Titel:
Kollision mit Veranstaltungsfläche des Deutschen Evangelischen Kirchentags in Nürnberg
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayVersG Art. 15 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1, Abs. 2, Art. 8 Abs. 1
Leitsätze:
1. Wichtige Elemente bei der Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz sind unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
3. Bei dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg handelt es sich um eine komplexe Großveranstaltung mit einer Vielzahl unterschiedlicher Veranstaltungen und Einrichtungen, was unter anderem auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass das hierfür erstellte Sicherheitskonzept 650 Seiten umfasst. (Rn. 24 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Werden durch die Wahl des Versammlungsorts Rechte Anderer – hier die Grundrechte des Veranstalters und der Teilnehmer des Kirchentags – zwangsläufig beeinträchtigt, kann der Veranstalter die Bedenken durch eine Modifikation seiner geplanten Versammlung ausräumen oder aber es kommen entsprechende versammlungsrechtliche Beschränkungen in Form einer Verlegung des Versammlungsortes in Betracht, um die erforderliche praktische Konkordanz beim Rechtsgüterschutz herzustellen. (Rn. 26 – 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Versammlungsrecht, konkurrierende Versammlungen, örtliche Verlegung, Kollision mit Veranstaltungsfläche des Deutschen, Evangelischen Kirchentags in Nürnberg, praktische Konkordanz, Grundrechtsposition, Versammlungsverbot
Vorinstanz:
VG Ansbach, Beschluss vom 07.06.2023 – AN 4 S 23.1159
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13679
Tenor
I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen in erster Instanz erfolglosen Antrag weiter, die aufschiebende Wirkung einer noch zu erhebenden Klage gegen die Beschränkung in Nr. 2.3. des Bescheids der Antragsgegnerin vom 6. Juni 2023 (Verlegung des Versammlungsorts) anzuordnen.
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In der Zeit vom 7. Juni bis zum 11. Juni 2023 findet im Stadtgebiet der Antragsgegnerin der Deutsche Evangelische Kirchentag 2023 (Kirchentag) statt. Dabei handelt es sich um eine Großveranstaltung mit rund 2000 Veranstaltungen in bzw. auf verschiedenen Örtlichkeiten sowie öffentlichen Flächen, wobei um die 100.000 Teilnehmer erwartet werden. Zum Zwecke der Durchführung des Kirchentages wurde ein umfangreiches Sicherheitskonzept erarbeitet. Die Flächen wurden per Mietvertrag und/oder Sondernutzungserlaubnisse an die Veranstalter vergeben. Unter anderem für den Hauptmarkt wurde am 25. Mai 2023 eine Sondernutzungserlaubnis zum Zwecke der Durchführung der Gottesdienste sowie von Konzerten während des kompletten Veranstaltungszeitraums erteilt.
3
Am 31. Mai 2023 zeigte der Antragsteller für die Veranstalterin eine Versammlung an, die während des gesamten Kirchentages auf dem Hauptmarkt in Nürnberg jeweils tagsüber stattfinden soll. Es wurden mehrere Versammlungsthemen genannt, insbesondere „Religionsfreie Zone zum Kirchentag 2023 in Nürnberg“, „Gegen die verfassungswidrige Finanzierung des Evangelischen Kirchentages“ und „Die nackte Wahrheit über Martin Luther“. Die auf dem Hauptmarkt in Anspruch genommene Fläche sollte 22 x 11 Meter umfassen.
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Es fanden mehrere Kooperationsgespräche statt, in deren Rahmen über alternative Versammlungsorte gesprochen wurde.
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Mit Bescheid vom 6. Juni 2023 bestätigte die Antragsgegnerin die angezeigte Versammlung mit einer Beschränkung (Nr. 2.3) insoweit, dass als Versammlungsort H.platz / Ecke K. straße festgesetzt wird. Unter Nr. 2.3.1 heißt es: „Der ursprünglich rein stationär angemeldeten Versammlung wird die Versammlungsfläche H.platz/Ecke K.straße wie im Plan (s. Anlage) gekennzeichnet zugeteilt; sie ist von allen Teilnehmer/innen einzuhalten.“ In Nr. 2.3.2 werden Regelungen zur Sicherung des Einfahrens von Feuerwehr- und Rettungsdienstfahrzeugen festgelegt. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Den gegen die Verlegung des Versammlungsortes gerichteten Eilantrag des Antragstellers nach § 80 Abs. 5 VwGO hat das Verwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss vom 7. Juni 2023 abgelehnt.
