Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 16.01.2023 – AN 2 K 20.02754
Titel:

Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung – Erklärungswert einer Leistungsbescheinigung nach § 48 BAföG iRv § 15 Abs. 3 BAföG

Normenkette:
BAföG § 1, § 15 Abs. 3 Nr. 5, § 15a, § 48, § 66a Abs. 2
Leitsätze:
1. Aus § 15 Abs. 3 BAföG ergibt sich keine widerlegliche Vermutung der Kausalität; vielmehr trägt der Auszubildende die Feststellungslast hinsichtlich der Ursächlichkeit der von ihm geltend gemachten Verlängerungsgründe für den Ausbildungsrückstand, sodass Ungewissheiten und Unklarheiten bei der Feststellung der Ursächlichkeit zum Nachteil des Auszubildenden gehen, sofern sie in seinen Verantwortungs- und Verfügungsbereich fallen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Hat ein Auszubildender einen Leistungsnachweis nach § 48 Abs. 1 BAföG vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass er die bis zum Ende des darin angegebenen Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht oder eine Zwischenprüfung bestanden hat, so kommen für eine Verlängerung der Förderungszeit nach § 15 Abs. 3 BAföG grundsätzlich nur solche Gründe in Betracht, die nach dem in der Bescheinigung bzw. dem Zwischenprüfungszeugnis angegebenen Zeitpunkt eingetreten sind. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
3. Als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift bindet Ziff. 15.3.10 S. 2 BAföGVwV die Gerichte nicht (so zu Ziff. 27.2.5 BAföGVwV BVerwG BeckRS 2010, 52827 Rn. 37). Vielmehr handelt es sich bei dem Begriff der angemessenen Zeit um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anspruch auf Ausbildungsförderung, Förderungshöchstdauer, Erziehung eines Kindes, Erklärungswert einer Leistungsbescheinigung nach § 48 BAföG im Rahmen von § 15 Abs. 3 BAföG, Ausbildungs- und Studienförderungsrecht, Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung, Erklärungswert einer Leistungsbescheinigung, alleinerziehend
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13647

Tenor

Der Beklagte wird unter Aufhebung seines Bescheides vom 16. April 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2020 verpflichtet, der Klägerin für ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften (Bachelor) an der … für den Zeitraum des Sommersemesters 2019 Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Ausbildungsförderung für ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften (Bachelor) an der … (***) für den Zeitraum des Sommersemesters 2019.
2
Die Klägerin ist alleinerziehende Mutter des am … 2010 geborenen Sohnes … Sie studierte ab dem Wintersemester 2014/2015 Wirtschaftsinformatik an der … und erhielt vom Beklagten hierfür Ausbildungsförderung. Im Wintersemester 2015/2016 bestand sie den Studiengang endgültig nicht, woraufhin Leistungen ab April 2016 zurückgefordert wurden. Zum Wintersemester 2016/2017 nahm die Klägerin das Studium der Wirtschaftswissenschaften an der … auf. Am 18. August 2016 beantragte sie die Bewilligung von Ausbildungsförderung für diesen Studiengang. Am 2. September 2016 reichte sie beim Beklagten ein Schreiben der … vom 23. August 2016 mit dem Betreff „Anrechnung von Studienzeiten und Prüfungsleistungen“ ein, in dem u.a. Folgendes aufgeführt ist:
„1. Anrechnung von Prüfungsleistungen:
Vom Studium „Wirtschaftsinformatik“ – Abschluss: Bachelor of Science an der … können Leistungen im Umfang von 25 ECTS für den Studiengang Wirtschaftswissenschaften angerechnet werden.
2. Studienzeiten (Semester)
Die Anrechnung von 25 ECTS entspricht 1 Fachsemester.
3. Bemerkungen:
…“
3
Mit am 7. Oktober 2016 beim Beklagten eingegangenem Schreiben erklärte die Klägerin, es seien alle Leistungen im Umfang von insgesamt 25 ECTS angerechnet worden. Da im Wintersemester nur das 1. Semester beginne, könne sie nicht in das 2. Semester eingestuft werden. Trotzdem entsprächen 25 ECTS einem ganzen Semester.
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Mit Bescheid vom 9. November 2016 gab der Beklagte der Klägerin bekannt, dass ihr für ihr nunmehr durchgeführtes Studium in der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften (Bachelor) dem Grunde nach die Leistung von Ausbildungsförderung bewilligt werde (Ziff. 1 des Bescheides). Auf dieses Studium werde ein Semester aus ihrer früheren Ausbildung angerechnet (Ziff. 2). Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass weiterhin Ausbildungsförderung geleistet werden könne, da der Fachwechsel aus wichtigem Grund erfolgt sei. Über die Höhe der monatlichen Förderungsbeträge werde für jeden Bewilligungszeitraum gesondert entschieden bzw. bleibe der bisherige Bewilligungsbescheid in Kraft. Die Entscheidung über die Semesteranrechnung beruhe auf § 15a Abs. 2 BAföG. Die Förderungshöchstdauer für das jetzt durchgeführte Studium ende mit Ablauf des Wintersemesters 2018/2019, § 15a Abs. 1, Abs. 2 BAföG.
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Mit Bescheid vom 11. November 2016 bewilligte der Beklagte der Klägerin Ausbildungsförderung für den Zeitraum Oktober 2016 bis September 2017. Mit Bescheid vom 19. September 2017 bewilligte er ihr, wiederum auf Antrag, Ausbildungsförderung für den Zeitraum von Oktober 2017 bis März 2018. Die Weiterförderung ab dem 5. Semester erfolge erst nach Vorlage eines Leistungsnachweises nach § 48 BAföG.
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Am 9. Januar 2018 beantragte die Klägerin wiederum die Bewilligung von Ausbildungsförderung. Am 18. Januar 2018 ging beim Beklagten eine Leistungsübersicht vom 15. Januar 2018 ein, nach der die Klägerin nach dem Sommersemester 2017 65 von insgesamt 180 für den Bachelorabschluss zu absolvierenden ECTS erreicht hat. Mit am 17. April 2018 beim Beklagten eingegangener „Leistungsbescheinigung nach § 48 BAföG“ der … vom 16. April 2018 wurde mitgeteilt, dass die Klägerin die bei geordnetem Verlauf ihres Studiums bis zum Ende des 3. Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht habe. Bei Verifikation der Bescheinigung wurde dem Beklagten durch die … bestätigt, dass die Klägerin im Bereich Bachelorprüfung derzeit 90 ECTS erreicht habe. Mit Bescheid vom 17. April 2018 bzw. 9. Januar 2019 bewilligte daraufhin der Beklagte der Klägerin Ausbildungsförderung für den Zeitraum April 2018 bis März 2019.
