Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 12.06.2023 – 1 U 35/23 e
Titel:

Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288

Normenketten:
BGB § 826
Fahrzeugemissionen-VO Art. 5 Abs. 2
ZPO § 522 Abs. 2
EG-FGV § 6, § 27 Abs. 1
Typgenehmigungsverfahrens-RL Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46
VwVfG § 24 Abs. 1 S. 1, 2
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; KG BeckRS 2022, 24952; OLG Bamberg BeckRS 2023, 12830; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 21298; OLG Braunschweig BeckRS 2021, 51097; OLG Jena BeckRS 2022, 20451; BeckRS 2022, 23405; BeckRS 2022, 26587; BeckRS 2022, 33405; BeckRS 2023, 1381; BeckRS 2022, 25339; OLG Zweibrücken BeckRS 2023, 1382; BeckRS 2021, 52460; BeckRS 2023, 706; OLG München BeckRS 2023, 9206; BeckRS 2023, 10878; BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Es fehlt an greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass der Motor EA 288 mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, die sich im Hinblick auf die Emissionen grenzwertrelevant auswirkt. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Das KBA hat nach umfangreichen Untersuchungen festgestellt, dass bei keinem Fahrzeug, in welchem ein EA 288 Aggregat verbaut wurde, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt werden konnte. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
4. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG im Zusammenspiel mit weiteren unionsrechtlichen Vorschriften auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers schützen, scheidet ein Schadensersatzanspruch des Käufers aus, weil der Herstellerin nicht einmal fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden kann, wenn selbst das KBA als zuständige Typgenehmigungsbehörde nach eigener Prüfung von der Zulässigkeit des „Thermofensters“ ausging, da dann bei der Herstellerin zumindest ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vorlag. (Rn. 22 und 25) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, Fahrkurvenerkennung, (keine) Prüfstands- und Zykluserkennung, grenzwertrelevant, Schutz der Einzelinteressen des individuellen Käufers, unvermeidbarer Verbotsirrtum
Vorinstanz:
LG Schweinfurt, Endurteil vom 25.01.2023 – 13 O 438/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13603

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Schweinfurt vom 25.01.2023, Az. 13 O 438/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 15.034,45 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 05.07.2023.

Entscheidungsgründe

1
Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Zudem liegen weder die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision vor (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) noch ist eine mündliche Verhandlung geboten (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Der Senat beabsichtigt daher, die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts Schweinfurt vom 25.01.2023, Az. 13 O 438/22, einstimmig zurückzuweisen.
2
Die Berufung des Klägers hat keine Aussicht auf Erfolg, § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.
3
Die gemäß §§ 511 ff. ZPO zulässige Berufung des Klägers erweist sich als unbegründet, weil ihm keine Ansprüche gegen die Beklagte zustehen. Zu Recht hat das Erstgericht die Klage abgewiesen. Auf die zutreffenden Gründe wird Bezug genommen.
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1. Einem Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 826 BGB steht entgegen, dass es an der hinreichend substantiierten Darlegung eines vorsätzlichen und sittenwidrigen schädigenden Verhaltens der Beklagten fehlt.
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a) Eine bewusst sittenwidrig-schädigende Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch die Beklagte hat der Kläger nicht hinreichend substantiiert dargestellt.
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Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen (BGH, Beschluss vom 19.01.2021, Az. ZR 433/19, juris).
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b) Legt man diese Maßstäbe zugrunde, ergeben sich aus dem Vortrag des Klägers sowie den getroffenen Feststellungen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass das Verhalten der Beklagten in diesem Sinne als sittenwidrig zu qualifizieren ist. Der Senat schließt sich der obergerichtlichen Rechtsprechung an, die eine Haftung der Beklagten in Verbindung mit dem von ihr entwickelten Motor Typ EA 288 ablehnt (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 20. 04.2020, Az. 1 U 103/19; OLG München, Beschluss vom 10.02.2020, Az. 3 U 7524/19; OLG Koblenz, Urteil vom 20.04.2020, Az. 12 U 1570/19; vgl. auch BGH, Hinweisbeschluss vom 21. 03.2022, Az. VIa ZR 334/21).
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Es fehlt bereits an greifbaren Anhaltspunkten dafür, dass der streitgegenständliche Motor mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, die sich im Hinblick auf die Emissionen grenzwertrelevant auswirkt. Die Behauptungen des Klägers stellen sich als reine Spekulation ohne tatsächliche Anknüpfungspunkte dar.