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Da mehrere Versammlungen in derselben Zeit und am selben Ort stattfinden sollten, liege ein Kollisionsfall vor. Die Zuweisung des Ortes richte sich dabei nicht zwingend an der Reihenfolge der eingegangenen Anzeigen aus. Der Erstanmelder habe regelmäßig, aber nicht automatisch Vorrang. Die Versammlungsbehörde müsse im Wege praktischer Konkordanz einen Ausgleich zwischen den kollidierenden Rechtsgütern durch beschränkende Verfügungen – etwa örtliche Verlegungen – herstellen, um die Ausübung der Versammlungsfreiheit so weit als möglich allen Grundrechtsträgern zu ermöglichen. Dabei sei der Neutralitätsgrundsatz strikt zu beachten.
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Mit der streitgegenständlichen Auflage sei nach vorläufiger Einschätzung praktische Konkordanz der unterschiedlichen Grundrechtspositionen in nicht zu beanstandender Weise hergestellt worden. Soweit der Antragsteller bemängele, dass keine auf den Einzelfall bezogene Gefahrenprognose vorgenommen worden sei, werde verkannt, dass sich nicht nur der Antragsteller auf Grundrechte berufen könne und es sich vorliegend um einen Fall handele, bei dem praktische Konkordanz herzustellen sei. Weder das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, auch nicht in Verbindung mit der Kunstfreiheit, noch die Religionsfreiheit genössen kategorischen Vorrang. Etwas anderes werde auch nicht im streitgegenständlichen Bescheid behauptet, vielmehr werde insbesondere auf das Prioritätsprinzip zur Lösung des Grundrechtsausübungskonflikts verwiesen. Der Kirchentag sei die ursprüngliche Veranstaltung, und der Antragsteller verweise zunächst zu Recht darauf, dass seine (Gegen-)Versammlung sich gerade auf diesen Kirchentag beziehe. Der Nutzungskonflikt des öffentlichen Raumes ergebe sich aber erst daraus, dass der Antragsteller Flächen in Anspruch nehmen wolle, die dem Kirchentag zugewiesen worden seien. Er wolle seine Versammlung quasi „in die Veranstaltung eines Dritten“ setzen.
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Dass die Fläche auf dem Hauptmarkt insgesamt auch für den Kirchentag benötigt werde, erscheine aufgrund der Größe der Gesamtveranstaltung plausibel. Selbst bei einer angenommenen Abteilung einer überschaubaren Fläche auf dem Hauptmarkt scheine es dem Gericht ohne weiteres nachvollziehbar, dass sich in diesem Fall sicherheitsrelevante Fragestellungen ergäben und die Antragsgegnerin das vorgetragenermaßen 650 Seiten umfassende Sicherheitskonzept nicht ohne weiteres kurzfristig anpassen könne.
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Unabhängig von diesen Überlegungen sei das Gericht der Auffassung, dass die Kirchentagsbesucher und -veranstalter gerade am Ort der zentralen Gottesdienstveranstaltungen einen Anspruch auf ungestörte Religionsausübung hätten und sich insoweit, im Vergleich zu einer anderen Versammlung, auf einen weitergehenden Abwehranspruch berufen könnten. Der Gottesdienst falle in den Kernbereich der Religionsausübungsfreiheit und vermittle unabhängig von der Frage eines einheitlichen Schutzbereichs im besonderen Maße den Grundrechtsträgern einen Anspruch auf Ungestörtheit im Sinne des Art. 4 Abs. 2 GG. Hierzu gehöre nicht nur, dass sich die Kirchentagsbesucher während des Gottesdienstes nicht mit einer sich entblößenden Luther-Skulptur konfrontieren lassen müssten, sondern dass sie während des Gottesdienstes und am zentralen Veranstaltungsort generell ungestört sein dürften und auch insoweit die für Gegendemonstrationen geltende Überlegung der Sichtbarkeit der abweichenden Auffassungen nicht einschlägig sei.
