Titel:
Erfolgloses Asylstreitverfahren eines peruanischen Staatsangehörigen
Normenketten:
AsylG § 3 Abs. 1, § 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Der peruanische Staat ist bei Übergriffen gegenüber seinen Bürgern grundsätzlich schutzbereit und schutzfähig; dies gilt insbesondere für die Justiz. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
2. Den Erkenntnisquellen lässt sich nicht entnehmen, dass allgemein allen LGBTI-Personen Verfolgung drohen würde. Etwaige Diskriminierungen durch staatliche Amtsträger oder durch Privatpersonen ohne staatliches Einschreiten erreichen regelmäßig noch keine asylrechtlich relevante Schwelle. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Asylantrag eines peruanischen Staatsangehörigen keine staatliche Verfolgung gegen Homosexuelle, kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot aufgrund HIV-Infektion, Asylrecht, peruanischer Staatsangehöriger, Homosexueller, LGBTI-Personen, staatliche Verfolgung, Schutzbereitschaft des Staates, HIV-Infektion, medizinische Versorgung
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 05.06.2023 – 11 ZB 23.30200
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13684
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
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Der 1976 geborene Kläger ist peruanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 13. Oktober 2021 mit einem 2020 ausgestellten peruanischen Reisepass auf dem Luftweg mit Transit über Spanien in die Bundesrepublik Deutschland ein, stellte beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 17. Dezember 2021 ein Asylgesuch und am 8. Februar 2022 einen förmlichen Asylantrag.
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Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt gem. § 25 AsylG am 23. März 2022 gab der Kläger an, in Pe... zuletzt mit seiner Mutter und mit Geschwistern in seinem Elternhaus in … gelebt zu haben. Er habe einzig noch Kontakt mit seiner ältesten Schwester, die in den USA lebe. Er sei homosexuell. Sein Freund lebe in Deutschland, weshalb er auch nicht in Spanien bereits einen Asylantrag gestellt habe. Er habe keine anerkannte Berufsausbildung in Pe... absolviert, aber in verschiedenen Berufen in der Kundenbetreuung gearbeitet. Ein Jahr lang, bis April 2017, habe er in einem Callcenter gearbeitet, danach nur noch informelle Arbeit verrichtet. Davon habe er nur leben können, weil er in einem Haus gelebt habe und ihn einer seiner älteren Brüder, der Zahnarzt sei, und der nach dem Tod seines Vaters als Familienoberhaupt aufgetreten sei, unterstützt habe. Wehrdienst habe er nicht abgeleistet, wegen seiner Homosexualität sei er 1993 ausgemustert worden. Dieser Vorgang bzw. der Umgang mit ihm habe ihn traumatisiert.
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Als Asylgründe nannte der Kläger die Homophobie in seiner Familie und die feindselige Atmosphäre in seinem Land. Er habe zwei sehr gewalttätige Brüder, einer sei auch in illegale Aktivitäten verwickelt. Von ihnen habe er wegen seiner Homosexualität Gewalt erfahren. Im Gegensatz zu seinen Brüdern habe er sein Elternhaus nicht verkaufen wollen. Aufgrund der Gesetzeslage sei seine Zustimmung aber nötig gewesen, weswegen einer seiner Brüder ihm habe schaden wollen. Er sei aber von einer Person, die seinem Bruder nahegestanden habe, gewarnt worden, dass sein Leben in Gefahr sei. Diese Person habe sich früher selbst eines Raubüberfalls am Kläger schuldig gemacht, habe dies aber nach Eintritt in eine christliche Kirche auf diesem Weg wiedergutmachen wollen. Diese Person habe von ihm verlangt, nicht zur Polizei zu gehen, da sie sonst selbst Schwierigkeiten bekommen würde. Die Brüder hätten ihn schikanieren wollen, damit er das Haus verlasse. Später ergänzte der Kläger auf Nachfrage dazu, dass dies ca. im November 2020 gewesen sei. Er sei von der Person gewarnt worden, dass sein Bruder einen Mörder anheuere, um ihn umbringen unter einem anderen Vorwand. Grund sei, dass die anderen dann mehr Geld bekämen beim Hausverkauf.
