Titel:
Zur Verlängerung einer für den Kindernachzug erteilten Aufenthaltserlaubnis nach Eintritt der Volljährigkeit
Normenkette:
AufenthG § 5 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 34 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 54 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 9
Leitsatz:
§ 34 Abs. 2 AufenthG stellt keine Rechtsgrundlage für die Erteilung oder Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis dar, sondern bestimmt eine kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge, wonach eine für den Kindernachzug erteilte Aufenthaltserlaubnis mit dem Eintritt der Volljährigkeit zu einem eigenständigen Aufenthaltsrecht wird. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Aufenthaltserlaubnis, Kindernachzug, Verlängerung, Eintritt der Volljährigkeit, Regelerteilungsvoraussetzungen, Straftaten, Verbrauch von Ausweisungsgründen
Vorinstanz:
VG München, Urteil vom 15.06.2022 – M 12 K 21.6331
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13681
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Kläger, ein serbischer Staatsangehöriger, verfolgt mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung seine in erster Instanz erfolglose, auf die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gerichtete Verpflichtungsklage weiter. Die Beklagte hatte die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis mit Bescheid vom 10. November 2021 abgelehnt und dem Kläger unter Bestimmung einer Ausreisefrist die Abschiebung angedroht.
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Aus dem der rechtlichen Überprüfung durch den Senat allein unterliegenden Vorbringen im Zulassungsantrag ergeben sich nicht die geltend gemachten Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (1.), die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (2.), eine Abweichung von obergerichtlicher Rechtsprechung im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (3.) oder ein beachtlicher Verfahrensfehler im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO (4.).
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1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden nur dann, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 17; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist hier nicht der Fall.
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Das Verwaltungsgericht hat – jedenfalls im Ergebnis – zu Recht ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG oder auf Erteilung einer anderweitigen Aufenthaltserlaubnis.
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Die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 1 AufenthG scheide schon deshalb aus, weil der Kläger zum Zeitpunkt seines Antrags bereits volljährig gewesen sei. § 34 Abs. 2 AufenthG regele lediglich die mit Erreichen der Volljährigkeit von Gesetzes wegen eintretende Veränderung des Rechtscharakters der ursprünglich einem Kind erteilten Aufenthaltserlaubnis hin zu einem eigenständigen, vom Familiennachzug unabhängigen Aufenthaltsrecht, beinhalte jedoch selbst keinen unmittelbaren Rechtsanspruch auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis. Die Möglichkeit, die Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG nach Ermessen zu verlängern, setze ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 34 Abs. 2 AufenthG voraus. Der Kläger sei jedoch nie im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 1 AufenthG gewesen, so dass ein eigenständiges Aufenthaltsrecht nach § 34 Abs. 2 AufenthG nicht habe entstehen können. Die dem Kläger am 21. Januar 2013 erteilte und auf § 34 Abs. 2 AufenthG gestützte Aufenthaltserlaubnis sei rechtswidrig gewesen und könne somit nicht Anknüpfungspunkt einer Verlängerung nach § 34 Abs. 3 AufenthG sein.
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Abgesehen davon erfülle der Kläger auch nicht die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG. Sein Lebensunterhalt sei nicht im Sinn des § 2 Abs. 3 AufenthG gesichert. Überdies bestehe ein Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG aufgrund der zuletzt am 27. Oktober 2021 abgeurteilten Straftat des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln. Gründe, die es rechtfertigen könnten, von den Regelerteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG ausnahmsweise abzusehen, lägen nicht vor; sie ergäben sich insbesondere nicht aus Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK.
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Das Verwaltungsgericht hat zutreffend dargelegt, dass § 34 Abs. 2 AufenthG keine Rechtsgrundlage für die Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis darstellt, sondern die kraft Gesetzes eintretende Rechtsfolge bestimmt, wenn ein Ausländer, der eine für den Kindernachzug erteilte Aufenthaltserlaubnis (§ 32, § 34 Abs. 1 AufenthG) besitzt, volljährig wird; mit dem Eintritt der Volljährigkeit wird eine solche Aufenthaltserlaubnis kraft Gesetzes zu einem eigenständigen, vom Familiennachzug unabhängigen Aufenthaltsrecht (vgl. Tewocht in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.10.2021, § 34 Rn. 10 ff.; Zimmerer in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, Stand 15.1.2023, § 34 Rn. 13 ff.; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 34 Rn. 19 ff.).
