Inhalt

OLG München, Beschluss v. 12.06.2023 – 24 U 671/23 e
Titel:

Verjährung eventueller Ansprüche gegen Audi wegen des dort entwickelten, hergestellten und gelieferten 3,0-Liter-Motors bei Klageerhebung im Jahr 2022 (hier: VW Touareg BMT V6TDI)

Normenketten:
BGB § 195, § 199 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 823 Abs. 2, § 826, § 852
ZPO § 148, § 522 Abs. 2
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; KG BeckRS 2023, 2608; OLG Bamberg BeckRS 2023, 10858; BeckRS 2023, 10853; BeckRS 2023, 11790; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 32170; OLG Braunschweig BeckRS 2022, 28824; BeckRS 2022, 27100; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 5896; BeckRS 2023, 5895; BeckRS 2023, 8575; BeckRS 2023, 9333; OLG Zweibrücken BeckRS 2022, 39887; BeckRS 2022, 39888; BeckRS 2022, 18797; BeckRS 2022, 34107; BeckRS 2022, 36850; BeckRS 2022, 41600; OLG München BeckRS 2022, 43580; BeckRS 2023, 7833; BeckRS 2023, 12847; BeckRS 2023, 13677; BeckRS 2023, 12797; BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Vorgreiflichkeit der anstehenden Entscheidungen des BGH (zur Umsetzung der Entscheidung des EuGH vom 21.3.2023 – Az: C-100/21) im Sinne des § 148 ZPO ist nicht gegeben, wenn sämtliche vom Kläger mit seiner Klage verfolgten denkbaren Ansprüche insgesamt verjährt sind. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, unzulässige Abschalteinrichtung, Verjährung, Vorgreiflichkeit, Aussetzung, unionsrechtliche Rechtsprechung
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 14.04.2023 – 24 U 671/23 e
LG Memmingen, Endurteil vom 10.01.2023 – 36 O 956/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13675

Tenor

1. Der Antrag des Klägers, das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Rechtsstreits vor dem Bundesgerichtshof in den Verfahren VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22 auszusetzen, wird zurückgewiesen.
2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 10.01.2023, Aktenzeichen 36 O 956/22, wird zurückgewiesen.
3. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
4. Das in Ziffer 2 genannte Urteil des Landgerichts Memmingen ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 41.935,26 € festgesetzt.