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Seit seiner Kindheit seien die beiden Brüder gewalttätig ihm gegenüber. Der gewalttätigere sei ein Krimineller und Betrüger, der etwas weniger gewalttätige greife auch zu intelligenten Methoden und bezahle der Polizei Geld. Die Homophobie ihm gegenüber habe in seiner Familie angefangen, als er fünf Jahre alt gewesen sei. Als seine Mutter erfahren habe, dass er mit einem Jungen gleichen Alters zusammen gewesen sei, sei er von ihr so brutal geschlagen worden, dass er traumatisiert sei. Er habe am ganzen Körper geblutet. Sie habe im Grunde die Gewalttaten der Brüder unterstützt, um aus ihm einen normalen Jungen zu machen. Am 7. Juli 2006 sei er von seinem Bruder bei starker Gewaltanwendung am Kopf verletzt worden und habe in der Klinik genäht werden müssen. Sein Bruder sei dafür angeklagt worden und er habe das Haus verlassen, weil er es nicht mehr habe aushalten können. Damals habe er halbtags im Callcenter gearbeitet, so dass er sich eine eigene Wohnung habe leisten können. Sein Bruder sei aber ohne Strafe davongekommen, weil ihm seine Mutter eine gerichtliche Vorladung vorenthalten habe, sodass er den Namen des Bruders nicht habe sagen können. Die Vorladung habe er erst sehr viel später erhalten. Später ergänzte der Kläger, dass die letzte Attacke seiner Brüder 2006 gewesen sei, aber die Beleidigungen und Demütigungen angehalten hätten. Wegen seiner kurzfristigen Jobs habe er nicht woanders leben können. Die Attacke 2006 sei der Grund für seinen zwischenzeitlichen Auszug bis Juni 2007 gewesen. Er sei dann wieder in sein Elternhaus zurück und habe dort bis zu seiner Ausreise gelebt. Er spreche mit seinem Bruder nicht, habe ihn gemieden und zu Hause stets versucht, in sein Zimmer zu kommen. Zum Beleg des Vorfalls am 7. Juli 2006 legte der Kläger polizeiliche, staatsanwaltliche und medizinische Unterlagen vor.
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Außerdem habe er in Pe... viel Diskriminierung erfahren. Mit 19 Jahren habe er 1996 erfahren, dass er HIVpositiv sei. Im Jahr 2000 sei er operiert worden. Er sei fast daran gestorben, es habe damals keine Medizin dafür in seinem Land gegeben. Auch heutzutage werde Medizin noch bewusst zurückgehalten, damit die Behandlung scheitere. LGBTQ-Mitglieder würden wie Aussätzige behandelt. Er habe seit 2017 deshalb auch keine Arbeit mehr gefunden. Er sei Aktivist einer Gruppe von HIV-Positiven gewesen. HIV-Positive seien in einer illegalen und sehr versteckt verwalteten Datenbank hinterlegt, auf die die Arbeitgeber zugreifen könnten. Er sei dort 2017 eingetragen worden und zwar auf betrügerische Weise. Er habe für einen Job seine Zustimmung zur Einholung von Gesundheitsdaten gezwungenermaßen selbst gegeben. Einen Job habe er nur bekommen, weil er gesagt habe, eine Beziehung mit einer Frau zu haben. Er habe diesen Job dann gekündigt und später wegen der Eintragung in der Datenbank keinen neuen bekommen. Auf Frage ergänzte der Kläger später, dass er von dem Eintrag in der Datenbank durch einen ebenfalls HIVpositiven Person aus seiner LGTBQ-Gemeinde wisse, die diese Information wiederum von einer mit ihr befreundeten Personalerin habe. Sie habe durch die Freundschaft Zugang zur Website. Diese Person habe davon berichtet, dass es diese Datenbank gebe. Dass er darin stehe, sei seine Befürchtung. Seit er das Dokument unterschrieben habe, habe er keinen Job mehr bekommen. Niemand aus der LGTBQ-Gemeinde habe einen Job bekommen. Er habe später über einen Notar und Rechtsanwalt versucht, dass der Zugang zu seinen Daten verwehrt werde. Am 6. Februar 2020 habe er einen notariellen Brief an die Firma schicken lassen.
