Inhalt

VerfGH München, Entscheidung v. 07.06.2023 – Vf. 8-IX-23
Titel:

Volksbegehren „Radentscheid Bayern“ mangels Gesetzgebungskompetenz des Landes unzulässig

Normenketten:
GG Art. 72 Abs. 1, Abs. 2, Art. 74 Abs. 1 Nr. 22, Art. 84 Abs. 1 S. 1
BV Art. 67
BayLWG Art. 64 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Zur Frage der Zulassung eines Volksbegehrens, das auf den Erlass eines Bayerischen Radgesetzes sowie die Änderung weiterer Rechtsvorschriften gerichtet ist und insbesondere der Förderung des Radverkehrs sowie der Stärkung des Umweltverbundes und des Fußverkehrs dienen soll. (Rn. 57 – 134)
2. Der dem Volksbegehren zugrunde liegende Gesetzentwurf ist in Teilen mit Bundesrecht offensichtlich unvereinbar, da dem Landesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz fehlt. (Rn. 62 – 126)
3. a) Die auf der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis gemäß Art. 74 Abs. 1. Nr. 22 GG beruhenden straßenverkehrsrechtlichen Regelungen des Bundes im Straßenverkehrsgesetz und in der Straßenverkehrs-Ordnung stellen weitgehend eine abschließende bundesrechtliche Regelung dar, die die Länder von der Gesetzgebung ausschließt. (Rn. 63 – 76)
4. b) Die in Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Art. 10 Abs. 4 und 5. Satz 3, Art. 17 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 sowie Art. 18 des geplanten Bayerischen Radgesetzes vorgesehenen Bestimmungen unterfallen als straßenverkehrsrechtliche Regelungen der Sperrwirkung des Bundesrechts. (Rn. 77 – 127)
5. Im Rahmen der Prüfung der Zulassung eines Volksbegehrens scheidet eine bundesrechtskonforme Auslegung der im Gesetzentwurf vorgesehenen Vorschriften, sofern dadurch der für die Unterzeichner erkennbare sachliche Gehalt der Regelungen geändert würde, aus. (Rn. 80 – 81)
6. Aus der Gesetzgebungskompetenz der Länder für die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG lässt sich keine Kompetenz des Landesgesetzgebers zur Vorgabe konkreter materiellrechtlicher Kriterien für die Ermessensausübung in Sachbereichen, die abschließend bundesrechtlich geregelt sind, ableiten. (Rn. 99)
7. Ohne die für unzulässig erachteten Vorschriften wäre das mit dem Volksbegehren verfolgte Anliegen in einem grundlegenden Baustein substanziell entwertet. (Rn. 128 – 134)
Schlagworte:
Volksbegehren, Förderung des Radverkehrs, Gesetzgebungskompetenz, Straßenverkehrsrecht, Sperrwirkung, verfassungskonforme Auslegung eines Volksbegehrens
Fundstellen:
BayVBl 2024, 847
BayVBl 2023, 547
LSK 2023, 13739
NVwZ-RR 2023, 703
BeckRS 2023, 13739

Tenor

Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens „Radentscheid Bayern“ sind nicht gegeben.

Entscheidungsgründe

I.
1
Gegenstand des Verfahrens ist die Frage, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung eines Volksbegehrens gegeben sind, das auf den Erlass eines Bayerischen Radgesetzes sowie die Änderung weiterer Rechtsvorschriften (u. a. des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes) gerichtet ist und insbesondere der Förderung des Radverkehrs sowie der Stärkung des Umweltverbundes und des Fußverkehrs dienen soll. Insgesamt soll bis zum Jahr 2030 der Anteil des Radverkehrs am Verkehrsaufkommen in Bayern auf mindestens 25% erhöht werden.
2
Beim Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration wurde am 27. Januar 2023 der Antrag gestellt, ein Volksbegehren unter dem Titel „Radentscheid Bayern“ zuzulassen. Das Staatsministerium hat mitgeteilt, die Initiatoren hätten insgesamt 30.023 Unterschriften eingereicht, wovon 28.934 gültig seien.
3
Der Gesetzentwurf hat folgenden Wortlaut:
Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Fahrradmobilität in Bayern für mehr Klimaschutz und Verkehrssicherheit (Bayerisches Radgesetz – BayRadG)
§ 1
Bayerisches Radgesetz (BayRadG)
Präambel
Der Freistaat Bayern gibt sich dieses Gesetz, um den Radverkehr zu fördern, stressfreies und komfortables Radfahren zu ermöglichen sowie die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmenden zu gewährleisten.
Dieses Gesetz legt die Grundlage dafür, den Anteil des Radverkehrs am Verkehrsaufkommen in Bayern bis 2030 auf mindestens 25 Prozent zu erhöhen und das Fahrrad als attraktive Alternative zum motorisierten Individualverkehr zu stärken.
Mit diesem Gesetz übernimmt der Freistaat Verantwortung für künftige Generationen: Der Ausbau des Radverkehrs leistet einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung der Pariser Klimaziele, erhöht die Lebensqualität auf dem Land und in der Stadt, verringert den Flächenverbrauch, fördert die Gesundheit der Bevölkerung und reduziert die Anzahl der im Straßenverkehr verletzten Menschen (Vision Zero).
Damit folgt der Freistaat dem erfolgreichen Beispiel anderer europäischer Länder, die die Bedeutung des Rads als alltagstaugliches, kostengünstiges und ressourcenschonendes Verkehrsmittel bereits erkannt haben.
Abschnitt 1
Allgemeines Artikel 1
Zweck des Gesetzes
1Dieses Gesetz soll in den bayerischen Kommunen sowie im überörtlichen Bereich eine umwelt- und klimaverträgliche Mobilitätsentwicklung unter besonderer Förderung des Radverkehrs gewährleisten. 2Dabei sind die objektive und subjektive Sicherheit des Radverkehrs von überragender Bedeutung.
Artikel 2
Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen
(1) Dieses Gesetz gilt für alle öffentlichen Straßen im Sinne des Art. 1 S. 1 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG), deren Träger der Straßenbaulast der Freistaat Bayern, ein Gemeindeverband oder eine Gemeinde ist, sowie dem öffentlichen Verkehr gewidmete Eigentümerwege im Privateigentum.
(2) Für die Zwecke dieses Gesetzes gelten folgende Begriffsbestimmungen:
1. 1Öffentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) ist gemäß Art. 1 Abs. 1 des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr in Bayern (BayÖPNVG) die allgemein zugängliche Beförderung von Personen mit Verkehrsmitteln im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen. 2Das ist im Zweifel der Fall, wenn in der Mehrzahl der Beförderungsfälle eines Verkehrsmittels die gesamte Reiseweite 50 km oder die gesamte Reisezeit eine Stunde in der Regel nicht übersteigt.
2. Fußverkehr ist das Zufußgehen sowie die Fortbewegung unter Nutzung besonderer Fortbewegungsmittel nach § 24 der Straßenverkehrsordnung (StVO).
3. Radverkehr ist das Fortbewegen unter Benutzung eines Fahrrads, Lasten- oder Spezialrads oder eines unterstützenden Elektrofahrrads (Pedelec).
4. Umweltverbund umfasst die Verkehrsmittel Fußverkehr, Radverkehr und den ÖPNV.
5. Motorisierter Individualverkehr umfasst Personenkraftwagen, Krafträder und Wohnmobile zur individuellen Nutzung sowie Kraftfahrzeuge für den Gütertransport.
6. Radverkehrsanlagen sind alle für den Radverkehr eingerichteten Straßenbestandteile und Wege; dies sind insbesondere (baulich separate) Radwege, Radfahrstreifen (mit oder ohne physische Trennung) und Fahrradstraßen.
7. Radverkehrsinfrastruktur umfasst Radverkehrsanlagen, Fahrradabstellanlagen, Fahrradvermietungen, die Informations- und Serviceinfrastruktur des Radverkehrs sowie die Fahrradmitnahme in öffentlichen Verkehrsmitteln.
8. Lastenräder im Sinne dieses Gesetzes sind Fahrräder gemäß § 63 a der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO), die speziell für den Transport von Personen und Gütern konstruiert sind.
9. Spezialfahrräder im Sinne dieses Gesetzes sind Fahrräder, die von Menschen mit Behinderung und Menschen mit eingeschränkter Mobilität genutzt werden, sowie Liegeräder, Handbikes, Ruderräder, Velomobile, Dreiräder, Fahrradrikschas, Tandems, Rollstuhlfahrräder, Fahrradanhänger und ähnliche.
10. Fahrradabstellanlagen sind Gebäude, Gebäudeteile oder im Freien gelegene Anlagen zum Abstellen von Fahrrädern außerhalb der öffentlichen Verkehrsflächen, Art. 2 Abs. 8 S. 2 Bayerische Bauordnung (BayBO).
Artikel 3
Verkehrlicher Umwelt- und Klimaschutz in Städten und Gemeinden
(1) Die gesteigerte Nutzung der Verkehrsmittel des Umweltverbundes soll die Emissionen des Verkehrssektors minimieren und zur Einhaltung der Klimaziele beitragen sowie verkehrsbedingte Umweltbeeinträchtigungen, insbesondere Luftschadstoff- und Lärmbelastungen, minimieren.
(2) In ausgewiesenen Wohnquartieren sowie in Ortszentren als ausgewiesenen Quartieren soll den Verkehrsmitteln des Umweltverbundes Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr eingeräumt werden.
Artikel 4
Förderung des Umweltverbunds im ländlichen Raum
(1) 1Im ländlichen Raum ist beim Ausbau der Angebots- und Netzentwicklung der Fokus auf die Verkehrsmittel des Umweltverbundes zu legen. 2Zu diesem Zweck ist die Infrastruktur für Fuß- und Radverkehr als Zubringerverkehr zum öffentlichen Personennahverkehr auszubauen.
(2) 1Das erweiterte Mobilitätsangebot des Umweltverbundes soll den motorisierten Individualverkehr in den Stadtzentren minimieren. 2Durch die intelligente Anbindung der Verkehrsmittel des Umweltverbundes an den öffentlichen Personennahverkehr an Mobilitätsknotenpunkten soll insbesondere der Kfz-Pendelverkehr in die und aus den Stadtzentren minimiert werden. 3Hier sind multimodale Fortbewegungsarten zu berücksichtigen, insbesondere soll eine einfache Fahrradmitnahme und die Mitnahme besonderer Fortbewegungsmittel nach § 24 StVO im ÖPNV flächendeckend erreicht werden.
(3) Um die Nutzung des Fahrrads und der sonstigen Verkehrsmittel des Umweltverbundes im ländlichen Raum zu fördern, soll diesen im StadtUmland-Bereich in Ausbau- und Finanzierungsangelegenheiten Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr eingeräumt werden.
Artikel 5
Verkehrssicherheit („Vision Zero“)
(1) 1In Anlehnung an § 1 der StVO wird der Verkehr im Freistaat Bayern durch ständige Vorsicht, gegenseitige Rücksichtnahme und Respekt aller Verkehrsteilnehmenden geprägt. 2Hierbei hat der Schutz der „schwächeren Verkehrsteilnehmenden“ oberste Priorität. 3Eine sichere Teilnahme am Verkehr soll unabhängig vom Verkehrsmittel möglich sein. 4Das Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr soll zum Schutz der „schwächeren Verkehrsteilnehmenden“ eine Anordnung zur verstärkten Kontrolle und Sanktionierung von Ordnungswidrigkeiten im Verkehr erlassen.
(2) Der Freistaat Bayern verfolgt das Ziel, dass sich in Bayern keine tödlichen Verkehrsunfälle oder Verkehrsunfälle mit schweren Personenschäden ereignen (Vision Zero).
(3) 1Zur Erreichung dieses Ziels stellt die Bayerische Staatsregierung ein Verkehrssicherheitsprogramm mit Handlungsschwerpunkten und -hinweisen auf. 2Dieses soll auf der Grundlage einer Analyse von Unfallursachen und Risikogruppen durch verursacherbezogene, infrastrukturelle, verkehrsorganisatorische und kommunikative Maßnahmen die Sicherheit der benachteiligten Verkehrsteilnehmenden verbessern.
Artikel 6
Bildung und schulische Verkehrserziehung
(1) Der Freistaat Bayern fördert eine umfassende Mobilitätsbildung, um eine sichere, umwelt- und klimaverträgliche Mobilität zu erreichen.
(2) 1Die Erreichung der Ziele dieses Gesetzes soll in den Schulen sowie Vorschulen und Kindertagesstätten durch unterstützende Aktivitäten der Polizei gemeinsam mit Mobilitätsverbänden im Rahmen der Verkehrserziehung gefördert werden. 2Dabei soll insbesondere die Verkehrssicherheit thematisiert werden.
(3) 1Radverkehrsförderung und -sicherheit soll auch Teil von Aus- und Fortbildungsprogrammen in Verwaltungen sein, deren Dienstherr der Freistaat Bayern ist und welche mit Themen des Verkehrs und der Mobilität befasst sind. 2Die Inhalte dieser Programme sind mit der Bayerischen Staatsregierung und den weiteren zuständigen Behörden abzustimmen.
Artikel 7
Schulisches Mobilitätsmanagement
(1) 1Die Sicherheit der Kindergarten- und Vorschulkinder ist zu gewährleisten.  (Fussnote:Schulwegpläne sind Darstellungen, in denen die sichersten Wege zur Schule empfohlen werden. 3Der Schulwegplan wird öffentlich bekanntgemacht.)Vor Kindertagesstätten, -gärten, -krippen, -horten und Schulen sollen nach Maßgabe der StVO zu den An- und Abfahrtszeiten verkehrsberuhigte Zonen eingeführt werden.
(2) 1Der Freistaat Bayern fördert das schulische Mobilitätsmanagement. 2Das Bayerische Staatsministerium für Unterricht und Kultus entwickelt gemeinsam mit dem Bayerischen Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr ein umsetzungsbezogenes Konzept für das schulische Mobilitätsmanagement. 3Das Konzept definiert unter anderem Unterrichtsinhalte, Öffentlichkeitsarbeit und Maßnahmen zur Veränderung des Mobilitätsverhaltens von Schulkindern hin zur selbstständigen Mobilität sowie zur Umsetzung einer sicheren Infrastruktur im Schulumfeld. 4Alle Schülerinnen und Schüler haben in der Jahrgangsstufe 3 verpflichtend an der Radfahrprüfung gemäß Nummer 5 der Gemeinsamen Bekanntmachung der Bayerischen Staatsministerien für Unterricht und Kultus und des Innern vom 15. Mai 2003 (KWMBl. I 2003 S. 240) teilzunehmen.
(3) 1Das Konzept für schulisches Mobilitätsmanagement soll erstmalig innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes aufgestellt werden. 2Eine Fortschreibung erfolgt nach Bedarf, spätestens alle zehn Jahre.
(4) 1An allen Schulen, an denen es Hinweise auf Probleme mit der Schulwegsicherheit gibt, sollen Gremien für Mobilität geschaffen werden. 2In Schulen mit Schulforum wird das Gremium dort angesiedelt. 3Die Gremien, die aus Schülerinnen und Schülern, Eltern und Schulpersonal bestehen, sollen sich mit den Anforderungen des schulischen Mobilitätsmanagements auseinandersetzen und in die schulkonkrete Umsetzung des Konzeptes nach Abs. 1 einbezogen werden. 4Insbesondere im Grundschulbereich ist die Perspektive der Kinder bei der Bewältigung der Schulwege zu berücksichtigen. 5Die Gremien sollen sich bei Bedarf vernetzen und relevante Akteure wie Verwaltung, Polizei, Politik oder Verbände einbinden. 6Bei der Prüfung von Vorschlägen der Gremien durch zuständige Stellen des Freistaates Bayern ist in Abwägungsentscheidungen der Schulwegsicherheit grundsätzlich die höchste Priorität einzuräumen.
(5) 1Die Sachaufwandsträger erarbeiten zusammen mit der Schulleitung für die Jahrgänge 1 bis 7 einen Schulwegplan und stimmen diesen mit der Straßenverkehrsbehörde, der Sicherheitsbehörde und der Polizei ab.
Abschnitt 2
Ausgestaltung und Entwicklung des Rad- und Fußverkehrs Artikel 8
Grundsätze
(1) Der Freistaat Bayern treibt die Förderung der Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur in Bayern voran.
(2) 1Werden Landesstraßen in der Straßenbaulast des Freistaates Bayern neu-, um- oder ausgebaut, ist stets bereits im Rahmen der ersten Planungen zu prüfen, ob eine geeignete, bedarfsgerechte, sichere und kreuzungsfreie Radverkehrsführung vorliegt oder eine Möglichkeit zur Neuanlage besteht. 2Bei Sanierungen ist zu prüfen, ob die Radverkehrsanlagen ebenfalls zu sanieren sind. 3An Kraftfahrzeugstraßen mit mehreren Fahrstreifen soll auf einer anderen gleichwertigen Route ein Radweg errichtet oder ausgebaut werden oder ein Radweg entlang der Straßentrasse geführt werden.
(3) Der Erhalt, die Sanierung und die Verbesserung der Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur werden durch die Träger der Straßenbaulast vorangetrieben.
(4) Werden Straßen saniert, sollen unter Beachtung der Vorgaben des Bayerischen Naturschutzgesetzes (BayNatSchG) baulich sichere Rad- und Verkehrsführungen geprüft und umgesetzt werden.
(5) Bei Neubau, Umbau, Ausbau und Sanierung von Straßen und Radwegen ist auf eine Minimierung der Flächeninanspruchnahme und Versiegelungswirkung zu achten.
(6) Bei der Förderung des Rad- und Fußverkehrs wirken die öffentliche Verwaltung und organisierte Interessenvertretungen zusammen.
(7) 1Innerhalb von Ortslagen sollen Fußverkehrsnetze durchgängig und direkt geführt sein. 2Die Gehwege sollen ausreichend breit, sicher und durchgängig barrierefrei sein.
Artikel 9
Besondere Ziele der Entwicklung des Radverkehrs Für eine sichere, umwelt- und klimaverträgliche Entwicklung des Radverkehrs sollen insbesondere
1.
der Radverkehrsanteil an der Verkehrsmittelwahl auf alltäglichen Wegen auf 25 Prozent bis zum Jahr 2030 steigen,
2.
eine möglichst hohe objektive und subjektive Sicherheit für Radfahrende erreicht werden, wobei die objektive Sicherheit der subjektiven Sicherheit vorgeht, und
3.
die Nutzung von Lastenrädern und Spezialrädern für private und gewerbliche Zwecke ausgeweitet werden.
Artikel 10
Besondere Maßnahmen zur Erhöhung der Rad- und Fußverkehrssicherheit
(1) 1Zur Erhöhung der Radverkehrssicherheit sowie zur Realisierung der Vision Zero (Art. 5) sind besondere Maßnahmen für den Radverkehr erforderlich. 2Der Radverkehr und dessen Sicherheit sind durch eine breite Öffentlichkeitsarbeit und diverse Kampagnen zu fördern. 3Dabei sollen insbesondere der Radverkehr und weitere Formen der Nahmobilität gegenüber dem motorisierten Individualverkehr nicht benachteiligt werden sowie die Nutzung von Fahrrädern für längere Wege und in Kombination mit dem öffentlichen Personennahverkehr, der Radtourismus und die Nutzung von Lastenfahrrädern für gewerbliche und private Zwecke gefördert werden.
(2) 1Wird ein Verkehrsknotenpunkt umgestaltet, sind Radverkehrsanlagen sicher einzurichten oder anzupassen. 2Insbesondere sind Sichtbeziehungen an Kreuzungen freizuhalten und ausreichende Abstände zu wahren.
(3) 1Im Haltestellenbereich des öffentlichen Personennahverkehrs sind Radverkehrsanlagen besonders auszugestalten. 2Es ist eine konfliktarme Führung der Verkehrsanlagen anzustreben.
(4) Die Straßenverkehrsbehörden sollen innerorts bei erlaubten Höchstgeschwindigkeiten von mehr als 30 km/h einen Schutzstreifen für Radfahrende errichten, wenn kein Radweg oder eine andere Radverkehrsanlage vorhanden ist.
(5) 1Radverkehr und Fußverkehr sollen innerhalb der Ortslagen möglichst getrennt geführt werden. 2Gemeinsame Geh- und Radwege können bei geringen Verkehrsaufkommen eine Alternative sein. 3Sofern aufgrund der örtlichen Gegebenheiten eine Mitbenutzung von Gehwegen durch den Radverkehr nicht ausgeschlossen werden kann, ist auf den Vorrang des Fußverkehrs deutlich hinzuweisen.
Artikel 11
Fahrradabstellanlagen
1Die Bayerische Staatsregierung fördert den Bau von sicheren und wettergeschützten Fahrradabstellanlagen für Fahrräder und Lastenräder im öffentlichen Verkehrsraum sowie an Haltestellen des öffentlichen Personennahverkehrs. 2Fahrradabstellanlagen sollen auch an geeigneten Park-andRide-Anlagen errichtet werden. 3Insbesondere zur Verknüpfung der verschiedenen Verkehrsarten sollen an Verkehrsknotenpunkten weitere Fahrradabstellanlagen gebaut werden. 4Ebenso sollen Gebäude der öffentlichen Verwaltung, der Justiz und Hochschulen mit Fahrradabstellanlagen und Serviceinfrastruktur entsprechend ihrem zu erwartendem Bedarf für Besucherinnen und Besucher und Mitarbeitende ausgestattet werden.
Artikel 12
Lasten- und Spezialfahrräder
1Die Träger der Straßenbaulast berücksichtigen beim Bau, Ausbau und bei der Sanierung von Radverkehrs- und Fahrradabstellanlagen die Bedürfnisse des Einsatzes von Lastenrädern, Spezialfahrrädern und Rädern mit Anhängern. 2Dazu gehört insbesondere die Schaffung geeigneter Fahrradabstellanlagen für Lasten- und Spezialfahrräder im öffentlichen Verkehrsraum sowie an Haltestellen des öffentlichen Personennahverkehrs.
Artikel 13
Informations- und Serviceinfrastruktur des Radverkehrs
(1) Die fachlich zuständigen Staatsministerien stellen Informationen zur Radverkehrsinfrastruktur sowie Informationen zur Radroutenerstellung weitestgehend barrierefrei zur Verfügung.
(2) 1An Orten mit relevantem Bedarf soll vom jeweiligen Träger der Straßenbaulast entsprechende Serviceinfrastruktur vorgehalten und betrieben werden. 2Wird Ladeinfrastruktur für motorisierte Fahrzeuge im öffentlichen Raum errichtet, soll diese auch Ladevorgänge von Pedelecs ermöglichen.
Artikel 14
Planung und Verkehrsführung bei Baumaßnahmen
(1) 1Bei der Planung von Baumaßnahmen mit Auswirkungen auf öffentliche Straßen ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang damit eine Radverkehrsanlage geschaffen oder verbessert werden kann. 2Ergibt die Prüfung das Potential zur Schaffung oder Verbesserung einer Radverkehrsanlage, ist dies durch die zuständigen Straßenbaubehörden im Zuge der Baumaßnahmen umzusetzen.
(2) Während sämtlicher Baumaßnahmen mit Auswirkungen auf öffentliche Straßen ist für eine sichere Radverkehrsführung nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik zu gewährleisten und dies auch zu kontrollieren.
(3) Sofern Teile des Radverkehrsnetzes oder Radverkehrsanlagen gesperrt werden, ist für ausgewiesene und kurze Umfahrungsstrecken zu sorgen.
Abschnitt 3
Radverkehrsplanung und -gestaltung Artikel 15
Radschnellverbindungen
(1) Radschnellverbindungen sind die im Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 BayStrWG definierten öffentlichen Straßen, Wege oder Teile von diesen.
(2) 1Radschnellverbindungen sind eigenständige Sonderwege, die in Fahrradstraßen oder in sonstigen vom Fußverkehr und motorisierten Individualverkehr baulich getrennten Straßen geführt werden. 2Soweit Gründe der Verkehrssicherheit nicht entgegenstehen, können Radschnellverbindungen auch durch Fahrradstraßen oder Radfahrstreifen errichtet werden.
Artikel 16
Fahrradstraßen und Nebenstraßen im Radverkehrsnetz
(1) 1In den Gemeinden wird eine Ausweisung von Nebenstraßen im Radverkehrsnetz als Fahrradstraßen angestrebt. 2Fahrradstraßen dienen der Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Fahrradverkehrs sowie der Trennung der Verkehre.
(2) 1In ausgewiesenen Fahrradstraßen soll der motorisierte Individualverkehr mit Ausnahme des Anwohner- und Lieferverkehrs unterbleiben. 2Fahrradstraßen sind baulich so zu gestalten, dass die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten werden kann.
(3) An sämtlichen Straßen und Knotenpunkten ist darauf hinzuwirken, dass stets gute Sichtbeziehungen aller Verkehrsteilnehmenden gewährleistet sind.
Artikel 17
Öffnung von Einbahnstraßen und Sackgassen für den Radverkehr
(1) 1Einbahnstraßen sind grundsätzlich für den Radverkehr in Gegenrichtung freizugeben. 2Dies gilt insbesondere vor Errichtung sowie bei Aus- und Umbau einer bestehenden Einbahnstraße. 3Falls die Freigabe nicht möglich ist, ist dies besonders zu begründen.
(2) 1Soweit dies möglich ist, sind Sackgassen für den Radverkehr passierbar zu machen. 2Dies ist durch Beschilderung oder Markierung zu kennzeichnen.
Artikel 18
Beschilderung von Radwegen
(1) Die wegweisende Radwegebeschilderung im Freistaat Bayern hat nach der Beschilderung im Sinne der StVO zu erfolgen.
(2) Die wegweisende Radwegebeschilderung ist durch die zuständige Straßenverkehrsbehörde verkehrsrechtlich anzuordnen.
Artikel 19
Erhaltung und Sanierung des Radverkehrsnetzes
1Die zuständigen Stellen erheben regelmäßig den Zustand der Radverkehrsanlagen. 2Die Radverkehrsanlagen sind zu sanieren, wenn ihr Zustand dies erfordert.
Abschnitt 4
Schlussbestimmungen Artikel 20
Evaluation
(1) Die Umsetzung des Gesetzes ist alle drei Jahre vom zuständigen Staatsministerium zu überprüfen und es ist dem Landtag hierüber Bericht zu erstatten.
(2) Zur Evaluation dieses Gesetzes setzt das zuständige Staatsministerium ein Gremium mit Expertise mehrerer Interessenvertretungen zur Förderung und Ausbau des Radverkehrs sowie z.B. aus der Politik, Verwaltung, aus Gewerkschaften und aus der Wirtschaft ein.
§ 2
Änderung des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes Das Bayerische Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) in der in der Bayerischen Rechtssammlung (BayRS 91-1-B) veröffentlichten bereinigten Fassung, das zuletzt durch § 1 des Gesetzes vom 23. Mai 2022 (GVBl. S. 224) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 wird wie folgt geändert:
a) Nach dem Wort „Staatsstraßen“ werden die Worte „und Radschnellverbindungen des Freistaates“ eingefügt.
b) Das Wort „das“ wird durch das Wort „Staatsstraßen“ ersetzt.
c) Nach Satz 1 wird folgender Satz 2 eingefügt:
„²Radschnellverbindungen sind Verbindungen im Radverkehrsnetz, die Quell- und Zielbereiche mit eigenständiger regionaler Verkehrsbedeutung über größere Entfernungen miteinander verknüpfen und durchgängig ein sicheres und attraktives Befahren auch mit hohen Reisegeschwindigkeiten ermöglichen.“
2. Art. 9 Abs. 1 S. 4 wird wie folgt geändert:
Nach dem Wort „Kinder“ werden die Worte „sowie des Rad- und Fußgängerverkehrs“ eingefügt.
