwürdigkeit des Herrn Dr. K. war daher auch aus diesem Grund nicht zu erheben. Im Übrigen ist die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens nur dann veranlasst, wenn die Persönlichkeit des Zeugen solche Besonderheiten aufweist, dass Zweifel an der Sachkunde des Gerichts zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit berechtigt sind (BGH, Urteil vom 29. April 1997 – VI ZR 110/96, juris Rn. 7). Solche Besonderheiten hat die Klägerin nicht vorgetragen.
7. Zur Frage, ob Fahrlässigkeit für eine Haftung der Beklagten rechtlich ausreicht
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Soweit die Klägerin meint, der Senat habe bei seiner Ansicht, die Klägerin könne aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV den von ihr geltend gemachten Zahlungsanspruch nicht fordern, darauf abgestellt, dass kein vorsätzlicher Verstoß vorliege, unterliegt sie einem Irrtum. Der Senat hat im Gegenteil in seinem Hinweisbeschluss vom 15. März 2023 ausgeführt, dass eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB schuldhaftes Handeln voraussetze und mit Blick auf den für eine Haftung der Beklagten erforderlichen Verschuldensgrad im Fall der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV fahrlässiges Handeln rechtlich ausreichend wäre. Die Rechtsmeinung der Klägerin weicht in diesem Punkt also nicht von derjenigen des Senats ab. Der Senat geht allerdings auf tatsächlicher Ebene davon aus, dass – wie im Hinweisbeschluss ausführlich begründet – ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten nicht gegeben ist.
30
Die Auffassung der Klägerin, dass wenn gewährleistungsrechtliche Ansprüche griffen, deliktische Ansprüche erst recht greifen müssten, ist unzutreffend, da deliktische Ansprüche – jedenfalls die hier geltend gemachten §§ 823 und 826 BGB – Verschulden voraussetzen. Dies ist bei gewährleistungsrechtlichen Ansprüchen – vom Schadensersatzanspruch abgesehen – nicht der Fall.
8. Zur Frage der Rechtsfolge aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV
31
Soweit die Klägerin meint, der Europäische Gerichtshof habe bestätigt, dass ein Anspruch bestehen müsse, ist auch dies unzutreffend (siehe dazu die Ausführungen im Hinweis vom 30. März 2023). Der Europäische Gerichtshof hat lediglich ausgeführt, dass die entsprechende Richtlinie i.V.m. der entsprechenden Verordnung so auszulegen sei, dass auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers zu schützen und – falls das nationale Tatgericht einen Schaden feststellen sollte – ein entsprechender Schadensersatzanspruch vorzusehen sei. Es sei Sache der Mitgliedsstaaten, die Modalitäten des europarechtlich geforderten Schadensersatzanspruchs festzulegen.
32
Und genau das hat der Senat getan, indem er die Auffassung vertritt, dass ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen des Schutzzwecks der EG-FGV-Normen und der ihnen zugrunde liegenden europarechtlichen Bestimmungen nicht auf (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags oder Ausgleich eines Minderwerts in Geld, sondern allein auf Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung gerichtet sein kann. Gerade mit Blick auf den von der Klägerin hilfsweise beanspruchten Minderwert leuchtet dies ohne Weiteres ein: Die Regelungen der EG-FGV und die ihr zugrunde liegenden europäischen Normen haben mit den festgelegten Grenzwerten das Ziel sicherzustellen, dass nur „saubere Autos“ am Straßenverkehr teilnehmen. Es soll vermieden werden, dass „schmutzige Autos“ am Straßenverkehr teilnehmen und erst recht wollen die Normen nicht, dass die Eigentümer „schmutziger Autos“ – wie es die Klägerin behauptet einer zu sein – für das Umherfahren mit „ihren Drecksschleudern“ auch noch bezahlt werden.
33
Soweit die Klägerin meint, dass ihr Schaden in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit bestehe und insbesondere nicht durch ein späteres Update entfalle, vermischt sie die Voraussetzungen einer Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB mit den Rechtsfolgen einer Haftung gemäß § 826 BGB. Die von ihr zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs betrifft ausschließlich eine Haftung gemäß § 826 BGB. Dieser setzt jedoch vorsätzliches sittenwidriges Verhalten voraus, so dass es gerechtfertigt ist, auch die Dispositionsfreiheit zu schützen. Im Gegensatz dazu kommt eine Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB bereits bei fahrlässigem (soweit nicht das Schutzgesetz für seine Verletzung Vorsatz erfordert) und nicht sittenwidrigem Verhalten in Betracht. Insbesondere unter Berücksichtigung des Schutzzwecks der europäischen Normen erscheint es daher ausreichend, wenn (lediglich) das Interesse des Käufers daran, ein Fahrzeug ohne unzulässige Abschalteinrichtung zu erwerben, geschützt wird, indem ihm ein Anspruch auf Beseitigung der Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung zugestanden wird. Mehr verlangt auch der Europäische Gerichtshof nicht.
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Abschließend weist der Senat noch einmal darauf hin, dass kein Schaden der Klägerin ersichtlich ist, da die Gefahr einer Stilllegung ihrer Fahrzeuge auch aufgrund des Verhaltens und der Auskünfte des KBA – jedenfalls in der Zeit, in der sie die Fahrzeuge besaß – nie bestanden hat.
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Selbst wenn man alle Voraussetzungen einer Haftung zugunsten der Klägerin unterstellen wollte, käme man – wie im Hinweisbeschluss vom 15. März 2023 dargelegt – bei zutreffender Berechnung der Nutzungsentschädigung allenfalls auf einen Schaden von 654,23 €. Bei einer juristisch-ökonomischen Gesamtbetrachtung des Ankaufs, der Nutzung und des Verkaufs der streitgegenständlichen Fahrzeuge ergibt sich – unabhängig von etwaigen steuerlichen Vorteilen aufgrund der Abschreibung der Fahrzeuge – sogar ein rechnerischer Vorteil der Klägerin in Höhe von insgesamt 21.297,55 €.
36
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Ersturteils auf § 708 Nr. 10 Satz 2 ZPO. Der Streitwert wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt und leitet sich aus dem von der Klägerin mit ihrer Berufung weiter verfolgten Zahlungsanspruch ab. Der im Schriftsatz vom 27. April 2023 angekündigte Hilfsantrag führt zu keiner Erhöhung des Streitwerts, da dieser Antrag mangels Zustellung nicht rechtshängig geworden ist und im Übrigen in entsprechender Anwendung des § 524 Abs. 4 ZPO ohnehin keine Wirkung zeitigt (BGH, Beschluss vom 9. Juli 2019 – VII ZR 86/17, juris Rn. 6).