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aa) Der Senat verkennt hierbei nicht, dass eine unter Beweis gestellte Behauptung erst dann unbeachtlich ist, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist. Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur bei Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können. Es ist einer Partei grundsätzlich nicht verwehrt, eine tatsächliche Aufklärung auch hinsichtlich solcher Umstände zu verlangen, über die sie selbst kein zuverlässiges Wissen besitzt und auch nicht erlangen kann, die sie aber nach Lage der Verhältnisse für wahrscheinlich oder möglich hält. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie sich nur auf vermutete Tatsachen stützen kann, weil sie mangels Sachkunde und Einblick in die Produktion des von der Gegenseite hergestellten und verwendeten Fahrzeugmotors einschließlich des Systems der Abgasrückführung oder -verminderung keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28.01.2020, Az. ZR 57/19 m.w.N. – verfahrensgegenständlicher Motor: Daimler OM 651).
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bb) Unstreitig hat das Kraftfahrt-Bundesamt (im Folgenden: KBA) für den im streitgegenständlichen Fahrzeug eingebauten Motor keinen Rückruf angeordnet. Im Gegenteil hat es nach umfangreichen Untersuchungen festgestellt, dass bei keinem Fahrzeug, in welchem ein EA 288 Aggregat verbaut wurde, eine unzulässige Abschalteinrichtung festgestellt werden konnte (vgl. u.a. Anlagen B 38 ff.). In einer Auskunft an das OLG München vom 25.01.2021 (Anlage B 28) heißt es etwa:
„Das hier zu behandelnde Fahrzeug weist in der Motorsteuerung zwar die aus ande ren Fahrzeugen des VW-Konzerns bekannte Erkennung des Fahrprofils des gesetz lichen Typprüfzyklus (NEFZ) auf, die daraus resultierenden Umschaltungen wirken dabei nicht als unzulässige Abschalteinrichtung: Im Falle der Fahrzeuge mit nachge schalteter Abgasnachbehandlung mittels SCR-Katalysator (selektive katalytische Re duktion) wird die Fahrkurvenerkennung zur Umschaltung der Betriebsmodi der Ab gasrückführung im Rahmen der Typprüfung genutzt, wobei eine Verringerung der Raten der Abgasrückführung durch die Abgasnachbehandlung kompensiert werden kann. Im Prinzip wird die NOxmindernde Wirksamkeit des AGR-Systems zurück gefahren, sobald das SCR-System seine NOxmindernde Wirkung entfalten kann. Bei einer Betrachtung des gesamten Emissionskontrollsystems bleiben somit die Schadstoffemissionen unterhalb der Grenzwerte. Dies erfolgt nicht nur über die Fahrkurve im Testzyklus, sondern auch unter realen Betriebsbedingungen auf der Straße. Die Umschaltung der Betriebsmodi erfolgt dabei über physikalische Motor parameter, wie z. B. die Temperatur des SCR-Katalysators. Prüfungen im KBA zei gen, dass auch bei Deaktivierung der Fahrkurvenfunktion die Grenzwerte in den Prüfverfahren zur Untersuchung der Auspuffemissionen nicht überschritten werden, sodass die Fahrkurvenerkennung bei Fahrzeugen mit Motor EA288 nicht als unzu lässige Abschalteinrichtung bewertet wird.“
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Das BMVI hat zudem nach Bekanntwerden des Dieselskandals Untersuchungen auch in Bezug auf die Motoren des Typs EA 288 in Auftrag gegeben und das KBA angewiesen, spezifische Nachprüfungen durch unabhängige Gutachter zu veranlassen. Diese „KBA-Felduntersuchungen“ umfassten insgesamt 56 Messungen an 53 Fahrzeugmodellen, von denen mehrere mit dem Motortyp EA 288 ausgestattet waren. Ziel der Untersuchung war u.a., die Motorvarianten des Typs EA 288 dahingehend zu überprüfen, ob sie unzulässige Abschalteinrichtungen oder unzulässige Systematiken und Randbedingungen von Prüfstands- und Zykluserkennungen wie die in den EA 189-Fahrzeugen verbaute Umschaltlogik enthielten. Bei diesen Untersuchungen sind keine unzulässigen Vorrichtungen bei Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 288 der Emissionsklassen EU 5 und EU 6 festgestellt worden (vgl. OLG Dresden, Urteil vom 04.12.2020, Az. 9a U 2074/19, Rn. 30, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 07.10.2020, Az. 4 U 171/18, Rn. 45, juris; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 24.09.2020, Az. 5 U 47/19, Rn. 37, juris). Dem hat der Vortrag der Klagepartei nichts Substantielles entgegenzusetzen.
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cc) Auch bei eingehender Auseinandersetzung mit dem klägerischen Sachvortrag unter Beachtung der vom BGH aufgestellten Maßstäbe verbleibt es bei der Bewertung, dass der Klägervortrag konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das streitgegenständliche Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung zur Prüfstandserkennung einhält, nicht aufzeigt und diese auch sonst nicht ersichtlich sind.
