Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 24.01.2023 – 3 U 240/22
Titel:

Kein Schadensersatz wegen angeblicher Abschaltvorrichtungen

Normenkette:
BGB § 826
Leitsätze:
1. Die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei Implementierung des Thermofensters erfolgt die Abgasreinigung im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise. Es liegt damit - im „Thermofenster“ als solchem - noch kein System der Prüfstandserkennung vor. (Rn. 23 – 24) (redaktioneller Leitsatz)
3. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters fehlt es sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz. (Rn. 24) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
EA 896, Prüfstandserkennung, Messwerte, Thermofenster, unzulässige Abschalteinrichtung
Vorinstanz:
LG Bayreuth, Endurteil vom 01.09.2022 – 24 O 12/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 1380

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klagepartei gegen das Endurteil des Landgerichts Bayreuth vom 01.09.2022, Az. 24 O 12/22, durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis 24.02.2023.

Entscheidungsgründe

1
1. Hinsichtlich des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird gem. § 540 ZPO auf die Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil Bezug genommen. Lediglich ergänzend bzw. erläuternd ist auszuführen:
2
Die Klagepartei verlangt von der Beklagten als Fahrzeugherstellerin Schadensersatz wegen eines PKW-Kaufs.
3
Die Klagepartei erwarb am 16.09.2019 von einem nicht am Rechtsstreit beteiligten Dritten ein bei der Beklagten hergestelltes Gebrauchtfahrzeug Audi A6 Quattro 3.0, zu einem Kaufpreis von 18.600,00 Euro. Die Laufleistung des Fahrzeugs betrug 130.500 km zum Zeitpunkt des Erwerbs. Das Fahrzeug verfügt über einen von der Beklagten hergestellten Motor EA 896 Gen2 Euro 5 mit einem sogenannten „Thermofenster“. Das Fahrzeug unterlag keinem Rückruf seitens des KBA.
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Die Klagepartei hat erstinstanzlich vorgetragen, dass in dem Fahrzeug mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien. Die Beklagte verwende ein unzulässiges „Thermofenster“, eine unzulässige Lenkwinkelerkennung und eine Akustikfunktion. Die Klagepartei verlange daher den merkantilen Minderwert des Fahrzeugs, der mindestens 25% des Kaufpreises, mithin 4.650,00 € betrage.
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Die Beklagte ist der Klage mit der Behauptung entgegengetreten, dass in dem Fahrzeug keine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut seien. Für eine Manipulationssoftware habe die Klagepartei keine konkreten Anhaltspunkte vorgebracht. Das „Thermofenster“ sei als Maßnahme zum Schutz des Motors gerechtfertigt. Dessen Verwendung sei nicht sittenwidrig. Das KBA habe ausdrücklich in der amtlichen Auskunft vom 16.11.2020 (Anlage B1) bestätigt. Ein sittenwidriges Handeln sei nicht gegeben, unabhängig davon liege kein Schaden vor.
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2. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen, weil dem Kläger kein Anspruch aus § 826 BGB zustehe. Der Einbau eines „Thermofensters“ begründe vorliegend nicht den Vorwurf einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung. Im Übrigen fehle es an jeglichen Anhaltspunkten für das Vorhandensein von unzulässigen Abschalteinrichtungen.
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Auch aus weiteren Anspruchsgrundlagen könne die Klagepartei keinen Anspruch herleiten.
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3. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klagepartei ihre erstinstanzlichen Anträge unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags weiter.
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Die Beklagte verwende ein „Thermofenster“, das eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2000 darstelle. Diese Norm sei nach Auffassung des Generalanwalts beim EuGH Rantos drittschützend. Dazu verwende die Beklagte die bereits erstinstanzlich vorgetragene Akustikfunktion als Prüfstandserkennung. Dies werde auch durch die Testergebnisse der DUH belegt, wonach der streitgegenständliche Fahrzeugtyp die Grenzwerte im Realbetrieb um ein Vielfaches übersteige. Eine weitere unzulässige Zykluserkennung werde über den Lenkwinkel bewirkt.