3. Art. 9 Abs. 3 wird wie folgt geändert:
a) Nach Satz 1 wird folgender Satz 2 eingefügt:
2Bei Radschnellverbindungen des Freistaates umfasst die Straßenbaulast abweichend von Satz 1 auch die Beleuchtung.“
b) Der bisherige Satz 2 wird Satz 3.
4. Art. 36 Abs. 1 wird wie folgt geändert:
Nach Satz 2 wird folgender Satz 3 eingefügt:
3Eine wesentliche Änderung liegt nicht vor, wenn sich die Errichtung einer Radschnellverbindung nicht auf den Verlauf und den Bestand der Staats straße auswirkt.“
5. Art. 41 S. 1 wird wie folgt geändert:
In Satz 1 werden nach dem Wort „Staatsstraßen“ die Worte „und Radschnellverbindungen des Freistaates“ eingefügt.
6. Art. 58 Abs. 2 wird wie folgt geändert:
In Nr. 1 werden nach dem Wort „Staatsstraßen“ die Worte „und Radschnellverbindungen des Freistaates“ eingefügt.
§ 3
Änderung der Bayerischen Bauordnung
Die Bayerische Bauordnung (BayBO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. August 2007 (GVBl. S. 588, BayRS 2132-1-B), die zuletzt durch § 4 des Gesetzes vom 25. Mai 2021 (GVBl. S. 286) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. Art. 2 Abs. 8 wird wie folgt geändert:
a) Nach dem Satz 1 wird folgender Satz 2 eingefügt:
2Fahrradabstellanlagen sind Gebäude, Gebäudeteile oder im Freien gelegene Anlagen zum Abstellen von Fahrrädern außerhalb der öffentlichen Verkehrsflächen.“
b) Der Satz 2 wird zu Satz 3. c) Der Satz 3 wird zu Satz 4.
2. Art. 14 Abs. 2 wird wie folgt geändert:
a) Der Wortlaut wird Satz 1. b) Es wird der folgende Satz 2 eingefügt:
2Dabei sind die Belange der Radverkehrssicherheit besonders zu berücksichtigen.“
3. Art. 47 wird wie folgt geändert:
a) In Abs. 1 Satz 1 werden nach dem Wort „Stellplätze“ die Worte „und Fahrradabstellanlagen“ eingefügt.
b) Abs. 1 Satz 2 wird wie folgt geändert:
aa) Nach den Worten „sind Stellplätze“ werden die Worte „und Fahrradabstellanlagen“ eingefügt.
bb) Nach den Worten „die Stellplätze“ werden die Worte „und Fahrradabstellanlagen“ eingefügt.
cc) Nach dem Wort „Kraftfahrzeugen“ werden die Worte „und Fahrräder einschließlich Lasten- und Spezialfahrräder“ eingefügt.
c) In Abs. 2 Satz 1 werden nach dem Wort „Stellplätze“ die Worte „und Fahrradabstellanlagen“ eingefügt.
d) In Abs. 2 Satz 2 werden nach dem Wort „Stellplätze“ die Worte „und Fahrradabstellanlagen“ eingefügt.
e) In Abs. 3 Nr. 1 werden nach dem Wort „Stellplätze“ die Worte „und Fahrradabstellanlagen“ eingefügt.
f) In Abs. 3 Nr. 2 werden nach dem Wort „Stellplätze“ die Worte „und Fahrradabstellanlagen“ eingefügt.
g) In Abs. 3 Nr. 3 werden nach dem Wort „Stellplätze“ die Worte „und Fahrradabstellanlagen“ eingefügt.
h) In Abs. 4 Nr. 1 werden nach dem Wort „Stellplätze“ die Worte „und Fahrradabstellanlagen“ eingefügt.
4. Art. 57 Abs. 1 Nr. 16 wird wie folgt geändert:
a) Nach dem Wort „Fahrradabstellanlagen“ wird ein Komma eingefügt.
b) Nach dem Wort „Fahrradabstellanlagen,“ werden folgende Worte eingefügt:
„die dem Abstellen von Fahrrädern, Lasten- und Spezialfahrrädern dienen,“
§ 4
Änderung des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr in Bayern In Art. 3 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr in Bayern (BayÖPNVG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 30. Juli 1996 (GVBl. S. 336, BayRS 922-1-B), das zuletzt durch § 1 Abs. 367 der Verordnung vom 26. März 2019 (GVBl. S. 98) geändert worden ist, werden nach dem Wort „Fahrräder“ ein Komma sowie die Worte „Lasten- und Spezialfahrräder“ eingefügt.
§ 5
Änderung des Bayerischen Landesplanungsgesetzes
In Art. 6 Nr. 4 S. 9 des Bayerischen Landesplanungsgesetzes (BayLplG) vom 25. Juni 2012 (GVBl. S. 254, BayRS 230-1-W), das zuletzt durch Gesetz vom 23. Dezember 2020 (GVBl. S. 675) geändert worden ist, werden nach dem Wort „Verkehrsmitteln“ die Worte „sowie den Verkehrsmitteln des Umweltverbundes“ eingefügt.
§ 6
Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen
Art. 69 Abs. 4 S. 2 des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEuG) vom 31. Mai 2000 (GVBl. S. 414, 632, BayRS 2230-1-1-K), das zuletzt durch Gesetz vom 23. Juli 2021 (GVBl. S. 432) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:
1. In Nr. 7 wird der Punkt am Ende durch ein Komma ersetzt.
2. Folgende Nr. 8 wird angefügt:
„8. Entwicklung eines schulischen Mobilitätsmanagements.“
§ 7
Inkrafttreten
Dieses Gesetz tritt am […] in Kraft.
Begründung Zu § 1 (Einführung eines Bayerischen Radgesetzes):
A) Allgemeines
Der Freistaat Bayern braucht ein Radgesetz, um die gesetzten Klimaschutzziele im Mobilitätsbereich zu erreichen, die Verkehrssicherheit zu steigern, Lärm- und Abgasbelastung zu senken, Verkehrsflächen innerorts effizienter zu nutzen und um allen Bürgerinnen und Bürgern eine echte Wahlfreiheit zwischen den verschiedenen Verkehrsmitteln zu ermöglichen. Somit ist das Radgesetz perspektivisch als ein Modul eines künftigen Mobilitätsgesetzes zu werten, dass Mobilitätsangebote bedarfsgerecht und den verfügbaren Ressourcen angemessen fördert oder als Grundversorgung räumlich und zeitlich umfassend bereitstellt. Das Konzept „Vision Zero“ hat aus den Vorgaben zum Arbeitsschutz, den Vorgaben der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung sowie aus der Iso-Norm 39001 das Ziel der Verkehrssicherheit übernommen, um Verkehrstote und Schwerverletzte durch geeignete Verkehrsführung, Infrastruktur und Regelungen der Straßenverkehrsordnung zu vermeiden. Dieses vordringliche Anliegen trifft insbesondere die weniger geschützten Verkehrsteilnehmenden auf dem Fahrrad und zu Fuß, die nicht von technischen Vorgaben im Kraftfahrzeugbau profitieren. Hier steht die Staatsregierung in der Pflicht, alle geeigneten Maßnahmen für eine sichere Mobilität der Menschen zu ergreifen.
B) Im Einzelnen
Zu Artikel 1
Festlegung des Gesetzeszwecks, insbesondere die Verankerung der Ziele der „Vision Zero“, also der Verkehrssicherheit, sowie einer Mobilität für Menschen, die möglichst geringe Emissionen und Auswirkungen auf das Klima auslöst.
Die Regelung ist nicht abschließend.
Zu Artikel 2
Im Gesetz verwendete, besondere Fachbegriffe werden definiert. Die BayBO wird gleichzeitig geändert, um den Begriff „Fahrradabstellanlagen“ zu definieren. Das dient der Einheitlichkeit des Begriffs, um auf eine einheitliche Auslegung hinzuwirken. Der Begriff Fußverkehr umfasst neben Zufußgehen auch die Fortbewegung unter Benutzung bestimmter Fortbewegungsmittel gem. § 24 StVO (zum Beispiel Kinderwägen, Rollstühle). Andere motorisierte Fortbewegungsmittel, die nicht unter § 24 StVO fallen, wie zum Beispiel Segways, sind auch vom BayRadG nicht umfasst.
Zu Artikel 3
Artikel 3 stellt zunächst klar, dass die Einhaltung der Klimaziele erklärter Zweck dieses Gesetzes ist und diesen Zielen hohe Priorität zukommt. Ebenfalls ist es der Zweck dieses Gesetzes, Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Luftverschmutzung, insbesondere in dicht besiedelten Gebieten, zu verringern. Dem Verkehrsmittel Fahrrad kommt eine besondere Relevanz innerorts in Städten und Gemeinden, insbesondere auf kurzen und mittleren Distanzen, zu. Die technische Weiterentwicklung der elektrischen Unterstützung (Pedelecs, E-Bikes) lässt eine steigende Bedeutung des Fahrrads beobachten und auch in Zukunft erwarten.
In bestimmten innerörtlichen Zonen, insbesondere Wohngebieten und Ortszentren wird der Vorrang des Umweltverbundes vor motorisiertem Individualverkehr geregelt und damit das Planungsziel einer verkehrssicheren und klimaneutralen Kommune nach dem Leitbild „Stadt der kurzen Wege“ („gemischte Stadtquartiere“) etabliert.
Zu Artikel 4
Insbesondere im ländlichen Raum ist der Umweltverbund auszubauen.
Aufgrund größerer Distanzen ist hier die Abstimmung zwischen ÖPNV und Radverkehr besonders wichtig, zum Beispiel durch Park und Ride-Parkplätze an Bahnhöfen.
Ein- und Auspendelverkehr durch motorisierten Individualverkehr in die bzw. aus den Ballungsräumen soll durch gute Alternativen im Umweltverbund auch im ländlichen Raum verringert werden.
Zu Artikel 5
Die Implementierung der Verkehrssicherheit im Sinne der „Vision Zero“, also das Ziel von Null Verkehrstoten und sinkenden Unfallzahlen im Allgemeinen, zeigt die besondere Relevanz dieses Aspekts auf.
Ziel ist, die aktuell im Verkehr regelmäßig benachteiligten Radfahrenden zu schützen. Dafür werden Handlungsschwerpunkte benannt, die die Träger der Straßenbaulast berücksichtigen sollen. Für die Verkehrssicherheit muss der Verkehr insgesamt – verkehrsträgerübergreifend – betrachtet werden. Durch die Fortschreibung wird eine Anpassung an neue Forschungsergebnisse gewährleistet. Das Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr soll zu einem wirksamen Schutz der „schwächeren Verkehrsteilnehmenden“ zudem mittels Anordnung gegenüber den nachgeordneten Verkehrsbehörden auf eine verstärkte Überwachung und Sanktionierung von Ordnungswidrigkeiten im Verkehr hinwirken. So ist beispielsweise das für Radfahrende besonders gefährliche Parken im Kreuzungsbereich oder das Überholen unter Verletzung des Mindestabstandes bereits nach der StVO sanktioniert. Darum würde bereits die verstärkte Ahndung dieser Ordnungswidrigkeiten die Sicherheit der Radfahrenden erhöhen.
Ebenso ist durch fortschreitende Analysen das Verkehrssicherheitsprogramm immer wieder anzupassen.
Zu Artikel 6
Verkehrssicherheit setzt Bildung und Information schon im Kindesalter voraus. Deshalb soll durch die Polizei gezielt eine frühkindliche Verkehrserziehung angeboten werden, welche in Schulen, Vorschulen und Kindertagesstätten institutionalisiert angeboten wird. Zudem kann die Nationale Plattform der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) genutzt werden, um eine auf Nachhaltigkeit fokussierte Mobilitätsbildung in das allgemeine Schulbildungssystem zu integrieren.
Ebenfalls sollen auch in der Verwaltung des Freistaates Bayern Aus- und Fortbildungen zu diesen Themen angeboten werden.
Zu Artikel 7
Konzepte für die Sicherheit der Schulkinder, insbesondere die Schulwegsicherheit betreffend, müssen passgenau erarbeitet und in Abständen aktualisiert werden.
Zusätzlich werden Gremien für Mobilität an Schulen geschaffen, die vor Ort konkret und lösungsorientiert mit Problemen hinsichtlich der Schulwegsicherheit befasst werden.
Zur Erhöhung der Sicherheit im Bereich des Hol- und Bringverkehrs bietet sich die Schaffung von verkehrsberuhigten Zonen vor Schulen und Kindertagesstätten und definierten Hol- und Bringzonen an, insoweit die StVO dies zulässt.
Zu Artikel 8
Die Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur und -sicherheit soll eine wichtige Bedeutung erhalten und bei jedem Um- und Aus- oder Neubau von Straßen von den zuständigen Trägern besonders beachtet werden. Das bedeutet, dass bei jeder Straßenbaumaßnahme bereits in der Ausschreibungs- und Planungsphase der Rad- und Fußverkehr mit dem Ziel einer Verbesserung der Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur beachtet werden muss. Bei der Bewertung der Angebote im Rahmen der Ausschreibung sollen die meisten Wertungspunkte für die Verbesserung der Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur gegeben werden. Ferner soll verhindert werden, dass eine Radverkehrsanlage abrupt endet.
Mit der Vorschrift zur Sanierung von Radverkehrsanlagen soll dazu beigetragen werden, dass Radverkehrsanlagen in einem guten baulichen Zustand erhalten werden.
Bei dem Ausbau der Rad- und Fußverkehrsinfrastruktur ist der Boden schonend in Anspruch zu nehmen und eine unnötige Flächenversiegelung zu vermeiden.
Zu einer Stärkung des Radverkehrsflusses tragen neben dem Ausbau und einem guten Erhaltungszustand auch die enge Zusammenarbeit mit nicht staatlichen Organisationen bei. Zu den organisierten Interessenvertretungen zählen insbesondere zivilgesellschaftliche Organisationen und Vereine, die sich für die Förderung und den Ausbau des Radverkehrs einsetzen.
Zugleich soll auch das Fußverkehrsnetz aufgewertet werden, um den Umweltverbund im Gesamten zu stärken.
Zu Artikel 9
Anhand der Ziele, die messbar sind, soll überprüft werden können, ob das BayRadG erfolgreich umgesetzt wird und das Fahrrad tatsächlich zu einer echten Alternative für den motorisierten Individualverkehr geworden ist. Bis zum ersten Evaluationszeitpunkt soll hier schon eine signifikante Steigerung des Radverkehrsanteils bei der Verkehrsmittelwahl im Alltag (und auf Transportwegen) erreicht sein, jeweils in ländlichen Regionen und in den Städten. Das Ziel von 25% im Modal Split bis 2030 soll hierfür Mindeststandard sein. Ebenso soll bis dahin eine deutliche Reduktion der Unfallzahlen mit Beteiligung von Radfahrenden nachweisbar sein. Dass dies ein realistisches Ziel ist, zeigt das Beispiel der Niederlande, wo der Anteil bereits im Jahr 2009 bei 27% lag. Weiterhin soll eine Perspektive für die darauf folgenden Dreijahresabschnitte benannt werden.
Zu Artikel 10
Für eine deutliche Erhöhung des Radverkehrsaufkommens und eine Stärkung der Attraktivität sind öffentlichkeitswirksame Maßnahmen von besonderer Bedeutung.
Die Sicherheit der Radfahrenden sowie Fußgängerinnen und Fußgängern ist gerade auch im Zusammenspiel mit dem ÖPNV zu gewährleisten (Häufig unübersichtliche Verkehrslagen im Haltestellenbereich müssen entschärft werden.).
Zu Artikel 11
Die Umsetzung von Art. 3 Abs. 2 S. 1 BayÖPNVG wird durch diese Vorschrift gewährleistet. Die enge Verknüpfung von Radverkehr und ÖPNV ist entscheidend, um den Umweltverbund zu stärken, Synergiepotenziale zu nutzen und den Anteil am Modal Split signifikant zu verändern. Dazu ist auch eine Serviceinfrastruktur aufzubauen, wozu insbesondere Reparaturangebote, Luftpumpen, Ladestationen für E-Bikes und E-Pedelecs, Duschen und Spinde zählen.
Effektive Radverkehrsförderung ist nur möglich, wenn es sichere und wettergeschützte Abstellplätze in ausreichender Zahl gibt. Gute Radwege allein reichen nicht. Fahrräder, insbesondere solche mit elektrischer Unterstützung, werden immer werthaltiger, eine sichere Abstellmöglichkeit umso wichtiger, um eine Alltagsnutzung zu ermöglichen.
Zu Artikel 12
Die Vorschrift dient der weiteren Verbesserung der Radverkehrsinfrastruktur in Hinblick auf Lasten- und Spezialräder. Durch die Verlagerung des Verkehrs auf emissionsarme Alternativen soll die Lärm- und Abgasbelastung reduziert und die gerade in den städtischen Ballungsräumen nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Flächen sollen entlastet werden. Lastenräder werden zunehmend nicht nur von Privatpersonen genutzt, sondern auch in der Mikrologistik von Lieferdiensten und Paketzustelldiensten etc. Diese Vorschrift will dafür die benötigten infrastrukturellen Rahmenbedingungen schaffen.
Die Aufzählung ist – gerade vor dem Hintergrund der ständigen Fortentwicklung neuer Arten von Fahrrädern – nicht abschließend. Jedoch sind nur im Antrieb emissionsfreie Arten von Rädern umfasst.
Zu Artikel 13
Die Informations- und Serviceinfrastruktur des Radverkehrs soll den Radverkehr attraktiver gestalten und Interessierte informieren. Die Inhalte, die sich auf sämtliche vom Begriff der Radverkehrsinfrastruktur umfassten Bereiche beziehen können, sind anschaulich und gut auffindbar aufzubereiten.
Wird Ladeinfrastruktur für motorisierte Fahrzeuge im öffentlichen Raum errichtet, soll diese Ladevorgänge von E-Bikes ermöglichen, soweit dies technisch möglich ist und die Sicherheit der am Verkehr Teilnehmenden nicht beeinträchtigt wird. Dadurch soll nach und nach ein öffentliches Netz an Lademöglichkeiten für Pedelecs/E-Bikes geschaffen werden. Eine Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit kann insbesondere dann vorliegen, wenn aufgrund der örtlichen Verhältnisse durch den Ladevorgang das sichere Fortkommen auf den Rad- oder Fußverkehrsanlagen behindert würde.
Zu Artikel 14
Die Vorschrift enthält Regelungen zur Radverkehrssicherheit bei Baumaßnahmen im öffentlichen Straßenraum und soll verhindern, dass die Radverkehrsanlage abrupt endet und so der Radverkehrsfluss zum Erliegen kommt bzw. der motorisierte oder der Fußverkehr behindert wird. Dabei ist zu prüfen, ob der Radverkehr auf der Fahrbahn, getrennt vom motorisierten Verkehr, geführt werden kann. Maßnahmen für den motorisierten Verkehr, die eine Führung des Radverkehrs auf der Fahrbahn ermöglichen, können in Gestalt von Umleitungsstrecken oder Baustellen-Lichtzeichenanlagen getroffen werden.
Wichtig ist hierbei, stets die Sicherheit der Radfahrenden im Blick zu behalten – sowohl bei der Planung als auch bei der Ausführung der Baumaßnahmen.
Zu Artikel 15
Durch Radschnellverbindungen soll ein sicherer Verkehr auch über längere Strecken mit höherer Geschwindigkeit gewährleistet werden, gewissermaßen als „Autobahnen für den Radverkehr“.
Um die Sicherheit auf diesen Routen zu gewährleisten, sind die Radschnellverbindungen als eigenständige Sonderwege zu gestalten, sodass es weder Kollisionen mit dem Fußverkehr noch mit dem motorisierten Individualverkehr gibt.
Zu Artikel 16
Durch die gezielte Ausweisung von Nebenstraßen als Fahrradstraßen wird der Fahrradverkehr sicherer gestaltet und vom motorisierten Individualverkehr auf den Hauptstraßen getrennt. Hierbei ist auf die realistische Zumutbarkeit der Alternativrouten für den Radverkehr sowie dessen hohe Sensibilität für eine Verlängerung der Wegstrecke zu achten, damit auch wirklich eine sicherere Route genutzt wird.
Neben einer durchgehenden und deutlichen Wegweisung, sollen sowohl Fahrradstraßen als auch sonstige Nebenstraßen im Fahrradroutennetz für alle am Verkehr Teilnehmenden auf den ersten Blick als Bestandteil des Radverkehrsnetzes erkennbar sein, zum Beispiel durch deutliche Beschilderung oder zusätzliche Piktogramme auf den Straßen. Mittels Öffentlichkeitsarbeit werden diese neueren Regelungen der StVO regelmäßig in Erinnerung gerufen beziehungsweise Kfz-Führenden vermittelt, die schon länger im Besitz ihrer Fahrerlaubnis sind.
Wenn möglich und bei weniger befahrenen Streckenabschnitten ist eine bauliche Gestaltung zur Einhaltung der Höchstgeschwindigkeit zu prüfen und umzusetzen, beispielsweise durch Diagonalsperren an Kreuzungen, Poller und Fahrgassenverengungen im Bereich der Zufahrt oder der Fahrradstraßen. Eventuell sind modale Filter oder eine Einbahnstraßenführung so anzulegen, dass der Radverkehr als Teil des Umweltverbunds eine attraktivere und verkehrsberuhigtere Streckenführung erhält.
Zu Artikel 17
Die Öffnung von Einbahnstraßen in die Gegenrichtung verkürzt die Wege für Radfahrende und macht den Radverkehr attraktiver, ebenso wie die Freigabe bestehender Sackgassen für den Radverkehr als Durchgangswege. In den Sackgassen müssen aber die dort vorrangigen Interessen des Fußverkehrs berücksichtigt werden, ggfs. durch zusätzliche Beschilderung.
Zu Artikel 18
Für die Wiedererkennbarkeit der Radwege ist eine einheitliche wegweisende Beschilderung erforderlich.
Momentan orientiert sich die wegweisende Beschilderung für den Radverkehr in Bayern am „Merkblatt zur wegweisenden Beschilderung für den Radverkehr – Ausgabe 1998“ (herausgegeben von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e.V. (FGSV)). Die in diesem Merkblatt empfohlenen Wegweiser sind allerdings keine amtlichen Verkehrszeichen im Sinne der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO).
Der StVO-Status einer Beschilderung ist im Gegensatz zur bisherigen Radwegweisung vorteilhaft. (Zum Beispiel darf die wegweisende Beschilderung mit anderer StVO-Beschilderung kombiniert werden, Nutzung gleicher Pfosten u. a.)
Der amtliche Status der Beschilderung wird in Bayern noch abgelehnt.
Notwendig ist insofern ein Erlass der Staatsregierung entsprechend dem FGSV-Status. Zu diesem Erlass wird die Staatsregierung durch Artikel 18 aufgefordert.
Zu Artikel 19
Diese Regelung sorgt dafür, dass der Zustand der Radverkehrsanlagen stets tadellos ist und dadurch die Sicherheit des Radverkehrs gewährleistet wird.
Zu Artikel 20
Um den Erfolg dieses Gesetzes zu kontrollieren und bewerten zu können, wird eine Evaluierung des Gesetzes vorgesehen. Es sollen eine Perspektive und Zielvorgaben für die darauf folgenden Dreijahresabschnitte benannt werden.
Zu § 2 (Änderung des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes) Änderung des Art. 3 Abs. 1 Nr. 1, um klarzustellen, dass zu den Staatsstraßen auch die Radschnellverbindungen des Freistaates gehören. Änderung des Art. 9 Abs. 3: Bei der Beleuchtung handelt es sich in der Regel um eine Aufgabe der Daseinsvorsorge. Für die Radschnellverbindungen des Landes wird sie nunmehr dem Träger der Straßenbaulast zugeordnet.
Änderung des Art. 36 Abs. 1: Zur Beschleunigung der Errichtung von Radschnellverbindungen soll die Errichtung hiervon nur dann ein neues Planfeststellungsverfahren erforderlich machen, wenn die Radschnellverbindung zu Änderungen am Verlauf oder dem Baukörper der Staat straße führt. Wird hingegen lediglich neben der Straße eine neue Radschnellverbindung errichtet, dann soll diese nicht planfeststellungsbedürftig sein.
Zu § 3 (Änderung der Bayerischen Bauordnung)
Die BayBO wird insbesondere zur einheitlichen Auslegung der Begriffe geändert. Zudem soll die Sicherheit des Radverkehrs auch ein relevanter Belang sein, auf den im Rahmen der Bauausführung zu achten ist.
Zu § 4 (Änderung des Gesetzes über den öffentlichen Personennahverkehr)
Änderung des BayÖPNVG, um die Zusammenwirkung zwischen ÖPNV und Radverkehr zu gewährleisten Bau von Fahrradabstellanlagen an Haltestellen, um einen Pendelverkehr zu ermöglichen.
Zu § 5 (Änderung des Bayerischen Landesplanungsgesetzes) Die Verkehrsmittel des Umweltverbundes sollen in Gesamtheit als Grundsatz der Landesplanung bei der Aufstellung des Landesentwicklungsprogramms und der Regionalpläne berücksichtigt werden.
Zu § 6 (Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen)
Mit dieser Änderung wird die Entwicklung des schulischen Mobilitätsmanagements an Schulforen übertragen, sofern diese an den jeweiligen Schulen eingerichtet sind.
II.
4
Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration hat am 10. März 2023 gemäß Art. 64 Abs. 1 Satz 1 LWG die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs beantragt, weil es die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens nicht für gegeben erachtet. Dieses sei mit Art. 73 BV nicht vereinbar (1.). Zudem fehle dem Landesgesetzgeber für einzelne Regelungen im geplanten Bayerischen Radgesetz (BayRadG-E) die Gesetzgebungsbefugnis (2.). Daher könne dahingestellt bleiben, ob der Volksbegehrensentwurf darüber hinaus den aus Art. 74 Abs. 2 i. V. m. Art. 7 Abs. 2 BV folgenden Begründungsanforderungen genüge (3.).
5
1. Nach Art. 73 BV finde über den Staatshaushalt kein Volksentscheid statt. Danach seien Volksbegehren nicht nur über die Haushaltsgesetzgebung als solche, sondern auch dann unzulässig, wenn sie finanzwirksame sachpolitische Anliegen zum Gegenstand hätten und bei wertender Gesamtbetrachtung zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des Budgetrechts des Parlaments führen könnten. Das sei bei dem beantragten Volksbegehren der Fall.
6
a) Das Volksbegehren verfolge ein finanzwirksames fachpolitisches Anliegen. Es strebe eine Erhöhung des Radverkehrsanteils am Gesamtverkehr an und sehe hierzu u. a. verschiedene rechtliche Verpflichtungen der Straßenbaulastträger zum Ausbau und zu Verbesserungen des Rad- und Fußverkehrsnetzes vor, zu deren Erfüllung nach Art. 78 Abs. 2 BV die erforderlichen Mittel im Haushaltsplan einzustellen wären. Für Inhalt und Tragweite des angestrebten Bayerischen Radgesetzes sei von ganz wesentlicher Bedeutung, ob und inwieweit die Straßenbaulastträger zum weiteren Ausbau des Rad- und Fußverkehrsnetzes verbindlich verpflichtet werden sollten. Gleiches gelte auch für die Frage, ob diese Verpflichtungen unter einem Haushaltsvorbehalt stehen sollten. Dabei müssten die Bürger Inhalt und Tragweite des Volksbegehrens aus dem Gesetzentwurf im Zusammenhang mit dessen Begründung erkennen können. Vor diesem Hintergrund könnten die Muss- und Soll-Vorschriften des angestrebten Bayerischen Radgesetzes, die nach ihrem Wortlaut und den mit ihnen erklärtermaßen verfolgten Zielen auf die Veranlassung und Durchführung bestimmter ausgabenverursachender Maßnahmen zum Ausbau und zur Verbesserung des Rad- und Fußverkehrsnetzes gerichtet seien, nicht als bloße Programm- oder Zielbestimmungen verstanden werden, die noch nicht zu konkreten Maßnahmen verpflichten sollten.
