Titel:
Nachbarklage, Baugenehmigung zur Errichtung eines konstruktiv selbständig über dem Dach einer Grenzgarage liegenden Balkons, abstandsflächenrechtliche „Entprivilegierung“ (verneint).
Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3
BayBO Art. 6 Abs. 7 S. 1 Nr. 1
Schlagworte:
Nachbarklage, Baugenehmigung zur Errichtung eines konstruktiv selbständig über dem Dach einer Grenzgarage liegenden Balkons, abstandsflächenrechtliche „Entprivilegierung“ (verneint).
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 25.11.2021 – AN 3 K 20.2587
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13648
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Kläger wendet sich als Nachbar gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 26. Oktober 2020 für deren Wohngrundstück (FlNr. … der Gemarkung B**), soweit mit dieser zum Teil über einer der zum klägerischen Grundstück (FlNr. … der Gemarkung B**) angrenzenden zwei Garagen die Errichtung einer „Dachterrasse“ bzw. eines Balkons genehmigt wurde.
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Ausweislich der in den Bauvorlagen befindlichen Schnittpläne ist die konstruktive Änderung einer zum Aufenthalt bestimmten Ebene („Dachterrasse“), die im Jahr 2009 ohne Genehmigung mittels einer mit dem Wohnhaus verbundenen Holzkonstruktion über die Fläche des Durchgangs zwischen Haus und Garage sowie teilweise über das Dach der östlichen Garage mit einem Höhenversatz dieser Fläche zum Garagendach von 51 cm errichtet wurde, zu einer auf Stahlstützen ruhenden Fläche Teil der streitgegenständlichen Baugenehmigung. Unter Entfernung des bisher einen Abschluss zum Garagendach herstellenden Mauerwerks soll die „Dachterrasse“ bzw. der Balkon dabei auf sechs Stahlträgern errichtet werden, die sich im Durchgang bzw. nördlich vor der Garage befinden; eine Stahlstütze lastet auf der Dachhaut der Garagen auf (vgl. Westansicht Eingabeplanung v. 7.8.2020). Die so entstehende Freiaufenthaltsfläche ist umwehrt, besitzt eine eigene Bodenkonstruktion und wahrt laut Eingabeplanung einen Abstand zur klägerischen Grundstücksgrenze von 3,11 m.
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Das Verwaltungsgericht hat die insoweit gegen die Baugenehmigung gerichtete Klage mit der Begründung abgewiesen, die auf der Dachhaut der Garage errichtete Konstruktion sei nicht als unselbständiger Teil der Garage, sondern als Balkon und damit als Teil des Wohngebäudes anzusehen. Die durch den Balkon ausgelösten Abstandsflächen seien eingehalten. Eine Verletzung der Abstandsflächen durch eine „Entprivilegierung der Grenzgarage“ aufgrund einer auf deren Dachhaut errichteten Dachterrasse liege nicht vor. Den baulichen Gegebenheiten (eigenständige Bodenplatte und Umwehrung) folgend und unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der abstandsflächenrechtlichen Privilegierung von Art. 6 Abs. 7 BayBO sei die auf der Dachhaut der Grenzdoppelgarage liegende Konstruktion als Balkon und nicht als Dachterrasse aufzufassen. Eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme wegen Einsichtsmöglichkeiten vom Balkon auf das Klägergrundstück sei nicht ersichtlich.
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Hiergegen richtet sich der klägerische Antrag auf Zulassung der Berufung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Instanzen sowie der vorgelegten Behördenakten verwiesen.
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Der zulässige Antrag bleibt ohne Erfolg. Es liegen weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts vor (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), noch weist die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), noch hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
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1. Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.
