Titel:
unzulässiger Zweitantrag (Asyl)
Normenketten:
AsylG § 26a, § 71a Abs. 1
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsatz:
Wie beim Folgeantrag muss ein Zweitantragsteller die Änderung der sein persönliches Schicksal bestimmenden Umstände im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde gelegten Sachlage glaubhaft und substantiiert vortragen. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Moldau, Zweitantrag, Kein substantiierter Vortrag zu neuer Sachlage, Widersprüchliche Einlassungen der Antragsteller zu fluchtauslösendem Ereignis, Roma, sicherer Drittstaat, Abschiebungsverbot
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13823
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben die Kosten des Verfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
1
Die Antragsteller, ein 1977 und 1978 geborenes Ehepaar mit ihrem 2017 geborenen Sohn, wenden sich im einstweiligen Rechtsschutz gegen die Ablehnung ihrer Asylzweitanträge als unzulässig und begehren die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage.
2
Die Antragsteller, moldauische Staatsangehörige vom Volk der Roma, reisten nach eigenen Angaben zuletzt am 30. November 2021 in das Bundesgebiet ein und stellte am 20. Januar 2022 Asylanträge, zu denen die Antragsteller zu 1) und 2) am 20. Januar 2022 und am 15. März 2022 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) angehört wurde.
3
Dabei gab der Antragsteller zu 1) im Wesentlichen an, er habe Moldau im Sommer 2019 verlassen und sei über Rumänien, Frankreich, Niederlande, Frankreich, Deutschland, Frankreich Polen, Rumänien, Moldau, Rumänien und Polen wieder in das Bundesgebiet eingereist. In Frankreich habe er im Sommer 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Er sei zu dem Antrag, der abgelehnt worden sei, auch angehört worden. In Moldau habe er mit seiner Ehefrau und den beiden Söhnen in Soroca in seinem eigenen Haus gelebt. Moldau habe er zuletzt vor etwa drei Monaten verlassen. Ihre Situation habe sich seit den vorangegangenen Asylverfahren etwas verändert. Sie hätten gedacht, dass bei ihnen zu Hause alles in Ordnung kommen würde. Aber das sei nicht geschehen. In seiner Heimat sei er als Landwirt tätig gewesen. Er habe zwischen 300 und 400 US Dollar im Monat verdient. Er habe sich dann von einigen Leuten 6000 US Dollar geliehen, um ein Geschäft zum Verkauf von Tierfutter zu eröffnen. Er habe das Geld innerhalb eines Jahres zurückzahlen und zusätzlich 2000 US Dollar Zinsen zahlen sollen. Nach vier Monaten seien die Leute zu ihm in den Laden gekommen und hätten das geliehene Geld zurückverlangt. Als der Antragsteller zu 1) ihnen das Geld nicht habe geben können, hätten sie angefangen ihm zu drohen. Eines nachts seien die Geldverleiher zu ihm nach Hause gekommen und hätten ihm mit einer Pistole auf den Hinterkopf geschlagen. Sie hätten damit gedroht, seine Tochter und seine Ehefrau zu vergewaltigen. Die Antragsteller seien noch in derselben Nacht nach Frankreich geflohen. Sie hätten sich in Moldau nicht an die Polizei gewandt, weil diese sie wegen ihrer Volkszugehörigkeit für Diebe gehalten hätte. Nach einem Jahr seien an einen anderen Ort nach Moldau zurückgekehrt. Nach einiger Zeit hätten sie Verwandte zu ihrem Haus geschickt, um zu überprüfen, ob alles dort in Ordnung sei. Diese hätten im Haus einen Drohbrief gefunden, in dem den Antragstellern mit Mord und Vergewaltigung gedroht worden sei. Sie seien deshalb wieder geflohen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Anhörungsprotokolle verwiesen.