7
aa) Auch Soll-Vorschriften seien nach allgemeinem Verständnis darauf gerichtet, dass die mit ihnen intendierten Maßnahmen in der Regel durchzuführen seien und nur bei atypischen Umständen hiervon Abstand genommen werden könne. Die rechtliche Verbindlichkeit solcher Vorschriften werde auch nicht dadurch infrage gestellt, dass bei ihrer Anwendung und Auslegung ein gewisser Einschätzungs- oder Beurteilungsspielraum hinsichtlich Art, Umfang und Zeitpunkt der zu ergreifenden Maßnahmen verbleibe. Das angestrebte Bayerische Radgesetz enthalte verschiedene Muss- und Soll-Vorschriften, die sich ausdrücklich oder der Sache nach an die zuständigen Baulastträger richteten und von ihnen den weiteren Ausbau des Rad- und Fußverkehrsnetzes verlangten. Diese rechtlichen Verpflichtungen könnten und sollten auch zur Erreichung des im Gesetz ausdrücklich erklärten Ziels, den Radverkehrsanteil am Gesamtverkehr bis zum Jahr 2030 auf 25% zu erhöhen, wesentlich beitragen. Für die Annahme, dass diese Vorschriften lediglich eine allgemeine Programm- oder Zielsetzung zum Ausdruck bringen, aber noch nicht zu konkreten Maßnahmen verpflichten sollten, fehlten hinreichende Anhaltspunkte.
8
bb) Ein Haushaltsvorbehalt sei weder im Gesetzentwurf ausdrücklich normiert noch als der Sache nach vorausgesetzt oder auch nur in der Begründung angesprochen. Auch sonst ließen sich für die Annahme, dass die Erfüllung der Verpflichtungen des angestrebten Bayerischen Radgesetzes insgesamt oder auch nur in Bezug auf einzelne Vorschriften unter einem Haushaltsvorbehalt stehen sollte, keine hinreichenden Anhaltspunkte finden.
9
cc) Auf das parlamentarische Budgetrecht nähmen die Regelungen auch dann Einfluss, wenn sie Straßenbauprojekte verteuerten, indem sie an ihre Verwirklichung erhöhte Anforderungen stellten oder im Fall ihrer Verwirklichung die Durchführung weiterer Maßnahmen, etwa den Bau von Radwegen, verlangten. Dies gelte auch dann, wenn der Bau der Straße selbst unter einem Haushaltsvorbehalt stehe, zumal die Verwirklichung von Straßenbauprojekten auch der Erfüllung rechtlicher Verpflichtungen, etwa Verkehrssicherungspflichten, dienen könne.
10
dd) Eine Pflicht zur Bereitstellung von Haushaltsmitteln ergebe sich schließlich nicht nur im Hinblick auf die den Staat als Straßenbaulastträger treffenden Verpflichtungen, sondern auch insoweit, als sich die Regelungen des angestrebten Bayerischen Radgesetzes an die Kommunen als Straßenbaulastträger richteten und der Staat für die hierdurch bei den Kommunen verursachten zusätzlichen Ausgaben einen finanziellen Ausgleich nach Art. 83 Abs. 3 und 6 BV schaffen müsste. Das dort normierte Konnexitätsprinzip gelte auch dann, wenn mit einem Volksbegehren eine Regelung herbeigeführt werden solle, durch die der Staat den Gemeinden oder Gemeindeverbänden Aufgaben übertrage, sie zur Erfüllung von Aufgaben im eigenen Wirkungskreis verpflichte oder besondere Anforderungen an die Erfüllung bestehender oder neuer Aufgaben stelle. Erfasst sei auch die Setzung von Standards, die einen spezifischen Bezug zur gemeindlichen Aufgabenerfüllung aufwiesen. Danach müsse zwar der Volksbegehrensentwurf nicht schon selbst eine explizite Kostendeckungsregelung oder eine Regelung über einen finanziellen Mehrbelastungsausgleich enthalten. Auswirkungen auf den Staatshaushalt könnten sich aber gleichwohl im Hinblick darauf ergeben, dass die vorgeschlagenen Regelungen des Volksbegehrens letztlich zu Konnexitätsverpflichtungen führten.
11
ee) Im Einzelnen sähen insbesondere folgende Regelungen des beabsichtigten Bayerischen Radgesetzes rechtliche Verpflichtungen vor, deren Erfüllung Ausgaben verursachen würde, für die Mittel im Haushaltsplan einzustellen wären:
12
(1) Ausbau des Zubringerverkehrs nach Art. 4 Abs. 1 BayRadG-E,
(2) Neuanlage der Radverkehrsführung beim Neu-, Um- oder Ausbau einer Landesstraße nach Art. 8 Abs. 2 Satz 1 BayRadG-E,
(3) Sanierung von Radverkehrsanlagen nach Art. 8 Abs. 2 Satz 2 i. V. m. Art. 19
BayRadG-E,
(4) Prüfung und Umsetzung baulich sicherer Rad- und Verkehrsführungen im Zusammenhang mit Straßensanierungen nach Art. 8 Abs. 4 BayRadG-E,
(5) Durchgängige Fußverkehrsnetze innerhalb von Ortslagen nach Art. 8 Abs. 7
BayRadG-E,
(6) Sichere Radverkehrsanlagen bei der Umgestaltung von Verkehrsknotenpunkten nach Art. 10 Abs. 2 BayRadG-E,
(7) Berücksichtigung der Bedürfnisse von Lastenrädern, Spezialfahrrädern und Rädern mit Anhängern bei Bau, Ausbau und Sanierung von Radverkehrs- und Fahrradabstellanlagen nach Art. 12 BayRadG-E,
(8) Bauliche Gestaltung von Fahrradstraßen nach Art. 16 Abs. 2 Satz 2
BayRadG-E,
(9) Bau von Fahrradabstellanlagen nach Art. 11 BayRadG-E.
13
b) Die Höhe der Mittel, die allein für die Umsetzung der genannten rechtlichen Verpflichtungen im Haushalt bereitzustellen wären, würde bei einer Gesamtbetrachtung zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des parlamentarischen Budgetrechts führen. Zum Umfang der dafür bereitzustellenden Mittel enthalte das beantragte Volksbegehren selbst keine Aussagen. Auch wenn sich der Mittelbedarf nicht exakt beziffern lasse, könne doch zumindest die Größenordnung im Rahmen möglichst realitätsnaher Annahmen sowie unter Berücksichtigung von Erfahrungswerten geschätzt werden. Einer solchen Schätzung könnten die durchschnittlichen Kosten für den Bau und die Sanierung von Rad- und Gehwegen und für die Umgestaltung von Verkehrsknotenpunkten zugrunde gelegt werden. Für Maßnahmen in der Straßenbaulast der Kommunen dürften bisherige Zuwendungsanträge einen Anhaltspunkt für den nach dem Konnexitätsprinzip auszugleichenden Mehraufwand liefern.
14
Vor diesem Hintergrund lasse sich nach Einschätzung des Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr der Mittelbedarf für den Ausbau des Zubringerverkehrs (1) auf ca. 82 Mio. Euro pro Jahr hinsichtlich der davon vorwiegend betroffenen Gemeinden und Landkreise schätzen; hinsichtlich Staatsstraßen sei von etwa 43 Mio. Euro auszugehen. Für die in Art. 8 Abs. 2 Satz 1 BayRadG-E angestrebte kreuzungsfreie Verkehrsführung bei Landesstraßen (2) beliefen sich die Kosten unter vorsichtigen Annahmen auf jährlich gut 3 Mio. Euro. Für die sich aus Art. 19 BayRadG-E ergebende Pflicht, Radwege zu sanieren, wenn ihr Zustand dies erfordere (3), sei im Hinblick auf den von der Begründung des Volksbegehrens geforderten „tadellosen“ Zustand hinsichtlich Staatsstraßen mit Kosten in Höhe von 16,4 Mio. Euro jährlich zu rechnen, in Bezug auf Kreisstraßen in Höhe von 12 Mio. Euro; hinzu kämen die nicht zuverlässig schätzbaren Kosten für die Sanierung von Radwegen, die in der Baulast der Gemeinden liegen. Für die Prüfung und Umsetzung baulich sicherer Rad- und Verkehrsführungen im Zusammenhang mit Straßensanierungen (4) sei mit jährlichen Kosten für Staatsstraßen in Höhe von 28 Mio. Euro zu rechnen, im Hinblick auf Straßen in der Baulast der Kommunen von 66 Mio. Euro. Bezüglich der durchgängigen und direkten Führung von Gehwegen, die ausreichend breit, sicher und durchgängig barrierefrei sein sollen (5), seien die im Haushalt einzustellenden Mittel auf 60 Mio. Euro im Jahr zu veranschlagen. Auch unter der einschränkenden Annahme, dass sich die Verpflichtung zur Einrichtung und Anpassung von Radverkehrsanlagen an Verkehrsknotenpunkten (6) nur auf die Umgestaltung von Kreuzungen mit entsprechender verkehrlicher Bedeutung beziehen solle, sei mit jährlichen Kosten in Höhe von 7,5 Mio. Euro zu rechnen. Die nach Art. 12 BayRadG-E zu berücksichtigenden Bedürfnisse des Einsatzes von Lastenrädern, Spezialfahrrädern und Fahrrädern mit Anhängern (7) beträfen vor allem ihren größeren Raumbedarf, sodass bestehende Radwege verbreitert und neu zu bauende Radwege von vornherein breiter angelegt werden müssten, was zu jährlichen Kosten von mindestens 30 Mio. Euro führe.
Zur baulichen Gestaltung von Fahrradstraßen für die Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (8) komme etwa das Anbringen von Nasen-Randsteinen, Diagonalsperren, Pollern oder Fahrbahnverengungen in Betracht, wofür die Kosten stark divergieren dürften. Im Mittel erscheine eine Summe von insgesamt ca. 6 Mio. Euro jährlich realistisch. Auch wenn für eine Gesamtschätzung der Kosten für die Errichtung von Fahrradabstellanlagen (9) teilweise Daten nicht vorhanden seien, könne allein der Investitionsbedarf bezüglich der Ausstattung von Gebäuden der öffentlichen Verwaltung, der Justiz und Hochschulen auf über 2 Mio. Euro geschätzt werden.
15
Allein diese bezifferten Kosten für den Freistaat Bayern – einerseits als Träger der Straßenbaulast und andererseits als Ausgleichspflichtiger für den bei den Kommunen durch zusätzlich verlangte Standards und bauliche Vorgaben verursachten Aufwand – würden zu einer zusätzlichen Ausgabenlast von über 350 Mio. Euro im Jahr führen, davon rd. 30 Mio. Euro nur für die notwendigen Radwegesanierungen und rd. 94 Mio. Euro für sichere Rad- und Verkehrsführungen im Zusammenhang mit Straßensanierungen. Die geschätzte Gesamtbelastung von 350 Mio. Euro würde ausgehend vom Gesamthaushaltsvolumen des Freistaates Bayern im Jahr 2022 bzw. (im Entwurf) 2023 einem Anteil am Gesamthaushalt von knapp unter 0,5% entsprechen; allein die zuletzt genannten Ausgaben von über 120 Mio. Euro pro Jahr würden einen Anteil am Gesamthaushalt von rd. 0,17% ausmachen. Ein solches Ausgabevolumen führe unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs zu einer wesentlichen Beeinträchtigung des parlamentarischen Budgetrechts, zumal diese Kosten den Haushalt nicht nur einmalig, sondern dauerhaft bzw. über mehrere Jahre belasten würden. Der Haushaltsgesetzgeber sei daher für einen längeren Zeitraum gebunden, seine Prioritätensetzung zugunsten von Haushaltsmitteln für den Bau von Radverkehrsanlagen in der entsprechenden Größenordnung vorzusehen.
16
2. Der Landesgesetzgeber habe darüber hinaus für die Bestimmungen in Art. 3 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 bis 3, Art. 7 Abs. 1, Art. 10 Abs. 4 und 5 Satz 3,Art. 15 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 1, Art. 17 und 18 BayRadG-E keine Gesetzgebungskompetenz.
17
a) Straßenverkehrsrechtliche Regelungen seien Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22, Art. 72 Abs. 2 GG, die sich u. a. auf den Straßenverkehr erstrecke. Der Bund habe mit dem Erlass des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) und insbesondere der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) abschließend von seiner Gesetzgebungsbefugnis für den Bereich des Straßenverkehrs Gebrauch gemacht. In einem solchen Fall entfalte das Bundesgesetz grundsätzlich Sperrwirkung für die Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG. Diese trete unabhängig davon ein, ob die landesrechtlichen Regelungen den bundesrechtlichen Bestimmungen widerstritten oder sie nur ergänzten, ohne ihnen zu widersprechen. Zu einem erkennbar gewordenen Willen des Bundesgesetzgebers, zusätzliche Regelungen auszuschließen, dürfe sich ein Landesgesetzgeber nicht in Widerspruch setzen, selbst wenn er das Bundesgesetz wegen des Fehlens von Regelungen für unzureichend halte.
18
b) Folgende Regelungen des Volksbegehrensentwurfs seien ihrem Inhalt nach als straßenverkehrsrechtliche Vorschriften zu qualifizieren, für welche die Länder aufgrund der insoweit abschließenden Bundesregelungen keine Befugnis zur Gesetzgebung hätten:
19
aa) Art. 3 Abs. 2 BayRadG-E sehe in ausgewiesenen Wohnquartieren sowie in Ortszentren als ausgewiesenen Quartieren einen generellen Vorrang für die Verkehrsmittel des Umweltverbundes vor dem motorisierten Individualverkehr vor. Der Wortlaut der Vorschrift lege entgegen der Begründung nahe, dass das Verhältnis verschiedener Verkehrsmittel im fließenden Verkehr zueinander geregelt werden solle; eine bundesrechtskonforme Auslegung dahingehend, dass damit ausschließlich ein Planungsziel verfolgt werde, begegne im Rahmen der Prüfung eines Volksbegehrensentwurfs durchgreifenden Bedenken.
20
bb) Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 und Art. 7 Abs. 1 BayRadG-E beträfen mit den grundlegenden Verhaltensanforderungen an die Verkehrsteilnehmer und der geplanten Einführung „verkehrsberuhigter Zonen“ „nach Maßgabe der StVO“ die Sicherheit im Straßenverkehr und damit ebenfalls eine straßenverkehrsrechtliche Materie. Dem Landesgesetzgeber sei es verwehrt, die Grundregeln des § 1 StVO gesetzlich zu wiederholen oder zu präzisieren. Die Anordnung verkehrsberuhigender Maßnahmen nach Maßgabe der Straßenverkehrs-Ordnung, beispielsweise durch die verkehrsrechtliche Anordnung von Geschwindigkeitsbeschränkungen, liege gemäß § 45 StVO im pflichtgemäßen Ermessen der Straßenverkehrsbehörden. In dieses den Straßenverkehrsbehörden bundesrechtlich zugewiesene Ermessen dürfe der Landesgesetzgeber auch nicht lenkend („soll“) eingreifen.
21
cc) Art. 10 Abs. 4 BayRadG-E zur Errichtung eines Schutzstreifens für Radfahrende bei erlaubten Höchstgeschwindigkeiten von mehr als 30 km/h stelle eine straßenverkehrsrechtliche Maßnahme mit Umsetzung durch das entsprechende Verkehrszeichen dar. Die Anordnung solcher Verkehrsregelungen auf der Grundlage der Straßenverkehrs-Ordnung obliege den Straßenverkehrsbehörden; der Landesgesetzgeber sei nicht befugt, hierzu eigene, in dieses bundesrechtlich zugewiesene Ermessen eingreifende Regelungen zu treffen. Art. 10 Abs. 5 Satz 3 BayRadG-E betreffe Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen, die ebenfalls Bestandteil des bundesrechtlich erschöpfend geregelten Straßenverkehrsrechts seien (§§ 36 ff. StVO). Dem Landesgesetzgeber sei es verwehrt, insoweit eigene Regelungen zu schaffen, zumal Anlage 2 zur StVO kein Hinweiszeichen vorsehe, mit dem auf den Vorrang des Fußverkehrs bei der Mitbenutzung von Gehwegen durch den Radverkehr hingewiesen werde. Bestehe ein gemeinsamer Geh- und Radweg, gelte das Gebot gegenseitiger Rücksichtnahme nach § 1 Abs. 1 StVO.
22
dd) Art. 15 Abs. 2 BayRadG-E betreffe eine Regelung zur Wegeführung von Radschnellverbindungen unter anderem über Fahrradstraßen und Radfahrstreifen. Solche Anordnungen dienten der Sicherheit und Leichtigkeit des (Fahrrad-)Verkehrs; Radschnellwege würden durch Anbringen des Zeichens 350.1 der Anlage 3 zur StVO durch die zuständige Straßenverkehrsbehörde angeordnet, Fahrradstraßen (Zeichen 244.1) und Radfahrstreifen (Zeichen 237) durch verkehrsrechtliche Anordnungen gekennzeichnet. Die Regelungen seien damit als straßenverkehrsrechtliche Maßnahmen zu qualifizieren, wofür vor dem Hintergrund des abschließenden Charakters des bundesrechtlichen Straßenverkehrsrechts kein Raum sei.
23
ee) Art. 16 Abs. 2 Satz 1 BayRadG-E lege fest, dass in ausgewiesenen Fahrradstraßen der motorisierte Individualverkehr mit Ausnahme des Anwohner- und Lieferverkehrs unterbleiben solle. Solche Straßen dürfe nach den bundesrechtlichen Vorgaben anderer Fahrzeugverkehr als Radverkehr sowie Elektrokleinstfahrzeuge im Sinn der Elektrokleinstfahrzeuge-Verordnung (eKFV) nicht benutzen, es sei denn, dies sei durch Zusatzzeichen erlaubt. Die Zulassung anderweitiger Verkehre sowie ein Unterbleiben der Zulassung seien damit straßenverkehrsrechtlicher Natur und lägen wiederum in der Verantwortung der jeweils zuständigen Straßenverkehrsbehörde. Zu einer die bundesrechtlichen Vorgaben präzisierenden Regelung, die zudem lenkend in die von der Straßenverkehrsbehörde zu treffende verkehrsregelnde Entscheidung eingreifen würde, sei der Landesgesetzgeber nicht befugt.
24
ff) Die in Art. 17 Abs. 1 BayRadG-E geplante generelle Öffnung von Einbahnstraßen auch in Gegenrichtung für den Straßenverkehr sei straßenverkehrsrechtlicher Natur, da sie die Leichtigkeit des (Fahrrad-)Verkehrs betreffe. Sie widerspreche im Übrigen der in der Straßenverkehrs-Ordnung durch Zeichen 220 abschließend geregelten Beschilderung von Einbahnstraßen. Eine ausnahmslose Eröffnung stünde zudem in Widerspruch zu § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO, der eine personenbezogene Ausnahme von der durch das Zeichen 220 angeordneten Fahrtrichtung nur in begrenzten Ausnahmefällen zulasse. Überdies seien die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Zulassung von Radverkehr in Gegenrichtung situations- bzw. ortsbezogen bundeseinheitlich in Nrn. 4 ff. zu Zeichen 220 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) festgeschrieben.
25
Die in Art. 17 Abs. 2 Satz 2 BayRadG-E enthaltene Vorgabe, dass die Öffnung von Sackgassen für den Radverkehr durch Beschilderung und Markierung zu kennzeichnen sei, setze die Verwendung von Verkehrszeichen nach der Straßenverkehrs-Ordnung und damit den Erlass einer verkehrsrechtlichen Anordnung voraus. Auch zu einer solchen, die Straßenverkehrsbehörden im Vollzug der Straßenverkehrs-Ordnung betreffende Regelung sei der Landesgesetzgeber nicht befugt.
26
gg) Art. 18 BayRadG-E sehe kompetenzrechtlich unzulässig vor, dass die wegweisende Radwegebeschilderung im Freistaat Bayern nach der Beschilderung im Sinn der Straßenverkehrs-Ordnung zu erfolgen habe und durch die zuständige Straßenverkehrsbehörde verkehrsrechtlich anzuordnen sei. In der Gesamtschau liege die Annahme nahe, dass diese Beschilderung mit den bundesrechtlich vorgegebenen amtlichen gelben Wegweisern und Vorwegweisern für bestimmte Verkehrsarten verkehrsrechtlich anzuordnen wäre. Eine so verstandene amtliche wegweisende Radwegbeschilderung sei kompetenzrechtlich nicht zulässig. Soweit nach der – vom Normtext inhaltlich abweichenden – Gesetzesbegründung die Staatsregierung aufgefordert werden solle, durch Erlass die wegweisende Beschilderung in den Status einer amtlichen Beschilderung nach der StraßenverkehrsOrdnung zu heben, bestehe ebenfalls keine Befugnis. Es sei der Verwaltung verwehrt, anstelle des Bundesgesetzgebers nichtamtliche Wegweiser zu amtlichen Verkehrszeichen im Sinn der Straßenverkehrs-Ordnung zu erheben.
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3. Es könne dahingestellt bleiben, ob die nach Art. 74 Abs. 2 i. V. m. Art. 7 Abs. 2 BV aus der Abstimmungsfreiheit resultierenden Anforderungen an die Begründung des Volksbegehrens erfüllt wären. Zur Wahrung der Abstimmungsfreiheit müssten die Stimmberechtigten bereits aus dem Gesetzentwurf und seiner Begründung die Auswirkungen des begehrten Regelungsvorschlags, insbesondere die beabsichtigten Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage überblicken können, um dessen Vor- und Nachteile abwägen zu können. Es sei jedenfalls zweifelhaft, ob der Volksbegehrensentwurf diesen Anforderungen genüge. Den Unterzeichnern des Volksbegehrensentwurfs werde nicht mitgeteilt, welche Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage im Bereich des Radwegebaus mit den vorgeschlagenen Regelungen verbunden wären. Auch die Begründung zur Verkehrssicherheit und -erziehung lasse nicht erkennen, inwiefern sich hierdurch Änderungen zu bisherigen Vorgaben ergeben würden.
28
a) Der Volksbegehrensentwurf enthalte eine Reihe von gesetzlichen Verpflichtungen zum Neu-, Um- und Ausbau des Fuß- und Radverkehrsnetzes (etwa Art. 4 Abs. 1 Satz 2, Art. 8 Abs. 2 und 7, Art. 19 BayRadG-E) sowie zum Bau von Fahrradabstellanlagen und der dazugehörigen Serviceinfrastruktur (Art. 11 BayRadG-E). In der Begründung des Gesetzentwurfs würden die geplanten Maßnahmen dabei – überwiegend sehr kurz – erläutert, ohne dass darauf eingegangen werde, inwiefern sich hieraus Änderungen gegenüber der bisherigen Rechtslage ergäben. Dies geschehe insbesondere auch nicht im Hinblick auf die gesetzlich im Bayerischen Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (BayGVFG) und im Bayerischen Finanzausgleichsgesetz (BayFAG) festgeschriebenen Fördermöglichkeiten für die Kommunen beim Bau und der Sanierung von Rad- und Fußwegen sowie den verschiedenen vom Freistaat Bayern aufgelegten und auch öffentlich bekanntgemachten Förderprogrammen.
29
b) Nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 BayRadG-E solle die Bayerische Staatsregierung ein Verkehrssicherheitsprogramm mit Handlungsschwerpunkten und -hinweisen aufstellen. In der Begründung werde hierzu lediglich ausgeführt, dass durch fortschreitende Analysen das Verkehrssicherheitsprogramm immer wieder anzupassen sei. Die Begründung gehe jedoch nicht darauf ein, dass es bereits ein gemeinsames Verkehrssicherheitsprogramm des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration sowie des Staatsministeriums für Wohnen, Bau und Verkehr gebe (Verkehrssicherheitsprogramm 2030 „Bayern mobil – sicher ans Ziel“), dessen wesentlicher Bestandteil insbesondere Maßnahmen für einen sicheren Fuß- und Radverkehr seien. Im Hinblick auf die in Art. 6 und 7 BayRadG-E vorgesehenen Regelungen zur Bildung und schulischen Verkehrserziehung bzw. zum schulischen Mobilitätsmanagement werde nicht ausgeführt, dass die Verkehrserziehung bereits jetzt als fächerübergreifendes Bildungs- und Erziehungsziel in den Lehrplänen aller Schularten verankert sei. Zudem werde insbesondere außer Acht gelassen, dass im Bereich der Grundschulen und der Grundschulstufen der Förderschulen zahlreiche Kompetenzerwartungen und Inhalte zur Verkehrserziehung in allen vier Jahrgangsstufen ausgewiesen seien.
III.
30
1. Die Beauftragte des Volksbegehrens beantragt, das Volksbegehren zuzulassen. Es verstoße nicht gegen Art. 73 BV (a)). Der Landesgesetzgeber verfüge auch über die erforderliche Gesetzgebungskompetenz für sämtliche Bestimmungen (b)). Ob die Frage der ordnungsgemäßen Begründung Teil des Prüfungsgegenstands des Verfassungsgerichtshofs sei, sei fraglich; jedenfalls würden die Begründungsanforderungen an ein Volksbegehren vorliegend gewahrt (c)).
31
a) aa) Das beantragte Volksbegehren sei schon nicht vom Regelungsumfang des Art. 73 BV umfasst, da es sich nicht auf den „Staatshaushalt“ im Sinn dieser Vorschrift beziehe. Dieser Begriff sei nach vorzugswürdiger Ansicht eng auszulegen. Die bisherige weite Auslegung durch den Verfassungsgerichtshof, wonach die Gesamtheit der Einnahmen und Ausgaben des Staates unter den Begriff des Staatshaushalts zu fassen seien, bedürfe im Hinblick auf die Grundentscheidung des Verfassungsgebers, plebiszitäre Elemente einzuführen und diese gleichrangig zum parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren zu bewerten, der Korrektur. Bei zutreffender Auslegung würden nur solche Volksbegehren und Volksentscheide von Art. 73 BV umfasst, die sich auf das formelle Haushaltsgesetz und den Haushaltsplan bezögen.
32
bb) Selbst wenn eine weite Auslegung des Art. 73 BV zugrunde gelegt werde, sei die Norm nicht verletzt. Denn auch dann sei Voraussetzung, dass das beantragte Volksbegehren tatsächlich finanzielle Auswirkungen habe und ein finanzwirksames sachpolitisches Anliegen vorliege. Dies sei hier nicht der Fall.
33
Gesetzentwürfe könnten nur dann als sonstige finanzwirksame Gesetzesvorhaben eingeordnet werden, wenn sie in der Praxis vollzogen würden und dabei unmittelbar Kosten entstünden. Die finanziellen Auswirkungen müssten Folge eines konkreten inhaltlichen Regelungsvorschlags sein. Eine bloß mittelbare Kostenauswirkung könne nicht ausreichen.
34
Kein Regelungsvorschlag des Volksbegehrens sei verpflichtender Natur. Es würden keine festen Beträge oder Investitionssummen genannt, keine konkreten Haushaltsposten allokiert und kein konkreter Zeitraum zur Realisierung etwaiger Maßnahmen vorgegeben. Die Letztentscheidung über Art und Umsetzung der Zielmaßnahmen bleibe stets dem Bayerischen Landtag als Haushaltsgesetzgeber vorbehalten. Zudem stünden sämtliche Regelungsvorschläge unter der bloßen Zielvorgabe, den Radverkehrsanteil an der Verkehrsmittelwahl auf mindestens 25% bis zum Jahr 2030 zu steigern.