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Der festgesetzte Alternativstandort befinde sich an einer zentralen Hauptachse im Innenstadtbereich der Antragsgegnerin, so dass der Antragsteller durch den gewählten Standort wirksame Wahrnehmbarkeit bei Kirchentagsbesuchern und anderen Passanten erhalte.
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Hinsichtlich der Auflage 2.3.2 sei nicht ersichtlich, in wie weit diese für den Antragsteller eine unverhältnismäßige Belastung darstellen solle.
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In seiner Beschwerde beanstandet der Antragsteller, dass der genaue Inhalt der Sondernutzungserlaubnis (für die Nutzung des Hauptmarkts für den Kirchentag) nicht offengelegt worden sei. Wenn die Sondernutzungserlaubnis Grund für die örtliche Verlegung der Versammlung sei, müsse diese konkret und belegbar dargestellt sein, andernfalls bestehe keine tatsächliche Grundlage für eine Entscheidung zulasten des Antragstellers. Gleiches gelte für das Sicherheitskonzept der Gesamtveranstaltung oder wenigstens in Bezug auf die Veranstaltungen auf dem Hauptmarkt. Wenn dieses nicht einmal im Ansatz beschrieben werde und auch nicht im Ansatz die konkrete Problematik und Unvereinbarkeit der Versammlung mit dem behaupteten Sicherheitskonzept dargestellt werde, handle es sich um vage Vermutungen und bloße Verdachtsmomente, die für die Annahme einer konkreten unmittelbaren Gefahr nicht ausreichten. Unzutreffend sei die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller verfolge die Absicht, den Kirchentag zu verhindern. Er wolle lediglich symbolisch einen minimalen Teil einer insgesamt riesigen Fläche des Kirchentags, welche öffentlichen Grund darstelle, nutzen. Ferner werde der Hauptmarkt nicht ständig für den Kirchentag genutzt; die meiste Zeit stehe der Platz leer. Es bestehe auch ein Ortsbezug des Hauptmarkts gerade zum Thema der Versammlung, unter anderem auch, weil sich dort ein Verwaltungsgebäude der Antragsgegnerin befinde.
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Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 7. Juni 2023 abzuändern und die aufschiebende Wirkung der zu erhebenden Anfechtungsklage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 6. Juni 2023 hinsichtlich der verfügten Auflage Nr. 2.3 anzuordnen.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
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Der Vertreter des öffentlichen Interesses hat sich am Verfahren beteiligt, jedoch keinen eigenen Antrag gestellt.
17
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
18
Die zulässige Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet. Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, die der Verwaltungsgerichtshof nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, rechtfertigen nicht die beantragte Abänderung des angefochtenen Beschlusses.
19
Gemäß Art. 15 Abs. 1 BayVersG kann die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
20
Der Schutz der „öffentlichen Sicherheit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 BayVersG umfasst die gesamte Rechtsordnung und die in diesem Zusammenhang betroffenen Rechte Dritter. Kollidiert die Versammlungsfreiheit mit Rechten Dritter, ist eine Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz erforderlich. Dabei sind die kollidierenden Positionen so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09 – juris Rn. 32). Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand (stRspr des Senats, vgl. zuletzt z.B. BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 16 m.w.N.).
21
Unter Berücksichtigung der Bedeutung der Versammlungsfreiheit dürfen beim Erlass von versammlungsrechtlichen Beschränkungen oder eines Versammlungsverbots keine zu geringen Anforderungen an die Gefahrenprognose gestellt werden. Sie ist auf konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte zu stützen, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben (vgl. BVerfG, B. v. 6.6.2007 – 1 BvR 1423/07 – juris Rn. 17). Bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B. v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 17; BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 19; B.v. 6.6.2015 – 10 CS 15.1210 – juris Rn. 22; U.v. 10.7.2018 – 10 B 17.1996 – juris Rn. 26; BVerwG, B.v. 24.8.2020 – 6 B 18.20 – juris Rn. 6).