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Sein deutscher Freund, den er über eine LGTBQ-App kennengelernt habe und mit dem er zunächst über zwei Jahre Wh.A.-Kontakt gehabt habe, habe ihn gerettet. Die Polizei in Pe... lasse Beschwerden und Anzeigen unter den Tisch fallen. Er sei nicht zur Polizei gegangen, weil er keine Beweise gehabt habe, wegen der allgemeinen Homophobie bei der Polizei und weil derjenige, der ihn gewarnt habe, dies gesagt habe, dies aber der Polizei gegenüber abgestritten hätte. Die Polizei sei wie das ganze Land korrupt. Einer seiner Brüder habe der Polizei auch Geld gegeben. Ein ebenfalls homosexueller und an Krebs erkrankter Freund, den er im Krankenhaus kennenlernt habe, habe Schwierigkeiten mit seiner Krankenversicherung bzw. der Bezahlung seiner Behandlung durch den Arbeitgeber gehabt. Er selbst hätte auch keinen Zugang zur Krankenversicherung bekommen.
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Auf LGTBQ-Protestmärschen, die immer im Juli stattgefunden hätten, sei er außerdem von der Polizei geschlagen worden. Er sei einmal auf einem solchen Protestmarsch geschlagen worden. Zwei Märsche seien illegal gewesen, die anderen legal. Religiöse Demonstranten hätten provoziert und z.B. gespuckt. Wegen der schwierigen und gefährlichen Situation für Homosexuelle in Pe... könne er dorthin nicht zurück.
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Zu seiner Gesundheitssituation gab er an, dass er die Medikamente Calentras am Morgen und Tavin EM am Abend nehme. In Peru sei er mit seiner Behandlung bereits am Ende gewesen. Man habe ihm gesagt, dass man ihm nicht weiterhelfen könne, wenn seine Behandlung nicht mehr anschlage. Er nehme die Tabletten seit 2017, in Behandlung sei er seit 2000. Die Tabletten habe er über eine rudimentäre Krankenversicherung für arme HIV-Patienten bekommen.
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In einem übersandten ärztlichen Befundbericht einer Allgemeinärztin des … vom 5. Mai 2022 wird für den Kläger ein weit fortgeschrittener Immundefekt diagnostiziert. Der Kläger sei wegen schlechter Verträglichkeit auf Biktarvy (Tenofovir/Emticitabin/Biktegravir) umgestellt worden. Es sei nach Aussage des Klägers in der Vergangenheit zu Therapieunterbrechungen gekommen, weil es die HIV-Tabletten nicht zu kaufen gegeben habe. Die Abklärung von regelmäßig auftretenden Kopfschmerzen durch MRT im März 2022 hat keinen Befund ergeben.
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Mit Bescheid vom 14. Juni 2022 erkannte das Bundesamt die Flüchtlingseigenschaft nicht zu (Ziffer 1), lehnte den Antrag auf Asylanerkennung ab (Ziffer 2), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 3), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 4), drohte dem Kläger die Abschiebung – in erster Linie – nach Peru an, wenn er die Bundesrepublik Deutschland nicht innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens verlasse (Ziffer 5) und ordnete ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete dieses auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 6).
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Zur Begründung wurde u.a. ausgeführt, dass eine schwerwiegende grundsätzliche Diskriminierung durch peruanische Behörden nicht ersichtlich sei. Gegen die Gewalt durch seinen Bruder wäre es ihm zumutbar gewesen, zur Polizei zu gehen. Der Kläger sei erwerbsfähig und nicht schwerwiegend erkrankt, er habe bis zu seiner Ausreise kostenfreien Zugang zur HIV-Behandlung gehabt.