35
(1) Entgegen den Ausführungen des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration würden die Träger der Straßenbaulast zum weiteren Ausbau des Rad- und Fußverkehrsnetzes nicht verbindlich verpflichtet, was sich klar und verständlich aus dem Wortlaut und Gesamtzusammenhang der Regelungsvorschläge ergebe, sodass die Abstimmungsfreiheit der Abstimmenden gewährleistet sei. Die Soll- und vereinzelten Muss-Vorschriften dürften nicht zulasten der Beauftragten des Volksbegehrens als verbindliche und verpflichtende Maßnahmen interpretiert werden. Es handle sich hierbei um Zielbestimmungen und Regelungsmöglichkeiten, deren verbindliche Umsetzung noch ausstehe und die lediglich taugliches Mittel sein könnten, den Radverkehrsanteil zu erhöhen.
36
(2) Die Regelung eines gesonderten Haushaltsvorbehalts sei in einem Volksbegehren nicht erforderlich. Dessen Zulässigkeitsgrenzen ergäben sich allein aus der Bayerischen Verfassung, als Zulässigkeitshürde sei neben der allgemeinen Vereinbarkeit mit den zentralen Staatstrukturprinzipien und den Grundrechten insbesondere Art. 73 BV zu nennen. Eine zusätzliche Verpflichtung, einzelne Regelungen unter einen Haushaltsvorbehalt zu stellen, bestehe nicht und lasse sich auch aus dem Haushaltsrecht nicht herleiten. Im Übrigen ergebe sich aus dem geplanten Bayerischen Radgesetz selbst, dass die Regelungsvorschläge nicht verpflichtend und verbindlich umzusetzen seien und die Letztentscheidung weiterhin beim Parlament als Haushaltsgesetzgeber liege.
37
(3) Eine mittelbare Verteuerung, die aufgrund der Erweiterung der Verkehrssicherungspflichten und durch eine allgemeine Verteuerung von Straßenprojekten entstehe, könne nicht das Vorliegen eines finanzwirksamen sachpolitischen Anliegens begründen. Vielmehr müssten die Kosten unmittelbar durch eine konkrete inhaltliche Regelung des beantragten Volksbegehrens verursacht worden sein. Der Maßstab des Staatsministeriums sei zu streng und nivelliere die zentrale Rolle der Volksgesetzgebung in der Bayerischen Verfassung.
38
(4) Eine Verletzung des Konnexitätsprinzips nach Art. 83 Abs. 3 BV sei nicht gegeben. Soweit das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration in seiner Berechnung Kosten berücksichtige, die den Gemeinden entstünden, sei das unzulässig. Unter Staatshaushalt im Sinn des Art. 73 BV sei nur der Haushalt des Freistaates Bayern zu verstehen, nicht aber Körperschaftshaushalte wie die der Gemeinden und Gemeindeverbände, die eigenständig neben dem Staatshaushalt stünden. Selbst wenn für die Gemeinden und Gemeindeverbände durch die Regelungen des beantragten Volksbegehrens zusätzliche Ausgaben entstünden, die der Staat nach Art. 83 Abs. 3 und 6 BV zumindest teilweise ausgleichen müsste, sei keine Verletzung des Art. 73 BV gegeben. Zudem fehle es vorliegend an der rechtlichen Verpflichtung zu einem solchen Ausgleich. Die Gemeinden seien bereits Träger der Straßenbaulast, es würden ihnen weder neue Aufgaben übertragen noch besondere Anforderungen an die Erfüllung bestehender oder neuer Aufgaben gestellt. Eine besondere Anforderung im Sinn des Art. 83 Abs. 3 BV liege vor, wenn sie nur für die gemeindliche Aufgabenerfüllung vom Gesetzgeber gestellt würde, nicht auch für die Erfüllung durch staatliche Stellen. Im vorliegenden Gesetzentwurf würden grundsätzlich sämtliche Träger der Straßenbaulast adressiert und damit gleichbehandelt. Daher dürften sämtliche Kosten des beantragten Volksbegehrens, die das Staatsministerium im Rahmen seiner Kostenaufstellung bei den Gemeinden und Landkreisen verorte, bei der Berechnung nicht berücksichtigt werden.
39
cc) Jedenfalls liege durch das beantragte Volksbegehren keine wesentliche Beeinträchtigung des Budgetrechts des Parlaments vor.
40
(1) Die vom Staatsministerium verwendeten Zahlen und Daten zur Berechnung der vermeintlichen Kosten des Volksbegehrens seien unvollständig und berücksichtigten zahlreiche andere Förderprogramme und Ausbauziele nicht ausreichend. So werde nicht berücksichtigt, dass die Radinfrastruktur in Bayern regelmäßig in erheblichem Umfang aus Bundesmitteln (mit) finanziert werde. Auch bleibe unberücksichtigt, dass bereits das vom Ministerrat am 26. Juli 2022 beschlossene Maßnahmenpaket zur Stärkung des Radverkehrs einen weiteren Ausbau der Radinfrastruktur vorsehe, was insbesondere den Bau neuer Radwege bis 2030 und eine Aufstockung der bestehenden Förderprogramme für Kommunen umfasse. Ausgehend von zu solchen Zwecken im Haushaltsplan 2023 veranschlagten Mitteln sei davon auszugehen, dass hierfür auch in den künftigen Haushaltsplänen für die nächsten Jahre erhebliche Mittel zur Verfügung gestellt würden. Es bestünden Überschneidungen mit den vermeintlichen Kosten des beantragten Volksbegehrens. Finanzmittel, die im Rahmen des Bayerischen Radwegeprogramms 2020 bis 2024 bereitgestellt würden, blieben ebenfalls zu Unrecht außer Betracht. Danach sollen u. a. sowohl Radwege nachträglich an vorhandene Straßen angebaut als auch zusammen mit einem Straßenbauprojekt neu angelegt werden. Die dort vorgesehene Investitionssumme von 200 Mio. Euro komme in Höhe von rd. 110 Mio. Euro aus dem Staatsstraßenetat, auch insoweit gebe es Überschneidungen mit den für das Volksbegehren berechneten Kosten. Schließlich sei das Bayerische Radverkehrsprogramm 2025 der Staatsregierung nicht berücksichtigt, dessen Ziel es sei, den Radverkehrsanteil am Gesamtverkehrsaufkommen auf 20% zu steigern. Auch aufgrund der dort u. a. vorgeschlagenen vermehrten und höheren Investitionen in den Radverkehr sei in naher Zukunft mit erheblichen Ausgaben für den Radverkehr zu rechnen, die im Haushaltsplan veranschlagt werden müssten und damit keine unmittelbare Folge des beantragten Volksbegehrens seien. Das geplante Bayerische Radgesetz ergänze damit die aktuelle politische Programmatik der Bayerischen Staatsregierung und des Bayerischen Landtags. Soweit also im Haushaltsplan Kosten für die Radinfrastruktur eingestellt würden, folge dies dem artikulierten Willen des Parlaments als Haushaltsgesetzgeber. Das beantragte Volksbegehren setze sich zu diesem gerade nicht in Widerspruch und so entstünden maximal marginale Kosten in den Jahren 2026 bis 2030.
41
(2) In die Berechnung des Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration würden Kosten eingestellt, die in diesem Umfang gar nicht Inhalt des beantragten Volksbegehrens seien. Das Volksbegehren schlage keine konkreten Maßnahmen vor, die unmittelbar in das Budgetrecht eingriffen. Teilweise würden für Maßnahmen, die der Gesetzentwurf nur auf den Freistaat Bayern als Träger der Straßenbaulast beziehe, Kosten auch auf Seiten der Kommunen angesetzt, so in Bezug auf Art. 8 Abs. 4 BayRadG-E zur Prüfung und Umsetzung baulich sicherer Rad- und Verkehrsführungen bei Straßensanierungen. Der Vorschrift des Art. 4 Abs. 1 Satz 2 BayRadG-E sei keine Verpflichtung zum Neubau neuer Radwege zu entnehmen, sie verlange nur, bereits existierende Infrastruktur auszubauen. Auch die Auslegung des Terminus „berücksichtigen“ in Art. 12 Satz 1 BayRadG-E dahingehend, dass damit zu einer Verbreiterung aller bereits bestehenden und neu zu bauenden Radwege verpflichtet werde, sei unzutreffend und führe zu einer weit überhöhten Schätzung. Art. 8 Abs. 2 Satz 1 BayRadG-E verlange lediglich eine Prüfung, ob eine geeignete, bedarfsgerechte, sichere und kreuzungsfreie Radverkehrsführung vorliege oder eine Möglichkeit zur Neuanlage bestehe. Von einer tatsächlichen Durchführung etwaiger baulicher Maßnahmen sei ausdrücklich nicht die Rede. Mit dem in der Begründung zu Art. 19 BayRadG-E angesprochenen „tadellosen“ Zustand zur Gewährleistung der Sicherheit des Radverkehrs würden schließlich keine Anforderungen formuliert, die über die Verkehrssicherungspflicht der Straßenbaulastträger hinausgingen. Auch insoweit seien die taxierten Kosten zu hoch.
42
(3) Aus der Aufstellung des Staatsministeriums werde nicht deutlich, welche Bezugspunkte und Maßstäbe der Berechnung zugrunde gelegt würden. Zudem erfolgten Mehrfachnennungen, die die Kostenlast insgesamt ungerechtfertigterweise erhöhten. Das Staatsministerium wähle bei vielen Rechnungsposten einen Zeitrahmen von zehn Jahren, in dem die Maßnahmen abgeschlossen werden könnten, der aber im Hinblick auf die in der Praxis oft problembehaftete und verzögerte Umsetzung von Infrastrukturmaßnahmen aus der Luft gegriffen scheine und vom Volksbegehren nicht in diesem Umfang und nicht in dieser Höhe gefordert werde. Dem Volksbegehren sei als einzige Zielvorgabe die Erhöhung des Radverkehrsanteils am gesamten Verkehrsaufkommen auf 25% bis 2030 zu entnehmen. Ein längerer Zeitrahmen würde die Kosten pro rata erheblich senken. Außerdem bleibe offen, auf welche Zielvorgabe des beantragten Volksbegehrens bei der Berechnung der einzelnen prozentualen Anteile Bezug genommen werde. Das Staatsministerium errechne stets einen Anteil, an wie vielen Kilometern Straße Baumaßnahmen oder Sanierungsmaßnahmen erforderlich seien, ohne dass deutlich werde, warum gerade dieser Anteil notwendig sei. Zudem würden einige Kosten mehrfach veranschlagt, etwa sowohl für die Sanierung im Sinn des Art. 8 Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 BayRadG-E und im Sinn des Art. 19 Satz 2 BayRadG-E. In der Regel dürften sich derartige Sanierungen überschneiden und oft im selben Zusammenhang erfolgen. Entsprechendes gelte für die in die Berechnung aufgrund von Art. 12 Abs. 1 BayRadG-E eingestellte Verbreiterung von Radwegen. Darüber hinaus überlappten sich die Art. 8 Abs. 2 Satz 1 BayRadG-E und Art. 10 Abs. 2 Satz 1 BayRadG-E betreffenden Kosten.
43
dd) Bei zutreffender Berechnung entstünden durch das beantragte Volksbegehren lediglich jährliche Kosten in Höhe von 37,5 Mio. Euro, was einem Anteil von 0,053% des Gesamthaushalts des Freistaates Bayern entspreche. Diese Summe setze sich aus den Kosten für die Errichtung und Sanierung von Staatsstraßen in Höhe von 28 Mio. Euro (Art. 8 Abs. 4 BayRadG-E), aus den Kosten für die Umgestaltung von Verkehrsknotenpunkten von 7,5 Mio. Euro (Art. 10 Abs. 2 BayRadG-E) sowie aus denjenigen für die Errichtung von Fahrradabstellanlagen von 2,035 Mio. Euro (Art. 11 BayRadG-E) zusammen. Angesichts dieser geringen Summe, der Förderungen durch den Bund, der angekündigten umfangreichen Investitionen in den Radverkehr sowie der erheblichen Umsetzungsspielräume für Parlament und Exekutive sei keine Störung des Gleichgewichts des Gesamthaushalts und damit keine Beeinträchtigung des Budgetrechts des Parlaments anzunehmen. Eine solche drohe auch dann nicht, wenn die vom Staatsministerium errechnete Summe von 350 Mio. Euro Kosten pro Jahr zugrunde gelegt würde. Eine sich daraus ergebende prozentuale Belastung des Gesamthaushalts von 0,5% sei nach der Auslegung des Bundesverfassungsgerichts (als Landesverfassungsgericht von Schleswig-Holstein) noch mit Art. 73 BV (bzw. der vergleichbaren Norm der schleswig-holsteinischen Verfassung) vereinbar, zumal die Förderungen durch den Bund und die Berücksichtigung eines großen Teils dieser Kosten im Haushaltsplan nicht außer Betracht bleiben dürften.
44
b) Der Landesgesetzgeber verfüge über die erforderliche Gesetzgebungskompetenz für sämtliche Bestimmungen des beantragten Volksbegehrens.
45
aa) Die vom Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration beanstandeten Bestimmungen seien schon nicht der Materie des Straßenverkehrs im Sinn des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG zuzurechnen. Die Regelungen der Art. 3 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Art. 15 Abs. 2 und Art. 16 Abs. 2 Satz 1 BayRadG-E seien straßenrechtlicher Rechtsnatur und damit von der Gesetzgebungskompetenz des Freistaates Bayern umfasst. Die Vorschriften der Art. 3 Abs. 2, Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Art. 17 Abs. 1 und 2 BayRadG-E seien verkehrsplanerischer und städtebaulicher Natur und hätten einen umweltbezogenen Konnex. Insoweit habe der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG nicht umfassend Gebrauch gemacht bzw. fehle ihm – für verkehrsplanerische Regelungen – die Gesetzgebungskompetenz. Darüber hinaus sei Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 BayRadG-E lediglich als allgemeiner Programm- und Zielsatz einzuordnen und damit im Rahmen der allgemeinen Gesetzgebungskompetenz des Landes nach Art. 30, 70 GG zulässig. Im Übrigen könne aus dem Verweis oder der Bezugnahme einzelner Vorschriften des Volksbegehrens auf Instrumente des Straßenverkehrsgesetzes und die darauf fußende Straßenverkehrs-Ordnung nicht darauf geschlossen werden, dass es sich hierbei um straßenverkehrsrechtliche Vorschriften im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG handle, da nicht nur das Straßenverkehrsgesetz, sondern auch die auf Grundlage des § 6 Abs. 1 StVG erlassene Straßenverkehrs-Ordnung Regelungen enthielten, die keinen spezifisch straßenverkehrsrechtlichen Hintergrund hätten.
46
bb) Unterstellt, dass einzelne Regelungen im geplanten Bayerischen Radgesetz Vorschriften des Straßenverkehrsrechts wären, seien sie von der Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG nicht umfasst. Diese beziehe sich nur auf das Straßenverkehrsrecht im ordnungsrechtlichen Sinn, das hier nicht tangiert sei, nicht auf Vorschriften, durch die der Verkehr in anderer Weise einer Regelung zugeführt werde, beispielsweise als Teil einer planerischen Ausgestaltung. Darüber hinaus sei die Wahrung der Rechtseinheit vorliegend nicht gefährdet, sodass eine vermeintliche Sperrwirkung nicht zum Tragen komme. Intention des beantragten Volksbegehrens sei lediglich, dass von bereits bestehenden Anordnungsbefugnissen häufiger Gebrauch gemacht werden solle, es würden keine neuen verkehrsrechtlichen Instrumente eingeführt. Durch das Volksbegehren drohe keine Gesetzesvielfalt, die zu einer problematischen Rechtszersplitterung führen könnte; der Gedanke des Art. 72 Abs. 2 GG sei auf die Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG zu übertragen. Schließlich beträfen einige der Vorschriften des beantragten Volksbegehrens nur den Vollzug von Straßenverkehrsrecht, der von der Länderkompetenz nach Art. 83, 84 Abs. 1 GG umfasst sei. Dies gelte insbesondere für die Normen, die vermeintlich eine Kann-Vorgabe der Straßenverkehrs-Ordnung in eine Soll-Vorgabe modifizierten. Der Vollzug der Straßenverkehrs-Ordnung liege im Zuständigkeitsbereich der Länder, zu ihm gehöre auch die ordnungsgemäße Ausübung des eingeräumten Ermessens. Die Ausfüllung und Ausübung des Ermessens sei Teil des Verwaltungsverfahrens, das gemäß Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG die Länder regelten, wenn sie, wie hier, Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführten. Zudem handelten die Gemeinden als örtliche Straßenverkehrsbehörden im übertragenen Wirkungskreis und seien weisungsgebunden. Die oberste Straßenverkehrsbehörde könne ihnen im Hinblick auf die Entscheidungsfindung und Ermessensausübung Vorgaben machen. Wenn die Bundesländer im Weg interner Verwaltungsvorgaben das Ermessen der Straßenverkehrsbehörde lenken und steuern dürften, müsse das auch im Rahmen eines Gesetzes möglich sein.
47
cc) In Gesetzen einiger anderer Bundesländer fänden sich zum geplanten Bayerischen Radgesetz vergleichbare Regelungen, ohne dass dort die Verfassungsmäßigkeit dieser Gesetzeswerke infrage gestellt worden sei. Als Referenzgesetze könnten das Mobilitätsgesetz des Landes Berlin und das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz des Landes Nordrhein-Westfalen (FaNaG) genannt werden. Auch habe die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Jahr 2021 ein (schlussendlich abgelehntes) Radgesetz mit noch deutlich weitergehenden Vorschriften als das beantragte Volksbegehren in den Bayerischen Landtag eingebracht, ohne dass eine Verfassungswidrigkeit wegen Kompetenzmängeln kritisiert worden wäre.
48
dd) Die Beauftragte des Volksbegehrens erläutert diese Einwände sodann näher, jeweils bezogen auf die einzelnen vom Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration beanstandeten Bestimmungen der Art. 3 Abs. 2, Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 bis 3, Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Art. 10 Abs. 4 und 5 Satz 3, Art. 15 Abs. 2, Art. 16 Abs. 2 Satz 1, Art. 17 Abs. 1 und 2, Art. 18 BayRadG-E.
49
c) Im Hinblick auf die Einhaltung der Begründungsvorgaben für ein Volksbegehren sei bereits fraglich, ob dies Teil des Prüfungsgegenstands des Verfassungsgerichtshofs sei. Denn es erfolge keine klare und bestimmte Beanstandung der Gesetzentwurfsbegründung, sondern das Staatsministerium werfe lediglich die Frage auf, ob die Anforderungen an die Begründung erfüllt seien. Jedenfalls würden die aus Art. 74 Abs. 2 und Art. 7 Abs. 2 BV resultierenden Begründungsanforderungen gewahrt. Diesen werde Genüge getan, wenn der Inhalt des Volksbegehrens verständlich sei, die Auswirkungen durch den Abstimmenden erfasst werden und in der Folge die wesentlichen Vor- und Nachteile durch denselben abgeschätzt werden könnten. Die Regelung des Art. 74 Abs. 2 i. V. m. Art. 7 Abs. 2 BV sei insbesondere dann verletzt, wenn die aktuelle Rechtslage unzutreffend oder unvollständig erläutert werde. Ein solcher Fall liege jedoch nicht vor, wenn der Gesetzentwurf auf gleichrangiger Ebene keinem bestehenden Gesetz gegenüberstehe,
das verkürzt oder falsch dargestellt werden könnte. Dies bedeute, dass nur auf Gesetze im formellen und materiellen Sinn als Teil der geltenden Rechtslage hingewiesen werden müsse. Durch die fehlende Aufzählung von reinem Verwaltungshandeln oder anderen punktuellen Maßnahmen der Bayerischen Staatsregierung ohne Gesetzesrang vermöge hingegen der falsche Eindruck des derzeitigen Nichtbestehens entsprechender gesetzlicher Regelungen nicht zu entstehen, da diese Maßnahmen nicht mit dem Volksbegehren konkurrierten.
50
aa) Nach diesen Maßgaben erfülle die Begründung der Maßnahmen zum Neu-, Um- und Ausbau des Fuß- und Radverkehrsnetzes (Art. 4 Abs. 1 Satz 2, Art. 8 Abs. 2 und 7, Art. 19 BayRadG-E) die verfassungsrechtlichen Begründungsanforderungen. Dem abstimmenden Bürger werde die Zielrichtung des Entwurfs – die Erhöhung des Radverkehrsanteils am Gesamtverkehrsaufkommen auf mindestens 25% – hinreichend deutlich. Weiter seien auch die Auswirkungen und der Umfang der zur Zweckerreichung ins Auge gefassten Maßnahmen konkret dargestellt. Die Argumentation des Staatsministeriums verkenne, dass das Nichtaufführen der Förderprogramme der Landesregierung dem Außerachtlassen etwaiger Änderungsgesetze nicht gleichkomme. Es bestehe auch keine Verpflichtung, jede bestehende und durch den Gesetzentwurf in ihrem Anwendungsbereich berührte Norm aufzuführen und deren Unzulänglichkeit ausdrücklich festzustellen.
51
bb) Auch soweit das Staatsministerium die Begründung zu Art. 5 Abs. 3 Satz 1 BayRadG-E – Regelungen zu Maßnahmen der Verkehrssicherheit – angreife, vermöge dies nicht zu überzeugen. Durch die ausdrückliche Normierung der Pflicht zur Aufstellung eines stetig anzupassenden Verkehrssicherheitsprogramms im Gesetzentwurf werde deutlich, dass es sich um eine der Regierung auferlegte Pflicht handle, entsprechende Untersuchungen vorzunehmen, Daten zu erheben und ein darauf aufbauendes Programm aufzusetzen. Die aktuelle Rechtslage sehe keine entsprechende Pflicht vor; daran vermöge auch ein tatsächlich aufgelegtes Programm nichts zu ändern. Art. 6 und 7 BayRadG-E setzten als Regelung der Verkehrserziehung ab den Vorschulen und Kindertagesstätten an (Art. 7 Abs. 1) und dienten der Förderung und Weiterbildung des Radverkehrs und der Radsicherheit in der Verwaltung (Art. 7 Abs. 3). Die vom Staatsministerium aufgeführte Verkehrserziehung in den Jahrgangsstufen 1 bis 4 stelle hiervon lediglich einen Teilaspekt dar. Anderweitige gesetzliche Grundlagen, die außerhalb der genannten Fälle die Verkehrserziehung in diesem Umfang regelten, seien nicht ersichtlich. Eine Irreführung dahingehend, dass durch den Gesetzentwurf das Fehlen etwaiger Regelungen in der Gegenwart impliziert werde, sei auch hier nicht gegeben, zumal der Lehrplan kein formelles Gesetz darstelle, das in einer Begründung darzulegen wäre.
52
2. Der Bayerische Landtag ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens nicht vorliegen.
53
a) Gemäß Art. 73 BV finde über den Staatshaushalt kein Volksentscheid statt. Unter danach unzulässige Volksbegehren fielen auch solche, mit denen finanzwirksame sachpolitische Anliegen verfolgt würden und deren Umsetzung daher Ausgaben durch zusätzliches Personal oder Sachaufwendungen verursache. Haushaltsrelevante Verpflichtungen des Staates könnten sich dabei auch aus Regelungen ergeben, die von den Kommunen umzusetzen wären, soweit diese nach dem Konnexitätsprinzip hierfür einen Ausgleich nach Art. 83 Abs. 3 und 6 BV beanspruchen könnten.
54
Das vorliegend angestrebte Bayerische Radgesetz enthalte mit Art. 4 Abs. 1 Satz 2 BayRadG-E (Verpflichtung zum Ausbau der Infrastruktur für den Fuß- und Radverkehr als Zubringerverkehr zum öffentlichen Personennahverkehr) mit geschätzten jährlichen Kosten für den Staat in Höhe von 43 Mio. Euro und für die Kommunen in Höhe von 82 Mio. Euro, Art. 8 Abs. 2 Satz 2 und Art. 19 BayRadG-E (Kosten für die verpflichtende Sanierung von Radwegen) mit geschätzten jährlichen Kosten für den Staat in Höhe von 16,4 Mio. Euro, für die Landkreise in Höhe von 12 Mio. Euro und weitere nicht bezifferbare Kosten für die Gemeinden, Art. 8 Abs. 4 BayRadG-E (Verpflichtung zur Prüfung und Umsetzung baulich sicherer Rad- und Verkehrsführungen bei Sanierung einer Straße) mit geschätzten jährlichen Kosten für den Staat in Höhe von 28 Mio. Euro und für die Kommunen in Höhe von 66 Mio. Euro sowie mit Art. 8 Abs. 7 BayRadG-E (Verpflichtung, Fußverkehrsnetze innerhalb von Ortslagen durchgängig, direkt, ausreichend breit, sicher und durchgängig barrierefrei zu gestalten) mit geschätzten jährlichen Kosten für Kommunen in Höhe von 60 Mio. Euro Regelungen, deren Umsetzung erhebliche Ausgaben verursachen würde, ohne dass diese unter einem Haushaltsvorbehalt stünden. Lege man bei Betrachtung der Haushaltsrelevanz die vom Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr geschätzten Kosten für den Freistaat Bayern zugrunde, so würden allein für den Neu-, Um- und Ausbau von Fuß- und Radverkehrsanlagen Gesamtinvestitionskosten in Höhe von jährlich rund 350 Mio. Euro entstehen, was einem Anteil von ca. 0,5% am Gesamthaushalt 2022 entspreche. Unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs sei damit die Haushaltsrelevanz des Volksbegehrensentwurfs gegeben.
55
b) Regelungen im Bereich des Straßenverkehrs seien Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22, Art. 72 Abs. 2 GG. Von dieser habe der Bund mit dem Erlass des Straßenverkehrsgesetzes und insbesondere der Straßenverkehrs-Ordnung grundsätzlich abschließend Gebrauch gemacht. Den Ländern verbleibe insoweit kein Raum für die Festsetzung eigener straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften.
56
Damit unvereinbare straßenverkehrsrechtliche Regelungen enthalte der Volksbegehrensentwurf in Art. 3 Abs. 2 BayRadG-E (Vorrang der Verkehrsmittel des Umweltverbundes in ausgewiesenen Wohnquartieren sowie in Ortszentren als ausgewiesenen Quartieren), Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 BayRadG-E (Rücksichtnahmegebote im Verkehr), Art. 7 Abs. 1 BayRadG-E (Einführung verkehrsberuhigter Zonen vor Kindertagesstätten, -gärten, -krippen, -horten und Schulen), Art. 10 Abs. 4 (Errichtung von Schutzstreifen für Radfahrer innerorts bei mehr als 30 km/h Höchstgeschwindigkeit) und Abs. 5 Satz 3 BayRadG-E (Vorrang des Fußverkehrs bei Mitbenutzung von Gehwegen durch den Radverkehr), Art. 15 Abs. 2 Satz 2 BayRadG-E (Errichtung von Radschnellverbindungen auch durch Fahrradstraßen oder Radfahrstreifen), Art. 16 Abs. 2 Satz 1 BayRadG-E (grundsätzlicher Ausschluss des motorisierten Individualverkehrs in ausgewiesenen Fahrradstraßen), Art. 17 Abs. 1 BayRadG-E (grundsätzliche Freigabe von Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung), und Art. 18 BayRadG-E (Erhebung der wegweisenden Radwegebeschilderung in den amtlichen Status der StVO-Kennzeichen).