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Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
II.
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Der Senat ist davon überzeugt, dass der Berufung der Klagepartei die Erfolgsaussicht fehlt und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen. Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung des Klägers erweist sich als unbegründet, weil ihm keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen. Zu Recht hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Auf die zutreffenden Gründe wird Bezug genommen. Zu den Berufungsangriffen sind lediglich folgende Anmerkungen veranlasst:
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1. Ein Anspruch der Klagepartei scheitert bereits daran, dass ein merkantiler Minderwert nach dem Vortrag der Klagepartei mit „Null“ zu schätzen ist (§ 287 ZPO).
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Ein Erfahrungssatz, wonach bei Vorliegen vom KBA nicht beanstandeter Abschalteinrichtungen einem nicht von einem Rückruf betroffenen Fahrzeug ein merkantiler Minderwert anhaften soll, existiert nicht. Sollte ein solcher tatsächlich vorliegen, ist anzunehmen, dass dieser bereits in dem von der Klagepartei im Jahr 2019 gezahlten Kaufpreis eingeflossen ist, weil die von der Klagepartei als Grund für den merkantilen Minderwert angeführte „Abgasproblematik“ zu diesem Zeitpunkt längst bekannt war. Letztendlich fehlt es auch an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass ein solcher Minderwert noch besteht. Zwischenzeitlich wurde ein Softwareupdates installiert, was als wertsteigernde Entwicklung zu berücksichtigen ist (BGH NJW 2021, 3041 Rn. 23f.).
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2. Zu Recht hat das Landgericht einen Anspruch der Klagepartei aus § 826 BGB verneint.
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a) Die Klagepartei hat selbst eingeräumt, dass ein Rückruf des KBA lediglich für andere Modelle der Beklagten wegen „Entfernens unzulässiger Abschalteinrichtungen“ vorliegt. Der vom Kläger gezogene Schluss, dass dies auch bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug der Fall sei, missachtet jedoch, dass das KBA hier keinen Anlass für einen Rückruf gesehen hat, sondern nur eine freiwillige Servicemaßnahme durch die Beklagte angeboten wird. Es ist jedoch senatsbekannt, dass solche Maßnahmen bei einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausscheiden, weil dann durch das KBA ein verpflichtender Rückruf angeordnet wird. Im Übrigen ist es naheliegend, dass Untersuchungen bei einem Fahrzeug angeordnet werden, wenn sich bei einem gleichen Fahrzeugtyp mit anderer Abgasnorm Anlass zu einem verpflichtenden Rückruf ergeben hat. Wenn das KBA also für das vorliegende Fahrzeug nicht eingeschritten ist, ist dies unter den vorliegenden Umständen ein sicheres Anzeichen dafür, dass vorliegend keine unzulässige Abschalteinrichtung installiert ist.
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Dies hat durch die von der Beklagten bereits erstinstanzlich vorgelegten Auskunft des KBA gegenüber dem OLG Stuttgart vom 11.09.2020 (Anlage B1) eine Bestätigung erfahren. Hierin hat das KBA mitgeteilt, dass „allgemeingültig für die Gruppe an Fahrzeugen des Volkswagenkonzerns mit dem V6-TDI Euro 5 Generation 2 Motoren“ keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt worden sei.
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b) Dem tritt die Klagepartei nicht substantiiert entgegen.
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aa) Die Abweichung der Messwerte im Realbetrieb von den Messwerten nach NEFZ ist als Indiz für eine Abschalteinrichtung, und noch dazu für eine Manipulationssoftware, die die Voraussetzungen des § 826 BGB erfüllen könnte, angesichts der unstreitigen gravierenden Unterschiede der Bedingungen, unter denen die Messung erfolgt, ungeeignet (BGH, Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris Rn. 30; BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, juris Rn. 23).
