Titel:
Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: Skoda Octavia)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1, Art. 46
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; KG BeckRS 2022, 24952; OLG Bamberg BeckRS 2023, 12830; BeckRS 2023, 13603; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 21298; OLG Braunschweig BeckRS 2021, 51097; OLG Jena BeckRS 2022, 20451; BeckRS 2022, 23405; BeckRS 2022, 26587; BeckRS 2022, 33405; BeckRS 2023, 1381; BeckRS 2022, 25339; OLG Schleswig BeckRS 2021, 23055; OLG Zweibrücken BeckRS 2023, 1382; BeckRS 2021, 52460; BeckRS 2023, 706; OLG München BeckRS 2023, 9206; BeckRS 2023, 10878; BeckRS 2023, 13938; BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein sittenwidriges Handeln der Herstellerin ist nicht schlüssig dargelegt, wenn sich der Vortrag der Klägerseite im wesentlichen auf die Darstellung technischer Zusammenhänge sowie hinsichtlich der Motivlage der handelnden Personen auf allgemeine Annahmen bzw. rechtliche Ausführungen beschränkt. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
3. Fehlt es an einem Rückruf des KBA für den konkreten Motortyp, müssen die erforderlichen hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in anderer Weise dargelegt werden; eine Aneinanderreihung technischer Schlagworte, ohne ausreichende Darlegung der konkreten Arbeitsweise der behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen genügt hierfür nicht. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, Abschaltung in bestimmten Drehzahl- und Drehmomentbereichen, Akustikfunktion, zeitbasierte Prüfstanderkennung, Motorhaubenerkennung, Lenkwinkelerkennung
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 12.06.2023 – 1 U 35/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13604
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 15.757,40 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit einem Pkw mit Dieselmotor.
2
Die Klägerseite kaufte am 01.03.2017 einen Pkw Skoda Octavia zu einem Kaufpreis von 22.885,00 €. Im Fahrzeug war ein Dieselmotor EA 288 verbaut, der von der Beklagten hergestellt worden war.
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Die Klägerseite behauptet:
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Die Beklagte sei dem Kläger gemäß §§ 826, 31 BGB, 823 Abs. 2 BGB, 263 StGB, 823 Abs. 2 BGB, 6, 27 Abs. 1 EG-FGV, 831 BGB zum Schadensersatz verpflichtet, da das Fahrzeug mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen sei. Die Beklagte sei daher verpflichtet, der Klägerseite den Kaufpreis abzüglich Nutzungsersatz sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu erstatten.
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Die Beklagte habe den Dieselmotor EA 288 des Fahrzeugs mit unzulässigen Abschalteinrichtungen versehen. Daher sei die EG-Typgenehmigung zu Unrecht erteilt worden, das Fahrzeug sei nicht genehmigungs- und verkehrsfähig.
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Es lägen unzulässige Abschalteinrichtungen in Form eines Thermofensters, einer Fahrkurvenerkennung, einer Abschaltung in bestimmten Drehzahl- und Drehmomentbereichen, einer Akustikfunktion, einer zeitbasierten Prüfstanderkennung, einer Motorhaubenerkennung sowie einer Lenkwinkelerkennung vor; wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Zusammenfassung im Schriftsatz vom 18.01.2023, S. 12/13 (Bl. 255/256) Bezug genommen.
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Der Vorstand bzw. Organe der Beklagten hätten von den Manipulationen Kenntnis gehabt, die Beklagte treffe jedenfalls eine sekundäre Darlegungslast.
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Beim Kauf des Fahrzeugs seien der Klägerseite diese Umstände noch nicht bekannt gewesen, bei Kenntnis hätte sie Abstand vom Kauf genommen. Der Schaden der Klägerseite bestehe bereits darin, dass sie den für sie wirtschaftlich nachteiligen Kaufvertrag abgeschlossen habe.
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Die Klägerseite beantragt zuletzt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei € 15.034,45 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Skoda Octavia 2.0 TDI; FIN: …
2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klagepartei die, durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen, vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 1.134,55 nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Im Übrigen hat die Klägerseite den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
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Die Beklagte beantragt,
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Die Beklagte behauptet:
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Die klägerseits geltend gemachten Ansprüche bestünden nicht. Die Beklagte habe keine unzulässigen Abschalteinrichtungen verbaut. Die EG-Typgenehmigung sei daher wirksam, deren Tatbestandswirkung sei zu beachten. Für das Fahrzeug sei kein Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) erfolgt. Die Klägerseite habe nicht substantiiert dargelegt, in welcher Form eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden sei. Die Beklagte treffe insoweit keine sekundäre Darlegungslast. Jedenfalls sei die erforderliche Kenntnis des Vorstandes bzw. sonstiger Organe nicht substantiiert dargelegt worden. Ein Schaden der Klägerseite sei nicht ersichtlich.
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Wegen der übrigen Einzelheiten, insbesondere der geäußerten Rechtsansichten, wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet, auch soweit der Rechtsstreit einseitig teilweise für erledigt erklärt wurde. Die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruches der Klägerseite gegen die Beklagte wegen der von der Klägerseite angeführten Anspruchsgrundlagen liegen nicht vor bzw. sind nicht ausreichend substantiiert dargetan.
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I. Die Klägerseite hat keine Ansprüche gemäß § 826 BGB gegen die Beklagte, da es an der hinreichend substantiierten Darlegung eines vorsätzlichen und sittenwidrigen schädigenden Verhaltens der Beklagten fehlt.
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1. Die Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten gemäß § 826 BGB unter dem Gesichtspunkt eines sog. „Thermofensters“ wurden von Klägerseite nicht ausreichend substantiiert dargetan.