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Daher trifft es zu, dass die dem Kläger am 21. Januar 2013 auf der Grundlage des § 34 Abs. 2 AufenthG erteilte und bis zum 21. Januar 2014 gültige Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig war, denn der Kläger hätte bei Eintritt seiner Volljährigkeit (am 20. November 2012) im Besitz einer zum Zweck des Familiennachzugs erteilten Aufenthaltserlaubnis sei müssen, um in den Besitz einer solchen Aufenthaltserlaubnis zu gelangen.
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Hiervon ist allerdings die Frage zu unterscheiden, ob angesichts der Bestandskraft der erteilten Aufenthaltserlaubnis gleichwohl ihre „Verlängerung“ im Sinn des § 34 Abs. 3 AufenthG in Betracht kommt. Eine Verlängerung ist jedoch nur möglich, wenn sie vor Ablauf der geltenden Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 2 AufenthG beantragt wird (OVG Saarl, B.v. 27.8.2014 – 2 D 282/14 – juris Rn. 8; Dienelt in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Auflage 2022, § 34 Rn. 13). Im vorliegenden Fall ist der Antrag auf Verlängerung schriftlich am 20. Oktober 2015 und zuvor wohl mündlich zu einem aus den Behördenakten nicht eindeutig zu entnehmenden Datum – wohl am 13. März 2014 – gestellt worden, jedenfalls also deutlich nach Ablauf der Aufenthaltserlaubnis am 21. Januar 2014. Dass die Ausländerbehörde bei der Ausstellung der Fiktionsbescheinigung nach § 81 Abs. 4 AufenthG am 13. März 2014 eine Entscheidung über die rückwirkende Fortgeltung nach § 81 Abs. 4 Satz 3 AufenthG getroffen hätte, ist nicht auszuschließen, jedoch den Behördenakten nicht zu entnehmen.
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Letztlich kann dies jedoch offenbleiben, weil es für die Möglichkeit der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG jedenfalls an den Regelerteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG fehlt und insoweit nicht ausnahmsweise hiervon abzusehen ist.
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Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Lebensunterhalt des Klägers sei nicht dauerhaft gesichert (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG), wird mit dem Zulassungsvorbringen nicht ernsthaft in Zweifel gezogen. Der Lebensunterhalt ist nach § 2 Abs. 3 Satz 1 AufenthG gesichert, wenn der Ausländer ihn einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann. Dabei bleiben die in § 2 Abs. 3 Satz 2 AufenthG aufgeführten öffentlichen Mittel außer Betracht. Erforderlich ist mithin die positive Prognose, dass der Lebensunterhalt des Ausländers in Zukunft auf Dauer ohne Inanspruchnahme anderer öffentlicher Mittel gesichert ist. Das Verwaltungsgericht hat seine Prognose unter Berücksichtigung der bisherigen Erwerbsbiographie des Klägers darauf gestützt, dass er keine Berufsausbildung besitzt, bisher nie über längere Zeit beschäftigt war und in erheblichem Umfang Sozialleistungen bezogen hat. Es hat dabei, wie die Begründung des Zulassungsantrags wohl meint, nicht lediglich darauf abgestellt, dass er zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung aufgrund seiner Inhaftierung und der damaligen „Corona“-Situation aktuell keine Erwerbstätigkeit habe nachweisen können. Die mit dem Zulassungsantrag vorgelegten Unterlagen sind, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, in keiner Weise geeignet, einen zukünftig gesicherten Lebensunterhalt glaubhaft zu machen. Es handelt sich zum einen um einen von einem Bruder des Klägers ausgefüllten Vordruck einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG, nicht jedoch um eine von einer Ausländerbehörde entgegengenommene und geprüfte, also rechtswirksame Erklärung. Bei dem „Arbeitsvertrag“ handelt es sich lediglich um die erste Seite eines Vertragsentwurfs, dessen Vertragsinhalte (Beginn des Arbeitsverhältnisses, Art der Tätigkeit, Umfang der Tätigkeit, Arbeitsvergütung) noch in keiner Weise bestimmt und offensichtlich mit dem potentiellen Arbeitgeber noch nicht ausgehandelt sind.