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Ernstliche Zweifel in diesem Sinn bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder einzelne erhebliche Tatsachenfeststellungen des Erstgerichts durch schlüssige Gegenargumente infrage gestellt werden (vgl. BVerfG, B.v. 13.5.2020 – 1 BvR 1521/17 – juris Rn. 10; B.v. 16.7.2013 – 1 BvR 3057/11 – BVerfGE 134, 106 = juris Rn. 36; BayVGH, B.v. 12.4.2021 – 8 ZB 21.23 – juris Rn. 8). Ob ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestehen, ist im Wesentlichen anhand dessen zu beurteilen, was der Kläger innerhalb offener Frist (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) hat darlegen lassen (§ 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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Aus dem klägerischen Zulassungsvorbringen, die abstandsflächenrechtliche Privilegierung der Grenzgarage (Art. 6 Abs. 7 S. 1 Nr. 1 BayBO) entfalle bereits bei Verwendung der Grenzbebauung in konstruktiver Hinsicht für eine andere bauliche Anlage, bei enger Auslegung der Privilegierungstatbestände dürften die privilegierten Gebäude nicht dafür genutzt werden, eine andere bauliche Anlage zu tragen, für eine „Entprivilegierung“ der Grenzgaragen reiche die Lastabtragung nur über einen Auflagepunkt aus und allein durch das Geländer werde die Vermischung der Nutzung zwischen Dachterrasse und Garage nicht verhindert, ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils. Der Senat teilt die Auffassung des Erstgerichts, dass die Baugenehmigung im angefochtenen Umfang rechtmäßig ist und den Kläger nicht in eigenen Rechten verletzt. Die Auffassung des Verwaltungsgerichts, es sei von einem die Abstandsflächen einhaltenden Balkon auszugehen, der keine bauliche Einheit mit der Grenzgarage bildet und damit nicht zu deren „Entprivilegierung“ führt, ist nicht zu beanstanden. Der Senat nimmt deshalb zur Vermeidung von Wiederholungen zunächst gemäß § 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO Bezug auf die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils und sieht von einer weiteren Begründung ab. Lediglich ergänzend bleibt im Hinblick auf das Vorbringen im Zulassungsverfahren folgendes zu bemerken:
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Die streitgegenständliche Baugenehmigung umfasst im angefochtenen Umfang den Rückbau einer bereits errichteten, nicht genehmigten Dachterrasse zu einem von der Garage unabhängigen Balkon. Der Bauantrag war auf eine Entkopplung von Garage und Balkon gerichtet (schwebende Herstellung mit Stahlstützen), was sich – entgegen dem Zulassungsvorbringen – aus den genehmigten Plänen ergibt (vgl. nachgereichte bzw. modifizierte Eingabeplanung Schnitt Ost-West vom 15.7.2020 und Ansichten vom 12.12.2019/7.8.2020). Streitgegenstand bildet allein das Vorhaben entsprechend der Eingabeplanung, nicht eine vermeintlich abweichende Ausführung (vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2021 – 9 ZB 21.1537 – juris Rn. 7; B.v. 5.7.2017 – 9 CS 17.603 – juris Rn. 18). Abgesehen davon hat die Beigeladene mit Schriftsätzen vom 24. März 2022 und vom 25. April 2022 unter Beifügung von Lichtbildern und einer Bestätigung des Bauplanungsbüros vom 19. April 2022 eine plangemäße Ausführung durch eine eigenständige Tragkonstruktion nachvollziehbar dargelegt.
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Zwar kann eine Garage ihre (eng auszulegende) bauordnungsrechtliche „Privilegierung“, ausnahmsweise an der Grenze oder abweichend vom sonst geltenden Abstandsflächenrecht grenznah errichtet werden zu dürfen, insgesamt verlieren, wenn sie mit einer anderen, abstandsflächenrechtlich nicht privilegierten baulichen Nutzung eine bauliche Einheit bildet (vgl. BayVGH, B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 12 m.w.N. insb. BayVGH, U.v. 19.7.1984 – 26 B 83 A.596; offen lassend für einen Balkon als „untergeordneter Vorbau“ BayVGH, B.v. 10.7.2015 – 15 ZB 13.2671 – juris; weitergehender: VGH BW, U.v. 24.7. 1998 – 8 S 1306/98; OVG Saarl, B.v. 31.5. 2007 – 2 A 189/07; NdsOVG, B.v. 8.5. 2018 – 1 ME 55/18 – jeweils juris). Dies liegt vor, wenn eine Anlage mit dem privilegierten Gebäude eine räumliche und funktionelle Einheit bildet, so dass eine selbständige Benutzbarkeit von Teilen der Anlage ausscheidet. Bildet eine Dachterrasse mit dem Garagendach und dem Geländer als Bestandteile des Nebengebäudes zusammen mit diesem eine Einheit, unterliegt diese einem einheitlichen, rechtlichen Schicksal (vgl. Hahn in Busse/Kraus, BayBO, Stand: 11/2022, Art. 6 Rn. 506).