4
Die Antragstellerin zu 2) gab im Wesentlichen an, sie habe vor ihrer letzten Ausreise bei Verwandten in einem Dorf namens Direwuschka gewohnt. Sie habe im Asylverfahren in Frankreich dieselben Asylgründe wie jetzt vorgetragen. Sie hätten sich zur Eröffnung eines Geschäftes für Tierfutter 6000 EUR geliehen und dafür Unterlagen unterschrieben. Wegen der Steuern und der Inflation sei dann begonnen worden, das Geld von Ihnen zurückzufordern. Die Leute hätten 10.000 US Dollar von ihnen haben wollen. Sie hätten das Geld jedoch nicht gehabt. Deshalb seien sie bedroht worden. Man habe ihre Söhne töten und sie und ihre Tochter vergewaltigen wollen. Bis heute seien sie von diesen Leuten bedroht. Sie seien von Frankreich aus in ihr Heimatland zurückgekehrt, weil sie gedacht hätten, dass sie mit den Leuten einen Kompromiss eingehen könnten. Dies sei jedoch nicht geschehen. Man habe sie direkt auf der Straße vergewaltigen willen. Die Nachbarn hätten dies jedoch verhindert. Die Leute hätten den volljährigen Sohn auf das Kinn geschlagen. Sie hätte die Antragsteller als Geiseln nehmen wollen. Die Nachbarn hätten sie jedoch gerettet. Der Vergewaltigungsversuch sei vor vier oder fünf Monaten gewesen. Es sei in der Hauptstadt passiert, als sie mit ihrem ältesten Sohn unterwegs gewesen sei. Ihr Ehemann habe dies nicht berichtet, weil er sich geschämt habe. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Anhörungsprotokolle Bezug genommen.
5
Mit Schreiben vom 13. April 2022 teilte das französische Innenministerium der Antragsgegnerin mit, dass die Antragsteller am 31. Juli 2019 in Frankreich Anträge auf internationalen Schutz gestellt hätten, diese mit Bescheiden vom 30. November 2020, bekannt gegeben am 18. Dezember 2020 und am 22. Dezember 2020, abgelehnt worden seien und die dagegen erhobenen Klagen mit gerichtlichen Entscheidungen vom 17. März 2021, bekannt gegeben am 6. April 2021, abgewiesen worden seien. Die Entscheidungen hätten jeweils am 6. April 2021 Rechtskraft erlangt.
6
Mit Bescheid vom 28. April 2023, den Antragstellern am 4. Mai 2023 zugestellt, lehnte das Bundesamt die Asylanträge als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass keine Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG vorliegen (Ziffer 2), forderte die Antragsteller unter Androhung der Abschiebung nach Moldau zur Ausreise auf (Ziffer 3) und befristete das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot des § 11 Abs. 1 AufenthG auf 36 Monate (Ziffer 4). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Durchführung von weiteren Asylverfahren nicht vorliegen würden. Die Antragsteller hätten nicht schlüssig vorgetragen, dass sich die Sachlage zu ihren Gunsten nachträglich geändert habe. Im Hinblick auf die vorgetragene Verfolgung durch die Kreditgeber stehe lediglich eine Behauptung im Raum, die nicht durch einen umfassenden und widerspruchsfreien Sachvortrag belegt worden sei. Die Aussagen der Antragsteller sei detailarm und widersprüchlich. Der Antragsteller zu 1) habe sich in der Anhörung im Hinblick auf die behauptete Anzahl der direkten Bedrohungen, der Zeitangabe bezüglich der ersten Rückforderung des Geldes und des Inhalts des Drohbriefes in Widerspruch gesetzt. Auch die Angaben des Antragstellers zu 1) und der Antragstellerin zu 2) bezüglich des Verbleib des Drohbriefs wichen voneinander ab. Auch hätten die Antragsteller unterschiedliche Angaben gemacht, was ihre erneute Flucht ausgelöst habe. Der Antragsteller zu 1) habe den Erhalt des Drohbriefs benannt, während die Antragstellerin zu 2) die versuchte Vergewaltigung benannt habe, die der Antragsteller zu 1) mit keinem Wort erwähnt habe. Auch die unterschiedlichen Angaben der Antragsteller über ein etwaiges Hilfeersuchen bei der Polizei sei nicht miteinander in Einklang zu bringen. Aufgrund der unsubstantiierten und in sich widersprüchlichen Sachvorträge sei der Eindruck entstanden, die vermeintliche Verfolgung durch ihre Kreditgeber sei nur aus asyltaktischen Gründen vorgebracht worden. Der Sachvortrag sei unglaubhaft und nicht geeignet, eine Änderung der Sachlage i.S. § 71a AsylG i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG herbeizuführen. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Bescheid Bezug genommen.