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bb) Die Akustikfunktion ist selbst nach dem vom KBA beauftragten Gutachten nur unter der Voraussetzung als unzulässige Abschalteinrichtung zu bewerten, wenn ansonsten die zulässigen Grenzwerte auf dem Prüfstand überschritten würden (Anlage K4 S. 8). Die Beklagte hat unter Hinweis auf den Untersuchungsbericht des BMVI und des KBA vom April 2016 vorgetragen, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt wurde.
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cc) Die Lenkwinkelerkennung, auf die sich die Klagepartei beruft, wird entgegen ihrem Vortrag vom KBA nicht als unzulässig beurteilt und ist also auch nicht Gegenstand eines Rückrufs.
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3. Ein Anspruch der Klagepartei gegen die Beklagte nach § 826 BGB oder § 831 BGB wegen des im Fahrzeug der Klagepartei unstreitig zum Einsatz kommenden Thermofensters besteht nicht. Es fehlt sowohl an der objektiven Sittenwidrigkeit als auch am Schädigungsvorsatz.
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Seit der Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) nimmt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung an, dass es im Hinblick auf die - jedenfalls bis zur Auslegung der unionsrechtlichen Vorschriften durch den Gerichtshof der Europäischen Union in dessen Urteilen vom 14.07.2022 (Rechtssachen C-128/20, C-134/20 und C-145/20) bestehende - unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend (zu Daimler: u.a. Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721; zu VW: Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814; zu Audi: Beschluss vom 01.09.2021, VII ZR 128/21, juris; Beschluss vom 13.10.2021, VII ZR 164/21, juris; zu BMW: Beschluss vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, juris) sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt. Lediglich mit Blick auf das Vorbringen der Klagepartei ist ergänzend anzumerken:
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a) Bei Implementierung des Thermofensters erfolgt die Abgasreinigung im Grundsatz auf dem Prüfstand und im realen Betrieb in gleicher Weise. Es liegt damit - im „Thermofenster“ als solchem - noch kein System der Prüfstandserkennung vor (BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, Rn. 19). Soweit die Klagepartei behauptet, der Temperaturbereich des Thermofensters sei auf die Bedingungen auf dem Prüfstand exakt zugeschnitten, hat sie dies schlüssig und in prozessual beachtlicher Weise vorzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, Rn. 20).
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b) Überdies ist der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Urteile des BGH vom 16.09.2021, VII ZR 190/20, 286/20, 321/20 und 322/20) unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend nunmehr zu dem Ergebnis gelangt, dass es im Hinblick auf die unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt:
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aa) Danach kann bei einer Abschalteinrichtung wie hier, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der sich die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantworten lässt, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht. Allein aus der - unterstellten - objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt ferner kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage - hinsichtlich des unstreitig in den Fahrzeugen der Beklagten verbauten Thermofenster fehlt es bis heute an einer behördlichen Stilllegung oder einem Zwang zu Umrüstungsmaßnahmen - ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klagepartei hätte aufdrängen müssen.
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bb) Dass bestimmte Ausgestaltungen des Thermofensters nunmehr vom EuGH als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehen werden (EuGH NJW 2022, 2605) und denkbar ist, dass diese Sicht, wenn sie nicht bereits in der Vergangenheit vom KBA geteilt und im Prüfungsverfahren umgesetzt wurde (s.u.), in Zukunft auch vom KBA übernommen wird, ändert an der vorstehenden Beurteilung nichts. Denn für diese sind die damaligen, vor Erwerb des streitgegenständlichen Fahrzeuges liegenden, Vorstellungen und Erkenntnisse maßgeblich (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 38).
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4. Hieran anknüpfend bietet das Vorhandensein eines „Thermofensters“ unter Berücksichtigung der Schlussanträge des Generalanwalts beim EuGH Rantos vom 02.06.2022 in der Rechtssache C-100/21 (ECLI:ECLI:EU:C:2022:420) auch keine Grundlage für einen Anspruch aus den Vorschriften der Art. 5 Abs. 1, Abs. 2 der VO 715/2007, Art. 18 Abs. 1, 26 Abs. 1, 46 der RL 2007/46 i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB, selbst wenn der Senat der Auffassung des Generalanwalts Rantos folgen würde.