22
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gehört zum Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters zwar die Entscheidung über Ort und Zeitpunkt der geplanten Versammlung. Kommt es zur Rechtsgüterkollision, kann das Selbstbestimmungsrecht aber durch Rechte Anderer beschränkt sein. In diesem Fall ist für die wechselseitige Zuordnung der Rechtsgüter mit dem Ziel ihres jeweils größtmöglichen Schutzes zu sorgen. Wird den gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit bei der Planung der angemeldeten Versammlung nicht hinreichend Rechnung getragen, kann die praktische Konkordanz zwischen den Rechtsgütern durch versammlungsbehördliche Auflagen hergestellt werden. Die formale Anknüpfung an den Zeitpunkt der Anmeldung und die grundsätzliche Einräumung einer zeitlichen Priorität für den Erstanmelder werden dabei dem das Versammlungsrecht prägenden Grundsatz staatlicher Neutralität gegenüber den Inhalten von Versammlungszwecken gerecht. Sie tragen insbesondere dem Verbot Rechnung, diese Inhalte staatlicherseits als wichtig oder weniger wichtig zu bewerten und auf eine solche Einschätzung rechtliche Folgen zu stützen. Auch wird auf diese Weise gesichert, dass die zuerst angemeldete Versammlung nicht allein deshalb zurückzutreten hat, weil ein anderer Veranstalter – etwa mit dem Ziel der Verhinderung dieser Veranstaltung – für den vorgesehenen Zeitpunkt und Ort ebenfalls eine Versammlung anmeldet. Die Ausrichtung allein am Prioritätsgrundsatz würde es allerdings ausschließen, gegenläufige Erwägungen zu berücksichtigen. So können wichtige Gründe, etwa die besondere Bedeutung des Ortes und Zeitpunktes für die Verfolgung des jeweiligen Versammlungszwecks, für eine andere Vorgehensweise sprechen. Die Ausrichtung allein am Prioritätsgrundsatz könnte im Übrigen dazu verleiten, Versammlungen an bestimmten Tagen und Orten frühzeitig – gegebenenfalls auf Jahre hinaus auf Vorrat – anzumelden und damit anderen potentiellen Veranstaltern die Durchführung von Versammlungen am gleichen Tag und Ort unmöglich zu machen. Dies widerspräche dem Anliegen, die Ausübung der Versammlungsfreiheit grundsätzlich allen Grundrechtsträgern zu ermöglichen. Der Prioritätsgrundsatz wird aber maßgebend, wenn die spätere Anmeldung allein oder überwiegend zu dem Zweck erfolgt, die zuerst angemeldete Versammlung an diesem Ort zu verhindern. Die zeitlich nachrangig angemeldete Veranstaltung hat allerdings nicht schon deshalb zurückzutreten, weil die geplante Versammlung des Erstanmelders einen Anstoß zur Durchführung der später angemeldeten Versammlung gegeben hat. Aufrufe zu Versammlungen reagieren häufig auf aktuelle Anstöße. Kommt es zu konkurrierenden Nutzungswünschen, ist eine praktische Konkordanz bei der Ausübung der Grundrechte unterschiedlicher Grundrechtsträger herzustellen. Dabei kann die Behörde aus hinreichend gewichtigen Gründen unter strikter Berücksichtigung des Grundsatzes inhaltlicher Neutralität von der zeitlichen Reihenfolge der Anmeldung einer Versammlung abweichen (BVerfG, B.v. 6.5.2005 – 1 BvR 961/05 – juris Rn. 25 f.; s.a. OVG Münster, U.v. 7.6.2022 – 15 A 2100/18 – juris Rn 54).
23
Gemessen daran zeigt die Beschwerdebegründung weder durchgreifende Mängel der behördlichen und erstgerichtlichen Gefahrenprognose noch eine unzureichende Abwägung der betroffenen Positionen zur Herstellung praktischer Konkordanz auf. Vielmehr erweist sich die streitgegenständliche Beschränkung der Antragsgegnerin (Verlegung des Versammlungsorts) bei summarischer Prüfung im Ergebnis voraussichtlich als rechtmäßig.
24
Es ist bei der angesichts der Eilbedürftigkeit der Entscheidung nur möglichen summarischen Prüfung nachvollziehbar und plausibel, dass durch die vom Antragsteller auf dem Hauptmarkt beabsichtigte Versammlung Rechte Anderer, nämlich des Veranstalters und der Besucher des Kirchentags, beeinträchtigt würden, die – durch Art. 2 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und Art. 8 Abs. 1 GG – ebenfalls grundrechtlich geschützt sind. Bei dem Kirchentag handelt es sich um eine komplexe Großveranstaltung mit einer Vielzahl unterschiedlicher Veranstaltungen und Einrichtungen, was unter anderem auch dadurch zum Ausdruck kommt, dass das hierfür erstellte Sicherheitskonzept nach Angaben der Antragsgegnerin 650 Seiten umfasst.