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Ferner fehlt es auch an der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG, wonach kein Ausweisungsinteresse bestehen darf. Diesen Gesichtspunkt hat das Verwaltungsgericht zu Recht herangezogen, auch wenn der Bescheid der Beklagten vom 10. November 2021 darauf nicht gestützt ist, denn bei den Regelerteilungsvoraussetzungen im Sinn von § 5 AufenthG handelt es sich um gesetzliche Tatbestandsmerkmale. Der Kläger verwirklicht durch die Vielzahl von Verurteilungen und sonstigen Straftaten, die nicht zu einer Verurteilung geführt haben, ein schwer wiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG (Verurteilung vom 8.3.2018) bzw. nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Die Verurteilungen bzw. Straftaten wurden auch nicht durch die ausländerbehördlichen Verwarnungen vom 14. Juni 2018 und vom 9. August 2021 „konsumiert“, wie die Zulassungsbegründung meint, also gewissermaßen beseitigt oder „gelöscht“. Ein „Verbrauch“ von Ausweisungsgründen liegt nur dann vor, wenn die Ausländerbehörde einen ihr zurechenbaren Vertrauenstatbestand geschaffen hat, aufgrund dessen der Ausländer annehmen kann, ihm werde ein bestimmtes Verhalten im Rahmen einer Ausweisung oder einer sonstigen aufenthaltsbeenden Maßnahme nicht (mehr) entgegengehalten; zudem muss ein hierauf gegründetes Vertrauen des Ausländers schützenswert sein (BVerwG, U.v. 22.2.2017 – 1 C 31.16 – juris Rn. 39). Ein Vertrauenstatbestand liegt nicht mehr vor, wenn sich seit der Erklärung der Ausländerbehörde die Sach- und Rechtslage geändert hat; vor allem eine erneute Straftat des Ausländers lässt den Vertrauensschutz entfallen, so dass auch frühere Sachverhalte wieder in vollem Umfang berücksichtigt werden können. So liegt der Fall hier. Nach der ausländerrechtlichen Verwarnung vom 9. August 2021 wurde der Kläger am 27. Oktober 2021 wegen einer am 23. September 2021 begangenen Straftat (unerlaubter Besitz von Betäubungsmitteln) erneut zu einer Geldstrafe verurteilt. In einem weiteren Ermittlungsverfahren wegen Erschleichens von Leistungen wurde mit Verfügung vom 15. November 2021 gemäß § 154 Abs. 1 StPO von der Verfolgung abgesehen. Überdies wurde mit Beschluss vom 28. September 2021 die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil vom 8. März 2018 wegen erneuter Straffälligkeit widerrufen.
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Es sind auch keine Gründe ersichtlich, ausnahmsweise von der Erfüllung der Erteilungsvoraussetzungen nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 AufenthG abzusehen. Der lapidare Hinweis in der Zulassungsbegründung, der Kläger sei faktischer Inländer, habe niemals in Serbien gelebt und spreche die serbische Sprache nur mangelhaft, ist nicht geeignet, die ausführlichen Erörterungen des Verwaltungsgerichts (UA Rn. 57-63) in Frage zu stellen. Das Verwaltungsgericht hat eingehend dargelegt, weshalb dem Kläger der Verweis auf ein Leben im Heimatland nicht unzumutbar ist; die Zulassungsbegründung geht hierauf nicht ein.
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2. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO setzt voraus, dass für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung ist, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Dementsprechend verlangt die Darlegung (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung, dass eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und entscheidungserheblich (klärungsfähig) ist; ferner muss dargelegt werden, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. z. B. BayVGH, B.v. 18.11.2022 – 10 ZB 21.2465 – juris Rn. 19; B.v. 23.1.2020 – 10 ZB 19.2235 – juris Rn. 4; B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris Rn. 10).
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Eine solche grundsätzlich bedeutsame Frage ist hier nicht dargelegt. Die Zulassungsbegründung nennt als grundsätzlich zu entscheidende Frage, „ab welchem Zeitpunkt sämtliche Voraussetzungen […] zur Erteilung der Aufenthaltserlaubnis beim Kläger vorgelegen haben bzw. hätten vorliegen müssen“. Weshalb diese Frage (noch) klärungsbedürftig sein soll, ist nicht dargelegt.