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Schließlich beantragte die Klägerin unter dem 14. Januar 2019 die Bewilligung von Ausbildungsförderung für den Zeitraum April 2019 bis Oktober 2019. Mit Schreiben vom 24. Januar 2019 stellte sie ausdrücklich einen Antrag auf Förderung nach Überschreiten der Förderungshöchstdauer. Darin legte sie im Wesentlichen sinngemäß dar, ihr seien bei ihrem Studiengangwechsel 25 ECTS Punkte aus dem Studiengang Wirtschaftsinformatik auf den Studiengang Wirtschaftswissenschaften angerechnet worden. Im 1. und 2. Semester des Studiengangs Wirtschaftswissenschaften habe sie die vorgegebenen Kurse sowie Kurse aus nachfolgenden Semestern belegt. Ihr sei es jedoch aus Erziehungsgründen nicht möglich gewesen, alle Prüfungen zu schreiben, für die sie sich angemeldet habe. Im Wintersemester habe sie sich für fünf Prüfungen angemeldet, jedoch auf Grund der Erziehungsmaßnahmen nur vier Prüfungen schreiben können. Von der Prüfung „Wirtschaft und Staat“ habe sie sich abgemeldet und diese in das Sommersemester 2017 verschoben. Deshalb habe sie sich im Sommersemester 2017 für sieben Prüfungen angemeldet. Letztendlich sei sie in der Lage gewesen, an sechs Prüfungen mit insgesamt 30 ECTS teilzunehmen. Auf Grund der zeitlichen Überschneidung von Kindererziehung und Prüfungsvorbereitung habe sie sich von der Prüfung „Praxis in der empirischen Wirtschaftsforschung“ wieder abgemeldet. Als sie im Wintersemester 2016/2017 mit dem Studium der Wirtschaftswissenschaften begonnen habe, sei ihr Sohn in die 1. Klasse gekommen. Heute sei er acht Jahre alt und gehe in die 3. Klasse. Dies erfordere eine Menge Unterstützung und Zeitaufwand. Nach der Schule bleibe ihr Sohn bis ca. 16:00 Uhr im Hort, dann müsse sie in der Lage sein, ihn rechtzeitig abzuholen. Da sie alleinerziehend sei, sei es oft schwierig, das pünktliche Abholen mit dem Stundenplan zu vereinbaren. Bei ihrem Sohn sei im Laufe des Jahres ADHS diagnostiziert worden, was zu weiteren Erziehungsmaßnahmen geführt habe. Ferner habe er von 2015 bis 2017 bei der Lebenshilfe in … in der Frühförderung an verschiedenen Therapien und einer Konzentrationsförderung teilgenommen. Dadurch sei es ihr nicht immer möglich gewesen, an den Vorlesungen teilzunehmen und sich entsprechend auf die Prüfungen vorzubereiten.
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Auch das Nichtbestehen zweier Prüfungen im 2. und 3. Semester, für die sie sehr lange und sehr intensiv gelernt habe, habe sie völlig aus der Bahn geworfen. Auf Grund des Misserfolgs habe sie sich gezwungen gesehen, ihre Studienplanung umzuwerfen, damit sie die Wiederholungen habe nachholen können. Diese Umplanung sei keineswegs in ihrem Interesse gewesen. In den weiteren Semestern habe sie sich bemüht, mehr Kurse als vorgegeben zu belegen. Sie habe daher bereits 130 ECTS erreicht, d.h. 10 ECTS mehr als im 4. Semester Pflicht sei. Zusätzlich habe sie die Grundlagen- und Orientierungsprüfung (GOP) bereits im 2. Semester abgeschlossen und einen Zusatzkurs absolviert. Sie sei darüber hinaus in der Lage gewesen, den Leistungsnachweis nach dem 4. Semester zu erfüllen. Im Sommersemester 2019 müsse sie somit nur noch einen Kurs mit 5 ECTS aus dem Vertiefungsbereich belegen sowie eine Bachelorarbeit mit 15 ECTS schreiben. Sie werde trotz der unerwarteten Misserfolge weiterhin ehrgeizig ihre Ziele verfolgen und den erfolgreichen Studienabschluss anstreben.
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Als Anlage fügte die Klägerin eine tabellarische Darstellung ihrer Studienabschlussplanung an, die den Zeitraum Anfang Februar 2019 bis Mitte Juli bzw. September 2019 umfasst. Beigefügt war zudem u.a. ein Schreiben der Lebenshilfe …, wonach der Sohn der Klägerin in folgenden Zeiträumen gefördert worden sei: Heilpädagogik von Juli 2015 bis Juni 2016, Physiotherapie von Juni 2015 bis April 2016, Logopädie von Juni 2015 bis September 2016 und Ergotherapie im April 2016. Ferner lag dem Antrag eine Bestätigung bei, dass der Sohn der Klägerin, geboren am … 2010, im Schuljahr 2018/2019 die Jahrgangsstufe 3 der Grundschule … besucht habe. Weiter beigefügt waren Bescheinigungen über die angemeldeten Prüfungen im Wintersemester 2016/2017, Wintersemester 2017/2018, Sommersemester 2018, Wintersemester 2018/2019 und ein Stundenplan für das Sommersemester 2017. Für das Sommersemester 2017 habe sie keine Bescheinigung der Prüfungsanmeldung, jedoch zeige der Stundenplan die von ihr besuchten Kurse. Das Fach „Wirtschaft und Staat“ werde im Sommersemester nicht als Vorlesung oder Übung angeboten, man könne sich lediglich für die Prüfung anmelden. Schließlich reichte die Klägerin Übersichten über die erbrachten Leistungen des Wintersemesters 2016/2017, der Sommersemester 2017 und 2018 sowie eine Leistungsübersicht vom 22. Januar 2019 ein.
10
Am 11. Februar 2019 ging beim Beklagten eine Bescheinigung der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie und Diplom-Psychologin … ein, mit der die in der Praxis diagnostizierte und behandelte Diagnose einer Einfachen Aktivitäts- und Aufmerksamkeitsstörung nach ICD-10 F90.0 betreffend den Sohn der Klägerin bestätigt wurde. Der Patient sei seit dem 30. November 2018 ambulant eingebunden.
11
Am 2. April 2019 ging beim Beklagten eine Leistungsübersicht der Klägerin vom selben Tag ein, nach der die Klägerin derzeit 160 ECTS von 180 für den Bachelorabschluss zu absolvierenden ECTS erreicht hat und die ECTS-Punkte dabei folgendermaßen auf die einzelnen Semester verteilt sind:

Wintersemester 2016/2017

45 ECTS (davon 25 ECTS aus Anrechnung)

Sommersemester 2017

20ECTS (und zusätzlich weitere 5 ECTS als (überobligatorisches) Zusatzmodul Sprachen)

Wintersemester 2017/2018

27,5 ECTS

Sommersemester 2018

37,5 ECTS

Wintersemester 2018/2019

30 ECTS

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Mit Bescheid vom 16. April 2019 gab der Beklagte der Klägerin bekannt, ihrem Antrag vom 24. Januar 2019 auf Leistung von Ausbildungsförderung nach Überschreiten der Förderungshöchstdauer könne nicht entsprochen werden. Zur Begründung brachte der Beklagte im Wesentlichen und sinngemäß vor, die Förderungshöchstdauer für das Studium Wirtschaftswissenschaften (Bachelor) ende mit dem Wintersemester 2018/2019. Soweit sie vortrage, sie habe auf Grund der Erziehung ihres Sohnes nicht alle Prüfungen im vorgesehenen Zeitplan schreiben können und dies habe zu einer Verzögerung im Studienablauf geführt, sei zu berücksichtigen, dass mit der am 17. April 2018 vorgelegten Leistungsübersicht bestätigt worden sei, dass sie am Ende des Wintersemesters 2017/2018 (4. Semester) den üblichen Leistungsstand (Stand: Ende des 4. Semesters) nachgewiesen habe. Mithin müssten Gründe ab dem 5. Semester eingetreten sein, die eine Verzögerung rechtfertigen könnten. Die Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 BAföG, in der dem Auszubildenden der für das Ende des (hier) 4. Fachsemesters übliche Leistungsstand bestätigt werde, sei ein eigenständiger Verwaltungsakt der Hochschule, der sich dem Einfluss und der Beurteilung des Beklagten entziehe. Er sei an den Inhalt dieser Bescheinigung gebunden. Aus der Leistungsübersicht sei ersichtlich, dass sie im Sommersemester 2018 (5. Semester) insgesamt 37,5 ECTS und im Wintersemester 2018/2019 insgesamt 30 ECTS erzielt habe. Daher könne die Erziehungszeit für ihren Sohn für diese beiden Semester ebenfalls keine Berücksichtigung finden, da keine Verzögerung vorliege. Es seien sogar mehr als das durchschnittliche Soll von 30 ECTS-Punkten erzielt worden. Weitere Gründe i.S.d. § 15 Abs. 3 BAföG für das Sommersemester 2018 und das Wintersemester 2018/2019 seien weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Am 24. April 2019 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid. Zur Begründung ließ sie durch ihren Prozessbevollmächtigten im Wesentlichen sinngemäß ausführen, die Einstufung in das 7. Fachsemester sei unzutreffend. Zwar seien ihr Leistungsnachweise aus dem vorherigen Studium Wirtschaftsinformatik anerkannt worden, jedoch seien hierdurch keine bestimmten Zeiten angerechnet worden. Voraussetzung dafür, sie förderungsrechtlich in ein höheres Fachsemester einzustufen, wäre gewesen, dass sie auch hochschulrechtlich in ein höheres Fachsemester auf Grund der Anrechnung eingestuft worden wäre. Dies sei aber nicht der Fall. Im Sommersemester 2019 befinde sie sich vielmehr im 6. Fachsemester. Eine Verkürzung der Studienzeit durch Anrechnung sei nicht in Betracht gekommen, da zum einen das Studium der Wirtschaftswissenschaften nur zum Wintersemester begonnen werden könne und zum anderen wegen des modularen Aufbaus ein Einstieg in das 2. Fachsemester nicht möglich sei. Das Studium sei vielmehr so organisiert, dass sechs Semester durchlaufen werden müssten. Im Sommersemester 2019 befinde sie sich daher noch innerhalb der Förderungshöchstdauer.
14
Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass sie förderungsrechtlich in das 7. Semester einzustufen sei, lägen die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 BAföG vor. Auf Grund des modularen Aufbaus sei es ihr bereits aus studienorganisatorischen Gründen nicht möglich gewesen, das Studium zum Wintersemester 2018/2019 zu beenden. Die Pflichtveranstaltungen hätten sich teilweise überschnitten und seien nur in bestimmten Semestern angeboten worden. Zudem bauten verschiedene Module aufeinander auf, wodurch sie daran gehindert gewesen sei, bestimmte Module vorzuziehen, da das Grundlagenmodul erst später stattgefunden hätte. Das treffe beispielsweise für die Module Recht I und Recht II zu. Hinzu komme, dass sie auf Grund des großen Andranges teilweise an nur in bestimmten Semestern angebotenen Veranstaltungen nicht habe teilnehmen können, da die Kapazitäten nicht ausgereicht hätten. Sie sei daher bereits aus studienbedingten Gründen gezwungen gewesen, sechs Semester zurückzulegen.
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Hinzu trete, dass sie schon aus Gründen der Kindererziehung nicht in der Lage gewesen sei, das Studium vor Ablauf des Sommersemesters 2019 zu Ende zu bringen. Ihr Sohn lebe in ihrem Haushalt und sei bei Aufnahme des Studiums sechs Jahre alt gewesen. Eine Betreuung im Hort sei bis 17:00 Uhr, freitags bis 16:00 Uhr, möglich gewesen, später, nach Wechsel der Betreuungseinrichtung, bis 17:15 Uhr. In der Regel 15 Minuten vor Schließung habe das Kind abgeholt werden müssen. Insoweit legte der Prozessbevollmächtigte entsprechende Betreuungsvereinbarungen vor. Zahlreiche Pflichtveranstaltungen seien zeitlich so gelegen, dass sie diese wegen der Schließzeiten nicht habe besuchen können und daher auf ein anderes Semester habe verschieben müssen. Eine andere Unterbringung des Kindes sei nicht möglich gewesen. Der Prozessbevollmächtigte verwies insoweit auf die Aufstellung der Kursüberschneidungen. Erschwerend komme hinzu, dass der Sohn an ADHS erkrankt sei. Noch vor einer entsprechenden Diagnose im Laufe des Jahres 2017 sei besonderer Erziehungs- und Betreuungsbedarf erforderlich gewesen. Sie habe hierzu bereits im Jahr 2016 16 Beratungstermine und im Jahr 2017 28 Beratungstermine von jeweils 60 bis 90 Minuten bei der Erziehungsberatung der Stadt … wahrgenommen. Der Prozessbevollmächtigte legte insoweit eine entsprechende Bescheinigung der Stadt … vor. Nachdem ADHS diagnostiziert worden sei, seien Termine für ein Konzentrationstraining erfolgt und sie habe regelmäßig eine Fachpraxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie aufgesucht. Insoweit reichte der Prozessbevollmächtigte ein Schreiben der Stadt … und eine Bescheinigung der Praxis über die wahrgenommenen Arzttermine ein. Auch auf Grund dieser Termine sei sie gehindert gewesen, bestimmte Vorlesungen aufzusuchen, die sich zeitlich mit den Terminen überschnitten hätten. Im April 2018 sei noch ein Küchenbrand in ihrer Wohnung hinzugekommen, bei dem sie sich eine leichte Rauchgasvergiftung zugezogen und der die Wohnung vorübergehend unbewohnbar gemacht habe. Während des Renovierungsbedarfs im Sommersemester 2018 sei sie in die 2-Zimmer-Wohnung ihres Vaters gezogen, wodurch die Wege zur Grundschule und zum Hort länger geworden seien.
