Titel:
Keine Addition der Antragswerte bei objektiver Klagehäufung
Normenketten:
GKG § 39 Abs. 1, § 68
VwGO § 44
ZPO § 5
Leitsätze:
1. Im Fall einer objektiven Klagehäufung wird zur Streitwertbestimmung die Addition der Werte mehrerer Anträge mit selbstständiger Bedeutung nur vorgesehen, wenn die Streitgegenstände jeweils einen selbstständigen wirtschaftlichen Wert oder einen selbstständigen materiellen Gehalt haben. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anfechtungsantrag hat keinen selbstständigen materiellen Gehalt, wenn er dasselbe wirtschaftliche Interesse wie das Feststellungs- und Leistungsbegehren besitzt. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Streitwertbeschwerde, objektive Klagehäufung, wirtschaftliche Identität, Anfechtungsantrag, Feststellungsantrag
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 08.03.2023 – Au 6 K 22.1107
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13702
Tenor
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 8. März 2023 wird der Streitwert für das Verfahren Az. Au 6 K 22.1107 auf 5.000 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Der Kläger begehrte mit seiner Klage, ein Schreiben der Beklagten vom 12. Mai 2021 aufzuheben, mit dem sein Antrag auf Erneuerung einer entlang seines Grundstücks verlaufenden Stützmauer abgelehnt wurde (Anfechtungsantrag). Daneben beantragte er die Feststellung der Straßenbaulast der Beklagten für die Stützmauer (Feststellungsantrag). Mit einem weiteren Antrag begehrte er die Verpflichtung der Beklagten zur hälftigen Kostenbeteiligung für die Sanierung der Stützmauer (Leistungsklage).
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Das Verwaltungsgericht Augsburg wies die Klage mit Urteil vom 8. März 2023 ab und setzte den Streitwert mit Beschluss auf 10.000 Euro fest. Für die Anfechtungs- und die Feststellungsklage sei ein Streitwert von jeweils 5.000 EUR anzusetzen (§ 52 Abs. 2 GKG); der Leistungsantrag werde vom Feststellungsantrag konsumiert.
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Gegen den Streitwertbeschluss ließ der Kläger mit Schriftsatz vom 20. April 2023 Beschwerde erheben. Eine Erhöhung des vorläufigen Streitwerts (5.000 EUR) auf 10.000 EUR sei unbegründet. Für die Feststellungsklage (hälftige Kostenbeteiligung der Beklagten) hätten höchstens zusätzliche 1.250 EUR angesetzt werden dürfen.
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Die Beklagte tritt der Streitwertbeschwerde entgegen.
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A. Die zulässige Beschwerde hat Erfolg.
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1. Die Streitwertbeschwerde ist zulässig.
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Der Beschwerdeführer ist nicht verpflichtet, einen bestimmten Antrag zu stellen (vgl. Toussaint, Kostenrecht, 53. Aufl. 2023, § 68 GKG Rn. 16; Schneider in Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl. 2021, § 68 GKG Rn. 75). Der Senat legt das Beschwerdeziel dahingehend aus, dass der Kläger eine Reduzierung des Streitwerts auf den vorläufig festgesetzten Streitwert von 5.000 EUR begehrt. Der diesbezügliche Beschwerdewert übersteigt offensichtlich die in § 68 Abs. 1 Satz 1 GKG festgelegte Wertgrenze von 200 Euro. Dies ergibt sich bereits aus der Gegenüberstellung der vom Kläger nach dem Urteilstenor zu tragenden Kosten der Beklagten. Deren Prozessbevollmächtigte erhalten für ihre Tätigkeit im ersten Rechtszug eine 1,3-fache Verfahrensgebühr sowie eine 1,2-fache Terminsgebühr zuzüglich Umsatzsteuer (vgl. Nrn. 3100, 3104, 7008 der Anlage 1 zu § 2 Abs. 2 RVG [Vergütungsverzeichnis]). Bei dem vom Verwaltungsgericht festgesetzten Streitwert von 10.000 Euro ergibt sich eine Anwaltsgebühr von 1.826,65 EUR (614 Euro x 2,5 + 19% Umsatzsteuer), bei einem Streitwert von 5.000 EUR nur von 993,65 EUR (334 x 2,5 + 19% Umsatzsteuer).
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2. Die Streitwertbeschwerde ist auch begründet.
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Im Fall einer objektiven Klagehäufung bedarf es nach § 39 Abs. 1 GKG i.V.m. § 5 ZPO der Prüfung, inwieweit die in einer Klage zusammen verfolgten Begehren (§ 44 VwGO) eine selbständige Bedeutung haben. Eine Wertaddition unterbleibt, soweit Anträge wirtschaftlich identisch sind, d.h. auf dasselbe wirtschaftliche Interesse des Klägers gerichtet sind und daneben keine selbständige Beschwer begründen (vgl. BGH, B.v. 3.5.2022 – II ZR 41.21 – juris Rn. 2; NdsOVG, B.v. 12.8.2009 – 5 OA 298/08 – NVwZ-RR 2010, 40 = juris Rn. 3; Elzer in Toussaint, Kostenrecht, § 5 ZPO Rn. 3). Unter Orientierung an dieser Rechtsprechung sieht Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Addition der Werte mehrerer Anträge mit selbstständiger Bedeutung nur vor, wenn die Streitgegenstände jeweils einen selbstständigen wirtschaftlichen Wert oder einen selbstständigen materiellen Gehalt haben.
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Ausgehend davon hat das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt, dass der Feststellungs- und der Leistungsantrag des Klägers dasselbe wirtschaftliche Interesse betreffen (vgl. auch BGH, B.v. 25.6.1969 – IV ZR 787/68 – MDR 1970, 127 = juris Rn. 4; Elzer in Toussaint, Kostenrecht, § 5 ZPO Rn. 5). Soweit es für das Anfechtungsbegehren einen eigenständigen Streitwert in Höhe von 5.000 EUR addiert hat (§ 52 Abs. 2 GKG), hält dies einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Der Anfechtungsantrag betrifft dasselbe wirtschaftliche Interesse wie das Feststellungs- und Leistungsbegehren, mit dem der Kläger eine Sanierung der Stützmauer bzw. die Übernahme von Sanierungskosten durch die Beklagte als Straßenbaulastträgerin erreichen will. Der Aufhebung des Schreibens vom 12. Mai 2021, mit dem die Beklagte dies abgelehnt hat, kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Demgemäß ist auch das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger mit einer Aufhebung des Schreibens vom 12. Mai 2021 keine Verbesserung seiner Rechtsposition erreichen kann (vgl. UA Rn. 25).
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B. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Das Verfahren über die Streitwertbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei (vgl. § 68 Abs. 3 Satz 1 GKG). Kosten der Beteiligten werden gemäß § 68 Abs. 3 Satz 2 GKG nicht erstattet. Demnach erübrigt sich auch die Festsetzung eines Streitwerts für das Beschwerdeverfahren.
12
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO; § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).