Inhalt

VGH München, Beschluss v. 31.05.2023 – 11 ZB 23.152
Titel:

Auflagen zur Fahrerlaubnis (Cannabis-Medikation/jährliche Leistungstestung) - Berufungszulassung

Normenketten:
FeV § 46 Abs. 2 S. 1
Fev Anl. 4 Nr. 9.6.2
Leitsätze:
1. Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, das Medizinal-Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (vgl. VGH München BeckRS 2022, 16886 Rn. 21 mwN). (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Handlungsempfehlungen der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation erachten eine Überprüfung des Leistungsbilds im Rahmen einer Nachbegutachtung insbesondere bei Verordnung hochdosierter Cannabisblütensorten in längerem zeitlichen Abstand für sinnvoll, weil keine hinreichenden Erkenntnisse über die langfristige Auswirkung der dauerhaften Einnahme insbesondere in Wechselwirkung mit der jeweiligen Grunderkrankung vorliegen. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Auflagen zur Fahrerlaubnis, Langjährige Therapie mit Medizinal-Cannabis, Verpflichtung zur Durchführung jährlicher Leistungstests und zur Mitteilung von Veränderungen der Medikation, langjährige Therapie mit Medizinal-Cannabis, Verpflichtung zur Durchführung jährlicher Leistungstests, Verpflichtung zur Mitteilung von Veränderungen der Medikation
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 29.11.2022 – M 19 K 19.1306
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13682

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 4.000,- Euro festgelegt.

Gründe

I.
1
Der Kläger wendet sich gegen Auflagen im Zusammenhang mit seiner Fahrerlaubnis.
2
Der am … … 1992 geborene Kläger nimmt seit 2014 mit Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte nach § 3 Abs. 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) wegen ärztlich attestierter Erkrankungen (Fruktoseintoleranz, Reizdarmsyndrom mit chronisch rezidivierenden Diarrhoen und krampfartigen Bauchschmerzen, Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung [ADHS] und Depressionen) im Rahmen einer ärztlich betreuten Therapie Medizinal-Cannabisblüten ein.
3
Mit Bescheid vom 13. Juni 2016 entzog ihm das Landratsamt Freising aufgrund eines medizinisch-psychologischen Gutachtens vom 2. Mai 2016 die Fahrerlaubnis. Im Rahmen der hiergegen erhobenen Klage erließ das Verwaltungsgericht München einen Beweisbeschluss zur Klärung der Fahreignung. Das hierzu eingeholte nervenärztliche Gutachten vom 16. Oktober 2017 kommt zu dem Ergebnis, die Erkrankungen des Klägers und die Behandlung mit Cannabisblüten führten nicht zu einer Beeinträchtigung der Fahreignung. Es fänden sich auch keine Hinweise auf einen Missbrauch. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass durch eine Toleranzentwicklung die Dosis so weit erhöht werden müsse, dass dies Auswirkungen auf Wachheit, Konzentration und/oder Daueraufmerksamkeit haben werde. Dem zur Leistungsfähigkeit erstellten verkehrspsychologischen Zusatzgutachten vom 20. April 2018 zufolge hat der Kläger die Mindestanforderungen bei den durchgeführten Tests zur Orientierungsleistung, Konzentrationsfähigkeit, Belastbarkeit und Reaktionsfähigkeit ausnahmslos erfüllt. Das darauf Bezug nehmende nervenärztliche Fachgutachten des Klinikums der Universität München vom 28. Mai 2018 verneint eine Neigung des Klägers zum Kontrollverlust hinsichtlich des Konsums sowie Hinweise auf eine Suchterkrankung und das Vorliegen einer Persönlichkeitsakzentuierung oder -störung. Die Gefahr missbräuchlicher Einnahme sei gering. Es bestünden keine Leistungseinbußen in verkehrsrelevanten Funktionsbereichen. Da jedoch bei chronischem Cannabiskonsum unabhängig vom aktuellen Zustand Leistungseinbußen auftreten könnten, aber auch weil ein zukünftiger Missbrauch nie völlig ausgeschlossen werden könne, sei eine weitere engmaschige ärztliche Begleitung der Behandlung mit Cannabisblüten mit jährlichen Testungen der Leistungsfähigkeit und bei jeder Änderung der Medikation aus nervenärztlicher Sicht dringend zu empfehlen.