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Die Gründe für die Verzögerung seien sowohl vor dem Ende des 4. Semesters als auch nach dem Beginn des 5. Semesters zu finden. Dass ihr also zum Ende des 4. Semesters angemessene Studienleistungen bescheinigt würden, stehe den Verzögerungen im weiteren Ablauf nicht entgegen. Schließlich sei zu berücksichtigen, dass für den Leistungsnachweis nach dem 4. Fachsemester 90 ECTS genügten, nach Ablauf des 6. Fachsemesters jedoch 180 ECTS erwirtschaftet sein müssten. Sie habe nach dem 4. Fachsemester eben jene 90 ECTS erreicht. Um auf 180 ECTS zu kommen, hätte sie im 5. und 6. Fachsemester 45 ECTS pro Semester erbringen müssen. Sie habe jedoch im Sommersemester 2018 lediglich 37,50 und im Wintersemester 2018/2019 30 ECTS erworben und daher nicht das erforderliche Soll erwirtschaftet.
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Sie werde lediglich das Sommersemester 2019 benötigen, um ihr Studium abzuschließen. Es sei lediglich ein Modul zu absolvieren und die Bachelorprüfung zu fertigen. Dieser Zeitraum sei überschaubar und angemessen.
18
Zu den Aufwendungen, die im Widerspruchsverfahren zu erstatten seien, gehöre auch die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten. Nach der Rechtsprechung sei die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten erforderlich, wenn das Widerspruchsverfahren, wie vorliegend, rechtlich oder tatsächlich nicht einfach sei. Überdies sei anerkannt, dass der Bürger gegenüber der Verwaltung seine Rechte nur ausnahmsweise selbst wahren könne. Ein solcher Ausnahmefall liege erkennbar nicht vor.
19
Mit Urkunde vom … 2019 wurde der Klägerin der akademische Grad Bachelor of Arts für den Studiengang Wirtschaftswissenschaften verliehen. Aus den am 7. Januar 2020 beim Beklagten eingereichten Bescheinigungen geht hervor, dass die Klägerin im Sommersemester 2019 Leistungen i.H.v. 20 ECTS erbracht hat.
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Mit Bescheid vom 16. November 2020 wies der Beklagte den Widerspruch kostenfrei zurück. Begründet wurde dies damit, dass die von der Klägerin dargelegten Gründe hochschulbedingte Verzögerungen darstellten, die grundsätzlich keinen schwerwiegenden Grund i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG begründeten. Auf Grund der Studien- und Prüfungsordnung und der festgelegten Regelstudienzeit sei es dem Studierenden möglich, sein Studium so zu organisieren, dass er es innerhalb der Regelstudienzeit abschließen könne. Ergäben sich auf Grund unglücklicher Organisation bzw. Nichtbestehen von Teilleistungen Verzögerungen, so gehe dies zu Lasten des Auszubildenden. Es sei daher zu erwarten gewesen, dass sich die Klägerin vor der Aufnahme des Studiums der Wirtschaftswissenschaften erkundige, ob die Organisation des Studiums und der Prüfungen, etwa hinsichtlich der Ausbildungs- und Prüfungsordnung oder hinsichtlich der Anerkennung bisheriger Leistungsnachweise, einen zügigen Fortgang des Studiums nach dem Fachwechsel erlaube. Somit sei davon auszugehen gewesen, dass die Klägerin bei ordnungsgemäßer Studienplanung in der Lage gewesen wäre, das Studium innerhalb der Studienzeit abzuschließen.
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Hinsichtlich der Geltendmachung des Erziehungsbedarfes des Sohnes als Grund werde zusätzlich zu den Ausführungen im Bescheid vom 16. April 2019 hinsichtlich der fehlenden Kausalität ausgeführt, dass sich die Frage der Verlängerung vorliegend nach dem Zeitraum des 5. und 6. Semesters bemesse. Die vorherigen Semester seien nicht zu berücksichtigen, da ein positiver Leistungsnachweis vorliege, der bestätige, dass die Klägerin die bis zum Ende des förderungsrechtlich 4. Semesters üblichen Leistungen erbracht habe. Der Sohn der Klägerin sei zum Beginn des 5. Semesters im Sommersemester 2018 erst sieben Jahre alt gewesen, habe sich mithin im 8. Lebensjahr befunden. Der Klägerin könne gem. Tz. 15.3.10 der BAföGVwV für das 8. bis 10. Lebensjahr des Kindes insgesamt ein Semester gewährt werden. Damit ihr demnach dieses eine Semester gewährt werden könne, hätte der Sohn im Zeitraum vom 5. bis 6. Semester auch noch das 9. und 10. Lebensjahr erreichen müssen, was nicht möglich sei. Theoretisch könnte die Klägerin den schwerwiegenden Grund i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG ab dem Zeitpunkt geltend machen, nach dem ihr Sohn das 10. Lebensjahr erreichen würde. Dieses Alter werde der Sohn jedoch erst im Sommersemester 2020 erreichen. Die Klägerin habe ihr Studium jedoch bereits zuvor abgeschlossen.
22
Am 15. Dezember 2020 hat die Klägerin Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie über das Vorbringen im Widerspruchsverfahren hinaus im Wesentlichen sinngemäß vor, sie habe einen Anspruch auf Ausbildungsförderung, da sie sich im Sommersemester 2019 nicht nur hochschulrechtlich, sondern auch förderungsrechtlich im 6. Fachsemester befunden habe. Selbst dann, wenn man davon ausgehen wolle, dass sie förderungsrechtlich in das 7. Fachsemester einzustufen sei, lägen jedenfalls die Voraussetzungen für ein Überschreiten der Förderungshöchstdauer gem. § 15 Abs. 3 BAföG vor. Bei Tz. 15.3.10 der BAföGVwV handele es sich lediglich um eine norminterpretierende Verwaltungsvorschrift, die keine Gesetzeskraft im Verhältnis zum Bürger entfalte. Sie binde auch die Gerichte nicht. Unabhängig davon lege der Beklagte die Vorschrift zu ihren Ungunsten zu eng aus. Er übersehe, dass es sich nicht um einen abschließenden Katalog handele, sodass im Einzelfall hiervon abweichende Verlängerungen möglich seien. Diese enge Auslegung widerspreche zudem Sinn und Zweck der Vorschrift, denn diese griffe nur in jenen Fällen, in denen ein dreijähriges, mithin sechsemestriges Studium just in dieses Zeitfenster des Kindes falle. Eine solche starre Regelung würde dem vom Gesetzgeber mit § 15 Abs. 3 BAföG verfolgten Ziel zuwiderlaufen.
23
Würde man nun eine Abweichung von den Vorgaben der Tz. 15.3.10 BAföGVwV nur dann zulassen, wenn ganz besondere Umstände bestünden, so wären auch diese Voraussetzungen gegeben. Zu den geschilderten Gegebenheiten sei im April 2018 noch der Küchenbrand hinzugekommen.
24
Die Klägerin beantragt,
Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin unter Aufhebung des Bescheides vom 16.04.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.11.2020 – Az: … – für ihr Studium Wirtschaftswissenschaften (Bachelor) auch für das Sommersemester 2019 Ausbildungsförderung antragsgemäß zu bewilligen.
25
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
26
Zur Begründung werde auf den Widerspruchsbescheid verwiesen. Die Klägerin habe im Klageverfahren nichts vorgetragen, was nicht bereits im Widerspruchsbescheid gewürdigt worden wäre.
27
Die Klägerin hat die Erstattung der Kosten des Widerspruchsverfahrens beantragt, außerdem, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte, insbesondere auf die Sitzungsniederschrift vom 16. Januar 2023, und auf die beigezogene Behördenakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