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Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass in dem streitgegenständlichen Fahrzeug von der Beklagten eine Software verbaut worden wäre, die bewusst und gewollt von der Beklagten dergestalt programmiert worden wäre, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und die damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abgezielt hätte, lässt der klägerische Vortrag damit nach wie vor nicht erkennen.
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dd) Soweit der Kläger seinen Schadensersatzanspruch (auch) auf ein sog. Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung stützt, kann das Vorliegen eines solchen sogar unterstellt werden. Denn das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird. Die Verwendung eines „Thermofensters“ ist nicht per se, sondern nur unter – hier nicht dargelegten – weiteren Voraussetzungen sittenwidrig (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, Az. ZR 889/20, juris Rn. 25 ff.).
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Überdies ist der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidungsserie vom 16.09.2021 (Az. ZR 190/20, ZR 286/20, ZR 321/20 und ZR 322/20) unabhängig vom konkret verwendeten Typ des Dieselmotors und herstellerübergreifend zu dem Ergebnis gelangt, dass es im Hinblick auf die unsichere Rechtslage bei der Beurteilung der Zulässigkeit des Thermofensters sowohl an einem besonders verwerflichen Verhalten des Herstellers als auch an dem erforderlichen Schädigungsvorsatz fehlt.
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Danach kann bei einer Abschalteinrichtung wie hier, die im Grundsatz auf dem Prüfstand in gleicher Weise arbeitet wie im realen Fahrbetrieb und bei der sich die Frage der Zulässigkeit nicht eindeutig und unzweifelhaft beantworten lässt, bei Fehlen sonstiger Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres unterstellt werden, dass die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen. Eine möglicherweise nur fahrlässige Verkennung der Rechtslage genügt für die Feststellung der besonderen Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten nicht. Allein aus der – unterstellten – objektiven Unzulässigkeit der Abschalteinrichtung in Form des Thermofensters folgt ferner kein Vorsatz hinsichtlich der Schädigung der Fahrzeugkäufer. Im Hinblick auf die unsichere Rechtslage – hinsichtlich des unstreitig im Fahrzeug der Klägerin verbauten Thermofensters fehlt es bis heute an einer behördlichen Stilllegung oder einem Zwang zu Umrüstungsmaßnahmen – ist nicht dargetan, dass sich den für die Beklagte tätigen Personen die Gefahr einer Schädigung der Klägerin hätte aufdrängen müssen.
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c) Der Vortrag der Klagepartei führt auch nicht zu einer sekundären Darlegungslast der Beklagten zu den technischen Gegebenheiten der mit dem Motor EA 288 ausgestatteten Fahrzeuge. Grundsätzlich trägt der Geschädigte, der sich auf einen Schadensersatzanspruch gemäß § 826 BGB beruft, die volle Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 34. Aufl., vor § 284 Rdnr. 34). Die Annahme einer sekundären Darlegungslast setzt voraus, dass der darlegungs- und beweisbelasteten Partei die nähere Darlegung nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die gegnerische Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt oder es ihr zuzumuten ist, nähere Angaben zu machen. Die Voraussetzungen für eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten sind hier nicht erfüllt. Um eine Ausforschung zu vermeiden, muss der unstreitige oder zu beweisende Vortrag des Beweispflichtigen greifbare Anhaltspunkte für seine Behauptung liefern (vgl. Zöller-Greger, a.a.O, m.w.N.). Daran fehlt es hier, wie bereits dargestellt.
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d) Schließlich fehlt es an ausreichendem substantiierten Vortrag der Klagepartei hinsichtlich der in Bezug auf die Entwicklung des Motors Typ EA 288 im Konzern der Beklagten erfolgten Entscheidungsprozesse sowie die inhaltliche Auseinandersetzung der Organe der Beklagten mit den Voraussetzungen nach Art. 5 Abs. 2 EG-VO 715/2007.
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2. Ansprüche des Klägers aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB sind ebenfalls nicht gegeben.
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Diese würden jeweils den Nachweis eines deliktischen Handelns bzw. einer vorsätzlichen Täuschungshandlung voraussetzen. Dieser ist – wie oben dargelegt – dem Kläger nicht gelungen. Im Übrigen scheitert dieser Anspruch bereits am Fehlen der Bereicherungsabsicht und der in diesem Zusammenhang erforderlichen Stoffgleichheit des erstrebten rechtswidrigen Vermögensvorteils mit einem etwaigen Vermögensschaden. Der subjektive Tatbestand des § 263 Abs. 1 StGB setzt die Absicht voraus, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Dabei müssen der vom Täter erstrebte Vermögensvorteil und der verursachte Vermögensschaden einander „spiegelbildlich“ entsprechen. Einen Vermögensschaden hat der Käufer dann erlitten, wenn das von ihm erworbene Fahrzeug im Hinblick auf die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung und etwaige damit verbundene Risiken den vereinbarten und bezahlten Kaufpreis nicht wert war. Zwischen dieser etwaigen Vermögenseinbuße mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten (§ 31 BGB) für sich oder einen Dritten, etwa den Fahrzeughändler, erstrebt haben könnte, besteht jedoch keine Stoffgleichheit (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az. ZR 5/20).