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Am 25. Juni 2022 erhob der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach und beantragte,
den Bescheid des Bundesamtes vom 14. Juni 2022 in Ziffern 1) und 3) bis 6) aufzuheben, die Beklagte zu verpflichten, den Kläger die Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen,
hilfsweise festzustellen, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 bis Abs. 7 Satz 1 AufenthG hinsichtlich Peru vorliegen.
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Die Beklagte beantragte mit Schriftsatz vom 1. Juli 2022,
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Behördenakten und die Gerichtsakte Bezug genommen. Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet und deshalb abzuweisen. Der streitgegenständliche Bescheid vom 14. Juni 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Dem Kläger steht weder ein Anspruch auf Asylanerkennung, noch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG oder auf Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 AsylG, noch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG zu. Auch im Übrigen stößt der angegriffene Bescheid auf keine rechtlichen Bedenken.
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1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (jeweils näher definiert in § 3b Abs. 1 AsylG) außerhalb seines Herkunftslandes befindet und in dieses nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will, wobei nach § 3b Abs. 2 AsylG unerheblich ist, ob die verfolgte Person tatsächlich die Merkmale, aufgrund derer sie verfolgt wird, aufweist oder ihr die Merkmale vom Verfolger nur zugesprochen werden. Als Verfolgung in diesem Sinn gelten gemäß § 3a AsylG Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellen (Nr. 1) oder eine Kumulierung von Maßnahmen, die so gravierend ist, das eine Person in vergleichbarer Weise betroffen ist (Nr. 2). Als Verfolgungshandlungen in Sinn des Abs. 1 sind nach § 3a Abs. 2 AsylG u.a. die Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, gesetzliche, administrative, polizeiliche oder justizielle Maßnahmen, die diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden und eine unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung, anzusehen. Zwischen den Verfolgungsgründen und den Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen, § 3a Abs. 3 AsylG. Ergänzende Regelungen ergeben sich für die Akteure, von denen Verfolgung ausgehen kann, aus § 3c AsylG und zu den Akteuren, die Schutz bieten können, aus § 3d AsylG. Kein Schutz wird nach § 3e Abs. 1 AsylG gewährt, wenn der Verfolgte in einem Teil seines Herkunftslandes sicher vor Verfolgung ist und diesen Landesteil sicher und legal erreichen kann, dort aufgenommen wird und eine Niederlassung dort vernünftigerweise erwartet werden kann (inländische Fluchtalternative).
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Für die Beurteilung der Frage, ob die Furcht des Betroffenen vor Verfolgung im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG begründet ist, gilt der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr („real risk“). Erforderlich ist eine beachtliche Wahrscheinlichkeit, dass der Betroffene bei einer Rückkehr verfolgt werden wird. Der Wahrscheinlichkeitsmaßstab setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegensprechenden Tatsachen überwiegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. BVerwG, U.v. 1.6.2011 – 10 C 25/10 – NVwZ 2011, 1463; U.v. 20.2.2013 – 10 C 23/12 – NVwZ 2013, 936). Dabei ist die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 Qualifikationsrichtlinie in Form einer widerlegbaren Vermutung zu beachten, wenn der Asylbewerber bereits Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgungscharakter erlebt hat und sich seine Furcht hinsichtlich einer Rückkehr in sein Heimatland aus einer Wiederholung bzw. Fortsetzung der erlittenen Verfolgung ergibt.
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Mit Rücksicht darauf, dass sich der Schutzsuchende hinsichtlich asylbegründender Vorgänge außerhalb des Gastlandes in einem gewissen, sachtypischen Beweisnotstand befindet, genügt bezüglich der Vorgänge im Herkunftsland für die nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene richterliche Überzeugungsgewissheit in der Regel die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller und darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen. Es hat sich vielmehr mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit zu begnügen (vgl. BVerwG, U.v. 29.11.1977 – 1 C 33/71 – NJW 1978, 2463). Andererseits muss der Asylbewerber von sich aus unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen, widerspruchsfreien Sachverhalt schildern. Bei erheblichen Widersprüchen oder Steigerungen im Sachvortrag kann ihm in der Regel nur bei einer überzeugenden Auflösung der Unstimmigkeiten geglaubt werden (vgl. BVerwG B.v. 21.7.1989 – 9 B 239/89 – NVwZ 1990, 171).