4
Nach richterlichem Hinweis hob das Landratsamt den Bescheid vom 13. Juni 2016 auf und verpflichtete den Kläger mit Bescheid vom 21. September 2018,
5
- sich in jährlichen Abständen – beginnend ab April 2019 – einer Testung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit zu unterziehen und der Fahrerlaubnisbehörde das Ergebnis dieser Testung bis spätestens 15. Mai des jeweiligen Jahres unaufgefordert vorzulegen,
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- in halbjährlichen Abständen – beginnend ab November 2018 – die Bescheinigung über die monatliche ärztliche Begleitung (Therapie) der Cannabis-Medikation entsprechend vorzulegen,
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- in halbjährlichen Abständen – beginnend ab November 2018 – eine Haaranalyse auf die Substanz ‚THC-Säure-A‘ zu veranlassen und dieses Ergebnis jeweils zum 15. des Folgemonats entsprechend vorzulegen, um so eine bestimmungsgemäße Verwendung des Vaporisators nachzuweisen,
8
- der Fahrerlaubnisbehörde etwaige Veränderungen der Medikation unverzüglich mitzuteilen.
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Nach Zurückweisung des hiergegen eingelegten Widerspruchs mit Widerspruchsbescheid der Regierung von Oberbayern vom 20. Februar 2019 ließ der Kläger Klage gegen den Auflagenbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids erheben, soweit er zur Testung seiner Leistungsfähigkeit in jährlichen Abständen, zur Veranlassung und Vorlage einer Haaranalyse und zur Mitteilung etwaiger Veränderungen der Medikation verpflichtet wurde.
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Mit Urteil vom 29. November 2022 hob das Verwaltungsgericht den Auflagenbescheid und den Widerspruchsbescheid hinsichtlich der Verpflichtung zur Haaranalyse auf, weil diese sich nicht aus den vorliegenden Gutachten ergebe, und wies die Klage im Übrigen ab. Die Verpflichtungen zur jährlichen Leistungstestung und zur Mitteilung etwaiger Medikationsänderungen seien rechtmäßig. Der Kläger sei aufgrund der Dauermedikation mit Cannabis nur bedingt zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet. Die jährliche Leistungstestung habe das Gutachten des Klinikums der Universität München vom 28. Mai 2018 dringend empfohlen und entspreche im Übrigen auch der Handlungsempfehlung der ‚Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien‘ vom August 2018 zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation. Auch die Anordnung, etwaige Medikationsänderungen mitzuteilen, resultiere aus dem Gutachten des Klinikums der Universität München und erübrige sich nicht schon durch die Vorlage der Bescheinigung über die monatliche ärztliche Begleitung.
11
Zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt, macht der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils und die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache geltend. Das Landratsamt habe sich hinsichtlich der jährlichen Leistungstestung ohne eigene Prüfung vollständig auf die Ausführungen des Gutachters gestützt. Obwohl der Kläger dies gerügt habe, verhalte sich das Urteil nicht zu dieser Frage. Es gehe auch nicht darauf ein, dass seit der Erstellung des Gutachtens mehr als vier Jahre vergangen seien und dass über die reine Tatsache der Dauermedikation mit Medizinal-Cannabis hinaus keine Anhaltspunkte gegeben seien, die Zweifel an der Eignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen könnten. Die Auflage einer jährlichen Leistungstestung sei bei anderen hochpotenten Schmerzmedikamenten nicht üblich. Das Urteil setze sich auch nicht mit den ärztlichen Überwachungspflichten bei der Verschreibung von Medizinal-Cannabis auseinander. Dem Arzt sei eine engmaschige Überwachung des Patienten vorgegeben und er sei auch ohne Auflage gehalten, die Cannabis-Medikation bei Veränderungen der Leistungsfähigkeit zu modifizieren und den Patienten zu beraten, etwa auch hinsichtlich der Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten. Das Gericht hätte sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob nicht bereits die ärztlichen Überwachungs- und Fürsorgepflichten der Auflage aus Gründen der Verhältnismäßigkeit entgegenstünden. Die Beurteilungskriterien würden eine psycho-physische Leistungstestung bei Medikation entweder nur freiwillig oder aber aufgrund einer behördlich angeordneten ärztlichen bzw. medizinisch-psychologischen Untersuchung vorsehen. Auch dazu verhalte sich das Urteil nicht. Gleiches gelte für die Frage, weshalb es einer gesonderten Mitteilung einer etwaigen Medikationsänderung bedürfe. Wenn der zu erbringende halbjährliche Nachweis der ärztlich begleiteten Therapie auch Auskunft zur Dosierungsart und -menge geben solle, sei nicht ersichtlich, weshalb der Fahrerlaubnisbehörde eine Erhöhung der Dosierung nicht bekannt werden sollte. Hier reiche es völlig, der Behörde die Möglichkeit einzuräumen, gegebenenfalls vom behandelnden Arzt ergänzende Auskunft zu verlangen. Grundsätzliche Bedeutung habe die Rechtssache hinsichtlich der Frage, ob eine Medikation mit Medizinal-Cannabis grundsätzlich und ohne weitere Erkenntnisse Eignungszweifel begründen könne und deshalb eine Leistungstestung geboten sei oder ob diese nur in begründeten Einzelfällen angeordnet werden dürfe. Das Verwaltungsgericht sei davon ausgegangen, dass bei einer Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis grundsätzlich, also losgelöst vom Fall des Klägers, Leistungseinbußen auftreten könnten. Das Gericht hätte sich mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob sich nicht vor dem Hintergrund der Änderung betäubungsmittelrechtlicher und sonstiger Vorschriften ab dem 10. März 2017 weitere Erkenntnisse über die Wirkung dauerhafter Einnahme von Medizinal-Cannabis ergeben hätten. Eine jährliche Leistungstestung sei Fällen vorbehalten, in denen Hinweise auf missbräuchlichen Konsum oder fehlende Compliance oder sonstige Verdachtsmomente vorlägen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
13
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist abzulehnen.