28
I. Die zulässige Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für ihr Studium der Wirtschaftswissenschaften (Bachelor) an der … für den Zeitraum des Sommersemesters 2019, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
29
1. Gem. § 1 BAföG besteht für eine der Neigung, Eignung und Leistung entsprechende Ausbildung ein Rechtsanspruch nach Maßgabe des BAföG, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen. Die Ausbildung der Klägerin ist nach §§ 2 ff. BAföG förderfähig. Insbesondere hat der Beklagte bezüglich § 7 Abs. 3 BAföG mit bestandskräftigem Bescheid vom 9. November 2016 geregelt, dass der Klägerin für ihr nunmehr durchgeführtes Studium in der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften (Bachelor) dem Grunde nach die Leistung von Ausbildungsförderung bewilligt werde. Die Klägerin erfüllt auch die persönlichen Fördervoraussetzungen, §§ 8 ff. BAföG.
30
2. Es spricht zwar vieles dafür, dass die Klägerin die Förderungshöchstdauer mit Abschluss des Wintersemesters 2018/2019 ausgeschöpft hat (a). Jedenfalls hat die Klägerin aber einen Anspruch auf Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus nach § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG (b) für den Zeitraum des Sommersemesters 2019 (c).
31
a) Vorliegend spricht vieles dafür, dass die Klägerin die Förderungshöchstdauer mit Abschluss des Wintersemesters 2018/2019 ausgeschöpft hat. Entsprechend dürfte sich der streitgegenständliche Anspruch der Klägerin auf Ausbildungsförderung für das Sommersemester 2019 nicht bereits daraus ergeben, dass dieses Semester noch in die förderfähige Regelstudienzeit fällt.
32
Gem. § 15 Abs. 2 Satz 1 BAföG wird Ausbildungsförderung für die Dauer der Ausbildung geleistet, bei Studiengängen an Hochschulen, wie vorliegend, jedoch grundsätzlich nur bis zum Ende der Förderungshöchstdauer gem. § 15a BAföG. Gem. § 15a Abs. 1 BAföG entspricht die Förderungshöchstdauer der Regelstudienzeit nach § 10 Abs. 2 des Hochschulrahmengesetzes oder einer vergleichbaren Festsetzung. Auf die Förderungshöchstdauer sind gem. § 15a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG Zeiten, die durch die zuständige Stelle auf Grund einer vorangegangenen Ausbildung oder berufspraktischen Tätigkeit oder eines vorangegangenen Praktikums für die zu fördernde Ausbildung anerkannt werden, anzurechnen. Nach dem Wortlaut des § 15a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG werden lediglich „Zeiten“, die durch die zuständige Stelle anerkannt werden, auf die Förderungshöchstdauer angerechnet. Die Anerkennung einzelner Leistungen ist hingegen grundsätzlich unerheblich (Lackner in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 15a Rn. 13). Legt der Auszubildende eine solche Anerkennungsentscheidung nicht vor, so setzt das Amt für Ausbildungsförderung gem. § 15a Abs. 2 Satz 2 BAföG die anzurechnenden Zeiten unter Berücksichtigung der jeweiligen Studien- und Prüfungsordnungen sowie der Umstände des Einzelfalles fest.
33
Die Regelstudienzeit im Studiengang der Klägerin belief sich ausweislich § 3 Abs. 2 Satz 1 der Prüfungsordnung für die Bachelorstudiengänge des Fachbereichs Wirtschaftswissenschaften an der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität … - BPOWiWi – vom 1. August 2006 in der Fassung vom 15. Juli 2016 auf sechs Semester. Dies ist im Übrigen zwischen den Beteiligten unstreitig. Es spricht vieles dafür, dass auf diese Förderungshöchstdauer nach § 15a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 BAföG ein Semester anzurechnen ist, sodass die Förderungshöchstdauer mit Ablauf des Wintersemesters 2018/2019 endete.
34
So dürfte bereits im Schreiben der … vom 23. August 2016 auch eine Anrechnung von Zeiten durch die … zu sehen sein. Denn die … hat insoweit nicht nur unter „1. Anrechnung von Prüfungsleistungen“ ausgeführt, dass Leistungen im Umfang von 25 ECTS angerechnet werden könnten, sondern auch unter „2. Studienzeiten (Semester)“, dass die Anrechnung von 25 ECTS einem Fachsemester entspreche. Die … hat damit ausdrückliche einen Bezug zu „Studienzeiten“ und „Semestern“ hergestellt. Die Klägerin gab insoweit gegenüber dem Beklagten sinngemäß an, sie könne lediglich deshalb nicht in das 2. Semester eingestuft werden, da im Wintersemester nur das 1. Semester beginne. Im Übrigen hat der Beklagte unabhängig davon jedenfalls in Ziff. 2 seines Bescheides vom 9. November 2016 geregelt, dass der Klägerin auf ihr Studium der Fachrichtung Wirtschaftswissenschaften (Bachelor) ein Semester aus ihrer früheren Ausbildung angerechnet werde und in den Gründen ausgeführt, dass die Entscheidung auf § 15a Abs. 2 BAföG beruhe und die Förderungshöchstdauer mit Ablauf des Wintersemesters 2018/2019 ende. Der Bescheid vom 9. November 2016 ist bestandskräftig. Zwar hat der Prozessbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, aus Klägersicht liege in dem Widerspruch aus 2019 jedenfalls im Wege der Auslegung auch ein Antrag im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X. Dies erscheint mit Blick auf die klägerischen Ausführungen im Rahmen des Widerspruchsverfahrens ohne jegliche Bezugnahme auf den Verwaltungsakt vom 9. November 2016 als jedenfalls zweifelhaft.
35
b) Jedenfalls hat die Klägerin einen Anspruch auf Ausbildungsförderung für das Sommersemester 2019 über die Förderungshöchstdauer hinaus nach § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG.
36
aa) Gem. § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG in der ab dem 16. Juli 2019 geltenden Fassung wird über die Förderungshöchstdauer hinaus für eine angemessene Zeit Ausbildungsförderung geleistet, wenn sie infolge einer Behinderung, einer Schwangerschaft oder der Pflege und Erziehung eines Kindes bis zu 14 Jahren überschritten worden ist. In der vom 29. Oktober 2010 bis zum 15. Juli 2019 geltenden Fassung sah die Norm ein zulässiges Überschreiten der Förderungshöchstdauer lediglich infolge der Pflege und Erziehung eines Kindes bis zu zehn Jahren vor. Gem. § 66a Abs. 2 BAföG ist § 15 BAföG in der Fassung vom 16. Juli 2019 erst ab dem 1. August 2019 anzuwenden. Für den vorliegenden Fall ergeben sich insoweit hinsichtlich der unterschiedlichen Gesetzesfassungen keine Unterschiede, als der Sohn der Klägerin während des Studiums der Klägerin jünger als zehn Jahre alt war, mithin unter beide Fassungen des Gesetzes fällt.
37