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Eine bauliche Einheit des konstruktiv selbständig über dem Dach der Grenzgarage liegenden Balkons, der eine eigene Bodenkonstruktion, einen Höhenversatz zur Dachfläche der Garagen von 0,51 m, eine eigenständige Umwehrung und eine lediglich punktuelle statische Verbindung mit der Dachhaut der Grenzgaragen aufweist, ist vorliegend jedoch zu verneinen. Eine lediglich punktuelle Stützverbindung führt das Dach der unter dem Balkon liegenden Grenzgarage nicht einer erweiterten Wohnnutzung zu. Gegen eine bauliche Einheit mit der Grenzgarage spricht auch, dass sich der Balkon zunächst über dem zwischen dem Wohnhaus und der Garage befindlichen Durchgang mit einer Breite von 1,58 m und somit nicht nur oberhalb der Grenzgarage erstreckt. Der Schluss des Verwaltungsgerichts, dass aufgrund der baulichen Konstruktion des Balkons keine bauliche Einheit mit den Grenzgaragen vorliegt, die zu deren „Entprivilegierung“ führen könnte, erweist sich daher als richtig. Nach den genehmigten Bauplänen hält der Balkon außerdem – wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeht – die erforderlichen Abstandsflächen ein.
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2. Die Berufung ist nicht wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
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Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten weist eine Rechtssache auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, wenn sie sich also wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2022 – 15 ZB 22.867 – juris Rn. 72). Eine Rechtssache weist besondere rechtliche Schwierigkeiten auf, wenn eine kursorische, aber sorgfältige, die Sache überblickende Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung keine hinreichend sichere Prognose über den Ausgang des Rechtsstreits erlaubt. Die Offenheit des Ergebnisses charakterisiert die besondere rechtliche Schwierigkeit und rechtfertigt die Durchführung des Berufungsverfahrens (Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 27).
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Der Kläger macht geltend, es bestünden besondere rechtliche Schwierigkeiten, da die Frage, ob der Privilegierungstatbestand einer Grenzgarage über den Wortlaut hinaus ausgedehnt und die Grenzgarage auch für andere Zwecke genutzt werden könne, vom Verwaltungsgericht nicht zutreffend behandelt worden sei.
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Aus den Ausführungen zu 1. ergibt sich, dass vorliegend keine bauliche Einheit des Balkons mit der Grenzgarage vorliegt, mithin die Grenzgarage nicht für andere Zwecke genutzt wird. Die erforderliche Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung führt hier zur Prognose, dass diese zurückzuweisen wäre. Da die vom Kläger vorgebrachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht bestehen (vgl. Nr. 1.), ist die Rechtssache im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht besonders schwierig.
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3. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
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Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung verlangt, dass eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 22.1.2019 – 5 B 1.19 D – juris Rn. 2 m.w.N.; B.v. 25.8.2015 – 1 B 40.15 – BayVBl 2016, 104 = juris Rn. 6 m.w.N.; BayVGH, B.v. 4.6.2018 – 14 ZB 17.390 – juris Rn. 14 m.w.N.). Um den auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gestützten Zulassungsantrag zu begründen, muss der Rechtsmittelführer fristgemäß eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage formulieren, ausführen, weshalb diese Frage für den Rechtsstreit entscheidungserheblich ist, erläutern, weshalb die formulierte Frage klärungsbedürftig ist, und darlegen, weshalb der Frage eine über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt (vgl. BayVGH, B.v. 16.11.2022 – 9 ZB 22.1256 – juris Rn. 24; B.v. 7.2.2017 – 14 ZB 16.1867 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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Der Kläger hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, ob durch die Nutzung eines Daches einer Grenzgarage zur Herstellung einer Aufenthaltsfläche eine im Widerspruch zu Art. 6 Abs. 7 BayBO stehende Anlage entstehe, wozu verschiedene Entscheidungen bayerischer Verwaltungsgerichte vorlägen. Abgesehen davon, dass sich diese Frage nicht fallübergreifend, d.h. losgelöst von der konkreten Sachverhaltskonstellation beantworten lässt, ist sie auch nicht entscheidungserheblich. Denn das Verwaltungsgericht hat in der vorliegenden Konstruktion eines abgesetzt von Garagendach und auf diesem nur mit einem Stahlträger abgestützten Balkons keine bauliche Einheit mit dem Garagengebäude gesehen. Auf die Nutzung des Garagendaches als Aufenthaltsfläche kommt es deshalb nicht an. Die vom Kläger genannten Entscheidungen betreffen unterschiedliche Sachverhaltskonstellationen, die über die Rechtsanwendung im Einzelfall hinaus keinen grundsätzlichen Klärungsbedarf aufweisen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Beigeladene hat sich im Zulassungsverfahren durch einen Prozessbevollmächtigten geäußert. Es entspricht deshalb der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten dem Kläger aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO). Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG in Verbindung mit Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung von 2013 und entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).