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Dies zu Grunde gelegt und unter Berücksichtigung der verfahrensgegenständlichen Erkenntnisquellen zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 AsylG) kann das Gericht nicht feststellen, dass der Kläger im Falle einer Rückkehr nach Peru mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine dem Schutzbereich des § 3 Abs. 1 AsylG unterfallende Gefährdung droht.
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Aus dem klägerischen Vortrag ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger einer Verfolgung staatlicherseits ausgesetzt wäre. Soweit der Kläger von Gewaltanwendungen, körperlichen Übergriffen und Bedrohungen seine körperliche Integrität betreffend berichtet, handelt es sich um Verletzungen und Bedrohungen, die nicht vom Staat ausgingen, sondern von seinen Familienangehörigen, insbesondere von zweien seiner Brüder. Eine Verfolgung i.S.v. § 3 AsylG liegt darin nicht, auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass ihm der peruanische Staat keinen Schutz bieten würde. Der Kläger selbst gibt an, dass Gerichtsverfahren gegen seinen Bruder (offenbar Strafverfahren und eine Art Wiedergutmachungsverfahren) durchaus angestrengt worden sind, diese lediglich deshalb im Sande verlaufen seien, weil seine Mutter ihm die Unterlagen hierzu vorenthalten habe und es wohl mangels seiner (Zeugen-)Aussage nicht zu einer Verurteilung bzw. Fortsetzung des Verfahrens gekommen ist. Die grundsätzliche Schutzbereitschaft und -fähigkeit des peruanischen Staates steht damit gerade nicht in Frage, vielmehr zeigen die vom Kläger vorgelegten Dokumente, dass der peruanische Staat, insbesondere die Justiz bei Bedarf schützend tätig wird. Zweifel daran, dass staatlicher Schutz realistischerweise zu erreichen ist, ergeben sich auch nicht aus den zum Verfahren beigezogenen Erkenntnismittel, wonach Peru ein grundsätzlich demokratischer Staat mit verfassungsmäßiger Gewaltenteilung und Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden ist, wenn auch immer wieder schwächende innenpolitische Spannungen und Unruhen auftreten, Korruption weitverbreitet ist und übermäßige Gewaltanwendungen von Strafverfolgungsbeamten zu beobachten sind (Amnesty International – AI –, Report Peru 2021/2022 vom 29.3.2022, Auswärtiges Amt – AA –; Peru: Politisches Porträt vom 12.3.2021 und Peru: Reise- und Sicherheitshinweise, aufgerufen am 19.10.2022, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich – BFA –, United Staates Department of State, Peru 2021 Human Rights Report; die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des peruanischen Staates bejahend ebenso VG München, U.v. 19.5.2022 – M 31 K 19.34066 – juris Rn. 22 und M 31 K 20.31900 – juris Rn.30).
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Dem klägerischen Vorbringen und den Erkenntnisquellen lässt sich auch keine Verfolgungsgefahr von LGBTIPersonen oder eine fehlende Schutzbereitschaft etwa homosexuellen Personen gegenüber erkennen. Zwar sind die LGBTI-Rechte in Pe... noch nicht vollständig rechtstaatlich ausgebildet (vgl AI, Report Peru 2021/2022 vom 29.3.2022; BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentationen vom 19.2.2020, S. 12; Human Rights Watch, Peru Events of 2021), eine konkret ihm oder allgemein allen LGBTI-Personen real drohende Verfolgungsgefahr lässt sich den Erkenntnisquellen jedoch nicht entnehmen. Etwaige Diskriminierungen seitens staatlicher Amtsträger oder erst recht seitens der Bevölkerung ohne amtliches Einschreiten genügen für eine Verfolgung i.S.v. § 3 AsylG nicht, erreichen regelmäßig noch keine asylrechtliche relevante Schwelle. Konkret erfahrene oder ihm drohende Nachteile hat der Kläger auch nicht geschildert. Was den Vortrag des Klägers hinsichtlich seiner Schwierigkeiten, Arbeit zu finden betrifft, stellen seine Ausführungen (Eintragung von Homosexuellen in einer Datenbank, auf die Arbeitgeber Zugriff haben) zum einen Mutmaßungen dar und sind auch im Übrigen weniger glaubhaft, zum anderen würde die Tatsache als wahr unterstellt kein staatliches Versagen und schon gar kein gezieltes staatliches Vorgehen darstellen; der Kläger gab selbst an, rechtliche Schritte dagegen eingeleitet gehabt zu haben, sein Löschungsbegehren aber schließlich nicht weiterverfolgt zu haben.