14
1. Wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist die Berufung zuzulassen, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (BVerfG, B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – BayVBl 2023, 176 Rn. 23 m.w.N.). Aus der Antragsbegründung des Klägers, auf die sich gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO die Prüfung im Zulassungsverfahren beschränkt (BayVerfGH, E.v. 23.9.2015 – Vf. 38-VI-14 – VerfGHE 68, 180 Rn. 52; Happ in Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, § 124a Rn. 54), ergeben sich solche Zweifel nicht.
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a) Erweist sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, hat ihm die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 5.3.2003 [BGBl I S. 310, 919], zuletzt geändert durch Gesetz vom 2.3.2023 [BGBl I Nr. 56]; § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr [Fahrerlaubnis-Verordnung – FeV] vom 13.12.2010 [BGBl I S. 1980], zuletzt ebenfalls geändert durch Gesetz vom 2.3.2023 [BGBl I Nr. 56]). Dies gilt insbesondere, wenn Erkrankungen oder Mängel nach den Anlagen 4, 5 oder 6 zur Fahrerlaubnis-Verordnung vorliegen oder wenn der Fahrerlaubnisinhaber erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder Strafgesetze verstoßen hat und dadurch die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen ausgeschlossen ist (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FeV). Erweist sich der Fahrerlaubnisinhaber noch als bedingt geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen, schränkt die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis so weit wie notwendig ein oder ordnet die erforderlichen Auflagen an (§ 46 Abs. 2 Satz 1 FeV; vgl. auch § 2 Abs. 4 Satz 2 StVG).
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Die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bei ärztlich verordneter Einnahme von Medizinal-Cannabis richtet sich nach Nr. 9 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnis-Verordnung. Nimmt der Betreffende Cannabis als Arzneimittel aufgrund einer ärztlichen Verordnung für einen konkreten Krankheitsfall bestimmungsgemäß ein, entfällt die Fahreignung grundsätzlich nicht gemäß Nr. 9.2.1 der Anlage 4 zur FeV wegen regelmäßigen Cannabiskonsums (vgl. Nr. 3.14.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung vom 27.1.2014 [Vkbl S. 110] in der Fassung vom 17.2.2021 [Vkbl S. 198]). Insoweit definieren Nr. 9.4 und Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV speziellere Anforderungen für Eignungsmängel, die aus dem Gebrauch psychoaktiver Arzneimittel resultieren (BayVGH, B.v. 29.4.2019 – 11 B 18.2482 – BayVBl 2020, 419 Rn. 23; B.v. 22.8.2022 – 11 CS 22.1202 – juris Rn. 25; siehe auch Nr. 3.14.2 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung). Soll eine Dauerbehandlung mit Medizinal-Cannabis im Sinne von Nr. 9.6 der Anlage 4 zur FeV nicht zum Verlust der Fahreignung führen, setzt dies voraus, dass die Einnahme von Cannabis indiziert und ärztlich verordnet ist, das Medizinal-Cannabis zuverlässig nur nach der ärztlichen Verordnung eingenommen wird, keine dauerhaften Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit festzustellen sind, die Grunderkrankung bzw. die vorliegende Symptomatik keine verkehrsmedizinisch relevante Ausprägung aufweist, die eine sichere Verkehrsteilnahme beeinträchtigt, und nicht zu erwarten ist, dass der Betroffene in Situationen, in denen seine Fahrsicherheit durch Auswirkungen der Erkrankung oder der Medikation beeinträchtigt ist, am Straßenverkehr teilnehmen wird (vgl. Graw/Brenner-Hartmann/Haffner/Musshoff in Schubert/Huetten/Reimann/Graw, Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung, 3. Auflage 2018, S. 303 f.; Handlungsempfehlung der Ständigen Arbeitsgruppe Beurteilungskriterien [StAB] zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation, aktualisierte Fassung vom August 2018, https://dgvm-verkehrsmedizin.de/fahreigungsbegutachtung-bei-canabismedikation/; abgedruckt in Blutalkohol 2018, 24 ff.; BayVGH, B.v. 1.7.2022 – 11 CS 22.860 – juris Rn. 21; B.v. 31.3.2022 – 11 CS 22.158 – juris Rn. 12; B.v. 16.1.2020 – 11 CS 19.1535 – Blutalkohol 57, 133 = juris Rn. 22 m.w.N.; SaarlOVG, B.v. 8.11.2021 – 1 B 180/21 – ZfSch 2022, 57 Rn. 14; Dauer in Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 47. Auflage 2023, § 2 StVG Rn. 62a ff.).