IV.
57
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des Volksbegehrens „Radentscheid Bayern“ sind nicht gegeben.
58
1. Der Verfassungsgerichtshof hat gemäß Art. 67 BV i. V. m. Art. 64 Abs. 1 Satz 1 LWG über die Zulassung des Volksbegehrens zu entscheiden.
59
a) Hinsichtlich des Prüfungsgegenstands ist der Verfassungsgerichtshof grundsätzlich auf die vom Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration vorgetragenen Beanstandungen beschränkt. Dieses moniert vorliegend zum einen, dass das beantragte Volksbegehren mit Art. 73 BV, nach dem über den Staatshaushalt kein Volksentscheid stattfindet, nicht vereinbar sei, und ist zum anderen der Auffassung, dass dem Landesgesetzgeber für einzelne Regelungen im geplanten Bayerischen Radgesetz die Gesetzgebungsbefugnis nicht zustehe. Zudem erhebt das Staatsministerium Bedenken im Hinblick darauf, ob der Volksbegehrensentwurf den aus Art. 74 Abs. 2 i. V. m. Art. 7 Abs. 2 BV folgenden Begründungsanforderungen genügt, was aber dahingestellt bleiben könne. Mit seiner Vorlage an den Verfassungsgerichtshof legt das Staatsministerium den Streitgegenstand für das gerichtliche Verfahren fest (VerfGH vom 24.2.2000 VerfGHE 53, 23/29; vom 17.7.2018 BayVBl 2018, 809 Rn. 32; vom 16.7.2019 – Vf. 41-IX-19 – juris Rn. 54; vom 16.7.2020 NVwZ 2020, 1429 Rn. 42).
60
b) Im Verfahren über die Zulassung eines Volksbegehrens ist vor allem zu klären, ob der zugrunde liegende Gesetzentwurf mit der Bayerischen Verfassung im Einklang steht (vgl. VerfGH vom 4.4.2008 VerfGHE 61, 78/84; vom 22.10.2012 VerfGHE 65, 226/233; vom 15.2.2017 BayVBl 2017, 407 Rn. 40). In ständiger Rechtsprechung überprüft der Verfassungsgerichtshof dabei den Gesetzentwurf des Volksbegehrens auch daraufhin, ob er mit Bundesrecht, insbesondere mit den Kompetenznormen des Grundgesetzes, vereinbar ist (VerfGH vom 14.6.1985 VerfGHE 38, 51/57 ff.; vom 14.8.1987 VerfGHE 40, 94/101 f.; vom 27.3.1990 VerfGHE 43, 35/56; vom 3.2.2009 VerfGHE 62, 1/11; vom 21.1.2016 VerfGHE 69, 1 Rn. 34; vom 16.7.2019 – Vf. 41-IX-19 – juris Rn. 55; NVwZ 2020, 1429 Rn. 43). Der Verfassungsgerichtshof ist allerdings weder hier noch in anderen Verfahren befugt, die Bestimmungen des Grundgesetzes oder anderer Bundesgesetze verbindlich auszulegen. Der Sinn einer Überprüfung am Maßstab des Bundesrechts im Verfahren nach Art. 64 Abs. 1 Satz 1 LWG liegt in der Vermeidung solcher Volksbegehren, bei denen von vornherein ohne jeden ernsthaften Zweifel davon auszugehen ist, dass das Gesetz nach einem erfolgreichen Volksentscheid wegen Verstoßes gegen Bundesrecht vom Bundesverfassungsgericht oder vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof – insoweit wegen Verletzung des Rechtsstaatsprinzips der Bayerischen Verfassung (ständige Rechtsprechung; vgl. VerfGH vom 28.6.2013 VerfGHE 66, 101/111; VerfGHE 69, 1 Rn. 34) – für nichtig erklärt werden müsste. Dagegen steht die bloße Möglichkeit, das Bundesverfassungsgericht könne das Gesetz später für nichtig erklären, der Zulassung eines Volksbegehrens nicht entgegen. Der Verfassungsgerichtshof überprüft deshalb die Regelungen des Gesetzentwurfs am Maßstab des Bundesrechts nur unter dem eingeschränkten Gesichtspunkt, ob sie dem Bundesrecht bei jeder vertretbaren Auslegung der einschlägigen bundesrechtlichen Vorschriften widersprechen. Bestehen nur Zweifel, ob der Gesetzentwurf des Landesrechts mit Bundesrecht vereinbar sein könnte, ist zugunsten der Zulassung des Volksbegehrens zu entscheiden. Das ergibt sich auch aus dem Vorrang der Gesetzgebungskompetenz der Länder gemäß Art. 70 GG (VerfGHE 43, 35/56; 62, 1/11; 69, 1 Rn. 34; VerfGH vom 16.7.2019 – Vf. 41-IX-19 – juris Rn. 55; NVwZ 2020, 1429 Rn. 43; Tilch in Verfassung als Verantwortung und Verpflichtung, Festschrift zum 50-jährigen Bestehen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, 1997, S. 275/281 ff.).
61
c) Es ist dagegen nicht Aufgabe des Verfassungsgerichtshofs, darüber zu befinden, ob die im Gesetzentwurf des Volksbegehrens vorgesehenen Regelungen sachgerecht, zweckmäßig, angemessen und praktikabel sind. Für die Entscheidung ist daher insbesondere nicht maßgeblich, wie das angestrebte Bayerische Radgesetz, das nach seinem erklärten Gesetzeszweck eine umwelt- und klimaverträgliche Mobilitätsentwicklung unter besonderer Förderung des Radverkehrs gewährleisten soll (Art. 1 Satz 1 BayRadG-E), rechtspolitisch zu bewerten ist (vgl. VerfGHE 61, 78/84; 65, 226/233; 69, 1 Rn. 39; VerfGH vom 16.7.2019 – Vf. 41-IX-19 – juris Rn. 56; NVwZ 2020, 1429 Rn. 44).
62
2. Die im Gesetzentwurf des Volksbegehrens vorgesehenen Regelungen in Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Art. 7 Abs. 1 Satz 2, Art. 10 Abs. 4 und 5 Satz 3, Art. 17 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 sowie Art. 18 BayRadG-E sind als straßenverkehrsrechtliche Regelungen mit Bundesrecht offensichtlich unvereinbar, da dem Landesgesetzgeber nach Art. 72 Abs. 1 GG die erforderliche Gesetzgebungskompetenz fehlt. Damit verstoßen sie gegen das Rechtsstaatsprinzip der Bayerischen Verfassung gemäß Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV.
63
a) Die Regelungen des Bundes im Straßenverkehrsgesetz (StVG) und in der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) auf Grundlage des § 6 Abs. 1 StVG stellen insbesondere insoweit, als sie „zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen“ (Eingangsformulierung des § 6 Abs. 1 Satz 1 StVG) Regelungen über „das Verhalten im Verkehr, auch im ruhenden Verkehr“ (§ 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, auch i. V. m. § 6 Abs. 3 Nr. 1 StVG) enthalten, eine abschließende bundesrechtliche Regelung dar, die die Länder von der Gesetzgebung ausschließt.
64
aa) Regelungen im Bereich des Straßenverkehrs sind Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebungsbefugnis des Bundes nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22, Art. 72 Abs. 2 GG. Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung auf den Straßenverkehr, das Kraftfahrwesen und den Bau und die Unterhaltung von Landstraßen für den Fernverkehr sowie die Erhebung und Verteilung von Gebühren oder Entgelten für die Benutzung öffentlicher Straßen mit Fahrzeugen.
65
Der Begriff des Straßenverkehrsrechts ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einerseits im Zusammenhang mit, andererseits gerade auch in Abgrenzung zum Begriff des Straßen-(Wege-)rechts, das in die Zuständigkeit der Länder fällt, zu bestimmen. Es handelt sich um deutlich gegeneinander abgegrenzte Gesetzgebungsbereiche, auch wenn sie in einem sachlichen Zusammenhang stehen, insbesondere das Straßenverkehrsrecht das Straßenrecht voraussetzt. Die Abgrenzung zwischen den beiden Bereichen erfolgt nach den verschiedenen Aufgaben, die mit ihrer gesetzlichen Regelung zu bewältigen sind: Das Straßenrecht dient der Bereitstellung der Straße oder des Weges für die in der Widmung festgelegte besondere Verkehrsfunktion; das Straßenverkehrsrecht regelt die (polizeilichen) Anforderungen an den Verkehr und die Verkehrsteilnehmer – sowie gegebenenfalls auch an Außenstehende –, um Gefahren abzuwehren und die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gewährleisten. In diesem Sinn ist das Straßenverkehrsrecht sachlich begrenztes Ordnungsrecht, für das dem Bund – abweichend vom sonstigen Ordnungsrecht – die Gesetzgebung zukommt (BVerfG vom 9.10.1984 BVerfGE 67, 299/314). Dabei wird durch die dem Landesrecht überantwortete Widmung lediglich bestimmt, welche Verkehrsarten als solche auf der jeweiligen Wegefläche zulässig sein sollen. Beschränkungen der Verkehrsarten oder der Benutzungszwecke sind auf dieser Ebene nur statthaft, soweit sie aufgrund der der Straße mit der Widmung zugedachten Verkehrsfunktion oder aufgrund der straßenbaulichen Belastungsgrenze erforderlich sind. Der Gemeingebrauch in diesem Sinn deckt alle verkehrsbezogenen Verhaltensweisen, zu denen die jeweilige Verkehrsart Gelegenheit bietet oder zwingt. Demgegenüber ist die Regelung der Ausübung des Gemeingebrauchs ausschließlich Sache des Straßenverkehrsrechts. Regelungsgegenstand ist hier allein die Ausübung der vom zugelassenen Gemeingebrauch umfassten verkehrsbezogenen Verhaltensweisen der jeweiligen Verkehrsart durch den einzelnen Verkehrsteilnehmer in der konkreten Verkehrssituation sowie die Einschränkung oder Untersagung dieser Ausübung mit Rücksicht auf die sich aus ihr ergebenden Nachteile oder Gefahren für Sicherheit oder Ordnung. Als Ordnungsrecht gehören zum Straßenverkehrsrecht alle Regelungen der Ausübung des Gemeingebrauchs, die aus verkehrsbezogen-ordnungsrechtlichen Gründen, nicht hingegen aus sonstigen ordnungsrechtlichen (oder aus ästhetischen oder städtebaulichen) Gründen erfolgen sollen. Hierdurch trägt das Straßenverkehrsrecht zugleich Sorge dafür, dass sich die Ausübung des Gemeingebrauchs in einer gemeinverträglichen Art und Weise vollzieht. Der jeweilige Verkehr ist zwar in erster Linie auf Fortbewegung („fließender Verkehr“) angelegt, umfasst aber auch den ruhenden Verkehr, also das Auf- oder Abstellen von Fahrzeugen im öffentlichen Verkehrsraum (vgl. BVerfGE 67, 299/ 321 ff.; OVG Hamburg vom 19.6.2009 NVwZ-RR 2010, 34/35; Sauthoff in Münchener Kommentar zum StVR, 1. Aufl. 2016, Vorbemerkung zu den §§ 1 ff. StVO Rn. 6).
66
bb) Im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung gemäß Art. 72 Abs. 1 GG nur, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit keinen Gebrauch gemacht hat. Demnach sind landesrechtliche Regelungen grundsätzlich ausgeschlossen, wenn ein Bundesgesetz eine bestimmte Materie regelt (BVerfG vom 26.7.1972 BVerfGE 34, 9/28). Ausnahmen gelten nur, wenn eine Abweichung gemäß Art. 72 Abs. 3 GG in Betracht kommt, wenn das Bundesgesetz eine Öffnungsklausel zugunsten der Länder enthält oder soweit der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz nicht erschöpfend Gebrauch gemacht hat. Ob eine bundesrechtliche Regelung abschließend ist oder nicht, bedarf einer Gesamtwürdigung des betreffenden Normenkomplexes; der Beurteilung ist die Gesamtkonzeption des Bundesgesetzgebers zugrunde zu legen (VerfGH NVwZ 2020, 1429 Rn. 59 m. w. N.). Ein die Länder von der Gesetzgebung ausschließendes Gebrauchmachen liegt vor, wenn ein Bundesgesetz eine bestimmte Frage erschöpfend regelt, was positiv durch eine Regelung oder negativ durch einen absichtsvollen Regelungsverzicht erfolgen kann. Entscheidend ist stets, dass ein bestimmter Sachbereich tatsächlich umfassend und lückenlos geregelt ist oder nach dem objektivierten Willen des Gesetzgebers abschließend geregelt werden sollte. Führte der Vollzug einer landesrechtlichen Bestimmung dazu, dass die bundesrechtliche Regelung nicht mehr oder nicht mehr vollständig oder nur noch verändert angewandt werden und so in ihrem Regelungsziel nur modifiziert verwirklicht werden könnte, ist dies als Indiz für eine Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG anzusehen. Die Sperrwirkung hat zur Folge, dass ein gleichwohl verabschiedetes Landesgesetz wegen fehlender Kompetenz nichtig wäre, unabhängig davon, ob die landesrechtlichen Regelungen mit dem erschöpfenden Bundesrecht inhaltlich kollidieren oder dieses nur ergänzen, ohne ihm zu widersprechen. Den Ländern bleibt Raum für eine eigene Regelung nur, wenn und soweit die bundesrechtliche Regelung nicht erschöpfend ist. Die Länder sind hingegen nicht berechtigt, eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz dort in Anspruch zu nehmen, wo sie eine – abschließende – Bundesregelung für unzulänglich und deshalb reformbedürftig halten; das Grundgesetz weist ihnen nicht die Aufgabe zu, kompetenzgemäß getroffene Entscheidungen des Bundesgesetzgebers „nachzubessern“ (vgl. BVerfG vom 29.3.2000 BVerfGE 102, 99/f.; vom 10.2.2004 BVerfGE 109, 190/229 f.; vom 23.3.2022 NVwZ 2022, 861 Rn. 82 f. m. w. N.; vom 27.9.2022 – 1 BvR 2661/21 – juris Rn. 27; VerfGH NVwZ 2020, 1429 Rn. 60).
67
cc) In der ober- und höchstgerichtlichen Rechtsprechung wird davon ausgegangen, dass der Bundesgesetzgeber mit der Straßenverkehrs-Ordnung vom 6. März 2013 (BGBl I S. 367), zuletzt geändert durch Art. 13 des Vierten Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 12. Juli 2021 (BGBl I S. 3091), die aufgrund § 5 b Abs. 3 und § 6 Abs. 1 StVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 5. März 2003 erlassen wurde, von seiner Gesetzgebungskompetenz für das Straßenverkehrsrecht „weitgehend abschließend“ bzw. abschließend Gebrauch gemacht hat (vgl. BGH vom 18.4.1991 BGHSt 37, 366/370; vom 4.12.2001 BGHSt 47, 181/186 f., gestützt auf BVerfGE 67, 299; BVerwG vom 16.11.1973 NJW 1974, 761/762; vom 7.6.1978 DVBl 1979, 155/156; OVG Hamburg NVwZ-RR 2010, 34/35), sodass insoweit die Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG eingreift. Dies steht in Übereinstimmung mit der ganz überwiegenden Auffassung in der Literatur (vgl. z. B. Stollwerck, SVR 2017, 170/171 mit zahlreichen Nachweisen aus dem verfassungsrechtlichen und straßenverkehrsrechtlichen Schrifttum; Freymann in jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl. 2022, Einleitung – Grundlagen des Straßenverkehrsrechts Rn. 46 f. mit Beispielen aus der Rechtsprechung zu unwirksamen landesrechtlichen Regelungen).
68
dd) Auch nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs bestehen keine vernünftigen Zweifel daran, dass jedenfalls der hier in Rede stehende Bereich des fließenden und ruhenden Verkehrs auf den öffentlichen Straßen in der StraßenverkehrsOrdnung grundsätzlich umfassend und lückenlos geregelt ist oder nach dem objektivierten Willen des Gesetzgebers abschließend geregelt werden sollte, sodass die Sperrwirkung nach Art. 72 Abs. 1 GG eingreift.
69
Für den abschließenden Charakter sprechen zunächst der Wortlaut und die Systematik der Vorschriften.
70
Schon die weite Fassung der Ermächtigungsgrundlage in § 6 StVG, insbesondere in dessen Absatz 1 Satz 1 Nr. 2, lässt den Willen des Bundesgesetzgebers erkennen, von seiner Gesetzgebungsbefugnis abschließend Gebrauch zu machen. Dies gilt auch und gerade unter Berücksichtigung der Neufassung des § 6 StVG durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 12. Juli 2021, durch die nach der Intention des Gesetzgebers die Ermächtigungsgrundlage unter Erhaltung des bereits zuvor im Grunde intendierten (weiten) Ermächtigungsumfangs und Anwendungsbereichs im Wesentlichen lediglich auf eine höhere und effizientere Abstraktionsebene gehoben werden sollte. Den zuvor enthaltenen einzelnen Aufzählungen kam nach der Begründung des Entwurfs des Änderungsgesetzes nicht etwa der vermeintliche Charakter von Regelbeispielen zu, die im Umkehrschluss den Inhalt der Ermächtigung negativ begrenzt hätten. Durch die Zurückführung der Norm auf ein höheres Abstraktionsniveau würden ohne Erweiterung des ursprünglich vom Gesetzgeber intendierten Ermächtigungsumfangs in sachlicher Hinsicht die Grenzen des Spielraums für den Verordnungsgeber anders gefasst. Der neue Entwurf biete ein offeneres Verständnis der möglichen Regelungsinhalte, die aber durch die in der Eingangsformulierung der Absätze 1 und 2 jeweils herausgearbeitete Zweckbestimmung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf öffentlichen Straßen ausreichend beschränkt würden. Diese Zweckbestimmung, die in den Absätzen 1 und 2 in einem weiten Sinn zu verstehen sei, sei dem Straßenverkehrsrecht als auf der Gesetzgebungskompetenz des Straßenverkehrs erlassenes Ordnungs- und Gefahrenabwehrrecht von Beginn an immanent (vgl. BT-Drs. 19/28684 S. 41 f.).
71
Auch der Umfang und die Dichte der getroffenen Verkehrsregeln deuten erkennbar auf eine erschöpfende bundesrechtliche Regelung hin. Der fließende Verkehr ist eingehend in der Straßenverkehrs-Ordnung durch die Festlegung der allgemeinen Verkehrsregeln (§§ 1 ff. StVO) und die Zeichen und Verkehrseinrichtungen (§§ 36 ff. StVO) geregelt worden. Die Verkehrsregeln knüpfen in aller Regel an den Begriff „Fahrzeug“ an, zu denen auch das Fahrrad gehört, was sich schon aus der ausdrücklichen Erwähnung von Fahrrädern oder Radfahrern in einer Reihe von Vorschriften ergibt, die an diesen Begriff bzw. das Führen eines Fahrzeugs anknüpfen (vgl. z. B. § 2 Abs. 4 und 5, § 17 Abs. 4 Satz 4, § 21 Abs. 3, § 23 Abs. 3, § 37 Abs. 2 Nrn. 1, 5 und 6 StVO; vgl. auch Bender in Münchener Kommentar zum StVR, § 2 StVO Rn. 2).
72
Daneben spricht für eine abschließende Regelung, dass das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrs-Ordnung den Ländern nur einzelne, eng umgrenzte Zuständigkeiten zuerkennen, wie beispielsweise in § 6 a Abs. 6 und 8 StVG (zu Gebühren). Die mit der Novelle des § 6 StVG eingeführte Subdelegationsbefugnis auf die Landesregierungen in § 6 Abs. 9 StVG, die einschränkend an das Vorliegen besonderer regionaler Bedürfnisse anknüpft und von der gemäß Art. 80 Abs. 4 GG grundsätzlich auch die Landesgesetzgeber in den betroffenen Bereichen Gebrauch machen könnten, hat daran nichts geändert. Dies zeigt sich schon in der entsprechenden Stellungnahme des Bundesrats vom 7. Mai 2021, in der hervorgehoben wird, dass die Materie des länderübergreifenden Straßenverkehrs vielfach gerade bundeseinheitliche Regelungen im Interesse der Rechtssicherheit und Verkehrssicherheit erfordere. Daher werde die hier eingeführte Verallgemeinerung der Subdelegationsbefugnis sachgerecht begrenzt durch ein durchgehendes Zustimmungserfordernis des Bundesrats; zudem werde die Verantwortung des BMVI zur bundesweiten Vereinheitlichung des Straßenverkehrsrechts durch die geregelte Koppelung der Subdelegation an ein regionales Bedürfnis betont (vgl. BR-Drs. 257/21 S. 46 f.).
73
§ 46 Abs. 1 StVO regelt zwar die Möglichkeit der Straßenverkehrsbehörden, in bestimmten Einzelfällen oder allgemein für bestimmte Antragsteller Ausnahmen von im Einzelnen aufgezählten Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung zuzulassen. Entsprechendes gilt gemäß § 46 Abs. 2 StVO für Ausnahmen von allen Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung durch die obersten Landesbehörden bzw. die nach Landesrecht bestimmten Stellen oder das Bundesverkehrsministerium. Diese Ermächtigungen gelten aber nur zugunsten von Länderbehörden, nicht zugunsten der Ländergesetzgebung; sie ermächtigen nur zum Erlass von Verwaltungsakten im Einzelfall oder in Form einer Allgemeinverfügung. Insoweit ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass eine allgemeine Befreiung, ohne dass der Adressatenkreis hinreichend bestimmt oder bestimmbar wäre, nach § 46 StVO unzulässig ist (vgl. BVerwG vom 13.3.2008 BVerwGE 130, 383 Rn. 27).
74
Der abschließende Charakter der Regelungen der Straßenverkehrs-Ordnung zeigt sich auch darin, dass er in der gemäß Art. 84 Abs. 2 GG mit Zustimmung des Bundesrats erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) vom 26. Januar 2001 (BAnz S. 1419, ber. S. 5206), zuletzt geändert durch Art. 1 ÄndVwV vom 8. November 2021 (BAnz AT 15.11.2021 B1), betont wird. Dort wird zu § 1 (Grundregeln) StVO unter III. ausgeführt, dass Landesrecht über den Straßenverkehr unzulässig sei. Für örtliche Verkehrsregeln bleibe nur im Rahmen der Straßenverkehrs-Ordnung Raum.
75
Für eine erschöpfende bundesrechtliche Regelung des Straßenverkehrsrechts spricht weiter seine Entstehungsgeschichte. Im parlamentarischen Rat waren sich dessen Mitglieder bei der Erarbeitung des Grundgesetzes einig, dass das Straßenverkehrsrecht abschließend bundesrechtlich geregelt werden sollte. Aufgrund der seitdem um ein Vielfaches höheren Verkehrsdichte ist das Bedürfnis nach bundesrechtlicher Regelung, insbesondere zum Zweck des Schutzes von Leben und Gesundheit der Verkehrsteilnehmer und Dritter, noch wesentlich dringlicher geworden (vgl. BVerfGE 67, 299/325; Stollwerck, SVR 2017, 170/171). Schließlich entspricht dem auch der Regelungszweck des Straßenverkehrsrechts, spezifische Gefahren, Behinderungen und Belästigungen auszuschalten oder wenigstens zu mindern, die mit der Straßenbenutzung unter den Bedingungen des modernen Verkehrs verbunden sind. Das Straßenverkehrsrecht regelt in diesem Rahmen die (polizeilichen) Anforderungen, die an den Verkehr und die Verkehrsteilnehmer gestellt werden, um Gefahren von anderen Verkehrsteilnehmern oder Dritten abzuwenden und den optimalen Ablauf des Verkehrs zu gewährleisten (vgl. BVerfG vom 10.12.1975 BVerfGE 40, 371/380).
76
Der grundsätzlich abschließende Charakter der Vorschriften zum Straßenverkehrsrecht im beschriebenen Sinn im Straßenverkehrsgesetz und der Straßenverkehrs-Ordnung wird im Ergebnis auch von der Beauftragten des Volksbegehrens nicht infrage gestellt. Ihre Einwände richten sich vielmehr im Wesentlichen darauf, dass die vom Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration beanstandeten Bestimmungen des beantragten Volksbegehrens nicht der Materie des Straßenverkehrs zuzurechnen seien oder betroffene Vorschriften der Straßenverkehrs-Ordnung auf anderweitigen Kompetenztiteln wie dem Städtebaurecht und dem Umweltrecht beruhten, sodass die Sperrwirkung nicht zum Tragen komme, und dass zudem einige straßenverkehrsrechtliche Anordnungen einen straßenrechtlichen Konnex hätten, der in der Kompetenz der Länder stehe. Zu diesen Einwänden ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die ordnungsrechtliche Ausrichtung auch heute den Kern des Straßenverkehrsrechts und seinen eindeutigen Schwerpunkt bestimmt, obwohl es dieses nicht mehr ausschließlich formt. Insbesondere enthält § 45 StVO seit seiner weitreichenden Änderung im Jahr 1980 auf der Grundlage der Bundeskompetenz „Bodenrecht“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG) auch Ermächtigungen zum Erlass von verkehrsrechtlichen Anordnungen, die dem Schutz der Umwelt und städtebaulichen Belangen dienen (vgl. etwa § 45 Abs. 1 b Satz 1 Nrn. 2, 2 a, 3 und 5, Satz 2 StVO). Das Instrumentarium des Straßenverkehrsrechts ist seitdem zusätzlich auf die Ziele und Zwecke des Umwelt- und Städtebaurechts gerichtet und komplettiert dieses, soweit es um die Auswirkungen des modernen Verkehrs auf dessen Schutzgüter geht. Insoweit wird § 45 StVO ergänzt durch die Ermächtigung des § 40 BImSchG zum Erlass von Verkehrsverboten und Verkehrsbeschränkungen zur Verbesserung der Luftqualität in besonders verkehrsbelasteten Bereichen der Innenstädte (vgl. Steiner in Münchener Kommentar zum StVR, § 45 StVO Rn. 2; vgl. zum Hauptzweck der Abwehr von Gefahren für die Sicherheit oder Leichtigkeit des Verkehrs und Nebenzwecken in der aktuellen Fassung des § 6 StVG auch BT-Drs. 19/28684 S. 45; Jakobs in Freymann/ Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, § 6 StVG Rn. 43).
77
b) Jedenfalls die folgenden beanstandeten Bestimmungen des geplanten Bayerischen Radgesetzes unterfallen der durch die abschließende bundesrechtliche Regelung über das Straßenverkehrsrecht gemäß Art. 72 Abs. 1 GG ausgelösten Sperrwirkung und sind deshalb verfassungsrechtlich unzulässig.
78
aa) Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayRadG-E:
79
Art. 5 des geplanten Bayerischen Radgesetzes ist überschrieben mit „Verkehrssicherheit (,Vision Zero‘)“ und regelt in den beanstandeten ersten drei Sätzen seines Absatz 1, dass „in Anlehnung an § 1 der StVO“ der Verkehr im Freistaat Bayern durch ständige Vorsicht, gegenseitige Rücksichtnahme und Respekt aller Verkehrsteilnehmenden geprägt ist (Satz 1). Hierbei hat der Schutz der „schwächeren Verkehrsteilnehmenden“ oberste Priorität (Satz 2). Eine sichere Teilnahme am Verkehr soll unabhängig vom Verkehrsmittel möglich sein (Satz 3). Im nachfolgenden Satz 4 (ab diesem wird die Vorschrift nicht beanstandet) wird bestimmt, dass das Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr zum Schutz der „schwächeren Verkehrsteilnehmenden“ eine Anordnung zur verstärkten Kontrolle und Sanktionierung von Ordnungswidrigkeiten im Verkehr erlassen soll. Absatz 2 regelt allgemein, dass der Freistaat Bayern das Ziel verfolgt, dass sich in Bayern keine tödlichen Verkehrsunfälle oder Verkehrsunfälle mit schweren Personenschäden ereignen (Vision Zero). Absatz 3 bestimmt im Anschluss daran, dass die Bayerische Staatsregierung zur Erreichung dieses Ziels ein Verkehrssicherheitsprogramm mit Handlungsschwerpunkten und -hinweisen aufstellt. Dieses soll auf der Grundlage einer Analyse von Unfallursachen und Risikogruppen durch verursacherbezogene, infrastrukturelle, verkehrsorganisatorische und kommunikative Maßnahmen die Sicherheit der benachteiligten Verkehrsteilnehmenden verbessern.