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Ebenso wenig kann, worauf sich der Kläger ebenfalls berufen hat, was er aber nur pauschal behauptet und nicht glaubhaft gemacht hat, ein aktives Vorenthalten von lebensnotwendigen HIV-Medikamenten seitens staatlicher Behörden erkannt werden. Eine teilweise defizitäre medizinische Versorgung liegt vielmehr an Mängeln in personeller, apparativer, logistischer und letztlich wohl auch finanzieller Hinsicht (AA, Reise- und Sicherheitshinweise, Medizinische Versorgung, aufgerufen am 19.10.2022), stellt aber kein Problem ausschließlich für HIV-Erkrankte und damit auch von daher keine gezielte Maßnahme gegen Homosexuelle dar.
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2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Zuerkennung subsidiären Schutzes gemäß § 4 Abs. 1 AsylG zu.
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Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein Ausländer subsidiär schutzberechtigt, wenn er stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht hat, dass ihm in seinem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht. Als ernsthafter Schaden gilt die Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AsylG), Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AsylG) oder eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Vorliegend sind keine Gründe ersichtlich, dass dem Kläger bei einer Rückkehr in sein Heimatland ein ernsthafter Schaden in diesem Sinne droht.
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3. Auch nationale Abschiebungsverbote liegen für den Kläger im Ergebnis nicht vor.
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Nach § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 – EMRK – ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Nach § 60 Abs. 7 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit des Asylantragstellers bei einer Rückkehr ins Herkunftsland gegeben ist. Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG setzt aber voraus, dass der Ausländer alsbald nach einer Rückkehr mit hoher – und nicht nur beachtlicher – Wahrscheinlichkeit einer ex-tremen Gefahrenlage hinsichtlich Leib oder Leben ausgesetzt wäre (BVerwG, U.v. 8.8.2018 – 1 B 25/18 – NVwZ 2019, 61 Rn. 13). Er müsste bei einer Rückkehr „gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert“ sein. Nicht ausreichend ist hingegen, dass eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes im Falle einer Rückkehr eintritt oder eine Behandlung im Heimatland weniger gut erfolgt. Erforderlich wäre, dass eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung sich durch die Abschiebung alsbald nach der rückkehr wesentlich verschlechtern würde (VG München, U.v. 19.5.2022 – M 31 K 19.34066 – Rn. 39 m.w.N.)