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b) Zu Unrecht beanstandet der Kläger, das Urteil gehe nicht auf die Fragen ein, ob das Landratsamt die Ausführungen des Gutachters zur Erforderlichkeit jährlicher Leistungstests ohne eigenständige Prüfung und kritische Würdigung übernommen habe und aus welchen Gründen eine gesonderte Mitteilung einer etwaigen Medikationsänderung erforderlich sei. Hierzu bestand schon deshalb keine Veranlassung, weil das Verwaltungsgericht im Verfahren hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis (M 26 K 16.3062) mit Schreiben vom 12. Juni 2018 ausdrücklich vorgeschlagen hatte, anstatt der Entziehung „geeignete Auflagen entsprechend der Empfehlung auf Seite 35 des Gutachtens vom 28. Mai 2018“ anzuordnen. Dort hatte der Gutachter explizit „eine weitere engmaschige ärztliche Begleitung der Behandlung mit Cannabisblüten mit jährlichen Testungen der Leistungsfähigkeit und bei jeder Änderung der Medikation aus nervenärztlicher Sicht dringend“ empfohlen. Abgesehen davon, dass das Landratsamt die aus seiner Sicht bestehende Notwendigkeit der Auflagen in seinem Schreiben vom 17. Juli 2018 an das Verwaltungsgericht dargelegt und der Kläger sich zunächst über seinen damaligen Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 5. September 2018 mit dem gerichtlichen Vorschlag einverstanden erklärt hat, bestand auch deshalb keine Notwendigkeit, dies im Bescheid nochmals auszuführen, weil – worauf das Verwaltungsgericht zutreffend hinweist – auch die Handlungsempfehlungen der StAB zur Fahreignungsbegutachtung bei Cannabismedikation eine Überprüfung des Leistungsbilds im Rahmen einer Nachbegutachtung insbesondere bei Verordnung hochdosierter Cannabisblütensorten in längerem zeitlichen Abstand für sinnvoll erachten, weil keine hinreichenden Erkenntnisse über die langfristige Auswirkung der dauerhaften Einnahme insbesondere in Wechselwirkung mit der jeweiligen Grunderkrankung vorliegen (Handlungsempfehlung S. 12).
18
Das Verwaltungsgericht hat weiter zutreffend darauf hingewiesen, dass die vom Landratsamt angeordnete Verpflichtung, der Fahrerlaubnisbehörde etwaige Veränderungen der Medikation unverzüglich mitzuteilen, zu Gunsten des Klägers hinter der gutachterlichen Empfehlung zurückbleibt, in diesem Fall ebenfalls zusätzlich zur jährlichen Testung einen weiteren Leistungstest durchzuführen. Im Übrigen handelt es sich hierbei um eine niederschwellige Maßnahme mit sehr geringer Eingriffsintensität.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit ergeben sich auch nicht aus der ärztlichen Beratungspflicht gegenüber dem Kläger als Patienten. Allein dies stellt den bei Dauerbehandlung mit Arzneimitteln erforderlichen Ausschluss einer Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit unter das erforderliche Maß (Nr. 9.6.2 der Anlage 4 zur FeV) nicht hinreichend sicher, zumal der den Kläger behandelnde Arzt aufgrund seiner Schweigepflicht (§ 203 Abs. 1 Nr. 1 StGB) nicht ohne Weiteres berechtigt ist, die Fahrerlaubnisbehörde ohne Zustimmung des Klägers über etwaige Medikationsänderungen und über sonstige relevante Umstände zu informieren, die ihm in seiner Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden sind (zu Durchbrechungen in begründeten Ausnahmefällen vgl. BayVGH, B.v. 9.10.2018 – 11 CS 18.1897 – NZV 2019, 39 Rn. 14 m.w.N.; Koehl, NZV 2023, 29 Rn. 6 ff.). Auch ein behördliches Auskunftsverlangen berechtigt den Arzt nicht zur Offenlegung ohne Zustimmung des Patienten. Im Übrigen verfügt der behandelnde Arzt nicht zwangsläufig über eine verkehrsmedizinische Qualifikation im Sinne von § 11 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 i.V.m. § 65 FeV (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 19.12.2022 – 11 B 22.632 – juris Rn. 29). Zu einer Einschätzung der Leistungsfähigkeit ist er daher nicht unbedingt in der Lage.