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Aufgrund der im Beschwerdeverfahren von der Antragsgegnerin erneut vorgelegten Genehmigungsunterlagen für den Deutschen Evangelischen Kirchentag (Stand 21. April 2023) sowie der diesbezüglichen Sondernutzungserlaubnis vom 25. Mai 2023 ist hinreichend nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass im Zeitraum vom 7. Juni 2023 bis 11. Juni 2023 die gesamte Fläche des Hauptmarkts für Zwecke des Kirchentags als Veranstaltungsfläche in Anspruch genommen wird und diese damit bereits „anderweitig belegt“ ist. Der Antragsteller führt in seiner Beschwerdebegründung im Übrigen auch selbst aus, dass er einen – wenn auch nur „minimalen“ – Teil der „riesigen Fläche des Kirchentages“ für seine Versammlung nutzen und damit die Veranstaltungsfläche des Kirchentags „verkleinern“ möchte. Soweit er im Beschwerdeverfahren andererseits in Frage stellt, ob die konkurrierende Veranstaltungsfläche des Kirchentags den gesamten Hauptmarkt umfasst und über die gesamte Zeit benötigt wird, setzt er sich – worauf die Antragsgegnerin zu Recht hinweist – zu seinem eigenen Vorbringen in Widerspruch.
26
Werden damit wie dargelegt durch die Wahl des Versammlungsorts des Antragstellers auf dem Hauptmarkt Rechte Anderer – hier die Grundrechte des Veranstalters und der Teilnehmer des Kirchentags – zwangsläufig beeinträchtigt, kann der Veranstalter (Antragsteller) die Bedenken durch eine Modifikation seiner geplanten Versammlung ausräumen oder aber es kommen wie hier entsprechende versammlungsrechtliche Beschränkungen in Form einer Verlegung des Versammlungsortes in Betracht, um die erforderliche praktische Konkordanz beim Rechtsgüterschutz herzustellen (BVerfG, B.v. 6.5.2005 – 1 BvR 961/05 – juris Rn. 25 f.; BayVGH, B.v. 16.9.2015 – 10 CS 15.2057 – juris Rn. 20 ff.; Lux in Peters/Janz, Handbuch Versammlungsrecht, 2. Auflage 2021, Teil D Rn. 99 ff.).
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Im Ergebnis ist daher auch unter Berücksichtigung des „Erstanmeldergrundsatzes“ bzw. Prioritätsprinzips (Lux, a.a.O., Rn. 100) rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht diesen Konkurrenzfall zu Lasten des Antragstellers aufgelöst und die Verlegung des Versammlungsortes seitens der Antragsgegnerin gebilligt hat. Damit wurde letztlich ein dem Prinzip praktischer Konkordanz entsprechender verhältnismäßiger Ausgleich der Grundrechte der jeweiligen Veranstalter bzw. Teilnehmer bewirkt. Der Antragsteller kann nicht verlangen, dass der Kirchentag für ihn „Platz macht“. Das gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Antragsteller gerade gegen die „großflächige Zurverfügungstellung“ von öffentlichen Flächen wenden will und außerdem auf die „historische Bedeutung“ der Versammlungsfläche hinweist.
28
Der von der Antraggegnerin festgesetzte Versammlungsort (Alternativstandort H.platz/Ecke K.straße) ist aus der maßgeblichen Ex-ante-Perspektive geeignet, die Botschaften des Antragstellers im Rahmen des Kirchentags wirksam zur Geltung zu bringen und demgemäß nicht zu beanstanden. Dass der Antragsteller dazu zwingend auf den Versammlungsort Hauptmarkt angewiesen wäre, hat er auch im Beschwerdeverfahren nicht schlüssig dargelegt. Insoweit wird auch auf die Ausführungen im angefochtenen Beschluss und in dem streitgegenständlichen Bescheid Bezug genommen.
29
Hinsichtlich der Beschränkung in Nr. 2.3.2 des Bescheids wird nichts vorgetragen.
30
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2 und § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).