7
Dagegen erhoben die Antragsteller am 15. Mai 2023 Klage beantragten zugleich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes,
die aufschiebende Wirkung der Klage anzuordnen.
8
Es werde Wiedereinsetzung in die Klageund Antragsfrist beantragt. Der Antragsteller zu 1) habe sich vom 11. Mai 2023 bis 15. Mai 2023 wegen akuter Herzprobleme in stationärer Behandlung befunden. Seien gesundheitliche Situation sei bereits in den Tagen davor so ernst gewesen, dass eine Einhaltung der Klagefrist nicht möglich gewesen sei.
9
Es wurde eine Bescheinigung des Klinikums Main-Spessart vom 15. Mai 2023 vorgelegt, die einen stationären Aufenthalt des Antragstellers zu 1) auf der internistischen Station bestätigt.
10
Die Antragsgegnerin hat sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bislang nicht geäußert.
11
Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Beteiligten sowie der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in Hauptsache- und Sofortverfahren sowie die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.
12
Der nach § 71a Abs. 4 i.V.m. § 36 Abs. 3 i.V.m. § 75 AsylG statthafte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 28. April 2023 anzuordnen, ist zulässig.
13
Zwar haben die Antragsteller es versäumt, den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz innerhalb der Wochenfrist des § 36 Abs. 3 AsylG zu stellen, jedoch ist ihnen auf der Grundlage der Bescheinigung über den stationären Aufenthalt des Antragstellers zu 1) Wiedereinsetzung in die Antragsfrist zu gewähren. Die Antragsteller waren aufgrund der – durch die Bescheinigung hinreichend nachgewiesenen – gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Antragstellers zu 1) ohne Verschulden verhindert, den Antrag fristgerecht zu stellen und haben dies nach Wegfall des Hindernisses innerhalb der Frist des § 60 Abs. 2 VwGO nachgeholt.
14
Der Antrag ist jedoch nicht begründet. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides (§§ 71a Abs. 4, 36 Abs. 4 i.V.m. 77 Abs. 1 AsylG).
15
Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens nach § 36 Abs. 3 AsylG ist die von der Antragsgegnerin ausgesprochene Abschiebungsandrohung, beschränkt auf die sofortige Vollziehbarkeit. Die Aussetzung der Abschiebung darf dabei nur angeordnet werden, wenn ernstliche Zweifel an der Entscheidung des Bundesamtes, dass ein weiteres Asylverfahren nicht durchgeführt wird und dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen oder der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung im Übrigen, bestehen. Die Vollziehung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme darf nur dann ausgesetzt werden, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516.93 – NVwZ 1996, 678 f.).
16
Vorliegend bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Entscheidung des Bundesamts, den Antrag als unzulässig abzulehnen. Stellt ein Ausländer nach erfolglosem Abschluss eines Asylverfahrens in einem sicheren Drittstaat (§ 26a AsylG) für den die Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft über die Zuständigkeit für die Durchführung von Asylverfahren gelten oder mit dem die Bundesrepublik Deutschland darüber einen völkerrechtlichen Vertrag geschlossen hat, im Bundesgebiet einen Asylantrag (Zweitantrag) ist gemäß § 71a Abs. 1 AsylG ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Bundesrepublik Deutschland für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist, und die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen.