Nach § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG wird Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer hinaus jedoch nur geleistet, wenn die Förderungshöchstdauer „infolge“ der Erziehung eines Kindes überschritten wurde. Die Regelung des § 15 Abs. 3 BAföG zählt zwar typische Fallgestaltungen auf, bei denen der Auszubildende an einer ordnungsgemäßen und ungestörten Durchführung der Ausbildung gehindert ist. Dabei können jedoch nur solche Umstände berücksichtigt werden, die – alternativ oder kumulativ – für die Verlängerung der Ausbildung und die daraus folgende Überschreitung in dem Sinne kausal sind, dass der Auszubildende den Zeitverlust nicht mit zumutbaren Mitteln und Anstrengungen aufholen konnte bzw. kann (vgl. hierzu im Ganzen Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand November 2021, § 15 Rn. 13). Der Grund nach § 15 Abs. 3 BAföG muss eine nicht unerhebliche Ausbildungsverzögerung verursacht haben, wobei es dem Auszubildenden insbesondere obliegt, darzulegen und glaubhaft zu machen, dass der versäumte Stoff nicht aufgeholt werden konnte (vgl. BayVGH, B.v. 10.2.2021 – 12 ZB 20.2821 – BeckRS 2021, 2706 m.w.N.). Aus § 15 Abs. 3 BAföG ergibt sich keine widerlegliche Vermutung der Kausalität (vgl. VG Saarland, U.v. 26.1.2021 – 3 K 620/19 – juris Rn. 54). Vielmehr trägt der Auszubildende die Feststellungslast hinsichtlich der Ursächlichkeit der von ihm geltend gemachten Verlängerungsgründe für den Ausbildungsrückstand, sodass Ungewissheiten und Unklarheiten bei der Feststellung der Ursächlichkeit zum Nachteil des Auszubildenden gehen, sofern sie in seinen Verantwortungs- und Verfügungsbereich fallen (Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand November 2021, § 15 Rn. 13; BVerwG, U.v. 13.10.1988 – 5 C 35/85 – juris Rn. 15). Nach allgemeinen Grundsätzen ist ein Umstand für ein bestimmtes Ereignis ursächlich bzw. kausal, wenn der Umstand nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass das Ereignis entfällt. Entsprechend dürfte es hier, die Gründe i.S.v. § 15 Abs. 3 BAföG hinweggedacht, zu keiner Überschreitung der Förderungshöchstdauer gekommen sein (so für § 15 Abs. 3 Nr. 4 BVerwG, U.v. 13.10.1988 – 5 C 35/85 – NVwZ 1989, 370, 372). Anders ausgedrückt muss die Überschreitung der Förderungshöchstdauer ausschließlich auf Gründen i.S.v. § 15 Abs. 3 BAföG beruhen (so ausdrücklich OVG Bremen, B.v. 23.8.2019 – 1 PA 161/19 – BeckRS 2019, 19594 Rn.11, 15; VG Bremen, U.v. 17.2.2021 – 7 K 1160/19 – juris Rn. 11, 15; VG Hamburg, U.v. 4.2.2014 – 2 K 3204/12 – BeckRS 2014, 48278; vgl. auch OVG Lüneburg, U.v. 26.11.2018 – 4 LB 404/17). Dagegen hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof sinngemäß ausgeführt, eingetretene Studienverzögerungen müssten allein oder jedenfalls weitaus überwiegend auf dem Grund nach § 15 Abs. 3 BAföG beruhen (B.v. 17.6.2013 – 12 CE 13.999 – juris Rn. 25).
38
Bei der Kausalitätsprüfung grundsätzlich auch zu berücksichtigen sind Leistungsbescheinigungen i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 BAföG. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 BAföG wird vom 5. Fachsemester an Ausbildungsförderung für den Besuch einer Hochschule nur von dem Zeitpunkt an geleistet, in dem der Auszubildende vorgelegt hat ein Zeugnis über eine bestandene Zwischenprüfung, die nach den Ausbildungsbestimmungen erst vom Ende des 3. Fachsemesters an abgeschlossen werden kann und vor dem Ende des 4. Fachsemesters abgeschlossen worden ist (Nr. 1), eine nach Beginn des 4. Fachsemesters ausgestellte Bescheinigung der Ausbildungsstätte darüber, dass er die bei geordnetem Verlauf seiner Ausbildung bis zum Ende des jeweils erreichten Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht hat (Nr. 2) oder einen nach Beginn des 4. Fachsemesters ausgestellten Nachweis über die bis dahin erworbene Anzahl von Leistungspunkten nach dem Europäischen System zur Anrechnung von Studienleistungen (ECTS), wenn die bei geordnetem Verlauf der Ausbildung bis zum Ende des jeweils erreichten Fachsemesters übliche Zahl an ECTS-Leistungspunkten nicht unterschritten wird (Nr. 3). Nach vorzugswürdiger Ansicht zählen auch nach § 15a Abs. 2 BAföG angerechnete Zeiten vorhergehender Ausbildungen als Fachsemester im Sinne der Norm (vgl. hierzu Fischer in Rothe/Blanke, BaföG, Stand November 2021, § 48 Rn. 5.5.1 f.). Hat ein Auszubildender einen Leistungsnachweis nach § 48 Abs. 1 BAföG vorgelegt, aus dem sich ergibt, dass er die bis zum Ende des darin angegebenen Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht oder eine Zwischenprüfung bestanden hat, so kommen für eine Verlängerung der Förderungszeit nach § 15 Abs. 3 BAföG grundsätzlich nur solche Gründe in Betracht, die nach dem in der Bescheinigung bzw. dem Zwischenprüfungszeugnis angegebenen Zeitpunkt eingetreten sind. Denn Erklärungsinhalt der Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 BAföG ist gerade, dass bislang keine wesentlichen Verzögerungen in der Ausbildung eingetreten sind (vgl. hierzu im Ganzen Lackner in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 15 Rn. 19 m.w.N.). Letztlich kann dem Auszubildenden in diesen Fällen unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben, nämlich dem Verbot widersprüchlichen Verhaltens, grundsätzlich keine Verlängerung nach § 15 Abs. 3 BAföG aus Umständen gewährt werden, die vor dem Zeitpunkt der Erteilung der Bescheinigung liegen (vgl. hierzu Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand November 2021, § 15 Rn. 15).
39
bb) Der am … 2010 geborene Sohn der Klägerin war bei Aufnahme des streitgegenständlichen Studiums sechs Jahre alt, wurde während des Studiums am 8. Mai 2017 sieben und am … 2018 acht Jahre alt. Die Klägerin war unstreitig während ihres Studiums alleinerziehende Mutter ihres Sohnes und damit für dessen Erziehung verantwortlich.
40
cc) Bei der Prüfung der Kausalität der Kindererziehung für die Verzögerungen des Studiums ist hier entgegen dem oben dargestellten Grundsatz und entgegen der Ansicht des Beklagten das gesamte Studium der Klägerin in den Blick zu nehmen und nicht etwa auf Grund der Bescheinigung der … vom 16. April 2016 nur die letzten beiden Semester (Sommersemester 2018 und Wintersemester 2018/2019). Insoweit erscheint bereits fraglich, ob die Bescheinigung überhaupt dahingehend auszulegen ist, dass die Klägerin bis zum Ende des 4. Fachsemesters die erforderlichen Leistungen erbracht hat (1). Weiter stellt sich die Frage, ob hier überhaupt eine wirksame Bescheinigung nach § 48 BAföG vorliegt (2). Jedenfalls aber ist der streitgegenständlichen Bescheinigung im Rahmen von § 15 Abs. 3 BAföG kein Erklärungsinhalt dahingehend zu entnehmen, dass bis zum Ende des 4. Fachsemesters keine wesentlichen Verzögerungen eingetreten sind (3). Auch den beim Beklagten eingereichten Leistungsübersichten kann kein entsprechender Erklärungswert entnommen werden (4).
41
(1) Es erscheint bereits fraglich, ob die Bescheinigung – wovon der Beklagte ausgeht – dahingehend auszulegen ist, dass die Klägerin bis zum Ende des (förderungsrechtlich) 4. Fachsemesters die erforderlichen Leistungen erbracht hat bzw. bis zum Ende ihres (hochschulrechtlich) 3. Fachsemesters die Leistungen erbracht hat, die bis zum Ende eines hochschulrechtlich 4. Fachsemesters erforderlich gewesen wären. Zwar trägt die Bescheinigung den Betreff „Leistungsbescheinigung nach § 48 BAföG“. Eine solche ist nach dem Willen des Gesetzgebers nach dem (förderungsrechtlich) 4. Fachsemester auszustellen und anzufordern, § 48 Abs. 1 BAföG. Allerdings spricht die Bescheinigung selbst davon, die Klägerin habe die bei geordnetem Verlauf ihres Studiums bis zum Ende des (gemeint hochschulrechtlich) „3. Fachsemesters“ üblichen Leistungen erbracht. Ob die … tatsächlich bescheinigten wollte, dass die Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt auch die bis zum Ende des 4. Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht hat, kann der Bescheinigung nicht zweifelsfrei entnommen werden.
42
(2) Doch selbst bei einer Auslegung der Bescheinigung dahingehend, dass die Klägerin die bei geordnetem Verlauf ihres Studiums bis zum Ende des 4. Fachsemesters üblichen Leistungen erbracht hat, stellt sich weiter die Frage, ob hier eine wirksame Bescheinigung nach § 48 BAföG vorliegt.