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a) Das „Thermofenster“ funktioniert im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise wie im realen Fahrbetrieb. Deshalb kann die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantwortet werden, so dass, wie bereits erörtert, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte auch nicht ohne Weiteres unterstellt werden kann, dass die für die Beklagte handelnden Personen einen Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen und damit bedingt vorsätzlich gehandelt haben (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az. III ZR 263/20 Rn. 22; BGH NJW 2021, 3721, Rn. 30). Die vorliegenden Umstände rechtfertigen jedoch noch nicht einmal ein fahrlässiges Handeln der Beklagten.
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b) Aus dem senatsbekannten Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“ vom April 2016 ist zu entnehmen, dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet wurden. Nach Einschätzung der Untersuchungskommission handelt es sich bei der Verwendung eines Thermofensters angesichts der Unschärfe der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007, wonach zum Schutz des Motors vor Beschädigungen und zur Gewährleistung eines sicheren Fahrzeugbetriebs notwendige Abschalteinrichtungen zulässig sind, um keine eindeutigen Gesetzesverstöße, sofern ohne die Verwendung des Thermofensters dem Motor Schaden drohe und „sei dieser auch noch so klein“ (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123). Daneben zeigt auch der in der Literatur (vgl. Führ, NVwZ 2017, 265) betriebene er hebliche Begründungsaufwand, um das „Thermofenster“ als unzulässige Abschalteinrichtung einzustufen, dass keine klare und eindeutige Rechtslage gegeben ist (BGH, Urteil vom 24.03.2022, Az. III ZR 263/20 Rn. 22; OLG Koblenz, Urteil vom 14.09.2020, AZ.: 12 U 1464/19, Rn. 23).
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c) Daneben ist eine temperaturgesteuerte Abgasrückführung bei Dieselmotoren zur Vermeidung von Stickoxiden seit Jahrzehnten üblich und in Fachkreisen allgemein (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2022, 8 U 143/21, Rn. 10) und zumindest ab 2008 speziell auch dem EU-Normgeber (vgl. Mitteilung der EU-Kommission - 2008/C 182/08 - über die Anwendung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Emissionen, dort unter Nr. 8) bekannt (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 36). Das KBA hatte von der Verwendung von Thermofenstern bei allen Herstellern und die in diesem Zusammenhang geführte rechtliche Diskussion um den Motorschutz ebenfalls Kenntnis. Es war deshalb zu einer Überprüfung des Emissionsverhaltens der Fahrzeuge ohne weiteres in der Lage (BGH, Urteil vom 13.01.2022, Az. III ZR 205/20, Rn. 25). Zudem waren die Hersteller nach der genannten Mitteilung der EU-Kommission (dort Ziff. 7) auch nicht verpflichtet, Informationen über das Emissionsverhalten von Dieselfahrzeugen bei niedrigen Temperaturen zur Verfügung zu stellen, so dass die Hersteller keine Verpflichtung zu einer Beschreibung über die exakte Wirkungsweise traf (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 22.02.2022, 8 U 143/21, Rn. 10). Vor diesem Hintergrund durfte die Beklagte bei der Beantragung der EG-Typgenehmigung davon ausgehen, dass die Existenz von Thermofenstern dem KBA bekannt gewesen war und ihr insoweit keine Pflicht oblegen hatte, ungefragt von sich aus auf ein Thermofenster hinzuweisen (OLG Stuttgart, Urteil vom 25.01.2022, 16a U 138/19, Rn. 36).
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Wenn also die Beklagte den gesetzlichen Anforderungen entsprechend ihren Mitteilungspflichten bezüglich des Thermofensters nachgekommen ist, durfte sie sich grundsätzlich darauf verlassen, dass das KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG eine Ergänzung verlangen würde, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit des Thermofensters in dem betreffenden Fahrzeug zu prüfen (BGH, Urteil vom 16.9.2021, Az. VII ZR 190/20, Rn. 26). Anderenfalls durfte die Beklagte auf die Prüfungskompetenz des KBA als Genehmigungsbehörde vertrauen und ohne Verschulden von der Zulässigkeit ihres Vorgehens ausgehen.