80
(1) Bei der Auslegung des Regelungsgehalts dieser Bestimmung des geplanten Bayerischen Radgesetzes und auch der weiteren Vorschriften ist zu berücksichtigen, dass der Verfassungsgerichtshof sich bei der Überprüfung eines Gesetzentwurfs im Verfahren des Art. 64 LWG in einer anderen Situation als bei einer nachträglichen Normenkontrolle, etwa in einem Popularklageverfahren, befindet. Bei der Kontrolle einer bestehenden Norm ist stets im Blick zu behalten, dass diese im Rechts- und Staatsleben bereits Wirkungen entfaltet hat. Das ist bei der Überprüfung eines Gesetzentwurfs, der dem Volk zur Entscheidung vorgelegt werden soll, grundlegend anders. Es geht hier um eine Art der vorbeugenden Kontrolle. Dem Volk muss – im Rahmen des insoweit Möglichen – von vornherein ein verfassungsrechtlich bedenkenfreier und Zweifelsfragen vermeidender Gesetzentwurf vorgelegt werden. Nach dem Grundrecht auf Teilhabe an der Staatsgewalt gemäß Art. 7 Abs. 2 BV in Gestalt der Abstimmungsfreiheit ist zudem erforderlich, dass die Bürgerinnen und Bürger den Inhalt und die Tragweite des ihnen vorgelegten Entwurfs aus dem Gesetzentwurf im Zusammenhang mit dessen Begründung erkennen können. Wenn das Anliegen des Volksbegehrens sich daraus nicht hinreichend klar ergibt, besteht die Gefahr einer Verfälschung des Abstimmungsergebnisses. Der Verfassungsgerichtshof hat mit dieser Begründung in seiner Entscheidung vom 31. März 2000 (VerfGHE 53, 42/66 f. m. w. N.) eine korrigierende verfassungskonforme Auslegung von Vorschriften eines Volksbegehrens für ausgeschlossen erklärt. Wenn dem abstimmenden Bürger zusätzlich zum Gesetzentwurf mit Begründung auch noch korrigierende verfassungskonforme Auslegungen der einzelnen Vorschriften unterbreitet werden müssten, bestünde die Gefahr, dass der Bürger über den Inhalt des Volksbegehrens nicht vollständig im Klaren sei. In seiner Entscheidung vom 3. Februar 2009 (VerfGHE 62, 1/19) hat der Verfassungsgerichtshof die Frage, ob diese Erwägungen für eine bundesrechtskonforme Auslegung entsprechend gelten, offengelassen und entscheidungserheblich darauf abgestellt, dass damals der klare Wortlaut und die Intention der vorgesehenen Regelungen des Volksbegehrens einer bundesrechtskonformen Auslegung entgegenstanden.
81
Eine unterschiedliche Behandlung beider Konstellationen könnte allenfalls durch den beschränkten Prüfungsmaßstab des Verfassungsgerichtshofs im Hinblick auf Bundesrecht gerechtfertigt werden. Da es insoweit aber anders als bei der Frage, ob der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz für das Straßenverkehrsrecht abschließend im Sinn von Art. 72 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht hat, um die Auslegung von (geplantem) Landesrecht und nicht um die von Bundesrecht geht, ist eine unterschiedliche Behandlung nicht angezeigt. Der Gesetzentwurf eines Volksbegehrens und die ihm nach Art. 63 Abs. 1 Satz 2 LWG beizufügende Begründung haben die Aufgabe, der Gesamtheit der an dem gestuften Abstimmungsverfahren beteiligten Staatsbürger – angefangen von den mindestens 25.000 Unterstützern nach Art. 63 Abs. 1 Satz 3 LWG über das Zehntel der stimmberechtigten Staatsbürger nach Art. 74 Abs. 1 BV bis hin zu dem über das Volksbegehren entscheidenden Volk (Art. 74 Abs. 5 Satz 1 BV) – über die Bedeutung und Tragweite der Abstimmungsfrage sachgerecht zu informieren. Dazu müssen Gesetzestext und Begründung verfassungsrechtlich bedenkenfrei gestaltet sein. Die Entscheidung der Stimmberechtigten auf allen Ebenen kann nur dann sachgerecht ausfallen, wenn sie den Inhalt des Gesetzentwurfs verstehen, seine Auswirkungen überblicken und die wesentlichen Vor- und Nachteile abschätzen können. Durch eine Änderung, Berichtigung oder Ergänzung des Gesetzentwurfs und seiner Begründung darf der sachliche Gegenstand eines Volksbegehrens nicht geändert werden. Daher darf insbesondere eine ursprünglich unzureichende Begründung eines Volksbegehrens nicht durch Nachschieben inhaltlich zureichender Gründe in einem späteren Verfahrensstadium ersetzt werden, außer es handelte sich um geringfügige Mängel, die für die Willensbildung der Stimmberechtigten nicht relevant waren. Andernfalls könnten die Unterstützerunterschriften dem Gegenstand des Volksbegehrens nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit zugerechnet werden, da sie von den Stimmberechtigten möglicherweise aufgrund anderer Vorstellungen geleistet wurden (vgl. VerfGH vom 13.4.2000 VerfGHE 53, 81/109 f. m. w. N.). Diese Erwägungen lassen sich auf die Frage einer bundesrechtskonformen Auslegung durch den Verfassungsgerichtshof im Rahmen der Prüfung der Zulassung eines Volksbegehrens übertragen. Sofern durch eine bundesrechtskonforme Auslegung der für die Unterzeichner erkennbare sachliche Gehalt der Regelungen geändert würde, scheidet eine solche aus.
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(2) Die ausdrückliche Bezugnahme auf § 1 StVO in Art. 5 Abs. 1 Satz 1 BayRadG-E und auch die Überschrift der geplanten Vorschrift sprechen deutlich für eine straßenverkehrsrechtliche Regelung. § 1 StVO (Grundregeln) legt die grundlegenden Verhaltensanforderungen an die Verkehrsteilnehmer mit Blick auf die Sicherheit im Verkehr fest. Nach § 1 Abs. 1 StVO erfordert die Teilnahme am Straßenverkehr ständige Vorsicht und gegenseitige Rücksicht; nach § 1 Abs. 2 StVO hat, wer am Verkehr teilnimmt, sich so zu verhalten, dass kein Anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird. Zu § 1 StVO ist in der bereits angesprochenen, mit Zustimmung des Bundesrats erlassenen Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) unter I. bestimmt: „Die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) regelt und lenkt den öffentlichen Verkehr. Oberstes Ziel ist dabei die Verkehrssicherheit. Hierbei ist die,Vision Zero‘ (keine Verkehrsunfälle mit Todesfolge oder schweren Personenschäden) Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen.“
83
Im beanstandeten Teil des Art. 5 Abs. 1 BayRadG-E wird nicht lediglich auf die bestehenden bundesrechtlichen Grundregeln für das Verhalten im Straßenverkehr hingewiesen. Mit der in Satz 1 verwendeten Formulierung „in Anlehnung an § 1 der StVO“ wird vielmehr der konkrete Bezug zur bundesrechtlichen Vorschrift hergestellt und werden sodann dortige Begrifflichkeiten aufgegriffen, insoweit aber – gerichtet an „alle Verkehrsteilnehmenden“ – eine tendenziell abweichende Regelung für den „Verkehr im Freistaat Bayern“ getroffen. Es kann jedenfalls hinsichtlich der Sätze 1 und 2 nicht davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei, wie von der Beauftragten des Volksbegehrens behauptet, lediglich um einen allgemeinen Programmsatz handelt, der die vom beantragten Volksbegehren verfolgten Ziele konturiert. Die mit dem geplanten Bayerischen Radgesetz u. a. verfolgte allgemeine Zielsetzung der Erhöhung der Verkehrssicherheit, insbesondere für den Radverkehr, ist bereits in der Präambel und in der Regelung des Gesetzeszwecks gemäß Art. 1 Satz 2 BayRadG-E sowie in Art. 9 Nr. 2 BayRadG-E festgehalten (vgl. auch die Begründung des Volksbegehrens zu Art. 1 Satz 2 BayRadG-E). Daneben kann auch Art. 5 Abs. 2 BayRadG-E eine lediglich allgemeine Zielsetzung entnommen werden, zu deren Umsetzung dann Absatz 3 konkrete Regelungen enthält. Die ersten Sätze des Art. 5 Abs. 1 BayRadG-E zielen hingegen ersichtlich auf eine „Nachbesserung“ der bundesrechtlichen Regelung ab. Für den Verkehr im Freistaat Bayern sollen die grundlegenden Verhaltensanforderungen an die Verkehrsteilnehmenden modifiziert zur Anwendung kommen. Die bundesrechtlichen Grundregeln der ständigen Vorsicht und gegenseitigen Rücksicht werden in Satz 1 durch den „Respekt“ aller Verkehrsteilnehmer ergänzt und darüber hinaus in Satz 2 („Hierbei“) die hinsichtlich der Art der Fortbewegung bzw. der Fortbewegungsmittel neutrale bundesrechtliche Regelung dahingehend abgeändert, dass dem Schutz der sog. „schwächeren Verkehrsteilnehmer“ oberste Priorität eingeräumt wird. Damit sind die „weniger geschützten Verkehrsteilnehmenden auf dem Fahrrad und zu Fuß, die nicht von technischen Vorgaben im Kraftfahrzeugbau profitieren“ gemeint (vgl. Begründung zu § 1 – Einführung eines Bayerischen Radgesetzes – A) Allgemeines). Abstellend auf den Empfängerhorizont der Unterzeichner des Volksbegehrens liegt die Annahme fern, dass damit keine konkrete Regelungsabsicht zur Umsetzung der allgemeinen Zielsetzungen verbunden wäre und keine (tendenzielle) Änderung der geltenden Rechtslage angestrebt würde. Lediglich Satz 3 ließe sich zugunsten der Beauftragten des Volksbegehrens als allgemeine Zielsetzung einordnen, da man ihn wohl nicht zwingend als (unselbstständige) Erläuterung zu Satz 2 verstehen muss. Diese Auslegung von Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayRadG-E wird unterstützt dadurch, dass nach der Begründung zu dieser Vorschrift Ziel der Regelungen ist, die aktuell im Verkehr regelmäßig benachteiligten Radfahrenden zu schützen – was Regelungen mit konkreten Auswirkungen nahelegt. Soweit in dieser Begründung die Träger der Straßenbaulast angesprochen werden, bezieht sich dies ausdrücklich auf die „Handlungsschwerpunkte“, von denen erst in Art. 5 Abs. 3 BayRadG-E im Zusammenhang mit einem Verkehrssicherheitsprogramm der Staatsregierung die Rede ist. Insoweit wird der Gesetzentwurf vom Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration nicht als verfassungswidrig beanstandet.
84
Die Auffassung der Beauftragten des Volksbegehrens, dass mit der „Vision Zero“ ein allgemeines sicherheitspolitisches Anliegen zum Ausdruck gebracht werde, den Verkehr in Bayern sicherer zu gestalten, und dies als „sonstiges Sicherheitsrecht“ in die Kompetenz des Landes falle, ist nicht nachvollziehbar. Die spezifische Ausrichtung auf die Verkehrssicherheit, also auf verkehrsbezogen-ordnungsrechtliche und gerade nicht auf allgemeine ordnungspolitische Belange liegt auf der Hand. Der Hinweis darauf, dass sich der Gedanke der „Vision Zero“ auch in anderen Landesgesetzen zur Nahmobilität finde, insbesondere in § 10 Abs. 3 des Berliner Mobilitätsgesetzes und in § 7 Abs. 1 Satz 1 des Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen (FaNaG), ist schon deshalb unbehelflich, weil die dortigen Regelungen nicht ansatzweise vergleichbar sind. Nach § 10 Berliner Mobilitätsgesetz sollen alle Menschen unabhängig vom gewählten Verkehrsmittel sicher an ihrem Ziel ankommen (Abs. 1); gegenseitige Rücksichtnahme und Respekt zwischen allen am Verkehr Teilnehmenden seien als wesentliche Grundlagen der Verkehrssicherheit zu fördern (Abs. 2); Ziel sei, dass sich im Berliner Stadtgebiet keine Verkehrsunfälle mit schweren Personenschäden ereigneten; diese „Vision Zero“ sei Leitlinie für alle Planungen, Standards und Maßnahmen mit Einfluss auf die Entwicklung der Verkehrssicherheit (Abs. 3). Anders als in Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayRadG-E wird in § 10 Abs. 3 Berliner Mobilitätsgesetz ersichtlich nur eine allgemeine Zielvorgabe formuliert und diese als Leitlinie für alle Planungen, Standards und Maßnahmen mit Einfluss auf die Entwicklung der Verkehrssicherheit festgelegt. Dort wird kein Bezug zu § 1 StVO hergestellt und werden auch ansonsten keine Anforderungen an die Verkehrsteilnehmenden formuliert. In § 7 Abs. 1 FaNaG ist lediglich geregelt, dass das für Verkehr zuständige Ministerium zur Verfolgung des Ziels, dass niemand im Straßenverkehr getötet oder mit lebenslangen Schäden schwer verletzt wird („Vision Zero“), ein Verkehrssicherheitsprogramm aufstellt, in dem auf Grundlage einer Analyse von Unfallursachen und Risikogruppen die weitergehenden Qualitätsziele und entsprechenden Handlungsschwerpunkte zu benennen und Werkzeuge und Handlungshinweise zur Verfügung zu stellen sind. Diese Vorschrift hat also eine ähnliche Zielrichtung wie der vom Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration nicht beanstandete Art. 5 Abs. 3 BayRadG-E.
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(3) Nach alledem handelt es sich bei Art. 5 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BayRadG-E um eine Regelung, die dem Landesgesetzgeber aufgrund der Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG verwehrt ist. Wie ausgeführt (vgl. oben unter a) bb)), hat die Sperrwirkung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Folge, dass ein gleichwohl verabschiedetes Landesgesetz wegen fehlender Kompetenz nichtig ist, unabhängig davon, ob die landesrechtlichen Regelungen mit dem erschöpfenden Bundesrecht inhaltlich kollidieren oder dieses nur ergänzen, ohne ihm zu widersprechen. Die Auffassung der Beauftragten des Volksbegehrens, dass die Sperrklausel des Art. 72 Abs. 1 GG „im Lichte der Erforderlichkeitsklausel gemäß Art. 72 Abs. 2 GG“ auszulegen sei und nur dann ihre Wirkung entfalten könne, wenn die Wahrung der Rechtseinheit gefährdet sei, findet weder im Grundgesetz noch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine Stütze. Danach sind die Länder – ohne dass für den Eintritt der Sperrwirkung eine solche zusätzliche Prüfung vorzunehmen wäre – nicht berechtigt, eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz dort in Anspruch zu nehmen, wo sie eine – abschließende – Bundesregelung für unzulänglich und deshalb reformbedürftig halten; das Grundgesetz weist ihnen nicht die Aufgabe zu, kompetenzgemäß getroffene Entscheidungen des Bundesgesetzgebers „nachzubessern“ (vgl. die unter a) bb) zitierten Nachweise, zuletzt BVerfG vom 27.9.2022 – 1 BvR 2661/21 – juris Rn. 27). Art. 72 Abs. 2 GG, wonach der Bund u. a. auf den Gebieten des Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG das Gesetzgebungsrecht nur hat, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eines bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht, regelt die Voraussetzungen der Kompetenz des Bundes im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung, nicht aber die Folgen einer kompetenzgemäß getroffenen Entscheidung des Bundesgesetzgebers.
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bb) Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayRadG-E:
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Nach Art. 7 (Schulisches Mobilitätsmanagement) Abs. 1 BayRadG-E ist die Sicherheit der Kindergarten- und Vorschulkinder zu gewährleisten (Satz 1). Vor Kindertagesstätten, -gärten, -krippen, -horten und Schulen sollen „nach Maßgabe der StVO“ zu den An- und Abfahrtszeiten „verkehrsberuhigte Zonen“ eingeführt werden (Satz 2). In der Begründung des Volksbegehrens zu diesem Artikel ist hierzu folgende Passage enthalten: „Zur Erhöhung der Sicherheit im Bereich des Hol- und Bringverkehrs bietet sich die Schaffung von verkehrsberuhigten Zonen vor Schulen und Kindertagesstätten und definierten Hol- und Bringzonen an, insoweit die StVO dies zulässt.“
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(1) Entgegen der Auffassung der Beauftragten des Volksbegehrens kann diese Bestimmung nach Wortlaut und Begründung nicht als „primär planerische Vorschrift, die zudem einen straßenrechtlichen Bezug“ habe, eingeordnet werden. Sie ist straßenverkehrsrechtlicher Natur.
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Zum Zweck der Verkehrsberuhigung stehen grundsätzlich sowohl die Instrumente des Straßenverkehrsrechts als auch die des landesrechtlichen Straßenrechts zur Verfügung, die teilweise miteinander konkurrieren. Dabei gilt einerseits der Grundsatz des sog. Vorbehalts des Straßenrechts bzw. der Widmung, nach dem die Straßenverkehrsbehörden grundsätzlich weder Nutzungen auf Dauer einschränken können, die widmungsgemäß sind, noch Nutzungen ermöglichen können, die den Widmungsrahmen überschreiten. Andererseits kommen innerhalb dieses Nutzungsrahmens die Straßenverkehrsvorschriften und die auf der Grundlage vor allem des § 45 StVO erlassenen verkehrsrechtlichen Anordnungen zum Zug. Sache des Straßenverkehrsrechts ist es, unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs das Verhältnis der (widmungsrechtlich zugelassenen) Verkehrsarten und Verkehrsteilnehmer untereinander zu regeln oder dies zu regeln die Straßenverkehrsbehörden zu ermächtigen – sog. Vorrang des Straßenverkehrsrechts (vgl. nur Steiner in Münchener Kommentar zum StVR, § 45 StVO Rn.11 f.).
90
Dem Vorbehalt des Straßenrechts trägt die Straßenverkehrs-Ordnung im hier betroffenen Bereich der Verkehrsberuhigung insbesondere dadurch Rechnung, dass in § 45 Abs. 1 b Nr. 3 Alt. 1 StVO die Anordnungsbefugnis der Straßenverkehrsbehörden hinsichtlich Fußgängerbereichen (Zeichen 242.1 und 242.2, lfd. Nrn. 21 und 22 der Anlage 2 zur StVO) auf deren bloße „Kennzeichnung“ beschränkt ist. Die einer solchen Publikation zu Grunde liegende Reservierung der Fläche in diesen Bereichen für den Fußgängerverkehr erfolgt hingegen regelmäßig durch ursprüngliche oder nachträgliche Widmungsbeschränkung auf der Grundlage der jeweiligen Landesstraßengesetze (vgl. näher Steiner, a. a. O., § 45 StVO Rn. 43; vgl. auch VwV-StVO zu § 41 Vorschriftzeichen – zu den Zeichen 242.1 und 242.2). Hinsichtlich verkehrsberuhigter Bereiche im Sinn der StraßenverkehrsOrdnung (Zeichen 325.1 und 325.2, lfd. Nrn. 12 und 13 der Anlage 3 zur StVO, mit den entsprechenden Rechtsfolgen für den ruhenden und fließenden Verkehr, u. a. Schrittgeschwindigkeit, Parkverbot außerhalb gekennzeichneter Flächen) sind die Straßenverkehrsbehörden ebenfalls gemäß § 45 Abs. 1 b Nr. 3 Alt. 2 StVO lediglich zur Kennzeichnung, nicht jedoch zur Entscheidung über die Einrichtung eines solchen Bereichs selbst befugt. Insoweit bedarf es nach wohl herrschender Meinung zwar keiner besonderen wegerechtlichen Grundlage. Denn es werden grundsätzlich keine gemeingebräuchlichen Verkehrsarten von der Straßennutzung, wie beispielsweise der Kraftfahrzeugverkehr in Fußgängerbereichen, auf Dauer ausgeschlossen, sondern nur der Trennungsgrundsatz der Verkehrsarten aufgehoben. Jedenfalls aber sind verkehrsberuhigte Bereiche planerisch-städtebaulich von den Gemeinden vorzuentscheiden, wobei insbesondere § 9 Abs. 1 Nr. 11 BauGB als Rechtsgrundlage in Betracht kommt, und werden straßenverkehrsrechtlich lediglich ausgewiesen (vgl. VGH BW vom 29.1.2009 NVwZ-RR 2009, 508/510; Steiner, a. a. O., § 45 StVO Rn. 44 m. w. N.; vgl. auch VwV-StVO zu § 42 Richtzeichen – zu den Zeichen 325.1 und 325.2).
91
Würde Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayRadG-E speziell auf die möglichst weitgehende Einrichtung von „verkehrsberuhigten Bereichen“ im Wortsinn der StraßenverkehrsOrdnung vor Kindertagesstätten, -gärten, -krippen, -horten und Schulen durch die Gemeinden abzielen, wäre die Bestimmung daher nicht ohne Weiteres als straßenverkehrsrechtliche Regelung einzuordnen. Davon kann jedoch nicht ausgegangen werden. Dagegen spricht schon der verwendete, in der Terminologie abweichende Begriff „verkehrsberuhigte Zonen“, der nach Angaben der Beauftragten des Volksbegehrens bewusst und nicht versehentlich gewählt worden ist. Weiter spricht dagegen, dass die Einführung verkehrsberuhigter Zonen durch das Volksbegehren ausdrücklich „nach Maßgabe der StVO“ bzw. ausweislich der Begründung „insoweit die StVO dies zulässt“ erfolgen soll. Dies würde keinen Sinn ergeben, wenn sich nur die Kennzeichnung, nicht aber die Zulässigkeit der Errichtung einer solchen Zone nach der Straßenverkehrs-Ordnung richtete.
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§ 45 StVO enthält neben den nur zu kennzeichnenden „verkehrsberuhigten Bereichen“ auch Anordnungsbefugnisse zur Verkehrsberuhigung aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs. So ordnen gemäß § 45 Abs. 1 c StVO die Straßenverkehrsbehörden innerhalb geschlossener Ortschaften, insbesondere in Wohngebieten und Gebieten mit hoher Fußgänger- und Fahrradverkehrsdichte sowie hohem Querungsbedarf, Tempo 30-Zonen im Einvernehmen mit der Gemeinde an (Satz 1); die Zonenanordnung darf sich allerdings weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) noch auf weitere Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) erstrecken (Satz 2); sie darf darüber hinaus nur Straßen ohne Lichtzeichen geregelte Kreuzungen oder Einmündungen, Fahrstreifenbegrenzungen, Leitlinien und benutzungspflichtige Radwege umfassen (Satz 3). Soweit eine Einrichtung solcher Zonen auf innerörtlichen Hauptverkehrsstraßen sowie auf weiteren Vorfahrtstraßen, die in erster Linie dem weiträumigen Verkehr dienen, nicht in Betracht kommt, hat der Bundesgesetzgeber – Verordnungsgeber – mit der Ersten Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung vom 30. November 2016 (BGBl I S. 2848) durch Neufassung von § 45 Abs. 9 StVO die streckenbezogene Anordnungsmöglichkeit von Tempo 30 vor allgemeinbildenden Schulen, Kindergärten, Kindertagesstätten, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern, also vor bestimmten verkehrssicherheitssensiblen Bereichen, erleichtert (§ 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 6 StVO). Insoweit gilt (ebenso wie schon zuvor u. a. für Tempo 30-Zonen nach § 45 Abs. 1 c StVO) § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO nicht, wonach Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden dürfen, wenn aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.
Die Absenkung der bisher hohen Hürde für die streckenbezogene Anordnung von Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen im unmittelbaren Bereich der abschließend aufgezählten sensiblen Bereiche mit Zugang zur Straße erfolgte ausweislich der Begründung der Verordnung aufgrund der besonderen Schutzwürdigkeit der betroffenen Personenkreise (vgl. BR-Drs. 332/16 S. 10 f.). Dabei lasse diese Änderung § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO unberührt. Mit ihr sei kein Automatismus verbunden, dass Tempo 30 vor solchen Einrichtungen stets anzuordnen wäre, sondern es sei weiterhin eine Einzelfallprüfung erforderlich (vgl. BR-Drs. 332/16 S. 14; vgl. zum Ganzen auch Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Aufl. 2022, § 45 StVO Rn. 10 a). Nähere Vorgaben zur Anordnung der streckenbezogenen Höchstgeschwindigkeit für diese Fälle sollten nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers in einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zu Zeichen 274, also nicht unmittelbar durch Rechtsverordnung, festgelegt werden (vgl. BR-Drs. 332/16 S. 14), was inzwischen auch geschehen ist (vgl. VwV-StVO zu § 41 Vorschriftszeichen – zu Zeichen 274 Zulässige Höchstgeschwindigkeit unter XI.).
93
Angesichts dieses bundesrechtlichen Hintergrunds ist davon auszugehen, dass Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayRadG-E jedenfalls mit und wohl überwiegend darauf abzielt, auf die Anordnungsbefugnis der Straßenverkehrsbehörden in den Bereichen ermessenslenkend Einfluss zu nehmen, in denen ihnen die Straßenverkehrs-Ordnung einen Ermessensspielraum zu Maßnahmen der Verkehrsberuhigung vor Schulen und den anderen genannten Stätten eröffnet („insoweit die StVO dies zulässt“). Sofern ein Ermessensspielraum besteht, „sollen“ verkehrsberuhigte Zonen eingeführt werden. Dabei kann der Begriff „sollen“ entsprechend der üblichen verwaltungsrechtlichen Terminologie nur dahingehend verstanden werden, dass die Rechtsfolge für den Regelfall eintreten bzw. gesetzt werden muss und Abweichungen nur in atypischen Fällen gestattet sind (vgl. zu Soll-Vorschriften allgemein nur Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, 23. Aufl. 2022, § 40 Rn. 34).
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(2) Eine derartige Regelung ist dem Landesgesetzgeber jedoch wiederum aufgrund der Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG verwehrt. Anhaltspunkte dafür, dass die diesbezügliche detaillierte straßenverkehrsrechtliche Regelung durch den Bund nicht erschöpfend sein sollte, sind nicht ersichtlich. Landesrechtliche Regelungen in diesem Bereich sind daher mangels Kompetenz nichtig, unabhängig davon, ob sie mit dem erschöpfenden Bundesrecht inhaltlich kollidieren oder dieses nur ergänzen, ohne ihm zu widersprechen.