43
Die Frage, was unter den üblichen Leistungen zu verstehen ist, richtet sich in erster Linie nach den jeweils einschlägigen Studien- und Prüfungsordnungen, nicht dagegen nach dem (üblichen) tatsächlichen Studierverhalten, wobei der Hochschule kein Beurteilungsspielraum zusteht (BVerwG, U.v. 25.8.2016 – 5 C 54.15 – BeckRS 2016, 54103 Rn. 17, 26). Der Eignungsnachweis nach § 48 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BAföG ist grundsätzlich auch für das Amt für Ausbildungsförderung bindend (Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl. Stand November 2021, § 48 Rn. 10). Dies gilt jedoch ausnahmsweise dann nicht, wenn die Bescheinigung offenkundig unrichtig und nichtig ist (Winkler in Beckscher Online-Kommentar Sozialrecht, 67. Edition Stand 1.12.2022, § 48 BAföG Rn. 4e; Fischer a.a.O.). In diesen Fällen ist der Verwaltungsakt in Gestalt der Bescheinigung gemäß Art. 44 Abs. 1 BayVwVfG nichtig. Auf dieser Grundlage hat das erkennende Gericht eine Bescheinigung für nichtig erachtet, in der unter Hinweis auf genauer benannte Entschuldigungsgründe lediglich 53 statt der üblichen 120 ECTS-Punkte ausgewiesen waren (AN 2 K 18.01759 – juris Rn. 43).
44
Vorliegend sieht die BPOWiWi in § 5 Abs. 1 Satz 2 vor, dass das Studiensemester mit 30 ECTS-Punkten zu veranschlagen ist. Entsprechend regelt auch § 3 Abs. 1 Satz 3 BPOWiWi, dass die Assessmentphase die Prüfungen der ersten zwei Semester mit 60 ECTS-Punkten umfasse. Eine entsprechende Verteilung von 30 ECTS-Punkten pro Semester im Studiengang der Klägerin geht auch aus der in Anlage 1.3 der BPOWiWi aufgeführten Übersicht hervor. Üblich wären demnach nach dem 4. Fachsemester 120 ECTS-Punkte. Die Bescheinigung der … vom 16. April 2016 hingegen nimmt Bezug auf Leistungen der Klägerin i.H.v. 90 ECTS-Punkten.
45
(3) Jedenfalls kann der hier in Frage stehenden Bescheinigung der … mit Blick auf § 15 Abs. 3 BAföG nicht der Erklärungswert beigemessen werden, dass es bis dahin im Studium der Klägerin zu keinen wesentlichen Verzögerungen gekommen ist. Entsprechend kann hier offenbleiben, ob die fragliche Bescheinigung wirksam oder unwirksam ist.
46
Wie bereits ausgeführt, kann der Auszubildende sich grundsätzlich gerade deshalb im Rahmen von § 15 Abs. 3 BAföG nicht auf Verzögerungen in den ersten vier Semestern berufen, wenn er eine positive Bescheinigung i.S.v. § 48 Abs. 1 BAföG vorgelegt hat, da der Erklärungsinhalt einer solchen Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 BAföG gerade ist, dass bislang keine wesentlichen Verzögerungen in der Ausbildung eingetreten sind (vgl. hierzu im Ganzen Lackner in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 15 Rn. 19 m.w.N.). Bescheinigt die Hochschule jedoch – wie vorliegend –, dass die erforderlichen Leistungen nach dem 4. Semester mit der Erbringung von 90 ECTS Punkten – statt der üblichen 120 ECTS-Punkte – erbracht wurden, so ist angesichts der Angabe von 90 ECTS-Punkten gerade ersichtlich, dass eine Verzögerung zum üblichen Studienverlauf von 30 ECTS-Punkten besteht. Eine solche Verzögerung von einem Semester ist zudem als wesentliche Verzögerung anzusehen. Schließlich wird diese nur schwer aufholbar sein, zumal in nur zwei verbleibenden Semestern der Regelstudienzeit. Der Auszubildende müsste in solch einem Fall im 5. und 6. Fachsemester jeweils 45 ECTS-Punkte, mithin die Leistungen von jeweils eineinhalb Semestern, erbringen. Folglich kann einer solchen Bescheinigung wie der vorliegenden im Rahmen der Prüfung von § 15 Abs. 3 BAföG gerade nicht der Erklärungswert entnommen werden, dass in den ersten vier Semestern keine wesentlichen Verzögerungen eingetreten sind. Letztlich fehlt es im vorliegenden Fall auch an einem widersprüchlichen Verhalten der Klägerin, zumal in der eingereichten Bescheinigung angegeben ist, die Klägerin habe die „bis zum Ende des 3. Fachsemesters“ üblichen Leistungen erbracht. Der (abweichende) Erklärungsgehalt der Bescheinigung beruht schließlich auch nicht auf einem Verhalten der Klägerin (vgl. zum Ganzen und so im Ergebnis auch Fischer in Rothe/Blanke, BAföG, Stand November 2021, § 15 Rn. 15; VG Stuttgart, U.v. 19.7.2010 – 11 K 1094/10 – juris; a.A. im Ergebnis wohl OVG NW, B.v. 26.9.2013 – 12 A 1477/13 – juris und B.v. 15.10.2013 – 12 A 3020/11 – juris).
47
(4) Schließlich kann auch den beim Beklagten eingereichten Leistungsübersichten kein Erklärungswert dahingehend entnommen werden, es sei im Studium der Klägerin zu keinen wesentlichen Verzögerungen gekommen. Denn auch in den zum Ende des – nach Zählung des Beklagten – förderungsrechtlich 4. Fachsemesters eingereichten Übersichten werden lediglich 92,5 ECTS-Punkte bescheinigt. Auch insoweit stellt eine Verzögerung von 27,5 ECTS-Punkten, mithin von fast einem Semester, eine wesentliche Verzögerung dar.
48
Letztlich ist es im konkreten Fall der Klägerin nach Abschluss des Wintersemesters 2018/2019 auch offensichtlich, dass es in den vorangegangenen Semestern zu wesentlichen Verzögerungen gekommen sein muss, da die Klägerin im Sommersemester 2018 mit 37,5 ECTS-Punkten mehr als die üblichen 30 ECTS-Punkte und im Wintersemester 2018/2019 gerade die üblichen 30 ECTS-Punkte erbracht hat, dennoch jedoch insgesamt lediglich 160 der 180 insgesamt für den Abschluss erforderlichen ECTS-Punkte.
49
Würde hingegen der Beklagte annehmen, dass die übliche Leistung in den ersten vier Semestern lediglich 90 ECTS sind, so müsste die Klägerin in den letzten beiden Semestern jeweils 45 ECTS Punkte als übliche Leistung erbringen. Insofern wären jedoch auch insoweit Verzögerungen anzunehmen, die – wie noch auszuführen sein wird – wiederum auf die Kinderziehung zurückzuführen sind.
50
Nach alldem ist die Klägerin im Rahmen der Kausalitätsprüfung von § 15 Abs. 3 BAföG nicht darauf beschränkt, lediglich Verzögerungen der letzten beiden Semester geltend zu machen, sondern kann sich vielmehr auf Verzögerungen in ihrem gesamten Studium berufen.
51
dd) Mit Blick auf das gesamte Studium der Klägerin ist die erforderliche Kausalität der Kindererziehung für die nach Abschluss des Wintersemesters 2018/2019 verbleibende Verzögerung i.H.v. 20 ECTS zur Überzeugung der Kammer im Sinne einer Alleinkausalität gegeben.
52
Zwar können die vorgetragenen Probleme der Studienverlaufsplanung bei einem – insoweit irregulären – Einstieg in das Studium der Wirtschaftswissenschaften im 1. Fachsemester unter Anrechnung eines Semesters keine Berücksichtigung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG finden. Denn insoweit obliegt es der Klägerin, ihr Studium so zu organisieren, dass sie es in Regelstudienzeit abschließen kann, zumal nach Aktenlage nach dem Nichtbestehen des Erststudienganges auch ein Einstieg in den streitgegenständlichen Studiengang im Sommersemester 2016 in Betracht gekommen wäre.
53