18
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 19.01.2021 – VI ZR 433/19) ist selbst bei Zugrundelegung des – von der Beklagten bestrittenen – Umstandes, dass die Abgasrückführung im Fahrzeug der Klägerseite nach ihrem Sachvortrag durch eine temperaturabhängige Steuerung des Emissionskontrollsystems reduziert und letztlich ganz abgeschaltet werden soll, für sich genommen nicht ausreichend, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Der – möglicherweise – darin liegende Gesetzesverstoß ist auch unter Berücksichtigung einer damit einhergehenden Gewinnerzielungsabsicht der Beklagten für sich genommen nicht geeignet, den Einsatz dieser Steuerungssoftware durch die für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen zu lassen, bei dem Einsatz einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems fehlt es für sich genommen an einem arglistigen Vorgehen des beklagten Automobilherstellers, das die Qualifikation seines Verhaltens als objektiv sittenwidrig rechtfertigen würde. Hierfür bedarf es vielmehr weiterer Umstände. Die Annahme von Sittenwidrigkeit würde voraussetzen, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Fehlt es hieran, ist bereits der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit nicht erfüllt. Dabei trägt die Darlegungs- und Beweislast für diese Voraussetzung nach allgemeinen Grundsätzen die Klägerseite als Anspruchsteller.
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Die Klägerseite hat keinen Sachvortrag erstattet, der nach diesen Maßstäben ausreichen würde, Sittenwidrigkeit annehmen zu können. Die Klägerseite hat nicht substantiiert dargestellt, dass die für die Beklagte handelnden Personen bei der behaupteten Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden. Es wurden auch keine Umstände vorgetragen, aus denen man ein solches Bewusstsein der handelnden Personen ableiten könnte. Der Vortrag der Klägerseite beschränkt sich im wesentlichen auf die Darstellung technischer Zusammenhänge sowie hinsichtlich der Motivlage der handelnden Personen auf allgemeine Annahmen bzw. rechtliche Ausführungen.
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2. Auch hinsichtlich der übrigen behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen hat die Klägerseite ein vorsätzliches sittenwidriges schädigendes Verhalten der Beklagten nicht ausreichend substantiiert dargetan.
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Die Klägerseite hat zwar vorgetragen, es bestünden unzulässige Abschalteinrichtungen in Form einer Fahrkurvenerkennung, einer Abschaltung in bestimmten Drehzahl- und Drehmomentbereichen, einer Akustikfunktion, einer zeitbasierten Prüfstanderkennung, einer Motorhaubenerkennung sowie einer Lenkwinkelerkennung. Dieser Vortrag reicht aber nicht aus, um die geltend gemachten Ansprüche der Klägerseite begründen zu können oder Anlass zur Beweiserhebung zum Beispiel durch Einholung von Sachverständigenbeweis zu bieten.
22
Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten unterliegt das streitgegenständliche Fahrzeug keinem Rückruf seitens des KBA. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Bamberg (Urteil vom 18.10.2021, 4 U 311/20; ebenso OLG München, Beschluss vom 01.03.2021, 8 U 4122/20) ist ein Rückruf des KBA zwar nicht zwingend erforderlich, um entsprechende Anhaltspunkte zu begründen. Ein Rückruf des KBA hinsichtlich eines bestimmten Motortyps wegen einer nach dessen Ansicht unzulässigen Prüfstandserkennungssoftware wurde allerdings regelmäßig einen hinreichenden Anhaltspunkt dafür darstellen, dass eine entsprechende unzulässige Abschalteinrichtung auch in anderen Fahrzeugen mit demselben Motortyp vorhanden ist. Fehlt es aber an einem solchen Rückruf für den konkreten Motortyp, müssen die erforderlichen hinreichenden Anhaltspunkte in anderer Weise dargelegt werden. Dies ist der Klägerseite nicht gelungen, so dass über die Behauptungen der Klägerseite auch kein Beweis zu erheben ist (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 31.03.2021, 1 U 470/20). Die Klägerseite beschränkt sich im Kern auf eine Aneinanderreihung technischer Schlagworte, ohne ausreichend konkret die Arbeitsweise der behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtungen darzutun.
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Die Klägerseite kann sich hierbei auch nicht darauf berufen, dass nach ihrem Vortrag eine Diskrepanz zwischen den Stickoxidemissionen unter Prüfstandbedingungen und unter normalen Betriebsbedingungen auf der Straße vorliege, da die im sog. NEFZ-Verfahren gemessenen Werte grundsätzlich auch ohne unzulässige Beeinflussung des Messverfahrens nicht den im Rahmen des tatsächlichen Gebrauchs des Fahrzeugs anfallenden Emissionswerten entsprechen (BGH, Urteil vom 13.07.2021, VI ZR 128/20, OLG Bamberg, Urteil vom 18.10.2021, 4 U 311/20).
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II. Eine Haftung der Beklagten ergibt sich auch nicht aus den sonstigen von der Klägerseite angeführten Anspruchsgrundlagen, da es am zumindest bedingten Vorsatz fehlt bzw. es sich nicht um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB handelt (vgl. zur Schutzgesetzeigenschaft von §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV BGH, Urteil vom 25.05.2020 – VI ZR 252/19, sowie zu den übrigen Anspruchsgrundlagen OLG Köln, Urteil vom 27.09.2019 – 6 U 57/19, Rn. 52-59). Dies gilt – entgegen der vom Generalanwalt zuletzt geäußerten Rechtsauffassung – insbesondere auch für einen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46 (EG) in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der EG-Verordnung Nr. 715/2007, es besteht auch kein Anlass für eine Aussetzung des Verfahrens (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 08.08.2022, 11 U 5/22).
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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO, 48 GKG.