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Die mit dem geplanten Bayerischen Radgesetz beabsichtigte pauschale Soll-Vorgabe weicht vom bundesrechtlichen Konzept ab, das auf nähere Vorgaben für die Ermessensausübung in der Rechtsverordnung selbst gerade verzichtet, vielmehr insoweit den Straßenverkehrsbehörden Ermessensspielräume einräumt, grundsätzlich auf eine Einzelfallprüfung verweist und etwaige nähere allgemeine Vorgaben (nur) auf Ebene allgemeiner Verwaltungsvorschriften festgelegt haben will. Der Konflikt der im Volksbegehrensentwurf vorgesehenen pauschalen Soll-Vorgabe zur Einrichtung „verkehrsberuhigter Zonen“ mit dem bundesgesetzlichen Regelungskonzept wird insbesondere bei der streckenbezogenen Anordnung von Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen vor Schulen und den weiteren betroffenen Stätten deutlich. Insoweit sind bundesweit in der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung zu § 41 Vorschriftszeichen – zu Zeichen 274 Zulässige Höchstgeschwindigkeit – unter XI. spezifische Vorgaben enthalten, nach denen eine Anordnung von Tempo 30 „in der Regel“ nur unter bestimmten Voraussetzungen und mit näheren Maßgaben vorgesehen ist. Danach ist innerhalb geschlossener Ortschaften die Geschwindigkeit im unmittelbaren Bereich von an Straßen gelegenen Kindergärten, -tagesstätten, -krippen, -horten, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen für geistig oder körperlich behinderte Menschen, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern in der Regel auf Tempo 30 km/h zu beschränken, soweit die Einrichtungen über einen direkten Zugang zur Straße verfügen oder im Nahbereich der Einrichtungen starker Ziel- und Quellverkehr mit all seinen kritischen Begleiterscheinungen (z. B. Bring- und Abholverkehr mit vielfachem Ein- und Aussteigen, erhöhter Parkraumsuchverkehr, häufige Fahrbahnquerungen durch Fußgänger, Pulkbildung von Radfahrern und Fußgängern) vorhanden ist. Dies gilt insbesondere auch auf klassifizierten Straßen (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) sowie auf weiteren Vorfahrtstraßen (Zeichen 306). Im Ausnahmefall kann auf die Absenkung der Geschwindigkeit verzichtet werden, soweit etwaige negative Auswirkungen auf den ÖPNV (z. B. Taktfahrplan) zu befürchten sind oder eine Verkehrsverlagerung auf die Wohnnebenstraßen droht. In die Gesamtabwägung sind dann die Größe der Einrichtung und Sicherheitsgewinne durch Sicherheitseinrichtungen und Querungshilfen (z. B. Fußgängerüberwege, Lichtzeichenanlagen, Sperrgitter) einzubeziehen. Die streckenbezogene Anordnung ist auf den unmittelbaren Bereich der Einrichtung und insgesamt auf höchstens 300 m Länge zu begrenzen. Die beiden Fahrtrichtungen müssen dabei nicht gleich behandelt werden. Die Anordnungen sind, soweit Öffnungszeiten (einschließlich Nach- und Nebennutzungen) festgelegt wurden, auf diese zu beschränken.
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Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung ist im Rahmen der Bundesaufsicht bei landeseigenem Vollzug von Bundesrecht ergangen. Nach Art. 83 i. V. m. Art. 84 Abs. 1 GG führen die Länder Bundesrecht in der Regel als eigene Angelegenheit aus; so auch die vom zuständigen Bundesministerium bzw. den zuständigen Bundesministerien mit Zustimmung der Länder im Bundesrat (vgl. Art. 84 Abs. 2 GG, Art. 6 Abs. 1 StVG) erlassene StraßenverkehrsOrdnung. Es soll gewährleistet sein, dass verkehrsbehördliche Anordnungen im ganzen Bundesgebiet nach den gleichen Grundsätzen erfolgen. Der Verkehrsteilnehmer soll überall in Deutschland die gleichen Verkehrsregeln vorfinden. Hierzu dient die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung, die u. a. Festlegungen enthält, unter welchen Voraussetzungen eine verkehrsbehördliche Anordnung erfolgen soll. Es handelt sich dabei im Rahmen der hier insbesondere betroffenen Regelung zu Zeichen 274 um eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift, die eine einheitliche Ermessensausübung sicherstellen soll (vgl. NdsOVG vom 5.12.2003 – 12 LA 467/03 – juris Rn. 15 m. w. N. zu Anordnungen nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO).
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Die mit Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayRadG-E intendierte Vorschrift betrifft ersichtlich dieselbe Regelungsmaterie, nimmt jedoch die Ermessenslenkung auf Ebene eines förmlichen (Landes-)Gesetzes vor anstatt auf der einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift. Sie weicht zudem in den inhaltlichen Vorgaben für die Ermessensausübung von den bundesweit festgelegten Grundsätzen ab. So wird beispielsweise allgemein auf die Bereiche „vor“ Kindertagesstätten, Schulen usw. abgestellt, ist in der Begründung von „definierten Hol- und Bringzonen“ die Rede und sollen die Zonen „zu den An- und Abfahrtszeiten“ anstatt während der Öffnungszeiten eingeführt werden.
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Die Beauftragte des Volksbegehrens kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass dem Landesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz für derartige ermessenslenkende Regelungen zustehe, da es sich bei Art. 7 Abs. 1 Satz 2BayRadG-E um eine Vollzugsvorschrift handle, die in die Ermessensentscheidung der Behörde weitere Belange einstelle und damit das Verwaltungsverfahren betreffe, das in die Gesetzgebungskompetenz des Landes falle.
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Eine Gesetzgebungskompetenz für die Länder aus Art. 84 Abs. 1 i. V. m. Art. 83 GG besteht für die beanstandete Regelung eindeutig nicht. Zwar regeln danach die Länder, sofern sie – wie bei der Straßenverkehrs-Ordnung – die Bundesgesetze als eigene Angelegenheit ausführen, die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehören zum Verwaltungsverfahren in Abgrenzung zu materiell-inhaltlichen Bestimmungen das „Wie” des Verwaltungshandelns, die Einzelheiten des Verwaltungsablaufs, nämlich die Art und Weise der Ausführung eines Gesetzes einschließlich der dabei zur Verfügung stehenden Handlungsformen, die Form der behördlichen Willensbildung, die Art der Prüfung und Vorbereitung der Entscheidung, deren Zustandekommen und Durchsetzung sowie verwaltungsinterne Mitwirkungs- und Kontrollvorgänge (vgl. BVerfG vom 13.9.2005 BVerfGE 114, 196/224; Suerbaum in Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Art. 84 Rn. 31, jeweils m. w. N.). Um Verwaltungsverfahrensrecht in diesem Sinn handelt es sich vorliegend jedoch nicht, auch nicht unter Berücksichtigung des Umstands, dass in den Verwaltungsverfahrensgesetzen des Bundes und der Länder – ganz überwiegend gleichlautend, in Bayern Art. 40 BayVwVfG – Regelungen zur Ausübung des Ermessens enthalten sind. Die Verwaltungsverfahrensgesetze des Bundes und der Länder enthalten nicht nur Verfahrensrecht im engeren Sinn, sondern teilweise auch Materien, die zum materiellen Verwaltungsrecht gehören und mit dem Verwaltungsverfahren nur in einem mehr oder weniger losen Zusammenhang stehen (annexe Materien). Dabei sind solche Bestimmungen zumeist Ausdruck allgemeiner Rechtsgrundsätze (vgl. Ramsauer in Kopp/Ramsauer, VwVfG, Einführung I Rn. 15). Zu derartigen, in die Verwaltungsverfahrensgesetze aufgenommenen Regelungen mit überwiegend materiellrechtlichem Charakter gehört u. a. § 40 VwVfG bzw. Art. 40 BayVwVfG (vgl. Ramsauer, a. a. O., Einführung I Rn. 17, § 40 Rn. 1). Danach hat die Behörde, wenn sie ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Die Vorschrift regelt also entsprechend allgemeinen Rechtsgrundsätzen und korrespondierend mit § 114 Satz 1 VwGO letztlich nur, „wie“, also auf welche Art und Weise, die Verwaltung die Ermessensausübung handhaben soll. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, dass die Vorgabe konkreter materiellrechtlicher Kriterien für die Ermessensausübung in Sachbereichen, die abschließend bundesrechtlich geregelt sind, eine verfahrensrechtliche Regelung wäre, die in die Kompetenz des Landesgesetzgebers fiele.
100
Eine Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers lässt sich entgegen der Auffassung der Beauftragten des Volksbegehrens auch nicht mit der Erwägung begründen, dass Aufgaben der Straßenverkehrsbehörden Staatsaufgaben seien, welche die Gemeinden, soweit sie nach Art. 2 bis 4 des Gesetzes über Zuständigkeiten im Verkehrswesen (ZustGVerk) Straßenverkehrsbehörden sind, im übertragenen Wirkungskreis erfüllten (vgl. Art. 6 Satz 1 ZustGVerk) und insoweit weisungsgebunden seien, oder – entsprechend der ergänzenden Erläuterung in der mündlichen Verhandlung – damit, dass verwaltungslenkendes Ermessen durch die Verwaltungsbehörden „gang und gäbe“ sei und den Tatbestand des zugrunde liegenden Gesetzes unberührt lasse. Für die Beurteilung kann dahingestellt bleiben, inwiefern neben den dezidierten Vorgaben in der VwV-StVO zu § 41 Vorschriftszeichen – zu Zeichen 274 Zulässige Höchstgeschwindigkeit – unter XI. für die oberste Straßenverkehrsbehörde (in Bayern das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, Art. 2 ZustGVerk) überhaupt noch Raum für weitere generelle ermessenslenkende Vorgaben in Form von spezifisch bayerischen Verwaltungsvorschriften verbliebe. Jedenfalls resultiert aus einer Befugnis der Exekutive zum Erlass von Verwaltungsvorschriften wegen des rechtsstaatlichen Grundsatzes der Gewaltenteilung keine Gesetzgebungskompetenz für den Landesgesetzgeber. Bei Verwaltungsvorschriften handelt es sich um allgemein gehaltene Anweisungen entweder innerhalb einer Behörde an die dort tätigen Bediensteten oder – wie im vorliegenden Bereich – von einer Behörde gegenüber nachgeordneten Behörden. Sie können normalerweise keine Rechte oder Pflichten für den Bürger begründen und stellen aufgrund dieser fehlenden (unmittelbaren) Außenwirkung anders als Rechtsverordnungen keine Rechtsnormen dar. Zwar eröffnet das Grundgesetz in Art. 80 Abs. 4 seit der Grundgesetzreform des Jahres 1994 den Landesparlamenten die Möglichkeit, im Fall einer bundesgesetzlichen Ermächtigung der Landesregierungen zum Verordnungserlass deren Kompetenz an sich zu ziehen und statt einer Verordnung ein formelles Gesetz zu erlassen. Im Hinblick auf Verwaltungsvorschriften gibt es jedoch gerade keine derartige Regelung; für eine entsprechende Anwendung ist schon deshalb kein Raum, da Verwaltungsvorschriften anders als Rechtsverordnungen keine Gesetze im materiellen Sinn darstellen. Die Argumentation der Beauftragten des Volksbegehrens lässt außer Acht, dass der Bundesgesetzgeber in seiner abschließenden Regelung dieses Bereichs wie beschrieben bewusst von näheren Vorgaben für die Ermessensausübung durch die Straßenverkehrsbehörden abgesehen und diese der Exekutive überantwortet hat.
101
Soweit die Beauftragte des Volksbegehrens auf angeblich vergleichbare Regelungen in anderen Bundesländern hinweist, erschöpft sich dies konkret in der Benennung des § 13 Abs. 2 FaNaG in Nordrhein-Westfalen, wonach die Straßenverkehrsbehörden die Belange des Fußverkehrs bei der Schaltung von Lichtsignalanlagen gegenüber den Belangen des Kraftfahrzeug- und Radverkehrs gleichberechtigt berücksichtigen sollen. Das bloße Bestehen dieser Regelung, die mit der Schaltung von Lichtsignalanlagen einen ganz anderen Bereich der Straßenverkehrs-Ordnung betrifft, in einem erst seit 1. Januar 2022 geltenden Gesetz eines anderen Bundeslands impliziert nicht, dass „das im beantragten Volksbegehren praktizierte Regelungsmodell in anderen Bundesländern anerkannt“ sei. Im Übrigen ist es nicht Aufgabe des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, zur Vereinbarkeit von Rechtsvorschriften anderer Bundesländer mit dem Grundgesetz Stellung zu nehmen.
102
Der Verweis der Beauftragten des Volksbegehrens darauf, dass die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Jahr 2021 einen letztlich abgelehnten Entwurf eines Bayerischen Radgesetzes in den Bayerischen Landtag mit deutlich weitergehenden Vorschriften als das beantragte Volksbegehren eingebracht habe (LT-Drs. 18/18964), ohne dass eine Verfassungswidrigkeit des Gesetzentwurfs wegen Kompetenzmängeln beanstandet worden sei, ist unbehelflich. Die Verfassungsmäßigkeit oder Verfassungswidrigkeit des beantragten Volksbegehrens hängt nicht davon ab, ob eine solche Beanstandung erfolgt ist.
103
cc) Art. 10 Abs. 4 BayRadG-E:
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Nach Art. 10 (Besondere Maßnahmen zur Erhöhung der Rad- und Fußverkehrssicherheit) Abs. 4 BayRadG-E sollen die Straßenverkehrsbehörden innerorts bei erlaubten Höchstgeschwindigkeiten von mehr als 30 km/h einen Schutzstreifen für Fahrradfahrende errichten, wenn kein Radweg oder eine andere Radverkehrsanlage vorhanden ist.
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Die Errichtung eines Schutzstreifens für Radfahrende stellt eine den fließenden (Überfahren des Schutzstreifens nur bei Bedarf, insbesondere um dem Gegenverkehr auszuweichen, vgl. lfd. Nr. 22 der Anlage 3 zur StVO, Nr. 2 der Erläuterungen zum Zeichen 340) und ruhenden (Unzulässigkeit des Haltens auf Schutzstreifen für den Radverkehr, vgl. lfd. Nr. 22 der Anlage 3 zur StVO, Nr. 3 der Erläuterungen zum Zeichen 340) Verkehr regelnde straßenverkehrsrechtliche Maßnahme dar.
Die Voraussetzungen für die Anordnung solcher Schutzstreifen für den Radverkehr (Zeichen 340) sind gemäß § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 1 StVO herabgesetzt, indem (auch) insoweit die strengen Anforderungen für Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO nicht gelten.
106
Im Hinblick auf diese Vorschrift beruft sich die Beauftragte des Volksbegehrens nur darauf, dass es sich (wiederum) um eine ermessenslenkende Vollzugsvorschrift handle, die in der Gesetzgebungskompetenz des Landes liege. Die Vorschrift habe lediglich zum Ziel, dass von einem bereits bestehenden Instrument häufiger Gebrauch gemacht werde, und dieses Regelungsmodell werde in anderen Bundesländern in zulässiger Art und Weise praktiziert. Entsprechend den vorstehenden Ausführungen zu Art. 7 Abs. 1 Satz 2 BayRadG-E greifen diese Einwände nicht durch. Die Errichtung von Schutzstreifen für Radfahrende auf Grundlage der Straßenverkehrs-Ordnung dient dem Zweck, unter dem Gesichtspunkt der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs das Verhältnis der auf einer Straße allgemein widmungsrechtlich zugelassenen Verkehrsarten und Verkehrsteilnehmer untereinander, die Ausübung des Gemeingebrauchs, zu regeln. Mit der im Gesetzentwurf des Volksbegehrens geplanten Vorschrift wird die Intention verfolgt, für innerörtliche Straßen mit erlaubten Höchstgeschwindigkeiten von mehr als 30 km/h das den Straßenverkehrsbehörden insoweit seitens des Bundesgesetzgebers im Rahmen des § 45 StVO eingeräumte Ermessen dahingehend einzuschränken, dass dort, sofern kein Radweg oder eine andere Radverkehrsanlage vorhanden ist, im Regelfall („sollen“) ein Schutzstreifen für Radfahrende zu errichten ist und davon nur in atypischen Fällen abgewichen werden kann. Da der Bundesgesetzgeber auch in diesem Bereich auf nähere allgemeine Vorgaben für die Ermessensausübung im Einzelfall verzichtet und eine etwaige Ermessenslenkung der Exekutive überlassen hat, fehlt es an der Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers. Auch kann aus einer Befugnis der Verwaltungsbehörden zum Erlass ermessenslenkender Verwaltungsvorschriften im Hinblick auf die Gewaltenteilung eine Gesetzgebungskompetenz nicht abgeleitet werden (vgl. oben unter bb)(2)) . Die vorgesehene Regelung ist dem Landesgesetzgeber daher aufgrund der Sperrwirkung des Art. 72 Abs. 1 GG verwehrt.
107
dd) Art. 10 Abs. 5 Satz 3 BayRadG-E (Hinweis auf Vorrang des Fußverkehrs):
108
Gemäß Art. 10 (Besondere Maßnahmen zur Erhöhung der Rad- und Fußverkehrssicherheit) Abs. 5 BayRadG-E sollen innerhalb von Ortslagen Radverkehr und Fußverkehr möglichst getrennt geführt werden (Satz 1). Gemeinsame Geh- und Radwege können bei geringem Verkehrsaufkommen eine Alternative sein (Satz 2). Sofern aufgrund der örtlichen Gegebenheiten eine Mitbenutzung von Gehwegen durch den Radverkehr nicht ausgeschlossen werden kann, ist auf den Vorrang des Fußverkehrs deutlich hinzuweisen (Satz 3).
109
(1) Die Benutzung von Gehwegen sowie gemeinsamen Geh- und Radwegen und die dabei in straßenverkehrsrechtlicher Hinsicht geltenden Verhaltensanforderungen sind in der Straßenverkehrs-Ordnung, insbesondere in § 25 (Fußgänger), § 41 (Vorschriftszeichen) StVO i. V. m. den Ge- oder Verboten und Erläuterungen zu Zeichen 239 (Gehweg) und 240 (Gemeinsamer Geh- und Radweg) in lfd. Nrn. 18 und 19 der Anlage 2 zur StVO, erschöpfend geregelt. Gemäß § 25 Abs. 1 Sätze 1 und 2 StVO muss die Gehwege benutzen, wer zu Fuß geht; auf der Fahrbahn darf nur gegangen werden, wenn die Straße weder einen Gehweg noch einen Seitenstreifen hat. Nach der Erläuterung zu Zeichen 239 erfolgt die Kennzeichnung eines Gehwegs nur, wo eine Klarstellung notwendig ist. Als Ge- oder Verbot ist bestimmt, dass anderer als Fußgängerverkehr den Gehweg nicht nutzen darf (Nr. 1). Soweit durch Zusatzzeichen die Benutzung eines Gehwegs für eine andere Verkehrsart erlaubt ist, muss diese auf den Fußgängerverkehr Rücksicht nehmen. Der Fußgängerverkehr darf weder gefährdet noch behindert werden. Wenn nötig, muss der Fahrverkehr warten; er darf nur mit Schrittgeschwindigkeit fahren (Nr. 2). Nach der Erläuterung zu Zeichen 240 kennzeichnet dieses Zeichen auch den Gehweg. Hier darf der Radverkehr nicht die Fahrbahn, sondern muss den gemeinsamen Geh- und Radweg benutzen (Radwegbenutzungspflicht, Nr. 1 der Ge- und Verbote); anderer Verkehr darf ihn nicht benutzen (Nr. 2). Ist durch Zusatzzeichen die Benutzung eines gemeinsamen Geh- und Radwegs für eine andere Verkehrsart erlaubt, muss diese auf den Fußgänger- und Radverkehr Rücksicht nehmen. Erforderlichenfalls muss der Fahrverkehr die Geschwindigkeit an den Fußgängerverkehr anpassen (Nr. 3). Darüber hinaus enthält die Straßenverkehrs-Ordnung in § 2 Abs. 5 StVO eine Sonderregelung für radfahrende Kinder bis zum vollendeten achten Lebensjahr und begleitende Aufsichtspersonen bzw. für radfahrende Kinder bis zum zehnten Lebensjahr, wonach diese mit Fahrrädern Gehwege benutzen müssen bzw. dürfen und dabei auf zu Fuß Gehende „besondere Rücksicht zu nehmen“ ist.
110
(2) Obwohl der beanstandete Art. 10 Abs. 5 Satz 3 BayRadG-E nur eine Hinweispflicht regelt, enthält er auch eine inhaltliche Änderung dieses Regelungsregimes insoweit, als er generell einen „Vorrang“ des Fußverkehrs bei der nicht ausschließbaren Mitbenutzung von Gehwegen durch den Radverkehr voraussetzt. Ein solcher besteht aber jedenfalls auf gemeinsamen Geh- und Radwegen, die im vorangehenden Satz 2 ausdrücklich angesprochen werden, nach der StraßenverkehrsOrdnung gerade nicht. Eigenständige Rücksichtnahmepflichten werden durch Zeichen 240 nur für andere Verkehrsarten statuiert, denen durch Zusatzzeichen die Benutzung eines gemeinsamen Geh- und Radwegs erlaubt ist; hinsichtlich der dort generell erlaubten Verkehrsarten Fußverkehr und Radverkehr verbleibt es bei der Grundregel der gegenseitigen Rücksicht gemäß § 1 Abs. 1 StVO. Soweit dem Fußgängerverkehr auf reinen Gehwegen durch Zeichen 239 implizit ein gewisser „Vorrang“ auch gegenüber dem Radverkehr eingeräumt ist, sind die Regelungen zur Kennzeichnung desselben durch die entsprechende Beschilderung in der Straßenverkehrs-Ordnung abschließend. Gemäß § 39 Abs. 1 StVO sollen Verkehrszeichen vor dem Hintergrund der allen Verkehrsteilnehmern obliegenden Verpflichtung, die allgemeinen und besonderen Verhaltensvorschriften dieser Verordnung eigenverantwortlich zu beachten, nur dort angeordnet werden, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Dadurch soll einer ausufernden Beschilderung und der damit einhergehenden Unübersichtlichkeit entgegengewirkt werden. Dementsprechend verpflichtet auch § 45 Abs. 9 StVO die Verwaltungsbehörden, bei der Anordnung von Verkehrszeichen restriktiv zu verfahren (vgl. nur Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, § 39 StVO Rn. 1). Nähere Vorgaben in Ausfüllung dieser bundesrechtlichen Regelung enthält die VwV-StVO zu den §§ 39 bis 43 Allgemeines über Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen unter I.:
Die behördlichen Maßnahmen zur Regelung und Lenkung des Verkehrs durch Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sollen die allgemeinen Verkehrsvorschriften sinnvoll ergänzen. Dabei ist nach dem Grundsatz zu verfahren, so wenig Verkehrszeichen wie möglich anzuordnen. Bei der Straßenbaubehörde ist gegebenenfalls eine Prüfung anzuregen, ob an Stelle von Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen vorrangig durch verkehrstechnische oder bauliche Maßnahmen eine Verbesserung der Situation erreicht werden kann.
Verkehrszeichen, die lediglich die gesetzliche Regelung wiedergeben, sind nicht anzuordnen. Dies gilt auch für die Anordnung von Verkehrszeichen einschließlich Markierungen, deren rechtliche Wirkung bereits durch ein anderes vorhandenes oder gleichzeitig angeordnetes Verkehrszeichen erreicht wird. Abweichungen bedürfen der Zustimmung der obersten Landesbehörde.
Verkehrszeichen dürfen nur dort angebracht werden, wo dies nach den Umständen geboten ist. Über die Anordnung von Verkehrszeichen darf in jedem Einzelfall und nur nach gründlicher Prüfung entschieden werden; die Zuziehung ortsfremder Sachverständiger kann sich empfehlen.
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(3) Die Kennzeichnung der besonderen Verhaltensvorschriften auf Gehwegen sowie gemeinsamen Geh- und Radwegen soll offensichtlich durch die dafür in der Anlage 2 zur StVO vorgesehenen Zeichen und Markierungen sowie nach den dortigen Maßgaben erfolgen. Eine Kompetenz zur „Nachbesserung“ dieser Vorschriften durch den Landesgesetzgeber, sei es durch die Verpflichtung zur generellen Anbringung der entsprechenden Verkehrszeichen bzw. Zusatzzeichen bei nicht ausschließbarer Mitbenutzung von Gehwegen durch den Radverkehr, sei es durch Anbringung sonstiger, in der Straßenverkehrs-Ordnung nicht vorgesehener Hinweise, besteht aufgrund der Sperrwirkung des Bundesrechts nicht.
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Der Vortrag der Beauftragten des Volksbegehrens, dass „Hinweise“ auch durch straßenbauliche Maßnahmen erfolgen könnten, etwa indem Poller oder Erhöhungen durchgeführt würden, findet in der Formulierung der beanstandeten Bestimmung keine Stütze. Dort ist nicht von Maßnahmen oder dem Ergreifen von Mitteln zur Verdeutlichung des Vorrangs des Fußverkehrs die Rede, sondern davon, auf diesen „deutlich hinzuweisen“. In der Begründung zu Art. 10 BayRadG-E ist zu dieser Hinweispflicht nichts enthalten. Deshalb geht auch der Verweis auf eine angeblich vergleichbare Regelung in § 50 Abs. 12 Satz 1 Berliner Mobilitätsgesetz im Ansatz fehl. Die dortige Regelung lautet: „Nutzungskonflikte zwischen Fuß- und Radverkehr in Grünanlagen sollen mit geeigneten Mitteln gemindert werden, beispielsweise durch eine Separierung von Fuß- und Radverkehr, ausreichend breite Wege oder Maßnahmen, die den Vorrang des Fußverkehrs auf für den Radverkehr freigegebenen Gehwegen verdeutlichen.“
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ee) Art. 17 Abs. 1 BayRadG-E (Öffnung von Einbahnstraßen in Gegenrichtung):
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Nach Art. 17 (Öffnung von Einbahnstraßen und Sackgassen für den Radverkehr) Abs. 1 BayRadG-E sind Einbahnstraßen grundsätzlich für den Radverkehr in Gegenrichtung freizugeben (Satz 1). Dies gilt insbesondere vor Errichtung sowie bei Aus- und Umbau einer bestehenden Einbahnstraße (Satz 2). Falls die Freigabe nicht möglich ist, ist dies besonders zu begründen (Satz 3). In der Begründung des Gesetzentwurfs wird insoweit ausgeführt, dass die Öffnung von Einbahnstraßen in die Gegenrichtung die Wege für Radfahrende verkürze und den Radverkehr attraktiver mache.
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(1) Die Zulassung von Radverkehr in Gegenrichtung in Einbahnstraßen betrifft wiederum die Ausübung des Gemeingebrauchs durch die widmungsrechtlich auf den betroffenen Straßen grundsätzlich zugelassenen Verkehrsarten, wobei neben der Ordnung und Leichtigkeit des Verkehrs insbesondere die Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden inmitten steht. Mit der Verpflichtung, die Fahrbahn und gegebenenfalls auch den Radweg nur in der vorgeschriebenen Richtung zu befahren, wird die Benutzung der betroffenen Straße beschränkt (vgl. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO). Sowohl eine solche Beschränkung als auch die Anordnung einer allgemeinen Ausnahme davon für den Radverkehr (vgl. § 41 Abs. 2 Satz 3 StVO) haben eindeutig straßenverkehrsrechtlichen Charakter. Die Kennzeichnung erfolgt durch das Zeichen 220 (Einbahnstraße) und – in Gegenrichtung – Zeichen 267 (Verbot der Einfahrt) gemäß lfd. Nrn. 9 und 41 der Anlage 2 zur Straßenverkehrs-Ordnung (zu § 41 Abs. 1 Vorschriftzeichen), jeweils mit dem entsprechenden Zusatzzeichen zur Zulassung des Radverkehrs. Nähere ermessenslenkende Vorgaben hat der Bundesgesetzgeber wiederum nicht selbst durch Gesetz oder Verordnung vorgenommen, sondern Raum für allgemeine Verwaltungsvorschriften im Rahmen der Einzelfallprüfung vor Ort gelassen (vgl. zum Ganzen Burmann in Burmann/Heß/ Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, § 9 StVO Rn. 43, 46 ff.; Kettler in Münchener Kommentar zum StVR, § 41 StVO Rn. 10 ff.; Lafontaine in jurisPKStraßenverkehrsrecht, § 41 StVO Rn. 118 ff.). Insofern ist mit bundesweiter Geltung in der VwV-StVO zu § 41 Vorschriftzeichen – zu Zeichen 220 Einbahnstraße – unter IV. Folgendes bestimmt:
1. Beträgt in Einbahnstraßen die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht mehr als 30 km/h, soll Radverkehr in Gegenrichtung zugelassen werden, wenn a) eine ausreichende Begegnungsbreite vorhanden ist, ausgenommen an kurzen Engstellen; bei Linienbusverkehr oder bei stärkerem Verkehr mit Lastkraftwagen muss diese mindestens 3,5 m betragen,
b) die Verkehrsführung im Streckenverlauf sowie an Kreuzungen und Einmündungen übersichtlich ist,
c) für den Radverkehr dort, wo es orts- und verkehrsbezogen erforderlich ist, ein Schutzraum angelegt wird.