Gründe

1
Der Kläger erwarb mit verbindlicher Bestellung vom 06.10.2016 von der Autohaus GmbH einen gebrauchten VW Touareg BMT V6TDI (Erstzulassung 11.08.2015, Kilometerstand: 18.565 km) zum Kaufpreis von 44.748,84 €. Er finanzierte das Fahrzeug über Darlehensverträge. Es hatte am 06.12.2022 eine Laufleistung von 151.837 km.
2
In dem Fahrzeug ist ein von der Beklagten hergestellter 3.0l V6 Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) verbaut, der vom sog. „Dieselskandal“ betroffen ist. Für das Fahrzeug besteht ein Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts mit der Referenznummer 007257 vom 07.12.2012 wegen Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Der Kläger erhielt Anfang 2018 ein Informationsschreiben der Volkswagen AG mit folgendem Inhalt:
„MUSTERBRIEF (bei Benachrichtigung durch die Volkswagen AG)
Update Motorsteuergerät
Ihr Touareg mit der Fahrgestellnummer Rückrufaktion 23Y3 Sehr geehrte an Touareg EU6 Fahrzeugen mit 3.0 TDI Motorisierung ist aufgrund einer angeordneten Rückrufaktion ein Software-Update notwendig. In einem begrenzten Fertigungszeitraum sind Dieselmotoren mit einer Motorsteuergeräte-Software verbaut worden, durch welche die Stickoxidwerte (NOx) im Vergleich zwischen Prüfstandlauf (NEFZ) und realem Fahrbetrieb verschlechtert werden. Aus diesem Grund ist eine Umprogrammierung des Motorsteuergerätes erforderlich. Das benötigte Software-Update, dessen Eignung und Wirksamkeit umfassend überprüft wurde, steht nunmehr auch für Ihr Fahrzeug zur Verfügung.
In Bezug auf dieses Software-Update bestätigt die Volkswagen AG die bisherigen Herstellerangaben hinsichtlich Kraftstoffverbrauch und CO₂-Emissionen. Die Emissionsgrenzwerte der Euro-6-Abgasnorm werden eingehalten. Auch die ursprünglich ermittelte maximale Motorleistung und das maximale Drehmoment bleiben mit der neuen Software unverändert gültig. Die Dauerhaltbarkeit des Motors und des Abgasnachbehandlungssystems werden durch das Software-Update nicht negativ verändert.
Wir möchten Sie bitten, sich umgehend mit einem autorisierten Partner für Volkswagen in Verbindung zu setzen, damit ein Termin vereinbart werden kann. Die Maßnahme wird ungefähr eine Stunde in Anspruch nehmen und ist für Sie selbstverständlich kostenlos. Haben Sie bitte Verständnis, wenn die Maßnahme aus organisatorischen Gründen im betrieblichen Ablauf einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen kann.
Zur reibungslosen Abwicklung ist es sinnvoll, wenn Sie zu dem vereinbarten Termin dieses Schreiben und den Serviceplan für die notwendigen Eintragungen mitbringen.
Sollten Sie im Zusammenhang mit dieser Überprüfung Fragen haben, wenden Sie sich bitte an Ihren Partner für Volkswagen oder an das Servicetelefon unter der Telefonnummer ...
Auch wenn Ihnen dieser außerplanmäßige Werkstattaufenthalt Unannehmlichkeiten bereiten sollte, hoffen wir auf Ihr Verständnis und Ihre Unterstützung bei der Abwicklung dieser vorsorglichen Maßnahme. Wir schätzen Ihr Vertrauen in die Marke Volkswagen und bedanken uns für Ihre Loyalität.
Sollten Sie nicht mehr im Besitz dieses Fahrzeuges sein, so geben Sie uns bitte den Namen und die Anschrift des neuen Halters beziehungsweise den Verbleib des Fahrzeuges an. Nutzen Sie dazu unser Angebot im Internet (https://www.rueckruf-aktion.de/).
Mit freundlichen Grüßen
Hinweis: Ihre Anschrift haben wir für diese Maßnahme gemäß § 35 Abs. 2 Nr.1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) vom Kraftfahrt-Bundesamt erhalten.“
3
Im Mai 2018 ließ der Kläger das Software-Update bei seinem Fahrzeug aufspielen. Er behauptet, ihm sei hierbei von der Verkäuferin (Autohaus GmbH) auf Nachfrage mitgeteilt worden, dass das Update nichts mit der Abgasproblematik zu tun habe, da das streitgegenständliche Fahrzeug bereits die neuere Generation (Euro 6) sei. Es müsse lediglich die Motorsteuerung geändert werden. Bei einem TÜV-Termin am 03.09.2018 sei ihm auch vom Autohaus mitgeteilt worden, dass der Motor seines VW Touareg nicht betroffen sei. Er habe erst Ende 2021 aus den Medien erfahren, dass sein Fahrzeug doch betroffen sein könnte.
4