Jedoch hat die alleinerziehende Klägerin im Rahmen ihres Antrages auf Ausbildungsförderung dargelegt, dass es ihr auf Grund der Erziehung ihres Sohnes nicht möglich war, im Wintersemester 2016/2017 und Sommersemester 2017 an allen Prüfungen wie geplant teilzunehmen. Im Rahmen ihrer Widerspruchsbegründung hat sie zudem anhand ausführlicher Übersichten substantiiert dargelegt, dass zahlreiche Veranstaltungen mit den Hortzeiten und der damit erforderlichen Abholung des Sohnes kollidierten, sodass diese von ihr nicht wahrgenommen werden konnten. Auch das Nichtbestehen der Leistung „Innovation strategy I“ begründete die Klägerin insoweit mit der Kollision der zugehörigen Vorlesung und den Hortzeiten des Sohnes. Ausweislich der eingereichten Betreuungsverträge hat die Klägerin die möglichen Hortzeiten für ihren Sohn auch weitestgehend ausgeschöpft. Zudem hat sie substantiiert dargelegt, dass ihr Sohn an ADHS erkrankt ist und deshalb ein erhöhter Betreuungsbedarf bestand. So hat sie eine Bescheinigung der Stadt … eingereicht, nach der sie auf Grund eines besonderen Erziehungs- und Betreuungsbedarfs ihres Sohnes in den Jahren 2016 und 2017 zahlreiche Beratungstermine bei der Stadt … wahrgenommen hat. Ferner wurde eine Terminübersicht einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie eingereicht, wonach im Zeitraum vom 30. November 2017 bis 17. Juni 2019 regelmäßig entsprechende Termine wahrgenommen worden sind.
54
Darüber hinaus ist es gänzlich mit der Lebenserfahrung vereinbar, dass die Betreuung eines sechs- bis achtjährigen Kindes als Alleinerziehende nicht nur mit erheblichem zeitlichen Aufwand, sondern generell mit erheblichen Anstrengungen verbunden ist, welche entsprechend in diesem Umfang nicht in das Studium investiert werden können. All dies gilt hier in besonderem Maße, da bei dem Sohn der Klägerin ein erhöhter Betreuungsbedarf belegt ist.
55
Schließlich ist zur Überzeugung der Kammer auch hinreichend belegt, dass die Klägerin ihrer Obliegenheit ausreichend nachgekommen ist, entstandene Rückstände aufzuholen. Hierfür spricht schon, dass sich die Verzögerung zuletzt allein aus einer mit 5 ECTS-Punkten bewerteten Veranstaltung sowie der mit 15 ECTS-Punkten bewerteten Bachelorarbeit zusammengesetzt hat. Zudem ist es der Klägerin gelungen, im Sommersemester 2018 37,5 ECTS-Punkte zu erzielen, also einen Teil des entstandenen Rückstands aufzuholen.
56
c) Der Klägerin ist über die Förderungshöchstdauer hinaus für die Zeit eines Semesters, mithin des Sommersemesters 2019, Ausbildungsförderung zu leisten, § 15 Abs. 3 BAföG.
57
§ 15 Abs. 3 BAföG bestimmt als Rechtsfolge, dass über die Förderungshöchstdauer hinaus für eine angemessene Zeit Ausbildungsförderung zu leisten ist. Angemessen ist eine Zeit, die dem Zeitverlust entspricht, der durch den das Überschreiten der Förderungshöchstdauer rechtfertigenden Grund entstanden ist. Die Verlängerungszeit muss hierbei so bemessen sein, dass der Auszubildende in der Lage ist, die versäumten Leistungen in vollem Umfang nachzuholen (vgl. hierzu im Ganzen Lackner in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 15 Rn. 11).
58
Für den Begriff der Angemessenheit sieht Ziff. 15.3.10 Satz 2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG-VwV 1991) hinsichtlich der Erziehung eines Kindes bis zu zehn Jahren vor, dass im Rahmen des § 15 Abs. 3 Nr. 5 BAföG stets folgende Zeiten angemessen sind:
- bis zum 5. Geburtstag des Kindes: ein Semester pro Lebensjahr,
- für das 6. und 7. Lebensjahr des Kindes: insgesamt ein Semester,
- für das 8. bis 10. Lebensjahr des Kindes: insgesamt ein Semester.
59
Als norminterpretierende Verwaltungsvorschrift bindet Ziff. 15.3.10 Satz 2 BAföGVwV die Gerichte nicht (so zu Ziff. 27.2.5 BAföGVwV BVerwG, U.v. 30.6.2010 – 5 C 3/09 – juris Rn. 38). Vielmehr handelt es sich bei dem Begriff der angemessenen Zeit um einen gerichtlich voll überprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff (Lackner in Ramsauer/Stallbaum, 7. Aufl. 2020, BAföG, § 15 Rn. 12).
60
Das Studium der Klägerin weist nach dem Wintersemester 2018/2019 eine Verzögerung i.H.v. 20 ECTS auf. Üblicherweise werden Klausuren im Rahmen des Studiums am Ende des Semesters geschrieben. Dementsprechend gehen auch aus der Leistungsübersicht vom 10. Dezember 2019 (Bl. 382 der Behördenakte) als Prüfungsdaten für die noch fehlenden Leistungen der Klägerin Daten im Zeitraum vom 22. August 2019 bis einschließlich 30. September 2019 hervor, mithin am Ende des Sommersemesters 2019. Entsprechend benötigte die Klägerin zum Ablegen der fehlenden Leistungen ein Semester. Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Abs. 3 BAföG ist – wie ausgeführt – grundsätzlich die Förderungshöchstdauer gerade um diese Zeit zu verlängern. Eine starre Begrenzung, wie sie Ziff. 15.3.10 Satz 2 BAföGVwV vorsieht, scheidet daher jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in dem lediglich eine Verzögerung von 20 ECTS-Punkten gegeben ist, aus. Überdies ergibt sich auch kein anderes Ergebnis bei Zugrundelegung der genannten Verwaltungsvorschrift. Denn aus dieser geht zweifelsohne hervor, dass die angemessene Zeitspanne umso großzügiger bemessen wird, je jünger das bereits geborene Kind ist. Im Falle der Klägerin befand sich der Sohn bei Beginn des klägerischen Studiums im siebten Lebensjahr, durchlief das gesamte achte Lebensjahr und befand sich zum Ende des Wintersemesters 2018/2019 im neunten Lebensjahr. Unter Berücksichtigung, dass die Verwaltungsvorschrift für das sechste und siebte Lebensjahr bereits die Angemessenheit von einem Semester vorsieht, der Sohn der Klägerin zudem noch das gesamte achte Lebensjahr und einen Teil des neunten Lebensjahres durchlief, erweist sich auch unter Zugrundelegung der Verwaltungsvorschrift eine Verlängerungszeit von einem Semester als angemessen. Ein Abstellen darauf, dass das Alter des Kindes exakt in eine der in Ziff. 15.3.10 Satz 2 BAföGVwV genannten Fallgruppen einzuordnen sein muss, wird dem Sinn und Zweck des § 15 Abs. 3 BAföG hingegen nicht gerecht und ist deshalb abzulehnen.
61
II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO gerichtskostenfrei.
62
III. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war für notwendig zu erklären.
63
Gem. § 161 Abs. 2 Satz 2 VwGO sind, soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Notwendigkeit der Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren unter Würdigung der jeweiligen Verhältnisse vom Standpunkt eines verständigen Beteiligten aus zu beurteilen. Maßgebend ist, ob sich ein vernünftiger Bürger mit gleichem Bildungs- und Erfahrungsstand bei der gegebenen Sachlage eines Rechtsanwalts bedient hätte. Notwendig ist die Zuziehung eines Rechtsanwalts danach dann, wenn es dem Beteiligten nach seinen persönlichen Verhältnissen und wegen der Schwierigkeit der Sache nicht zuzumuten war, das Vorverfahren selbst zu führen. Die Notwendigkeit der Hinzuziehung wird auch durch die Bedeutung der Streitsache für den Kläger bestimmt. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Bevollmächtigung (vgl. hierzu im Ganzen BVerwG, B.v. 9.5.2012 – 2 A 5.11 – juris).
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Insbesondere mit Blick auf die rechtliche Beurteilung der Abweichung hinsichtlich hochschulrechtlicher und förderungsrechtlicher Semestereinstufung, aber auch die Anforderungen an § 15 Abs. 3 BAföG – dort insbesondere die Anforderungen an einen Kausalitätsnachweis und die Bedeutung der Bescheinigung nach § 48 BAföG für einen solchen im vorliegenden Fall – war es der Klägerin nicht zuzumuten, das Vorverfahren selbst zu führen. Im Übrigen hat der Beklagte für das Widerspruchsverfahren keine Kosten erhoben.
65
IV. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m.§ 708 Nr. 11, §§ 711, 713 ZPO.