Bei der Begegnungsbreite im Sinne von Satz 1 Buchstabe a handelt es sich um den unter Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten tatsächlich beim Begegnen der am Verkehr Teilnehmenden zur Verfügung stehenden Raum.
116
(2) Art. 17 Abs. 1 Satz 1 BayRadG-E, nach dem Einbahnstraßen grundsätzlich für den Radverkehr in Gegenrichtung freizugeben sind, betrifft jedenfalls auch diese straßenverkehrsrechtliche Regelungsmaterie und sieht eine pauschale Ermessenslenkung („sind grundsätzlich … freizugeben“) auf Ebene eines förmlichen (Landes-)Gesetzes vor anstatt eine differenzierte („soll … zugelassen werden“ nur unter bestimmten Grundvoraussetzungen) auf Ebene einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift.
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Aus dem Zusammenhang des Satzes 1 mit Sätzen 2 und 3 des Art. 17 Abs. 1 BayRadG-E lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass mit der geplanten Vorschrift keine straßenverkehrsrechtliche Regelung beabsichtigt wäre. Satz 2 ist damit eingeleitet, dass dies „insbesondere“ in den dort genannten Fällen gilt. Der Regelungsgehalt von Satz 1 soll sich also gerade nicht darauf beschränken, sondern darüber hinaus Geltung beanspruchen. Satz 2 ist im Übrigen nicht zu entnehmen, dass sich die Freigabe allein auf die Schaffung der baulichen Voraussetzungen für eine solche Anordnung beziehen sollte. Für eine weitgehende und umfassende Regelungswirkung von Satz 1 spricht neben seinem klaren Wortlaut auch die in der Begründung festgehaltene Intention, dass die Öffnung von Einbahnstraßen in die Gegenrichtung die Wege für Radfahrende verkürze und den Radverkehr attraktiver mache. Angesichts der differenzierten ermessenslenkenden Vorgaben in der VwV-StVO zu Zeichen 220 trifft auch die Behauptung der Beauftragten des Volksbegehrens nicht zu, dass lediglich auf die bereits bestehende Rechtslage Bezug genommen werde, da die Freigabe von Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung auch in der VwV-StVO als Regel festgesetzt werde. Im Übrigen wäre auch eine mit der bundesweiten allgemeinen Verwaltungsvorschrift übereinstimmende eigenständige landesgesetzliche Regelung kompetenzwidrig, da auch dadurch unzulässig in das bundesrechtliche Regelungskonzept eingegriffen würde. Dies zeigt sich schon aus der Überlegung, dass die VwV-StVO jederzeit mit Zustimmung des Bundesrats geändert werden könnte.
118
Soweit sich die Beauftragte des Volksbegehrens daneben auf eine behauptete Gesetzgebungskompetenz aus dem der Landeskompetenz zuzurechnenden Vollzug beruft, gelten die Erwägungen zu den vorstehend geprüften Vorschriften des Volksbegehrens, soweit sie ermessenslenkenden Charakter haben, entsprechend. Bei der Behauptung, die Vorschrift sei als verkehrsplanerische und verkehrssteuernde Regelung zu lesen, die die Freigabe von Einbahnstraßen für den Radverkehr als Instrument nutze, um Verkehrsströme besser lenken zu können, ist schon nicht klar, auf welchen anderweitigen Kompetenztitel als den des Straßenverkehrsrechts damit Bezug genommen werden soll. Der Einwand ist zudem nicht nachvollziehbar. Auch die Verkehrslenkung mit dem Ziel eines reibungslosen Ablaufs der Verkehrsströme im modernen Massenverkehr, insbesondere in Städten durch ein System von Einbahnstraßen, gehört zur „Leichtigkeit“ des Verkehrs (§ 6 Abs. 1 Satz 1 StVG) bzw. der „Ordnung“ desselben (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StVO; vgl. auch Burmann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, § 9 StVO Rn. 43). Da die Freigabe von Einbahnstraßen für den Radverkehr in Gegenrichtung innerhalb des durch die Widmung eröffneten Gemeingebrauchs das Verhältnis der Verkehrsarten und der Verkehrsteilnehmenden untereinander regelt und ersichtlich vorrangig Aspekte der Verkehrssicherheit für die Beurteilung maßgeblich sind, liegt eine Gesetzgebungskompetenz außerhalb des Straßenverkehrsrechts fern.
119
ff) Art. 17 Abs. 2 Satz 2 BayRadG-E (Beschilderung oder Markierung der Öffnung von Sackgassen für den Radverkehr)
120
Gemäß dem (unbeanstandeten) Art. 17 Abs. 2 Satz 1 BayRadG-E sind Sackgassen für den Radverkehr passierbar zu machen, soweit dies möglich ist. Nach dem (beanstandeten) Satz 2 ist dies durch Beschilderung oder Markierung zu kennzeichnen. In der Begründung ist zu Satz 2 ausgeführt, dass in den Sackgassen die dort vorrangigen Interessen des Fußverkehrs berücksichtigt werden müssten, gegebenenfalls durch zusätzliche Beschilderung.
121
In der lfd. Nr. 27 der Anlage 3 zur StVO (zu § 42 Abs. 2 Richtzeichen) ist zur Kennzeichnung von Sackgassen bundesweit das Zeichen 357 vorgesehen und zu diesem erläutert, dass im oberen Teil des Verkehrszeichens die Durchlässigkeit der Sackgasse für den Radverkehr und/oder Fußgängerverkehr durch Piktogramme angezeigt sein kann. Wie bereits zu Art. 10 Abs. 5 Satz 3 BayRadG-E näher erläutert (vgl. oben dd)), besteht nach § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 StVO eine Verpflichtung der Straßenverkehrsbehörden, bei der Anbringung von Verkehrszeichen restriktiv zu verfahren. In der VwV-StVO zu § 42 Richtzeichen – zu Zeichen 357 Sackgasse – wird entsprechend unter I. bestimmt, dass das Zeichen Sackgasse nur anzuordnen ist, wenn die Straße nicht ohne weiteres als Sackgasse erkennbar ist. Nach der Regelung unter II. ist im oberen Teil des Zeichens je nach örtlicher Gegebenheit ein Sinnbild für „Fußgänger“ oder „Fahrrad“ in verkleinerter Ausführung in das Zeichen nur dann zu integrieren, wenn die Durchlässigkeit einer Sackgasse für Radfahrer und Fußgänger nicht ohne weiteres erkennbar ist.
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Damit hat der Bundesgesetzgeber die straßenverkehrsrechtliche Kennzeichnung von Sackgassen und einer etwaigen Durchlässigkeit einer Sackgasse für Radfahrer oder Fußgänger offensichtlich erschöpfend geregelt. Eine Kompetenz zur „Nachbesserung“ dieser Regelungen durch den Landesgesetzgeber, hier durch die vorgesehene generelle Verpflichtung zur Beschilderung oder Markierung der Durchlässigkeit für den Radverkehr, besteht aufgrund der Sperrwirkung des Bundesrechts nicht. Auf den Umstand, dass die Durchlässigkeit der Sackgasse als solche nicht von einer verkehrsrechtlichen Anordnung, sondern vor allem von den (straßen-)baulichen Gegebenheiten abhängt, kommt es insoweit nicht an.
123
gg) Art. 18 BayRadG-E (Beschilderung von Radwegen):
124
Gemäß Art. 18 Abs. 1 BayRadG-E hat die wegweisende Radwegebeschilderung im Freistaat Bayern „nach der Beschilderung im Sinne der StVO“ zu erfolgen. Nach Absatz 2 der geplanten Vorschrift ist die wegweisende Radwegebeschilderung durch die zuständige Straßenverkehrsbehörde verkehrsrechtlich anzuordnen. In der Begründung ist hierzu insbesondere ausgeführt, dass die im bisher maßgeblichen „Merkblatt zur wegweisenden Beschilderung für den Radverkehr – Ausgabe 1998“ der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen e. V.
(FGSV) empfohlenen Wegweiser keine amtlichen Verkehrszeichen im Sinn der Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) seien und der StVO-Status einer Beschilderung im Gegensatz zur bisherigen Radwegweisung vorteilhaft sei. Dann dürfe zum Beispiel die wegweisende Beschilderung mit anderer StVO-Beschilderung kombiniert werden, Nutzung gleicher Pfosten u. a. Da der amtliche Status der Beschilderung in Bayern noch abgelehnt werde, sei insofern ein Erlass der Staatsregierung entsprechend dem FGSV-Status notwendig, zu dem diese durch Art. 18 aufgefordert werde.
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Es kann dahinstehen, ob die beabsichtigte Neuregelung darauf abzielt, dass, wie es das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration für naheliegend hält, die wegweisende Radwegebeschilderung zukünftig mit den bundesrechtlich vorgegebenen amtlichen gelben Wegweisern für bestimmte Verkehrsarten (Zeichen 422 in lfd. Nr. 64 der Anlage 3 zur StVO, hier für den Radverkehr mit den Zeichenvarianten 422-16, 422-17, 422-26, 422-27, 422-36 gemäß Anlage zur VwV-StVO, Katalog der Verkehrszeichen – VzKat, Teil 4) und Vorwegweisern für bestimmte Verkehrsarten (Zeichen 442 in lfd. Nr. 62 der Anlage 3 zur StVO, hier für den Radverkehr mit den Zeichenvarianten 442-13, 422-17, 442-23, 442-27, 442-33, 442-53 gemäß Anlage zur VwV-StVO, Katalog der Verkehrszeichen – VzKat, Teil 4) verkehrsrechtlich anzuordnen wäre. Denn die vorgesehene Regelung ist dem Landesgesetzgeber aufgrund der Sperrwirkung des Bundesrechts gemäß Art. 72 Abs. 1 GG auch dann verwehrt, wenn man wie die Beauftragte des Volksbegehrens auf Grundlage der Begründung der geplanten Neuregelung davon ausgeht, dass die bisherige, von der FGSV empfohlene wegweisende Radwegebeschilderung grundsätzlich beibehalten werden, aber zukünftig „StVO-Status“ haben soll. Es besteht kein vernünftiger Zweifel daran, dass der Bundesgesetzgeber in §§ 39 ff. StVO in Verbindung mit dem auf Basis des § 39 Abs. 9 StVO erlassenen Verkehrszeichenkatalog, der als Anlage zur Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung veröffentlicht ist, eine erschöpfende Regelung über die Verkehrszeichen vorgenommen hat, die neben Gefahr- und Vorschriftzeichen auch Richtzeichen umfasst. Es dürfen ausschließlich die in der Straßenverkehrs-Ordnung abgebildeten Verkehrszeichen verwendet werden oder solche, die der Bund durch Veröffentlichung zulässt (vgl. § 39 Abs. 9 StVO, BR-Drs. 428/12 S. 140; entsprechend auch VwV-StVO zu den §§ 39 bis 43 StVO Allgemeines über Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen unter III. 1.). Der Landesgesetzgeber hat nicht die Kompetenz, anstelle des Bundesgesetzgebers nichtamtliche Wegweiser zu amtlichen Verkehrszeichen im Sinn der Straßenverkehrs-Ordnung zu erheben, weder durch unmittelbare gesetzliche Regelung (wie es der Wortlaut des Art. 18 Abs. 1 BayRadG-E nahelegt) noch durch „Aufforderung“ der Staatsregierung zu einem entsprechenden „Erlass“ (wie es die Begründung formuliert).
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Nach dem Wortlaut und insbesondere der Begründung der vom Volksbegehren angestrebten Regelung kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die wegweisende Radwegebeschilderung lediglich „einen rechtlich verpflichtenden Status“ erhalten soll, „vergleichbar zur StVO“. Es geht den Initiatoren danach gerade um den „StVO-Status“, insbesondere um die dann mögliche Kombination mit anderer StVO-Beschilderung, Nutzung gleicher Pfosten usw. Dass eine Gesetzgebungskompetenz für derartige Regelungen nicht aus Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG abgeleitet werden kann, wurde bereits ausgeführt. Darauf wird Bezug genommen.
Der Verweis der Beauftragten des Volksbegehrens auf § 25 FaNaG in NordrheinWestfalen greift schon deswegen nicht durch, weil die dortige Regelung nicht vergleichbar ist. Danach wird die „wegweisende Radwegebeschilderung … wie eine Beschilderung nach der Straßenverkehrs-Ordnung … behandelt“.
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3. Ob dem Landesgesetzgeber darüber hinaus, wie vom Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration beanstandet, für die Bestimmungen in Art. 3 Abs. 2, Art. 15 Abs. 2 und Art. 16 Abs. 2 Satz 1 BayRadG-E die Gesetzgebungskompetenz fehlt, kann dahingestellt bleiben. Insoweit sei zu Art. 3 Abs. 2 BayRadG-E, nach dem in ausgewiesenen Wohnquartieren sowie in Ortszentren als ausgewiesenen Quartieren den Verkehrsmitteln des Umweltverbundes Vorrang vor dem motorisierten Individualverkehr eingeräumt werden soll, lediglich angemerkt, dass dieser aus Sicht der Unterzeichner des Volksbegehrens nach Wortlaut, systematischem Standort im Gesetzentwurf und zugehöriger Begründung lediglich ein allgemeines Planungsziel beschreiben, nicht aber eine konkrete straßenverkehrsrechtliche Regelung des Verhältnisses verschiedener Verkehrsmittel im fließenden Verkehr zueinander oder verbindliche Vorgaben zur Schaffung solcher Regelungen enthalten dürfte. Art. 15 Abs. 2 BayRadG-E zu Radschnellverbindungen dürfte ebenfalls nicht als kompetenzwidrig zu beanstanden sein. Denn diese geplante Vorschrift hat einen klaren straßenrechtlichen Bezug, wie schon der Verweis in Absatz 1 auf Art. 3 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 BayStrWG und der Umstand zeigen, dass Radschnellverbindungen als eigenständige Sonderwege definiert werden, die in Fahrradstraßen oder in sonstigen vom Fußverkehr und motorisierten Individualverkehr baulich getrennten Straßen geführt werden. Auch enthält die Straßenverkehrs-Ordnung insoweit keine Anordnungsbefugnis, sondern stellt mit Zeichen 350.1 Radschnellweg (lfd. Nr. 24.1 der Anlage 3 zur StVO) lediglich ein Verkehrsschild zur Kennzeichnung bereit, das gemäß der Erläuterung der Unterrichtung über den Beginn von Radschnellwegen und der Führung von Radschnellwegen an Knotenpunkten dient. In der Begründung zur Einführung dieses neuen Verkehrszeichens durch die Vierundfünfzigste Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. April 2020 ist ausgeführt, dass dieses Zeichen an das zur Kennzeichnung von Autobahnen oder Kraftfahrstraßen bereits in der Praxis anzutreffende Verkehrszeichen angelehnt sei und eine generelle Kennzeichnung von Radschnellwegen unabhängig von der Fahrbahnbeschaffenheit ermöglichen solle. Die Aufnahme in Abschnitt 7 der Anlage 3 zu § 42 Abs. 2 StVO gehe darauf zurück, dass es sich bei Radschnellwegen um Sonderwege für den Radverkehr handle, auf denen andere Verkehrsteilnehmer in der Regel nicht verkehren dürften. Der Verkehrsflächenzuweisung allein für den Radverkehr müsse eine straßenrechtliche Entsprechung vorausgehen (vgl. BR-Drs. 591/19 S. 94).
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4. Aus der fehlenden Gesetzgebungskompetenz für die oben unter 2. aufgeführten Vorschriften ergibt sich, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung des gesamten Volksbegehrens nicht gegeben sind.
129
a) Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs kommt eine teilweise Zulassung eines Volksbegehrens nur ausnahmsweise in Betracht. Entscheidender Gesichtspunkt ist danach, dass dem Volksbegehren ein Gesetzentwurf zugrunde liegen muss, der vom Willen der Unterzeichner gedeckt ist. Abzustellen ist auf den objektivierten Willen der Unterzeichner, wie er dadurch zum Ausdruck gekommen ist, dass diese mit ihrer Unterschrift das Einverständnis damit erklärt haben, dieser Gesetzentwurf solle zum Gegenstand eines Volksgesetzgebungsverfahrens gemacht werden. Fällt dieser „gemeinsame Nenner“ für die Vereinigung von mindestens 25.000 Stimmberechtigten dadurch weg, dass ein Teil des Gesetzentwurfs zu beanstanden ist, fehlt es an der übereinstimmenden Aufnahme gerade dieses Gesetzentwurfs in den gemeinsamen Willen der Unterzeichner. Deren ursprüngliche Erklärung deckt den verbleibenden Teil grundsätzlich nicht ab. Denn der verbleibende Teil des Gesetzentwurfs stellt in aller Regel etwas wesentlich Anderes dar als der Gesetzentwurf, dem die Unterzeichner ursprünglich ihre Zustimmung erteilt hatten. Der Verfassungsgerichtshof kann nicht durch seine Entscheidung eine Fassung des Gesetzentwurfs zum Gegenstand eines Volksbegehrens machen, die eine substanzielle Veränderung des von den Unterzeichnern bei objektiver Betrachtung Gewollten bewirken könnte. Nur wenn die die Unzulässigkeit des Volksbegehrens begründenden Vorschriften lediglich einen unwesentlichen Teil eines einheitlichen Gesetzentwurfs darstellten und von diesem sachlich trennbar wären, könnte ein Volksbegehren mit den verbleibenden Vorschriften ausnahmsweise zugelassen werden. Dies ist nach objektiven Gesichtspunkten unter Würdigung des gesamten Gesetzentwurfs festzustellen (vgl. VerfGH vom 14.11.1994 VerfGHE 47, 265/273; vom 17.11.1994 VerfGHE 47, 276/313 ff.; vom 6.5.2005 VerfGHE 58, 113/130 f.; vom 16.7.2019 – Vf. 41-IX-19 – juris Rn. 118).
130
In den genannten Entscheidungen hat der Verfassungsgerichtshof auch dargelegt, dass für die Zulässigkeit eines Volksbegehrens andere Maßstäbe gelten, als sie für die Beurteilung der Teilnichtigkeit von Normen entwickelt wurden. Denn anders als bei einem bereits bestehenden Gesetz geht es bei einem Volksbegehren um ein in einem besonderen Verfahren der Gesetzgebung erst entstehendes Gesetz, das bis zur Entscheidung durch das Volk vom Willen der Unterzeichner des Volksbegehrens gedeckt sein muss. Damit hat sich der Verfassungsgerichtshof gegenüber älteren Entscheidungen abgegrenzt, in denen unter Berufung auf die Maßstäbe der Teilnichtigkeit von Normen Volksbegehren teilweise zugelassen worden waren (vgl. VerfGH vom 15.12.1976 VerfGHE 29, 244/262; 43, 35/64). An dieser Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof seither festgehalten (vgl. VerfGHE 53, 42/74; 53, 81/112; 58, 113/131; vom 16.7.2019 – Vf. 41-IX-19 – juris Rn. 119).
131
Das vorliegende Verfahren gibt keinen Anlass, davon abzuweichen. Der vom Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung betonte Gleichrang von Volks- und Parlamentsgesetzgebung (VerfGHE 38, 51/58; 43, 35/55; VerfGH vom 25.5.2007 VerfGHE 60, 131/145; 61, 78/90) steht dieser Beurteilung nicht entgegen. Gleichrang bedeutet nicht, dass die in der Verfassung selbst angelegten sachlichen Unterschiede nicht berücksichtigt werden dürften. Nach der Bayerischen Verfassung ist die Gesetzgebung durch das Parlament die Regel, die Gesetzgebung durch das Volk die Ausnahme. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs ist schon aus Gründen der praktischen Durchführbarkeit davon auszugehen, dass plebiszitäre Willensbekundungen nur aus konkreten, einzelnen Anlässen eingeleitet werden, also eine Ergänzung des repräsentativen Systems sind, und ihrer Natur nach nur auf punktuelle Entscheidungen ausgerichtet sein können, über die mit Ja oder Nein abgestimmt werden kann. Nach dem Grundgedanken der Verfassung kann daher das Volk nicht in größerem Umfang an die Stelle der kontinuierlich arbeitenden Repräsentativorgane treten (VerfGHE 53, 42/61 f.). Aufgrund der Unterschiede zwischen den jeweiligen Gesetzgebungsverfahren und im Hinblick auf die Sicherung der hinreichenden demokratischen Legitimation der Volksgesetzgebung hat der Verfassungsgerichtshof u. a. entschieden, dass sowohl ein vorgeschaltetes rechtliches Überprüfungsverfahren nur für Volksbegehren nach Sammlung der Unterschriften gemäß Art. 64 LWG (vgl. VerfGHE 38, 51/58 f.) als auch Hürden wie das Mindestquorum von zehn Prozent der stimmberechtigten Staatsbürger gemäß Art. 74 Abs. 1 BV (vgl. VerfGHE 53, 42/ 69 ff.) verfassungsrechtlich zulässig bzw. sogar geboten sind. Auch die besonderen Maßstäbe für die teilweise Zulassung eines Volksbegehrens gegenüber der Beurteilung der Teilnichtigkeit von (erlassenen) Normen sind den Besonderheiten des Volksgesetzgebungsverfahrens nach der Konzeption der Bayerischen Verfassung geschuldet und lassen deren grundsätzlichen Gleichrang mit der parlamentarischen Gesetzgebung unberührt.
132
b) Die mit Bundesrecht unvereinbaren Vorschriften stellen bei objektiver Betrachtung einen wesentlichen Bestandteil des gesamten Gesetzentwurfs dar.
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Die erstmalige Einführung eines Bayerischen Radgesetzes bildet den zentralen Bestandteil des Gesetzentwurfs, sein materielles Herzstück. Die Änderungen der weiteren Rechtsvorschriften im Bayerischen Straßen- und Wegegesetz, in der Bayerischen Bauordnung, in dem Gesetz über den öffentlichen Personennahverkehr in Bayern, im Bayerischen Landesplanungsgesetz und im Bayerischen Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen beziehen sich überwiegend nur auf Folgeänderungen, die aufgrund des geplanten Bayerischen Radgesetzes erforderlich würden. Dieses enthält in 19 Artikeln eine umfassende Regelung mit Bausteinen aus verschiedenen Bereichen. Ein grundlegender Baustein ist das Konzept der „Vision Zero“, das auch Grundlage aller verkehrlichen Maßnahmen nach der Straßenverkehrs-Ordnung ist (vgl. nur die oben unter 2. b) aa) (2) dargestellte Bestimmung in der VwV-StVO zu § 1 StVO). Zu diesem Konzept ist in der Begründung des Volksbegehrensentwurfs zu § 1 (Einführung eines Bayerischen Radgesetzes) unter A) Allgemeines insbesondere ausgeführt: „Das Konzept ‚Vision Zero‘ hat aus den Vorgaben zum Arbeitsschutz, den Vorgaben der Deutschen gesetzlichen Unfallversicherung sowie aus der Iso-Norm 39001 das Ziel der Verkehrssicherheit übernommen, um Verkehrstote und Schwerverletzte durch geeignete Verkehrsführung, Infrastruktur und Regelungen der Straßenverkehrs-Ordnung zu vermeiden. Dieses vordringliche Anliegen trifft insbesondere die weniger geschützten Verkehrsteilnehmenden auf dem Fahrrad und zu Fuß, die nicht von technischen Vorgaben im Kraftfahrzeugbau profitieren. Hier steht die Staatsregierung in der Pflicht, alle geeigneten Maßnahmen für eine sichere Mobilität der Menschen zu ergreifen.“ Die Bedeutsamkeit speziell des Aspekts der Förderung der Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden, insbesondere der Radfahrenden, und der „Vision Zero“ wird auch in der Präambel mehrfach betont und in Art. 1 (Zweck des Gesetzes) besonders hervorgehoben. Danach sind bei der angestrebten umwelt- und klimaverträglichen Mobilitätsentwicklung die objektive und subjektive Sicher heit des Radverkehrs von überragender Bedeutung. Entsprechend betont Art. 9 BayRadG-E (Besondere Ziele der Entwicklung des Radverkehrs) unter Nummer 2 nochmals, dass für eine sichere, umwelt- und klimaverträgliche Entwicklung des Radverkehrs insbesondere eine möglichst hohe objektive und subjektive Sicherheit für Radfahrende erreicht werden solle, wobei die objektive Sicherheit der subjektiven Sicherheit vorgehe.
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Ohne die kompetenzwidrigen Vorschriften des geplanten Bayerischen Radgesetzes wäre das mit dem Volksbegehren verfolgte Anliegen – verglichen mit dem gemäß Art. 63 Abs. 1 Satz 2 LWG durch die Unterschriften von mindestens 25.000 Stimmberechtigten gebilligten ursprünglichen Entwurf – daher zwar kein Torso, jedoch in einem grundlegenden Baustein substanziell entwertet. Die mit dem Bayerischen Radgesetz angestrebte ausgewogene Gesamtkonzeption wäre maßgeblich verändert, wenn die unzulässigen, auf eine „Nachbesserung“ der Straßenverkehrs-Ordnung in verschiedenen Bereichen abzielenden Regelungen entfielen. Der verbleibende Inhalt des Gesetzentwurfs wäre im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf ein aliud und ist damit nicht zulassungsfähig. Die vom Bevollmächtigten der Beauftragten des Volksbegehrens in der mündlichen Verhandlung vertretene Erwägung, dass auch ohne die als kompetenzwidrig beanstandeten Vorschriften des geplanten Bayerischen Radgesetzes der Kern des Volksbegehrens beibehalten werde und daher eine teilweise Zulassung in Betracht komme, ist insoweit nicht ausschlaggebend (vgl. auch VerfGHE 58, 113/132). Denn die verbleibenden Regelungen sind nicht vom „gemeinsamen Nenner“ gedeckt, den die Stimmberechtigten mit ihrer Unterzeichnung des ursprünglichen Entwurfs zum Ausdruck gebracht haben.
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5. Da das Volksbegehren aus den dargestellten Gründen nicht zuzulassen ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob es daneben gegen Art. 73 BV, nach dem über den Staatshaushalt kein Volksentscheid stattfindet, verstößt. Auch ist nicht entscheidungserheblich, ob die hilfsweisen Beanstandungen des Staatsministeriums hinsichtlich der aus der Abstimmungsfreiheit nach Art. 74 Abs. 2 i. V. m. Art. 7 Abs. 2 BV resultierenden Anforderungen an die Begründung des Volksbegehrens durchgreifen würden.
V.
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Das Verfahren ist kostenfrei (Art. 27 Abs. 1 Satz 1 VfGHG).