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Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist bei Verpflichtungsklagen auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels bei der Frage, ob eine Aufenthaltserlaubnis aus Rechtsgründen erteilt oder versagt werden muss, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz abzustellen. Dies gilt im Grundsatz auch für den Nachzugsanspruch von Kindern. Nur wenn solche Ansprüche an eine Altersgrenze geknüpft sind, ist für die Einhaltung der Altersgrenze ausnahmsweise auf den Zeitpunkt der Antragstellung abzustellen (BVerwG, U.v. 7.4.2009 – 1 C 17.08 – juris Rn. 10 m.w.N.). Insoweit ergibt sich der maßgebliche Zeitpunkt aus den gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Anspruchsnorm. Im Fall der hier fraglichen Aufenthaltserlaubnis nach § 34 Abs. 3 AufenthG ist bei den Tatbestandvoraussetzungen keine Altersgrenze enthalten.
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Soweit die Zulassungsbegründung hier offenbar darauf abstellen will, das Verwaltungsgericht habe die Sicherung des Lebensunterhalts zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung geprüft, ist dem entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung eine – in die Zukunft gerichtete – Prognose der Sicherung des Lebensunterhalts getroffen hat (UA Rn. 52 ff.).
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3. Auch die Divergenzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) greift nicht durch.
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Die Darlegung einer Divergenz nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO erfordert, dass ein inhaltlich bestimmter, die angefochtene Entscheidung tragender Rechts- oder Tatsachensatz bezeichnet wird, mit dem die Vorinstanz von einem in der Rechtsprechung eines übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen entscheidungstragenden Rechts- oder Tatsachensatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift abgewichen ist. Die divergierenden Sätze sind einander so gegenüberzustellen, dass die Abweichung erkennbar wird (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 22.3.2019 – 10 ZB 18.2598 – juris Rn. 18; B.v. 18.4.2019 – 10 ZB 18.2660 – juris Rn. 9 m.w.N.). Es genügt nicht, wenn in der angegriffenen Entscheidung ein in der Rechtsprechung der übergeordneten Gerichte aufgestellter Grundsatz lediglich übersehen, übergangen oder in sonstiger Weise nicht richtig angewandt worden ist (BVerwG, B.v. 20.7.2016 – 6 B 35.16 – juris Rn. 12 m.w.N).
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Diesen Anforderungen wird die Zulassungsbegründung nicht gerecht.
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Der Kläger beruft sich hier auf die beiden Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 1. August 2022 (C-279/20 – juris, sowie C-273/20 und C-355/20 – juris) und den vorausgegangenen Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. April 2020 (1 C 10.19 – juris).
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Der EuGH ist jedoch schon kein Gericht, das in § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO genannt ist, und es ist auch nicht ersichtlich, inwiefern das Verwaltungsgericht hiervon abgewichen sein sollte. Die Urteile des EuGH betreffen Fragen der Familienzusammenführung von anerkannten Flüchtlingen vor dem Hintergrund der RL 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung. Das Verwaltungsgericht hat insoweit keine Rechtsausführungen gemacht und ist daher auch nicht von einem dort aufgestellten Rechtssatz abgewichen.
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4. Die Berufung ist auch nicht wegen eines Verfahrensmangels im Sinn des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen. Ein solcher ist schon nicht hinreichend dargelegt.
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In der Begründung des Zulassungsantrags wird hierzu allenfalls vorgebracht, es „hätte der anwesende Vater zur Übernahme einer Verpflichtung der Lebensunterhaltssicherung des Klägers vernommen werden müssen“. Eine weitere Erläuterung nicht ersichtlich. Die Abgabe einer Verpflichtungserklärung für die Sicherung des Lebensunterhalts des Klägers durch den Vater war im Verfahren nicht thematisiert worden; es war kein diesbezüglicher Beweisantrag gestellt worden, und eine Sachverhaltsaufklärung in diese Richtung drängte sich dem Verwaltungsgericht auch nicht auf.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 und 3 und § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird die Entscheidung des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).