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Die gutachterliche Einschätzung und Empfehlung jährlicher Leistungstests sowie der Verpflichtung zur Mitteilung von Änderungen der Medikation ist schließlich auch nicht durch Zeitablauf überholt. Der Kläger unterzieht sich seit vielen Jahren einer Dauertherapie mit Medizinal-Cannabis, deren Ende nicht absehbar ist. Bereits das nervenärztliche Gutachten vom 16. Oktober 2017 hat darauf hingewiesen, es sei nicht auszuschließen, dass die Dosis des verordneten Medizinal-Cannabis durch eine Toleranzentwicklung so weit erhöht werden müsse, dass dies Auswirkungen auf Wachheit, Konzentration und/oder Daueraufmerksamkeit und damit auf die Leistungsfähigkeit haben werde. Damit liegen ausreichende Tatsachen für die angeordneten Auflagen vor. Dem vom Landratsamt akzeptierten Vorschlag des Verwaltungsgerichts vom 31. Oktober 2022, die angefochtene Testung der psycho-physischen Leistungsfähigkeit auf eine einmalige Vorlagepflicht zu beschränken, hat der Kläger nicht zugestimmt.
21
2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
22
Die Frage, ob eine Medikation mit Medizinal-Cannabis grundsätzlich und ohne weitere Erkenntnisse Eignungszweifel begründen kann und deshalb eine Leistungstestung geboten ist oder ob diese nur in begründeten Einzelfällen angeordnet werden darf, hat sich für das Verwaltungsgericht so nicht gestellt und würde sich auch in einem Berufungsverfahren nicht stellen, weil das – im Übrigen mehr als ein Jahr nach Inkrafttreten der Regelungen zur Zulassung von Cannabisarzneimitteln als Therapiealternative in begründeten Einzelfällen durch das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 6. März 2017 (BGBl I S. 403) erstellte – nervenärztliche Gutachten vom 28. Mai 2018 einzelfallbezogen für den Kläger die Durchführung jährlicher Leistungstests aufgrund der langjährigen Behandlung mit Cannabisblüten dringend empfohlen hat.
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3. Für das weitere Vorgehen nach Abschluss des Verfahrens weist der Senat darauf hin, dass der Kläger, sollte er als Fahrerlaubnisinhaber die Aufhebung oder Änderung der Auflagen beantragen, der Fahrerlaubnisbehörde (u.a.) nachzuweisen hat, dass er zum Führen von Kraftfahrzeugen wieder uneingeschränkt geeignet ist (§ 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG). Hinsichtlich der Notwendigkeit weiterer Leistungstests und der insoweit einzuhaltenden Frequenz wird er nach Maßgabe von § 11 FeV i.V.m. Nr. 9 der Anlage 4 zur FeV ein ärztliches Gutachten und/oder ggf. ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen haben, das sich auch mit der Empfehlung des Gutachtens vom 28. Mai 2018 auseinandersetzt. In diesem Zusammenhang könnten auch etwaige weitere Erkenntnissen zu den Langzeitwirkungen von Medizinal-Cannabis und Kompensationen durch Gewöhnung, durch besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und -umstellungen Gegenstand der Prüfung sein (vgl. Vorbemerkung Nr. 3 Satz 2 der Anlage 4 zur FeV).
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4. Als unterlegener Rechtsmittelführer hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 2 VwGO).
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5. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 und § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG). Der Senat berücksichtigt dabei, dass das erstinstanzliche Verfahren drei vom Verwaltungsgericht mit einem Streitwert in Höhe von insgesamt 5.000,- Euro bewertete Auflagen zum Gegenstand hatte, das Zulassungsverfahren hingegen nur zwei Auflagen, wodurch eine reduzierte Streitwertbemessung angezeigt erscheint.
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6. Dieser Beschluss, mit dem die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO), ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).