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d) Selbst wenn man sogar eine Erkundigungspflicht der Beklagten unterstellen würde, ist davon auszugehen, dass das KBA, wie bislang geschehen, im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs nichts unternommen und insbesondere das Thermofenster nicht beanstandet hätte.
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Das KBA geht noch heute von der Zulässigkeit des Thermofensters aus, wie sich aus der se natsbekannten Pressemitteilung des KBA vom 14.07.2022 ergibt. Darin hat das KBA anlässlich eines Urteils des EuGH vom 17.12.2020 Stellung genommen und erklärt, dass es bereits in der Vergangenheit die Zulässigkeit des „Thermofensters“ entsprechend den Grundsätzen des EuGH und den Vorgaben des Art. 5 Abs. 2 der VO (EG) Nr. 715/2007 durch eigene Untersuchungen und Messungen geprüft habe. Dementsprechend sei die Unzulässigkeit von temperaturabhängigen Abschalteinrichtungen für Außentemperaturen zwischen 15 °C und 33 °C angewandt worden, wobei das KBA je nach verfügbarer Technologie deutlich darüber hinausgegangen sei. Die Genehmigungspraxis des KBA habe bereits die Maßstäbe des EuGH berücksichtigt, dass die volle Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems überwiegend gewährleistet sein müsse (www.kba.de/DE/Themen/Marktueberwachung/Abgasthematik/stellungnahme_euGH_thermofen ster_inhalt.html).
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Nachdem das KBA in der bereits dargestellten amtlichen Auskunft an das OLG Stuttgart ausgesprochen hat, dass es keine unzulässige Abschalteinrichtung bei dem streitgegenständlichen Fahrzeugtyp habe feststellen können, steht fest, dass eine ausreichende Erkundigung zu keinem anderen Erkenntnisstand der Beklagten geführt hätte. In einem solchen Fall kann der Vorwurf der Fahrlässigkeit nicht erhoben werden, auch wenn eine grundsätzlich erforderliche Erkundigung nicht eingeholt wurde. Weil sich der Erkundigende grundsätzlich auf die Fachkompetenz einer Fachbehörde verlassen darf, ist ihm ein „besseres“ Wissen als das der Genehmigungsbehörde nicht abzuverlangen. Es handelt sich insoweit um einen unvermeidbaren Verbotsirrtum (BGH, NJW-RR 2017, 1004 Rn. 17; BGH NJW-RR 2018, 1250 Rn. 28, 32). Hierauf kann sich die Beklagte angesichts der vorgenannten Umstände zu Recht berufen.
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e) Im Übrigen hat auch der Generalanwalt die von ihm vertretene Rechtsfolge von weiteren Voraussetzungen abhängig gemacht, insbesondere, dass die EG-Typgenehmigung erwirkt worden ist, ohne dass die Genehmigungsbehörde vom Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung etwas wusste (Rn. 48 ff. der Schlussanträge, BeckRS 2022, 12232). Es ist demnach erforderlich, dass der Genehmigungsbehörde die unzulässige Abschalteinrichtung nicht bekannt war, und dass diese Unkenntnis auf einer Täuschung der Genehmigungsbehörde beruht (vgl. OLG München, Beschluss vom 14.06.2022, 36 U 141/22, dort Seite 12). Für einen solchen Sachverhalt ist im Streitfall aufgrund der vorstehenden Erörterungen nichts ersichtlich.
IV.
36
1. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor. Über klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfragen hat der Senat nicht zu befinden. Er beabsichtigt eine einzelfallbezogene Entscheidung auf der Grundlage der nach gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung berufungsrechtlich nicht zu beanstandenden erstinstanzlichen Feststellungen. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Anhaltspunkte dafür, dass in einer solchen neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die zu einer anderen Beurteilung führten, bestehen nicht.
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2. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 4.650,00 € festzusetzen.
38
3. Der Senat regt daher an, zur Vermeidung von Kosten die aussichtslose Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen, und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV Nr. 1220, 1222) hin.