17
Im Fall der Antragsteller, die bereits in Frankreich, einem sicheren Drittstaat im Sinne von §§ 71a i.V.m. 26a AsylG, ein Asylverfahren erfolglos durchlaufen haben, ist die Bundesrepublik Deutschland zwar nach Ablauf der Überstellungsfrist für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, jedoch liegen die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme nicht vor, so dass kein weiteres Asylverfahren durchzuführen ist.
18
Zwar haben die Antragsteller übereinstimmend und glaubwürdig vorgetragen, nach Abschluss ihres Asylverfahrens in Frankreich wieder nach Moldau zurückgekehrt zu sein, jedoch ist ihr jeweiliger Vortrag zur erneuten Bedrohung durch die Kreditgeber insbesondere in der Gesamtbetrachtung der unterschiedlichen Darstellungen der beiden Antragsteller so widersprüchlich und unsubstantiiert, dass er als Grundlage für eine möglicherweise günstigere Entscheidung über die Asylanträge der Antragsteller gerade nicht geeignet ist. Insbesondere räumt der Verweis der Antragstellerin zu 2) der Antragsteller zu 1) habe sich geschämt und deswegen den von ihr vorgetragenen Vergewaltigungsversuch verschwiegen, den Widerspruch im Vortrag zum fluchtauslösenden Ereignis nicht aus. Schon weil der umfassend belehrte Antragsteller zu 1) selbst auf die Drohung mit Vergewaltigung zu sprechen kam, ist diese Einlassung offensichtlich rein asyltaktisch motiviert und kann den Widerspruch zwischen den beiden Darstellungen nicht auflösen.
19
Jedenfalls bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage sind die Antragsteller mit ihrem in wesentlichen Punkten widersprüchlichem Vortrag ihrer Darlegungslast bei der Glaubhaftmachung der behaupteten nachträglichen Änderung der Sachlache damit nicht hinreichend nachgekommen. Denn wie beim Folgeantrag muss ein Zweitantragsteller die Änderung der sein persönliches Schicksal bestimmenden Umstände im Verhältnis zu der der früheren Asylentscheidung zugrunde gelegten Sachlage glaubhaft und substantiiert vortragen (vgl. BVerfG BeckRS 2019, 32778 Rn. 20). Er hat eine dichte und in sich stimmige Darlegung der Umstände vorzulegen, aus denen sich ergibt, dass sich die im früheren Verfahren zugrunde gelegte Sachlage tatsächlich verändert hat. Lediglich pauschale und wenig konkretisierte bzw. nicht nachvollziehbare allgemeine Schilderungen reichen nicht aus (VG Ansbach BeckRS 2016, 46579). Es obliegt dem Antragsteller, die vorgetragene veränderte Sachlage unter Angabe von Einzelheiten hinreichend klar, verständlich und strukturiert darzutun (vgl. insgesamt: Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 36. Edition [Stand: 1.1.32], AsylG, § 71, Rn. 13a).
20
Mithin bestehen keine ersthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Zweitantrags als unzulässig.
21
Auch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG liegen bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht vor. Insofern wird ebenfalls auf die zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Bescheid, denen das Gericht folgt, Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung abgesehen (§ 77 Abs. 2 AsylG). Aus dem Vortrag der Antragsteller wie er in den Niederschriften seiner Anhörungen beim Bundesamt festgehalten wurde, ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine drohende unmenschliche oder erniedrigende Behandlung in Moldau. Auch die zur Begründung des Widereinsetzungsantrag vorgelegte Bescheinigung zum stationären Krankenhausaufenthalt des Antragstellers zu 1) enthält keinerlei Anhaltspunkte, die Anlass zu Ermittlungen bezüglich eines nationalen Abschiebungsverbotes geben könnten.
22
Im Übrigen entspricht die gesetzte Ausreisefrist den gesetzlichen Vorgaben (vgl. § 71 Abs. 4a i.V.m. § 36 Abs. 1 AsylG).
23
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).