Mit seiner am 12.07.2022 beim Landgericht Memmingen eingereichten Klage begehrte der Kläger zuletzt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klagepartei 29.634,98 € abzgl. einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 17.993,78 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen sowie die Klagepartei von sämtlichen Verpflichtungen gegenüber der Bank aus dem als Anlage K1b beigefügten Darlehensvertrag mit der Finanzierungsnummer freizustellen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Volkswagen, Touareg BMT V6TDI mit der Fahrgestellnummer sowie Übertragung der Anwartschaftsrechte an dem Fahrzeug, Abtretung etwaiger Herausgabeansprüche an dem Fahrzeug und dem Fahrzeugbrief gegenüber der aus dem Darlehensvertrag mit der Finanzierungsnummer ... Er machte geltend, das Fahrzeug sei mit mehreren unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen. Ihm stehe daher gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch wegen der Eingehung einer für ihn ungünstigen Verbindlichkeit zu.
5
Die Beklagte berief sich auf die Verjährung des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs.
6
Mit dem angegriffenen Endurteil vom 10.01.2023 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Schadensersatzansprüche des Klägers wegen des streitgegenständlichen Sachverhalts seien bei Klageerhebung bereits verjährt gewesen. Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Memmingen Bezug genommen.
7
Der Kläger hat gegen das Urteil form- und fristgerecht Berufung eingelegt. Er verfolgt den geltend gemachten Schadensersatz- und Freistellungsanspruch weiter. Hinsichtlich des Vorbringens in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung sowie die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
8
Im Berufungsverfahren beantragt der Kläger unter Abänderung des am 10.01.2023 verkündeten Urteils des Landgerichts Memmingen:
9
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei EUR 32.033,04 abzgl. einer im Termin zur mündlichen Verhandlung zu beziffernden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen sowie die Klagepartei von sämtlichen Verpflichtungen gegenüber der Bank beigefügten Darlehensvertrag mit der Finanzierungsnummer „“ freizustellen Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs der Marke Volkswagen, Touareg BMT V6TDI mit der Fahrgestellnummer sowie Übertragung der Anwartschaftsrechte an dem Fahrzeug, Abtretung etwaiger Herausgabeansprüche an dem Fahrzeug und dem Fahrzeugbrief gegenüber der aus dem Darlehensvertrag mit der Finanzierungsnummer ...
10
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
11
Hinsichtlich des Vortrags in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungserwiderung und die eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.
12
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Memmingen vom 10.01.2023, Aktenzeichen 36 O 956/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
13
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 14.04.2023 (Bl. 62 ff. d. A.) Bezug genommen.
14
Der innerhalb der verlängerten Frist zur Stellungnahme eingereichte Schriftsatz des Klägers vom 05.06.2023 (Bl. 76 ff. d. A.) rechtfertigt keine andere Beurteilung als im Hinweis dargelegt. Der Kläger beantragt darin, das Verfahren gemäß § 148 ZPO bis zur Entscheidung des Rechtsstreits vor dem Bundesgerichtshof in den Verfahren VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22 auszusetzen. Auf die Argumente des Senats im Hinweisbeschluss wird dagegen nicht eingegangen.
15
Der Senat hält auch in Ansehung der neuerlichen Ausführungen des Klägers an den im Hinweisbeschluss dargelegten rechtlichen Beurteilungen fest.
16
Der Antrag des Klägers auf Aussetzung des Verfahrens nach § 148 ZPO war zurückzuweisen.
17
Zur Begründung des Aussetzungsantrags stützt sich der Kläger auf die Entscheidung des EuGH vom 21.03.2023 – Az: C-100/21 und die Pressemitteilung des VIa. Zivilsenats des BGH im Verfahren VIa ZR 335/21.
18
Eine Vorgreiflichkeit im Sinne des § 148 ZPO ist hier aber nicht gegeben. Wie der Senat im Hinweisbeschluss bereits eingehend dargelegt hat, sind – soweit die Klage überhaupt zulässig ist die vom Kläger mit seiner Klage verfolgten Ansprüche gegen die Beklagte insgesamt verjährt. Anders als der Kläger in seinem Schriftsatz vom 05.06.2023 meint, spielt die Frage, ob wegen der Verwendung eines unzulässigen Thermofensters Ansprüche auf Schadensersatz bestehen könnten und ob bereits eine Haftung aufgrund einfacher Fahrlässigkeit gegeben sei, im vorliegenden Fall keine Rolle. Auf den entscheidenden Punkt der Verjährung sämtlicher in Betracht kommender Ansprüche geht der Kläger nicht ein.
19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
20
Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
21
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt. gez.