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Dies zugrunde gelegt, ergibt sich aktuell kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot für Peru aus der HIV-Infektion des Klägers. Zum einen hat der Kläger im Moment keine akuten Krankheitsanzeigen, er ist nicht bereits an Aids erkrankt, sondern „nur“ seit langer Zeit mit HIV infiziert. Durch die Medikamentenumstellung in Deutschland ist sein Gesundheitszustand derzeit stabil, geht es ihm aktuell verhältnismäßig gut, ist die Viruslast nach seiner eigenen Aussage in der mündlichen Verhandlung am 11. Februar 2023 aktuell niedrig und sind die bisherigen Nebenwirkungen der Infektion bzw. der bisherigen Medikamente weitgehend verschwunden. Es handelt sich beim Kläger somit nicht um eine schwer erkrankte Person mit fragilem Gesundheitszustand, der jederzeit zu kippen droht. Zur Verhinderung eines Krankheitsausbruchs ist der Kläger zwar weiterhin auf Medikamente angewiesen, es ist jedoch wahrscheinlich, dass der Kläger in Pe... jedenfalls eine im Sinne des oben dargelegten Maßstabes ausreichende Medikamentenversorgung erlangen würde. Nach den gerichtlichen Erkenntnissen (insbes. Medical Country of Origin Information vom 22.7.2020) sind in Pe... grundsätzlich verschiedene HIV-Medikamente bzw. Medikamenten-Schemata im Einsatz und verfügbar, darunter auch das Medikament Tenofovir, das der Kläger (zusammen mit anderen Komponenten) in Deutschland erhält. Der Kläger hat in Pe... über 25 Jahre mit seiner HIV-Infektion gelebt und hat dort auch seit 2000 eine medikamentöse Behandlung bekommen. Er gibt zwar, durchaus glaubhaft, an, dass die Medikamentenversorgung nicht ununterbrochen erfolgt ist und nicht langfristig gesichert war und ist, nichts destotrotz ist es ihm immer wieder gelungen, an eine entsprechende Behandlung zu gelangen und zwar auch in der Zeit, in der er nicht krankenversichert war. Die Medikamente hat er in dieser Zeit, wie er selbst angibt und wie dies auch der Auskunftslage entspricht, kostenlos über SIS, einer staatlichen Grundversicherung, über die Nicht-Krankenversicherte abgesichert sind (vgl. hierzu auch BFA, Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 19.2.2020, S. 33), erhalten. Eine Behandlungslücke über einen längeren Zeitraum und damit eine lebensbedrohliche Situation ist im Falle einer Rückkehr nicht zu erwarten. Über das staatliche Gesundheitswesen in Pe... und seine eigenen beachtlichen Initiativen, die der Kläger geschildert hat (Scheinarbeitsverträge und dadurch Absicherung durch die Krankversicherung, Hilfsorganisationen, Netzwerkarbeit innerhalb der LGTBQ-Community, etc.), ist der Kläger in der Vergangenheit immer wieder an Medikamente gekommen und ist zu erwarten, dass dies auch in Zukunft möglich wäre. Eine Rückumstellung auf die alte, weniger gute bzw. weniger gut vertragene Medikation, muss der Kläger notfalls hinnehmen; diese Gefahr begründet ein Abschiebungsverbot noch nicht. Eine Resistenz gegen die alte Medikation befürchtet der Kläger zwar, konkret eingetreten bzw. festgestellt ist eine solche Resistenz aber gerade nicht, jedenfalls hat der Kläger keine Belege etwa in Form von ärztlichen Attesten hierzu vorgelegt. Der Kläger muss sich rechtlich – zusammengefasst – auf den geringeren, aber für ihn eben nicht akut lebensbedrohlichen medizinischen Standard bzw. das als ausreichend zu betrachtende Gesundheitssystem seines Herkunftslandes verweisen lassen.
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4. Auch die im angefochtenen Bescheid vom 14. Juni 2022 enthaltene Ausreiseaufforderung und die Abschiebungsandrohung begegnen keinen rechtlichen Bedenken. Die Voraussetzungen der §§ 34 Abs. 1, 38 Abs. 1 AsylG liegen vor.
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5. Gleiches gilt für die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Befristung in Ziffer 6 des Bescheids gemäß §§ 11 Abs. 1, Abs. 2, 75 Nr. 12 AufenthG. Die Befristung steht dabei im Ermessen der Behörde, vgl. § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, womit das Gericht die Festsetzung in zeitlicher Hinsicht nur auf – im vorliegenden nicht vorgetragene und erkennbare – Ermessensfehler hin überprüft (§ 114 Satz 1 VwGO).
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6. Ergänzend wird zu alledem auch auf die Ausführungen im Bescheid des Bundesamts vom 14. Juni 2022 Bezug genommen, § 77 Abs. 3 AsylG.
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7. Kostenentscheidung beruht auf §§ 161 Abs. 1, 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.