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3. Dem Kläger steht auch kein Anspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder Art. 5 VO 715/2007/EG zu.
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Selbst wenn man davon ausgeht, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 385/2009 der Kommission vom 7. Mai 2009 geänderten Fassung in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge auch die Einzelinteressen des individuellen Käufers schützen (so EuGH, Urteil vom 21.03.2023, Az. C 100/21), scheidet ein Schadensersatzanspruch des Klägers aus, weil der Beklagten nicht einmal fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden kann.
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Dem Bericht der vom Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur eingesetzten Untersuchungskommission „Volkswagen“ vom April 2016 ist zu entnehmen, dass in dem hier fraglichen Zeitraum Thermofenster von allen Autoherstellern verwendet und mit dem Erfordernis des Motorschutzes begründet wurden. Nach Einschätzung der Untersuchungskommission handelt es sich bei der Verwendung eines Thermofensters angesichts der Unschärfe der Ausnahmevorschrift des Art. 5 Abs. 2 Satz 2 Buchst. a VO (EG) Nr. 715/2007, wonach zum Schutz des Motors vor Beschädigungen und zur Gewährleistung eines sicheren Fahrzeugbetriebs notwendige Abschalteinrichtungen zulässig sind, um keine eindeutigen Gesetzesverstöße, sofern ohne die Verwendung des Thermofensters dem Motor Schaden drohe und „sei dieser auch noch so klein“ (vgl. BMVI, Bericht der Untersuchungskommission Volkswagen, Stand April 2016, S. 123).
24
Nach der Mitteilung der Europäischen Kommission vom 19.07.2008 (Mitteilung über die Anwendung und die künftige Entwicklung der gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften über Emissionen von Fahrzeugen für den Leichtverkehr und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen (Euro 5 und Euro 6), 2008/C 182/08) waren trotz der erhöhten NOx-Emissionen bei niedrigen Temperaturen keine Messungen vorgesehen. Die Hersteller waren auch nicht verpflichtet, Informationen über das Emissionsverhalten von Dieselfahrzeugen bei niedrigen Temperaturen zur Verfügung zu stellen (dort Ziffer 7). Das Vorhandensein eines Thermofensters war also dem KBA als Typgenehmigungsbehörde bekannt, wenngleich es keine Beschreibung über die exakte Wirkungsweise mangels entsprechender Verpflichtung erhalten hat. Unter diesen Umständen durfte sich die Beklagte grundsätzlich darauf verlassen, dass das KBA im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG eine Ergänzung verlangen würde, um sich in die Lage zu versetzen, die Zulässigkeit des Thermofensters in dem betreffenden Fahrzeug zu prüfen. Anderenfalls durfte sich die Beklagte auf die Prüfungskompetenz des KBA als Genehmigungsbehörde verlassen und ohne Verschulden von der Zulässigkeit ihres Vorgehens ausgehen.
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Wenn also das KBA als zuständige Typgenehmigungsbehörde nach eigener Prüfung selbst von der Zulässigkeit des „Thermofensters“ ausgeht, kann der Beklagten keine andere Einschätzung abverlangt werden. Vielmehr liegt in einem solchen Fall ein unvermeidbarer Verbotsirrtum vor (vgl. hierzu auch die aktuellen Beschlüsse des Bundesgerichtshofs vom 15.05.2023, Az. VIa ZR 1023/22 und VIa ZR 1317/22, mit welchen der BGH die Nichtzulassungsbeschwerden gegen Beschlüsse des OLG Hamm bzw. OLG Schwesig zurückgewiesen hat, mit welchen die beiden Obergerichte klägerische Ansprüche im Hinblick auf ein Thermofenster (auch) wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums auf Seiten der Beklagten verneint hatten).
26
4. Unabhängig von der fehlenden Anspruchsgrundlage hat der Kläger auch einen Schaden nicht hinreichend dargelegt. Die Bejahung eines Vermögensschadens in der streitgegenständlichen Konstellation setzt voraus, dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiv willkürlicher Sicht als Schaden angesehen wird, sondern dass auch die Verkehrsanschauung bei Berücksichtigung der obwaltenden Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az. ZR 252/19, juris, Rn. 46 m.w.N.). Der Erfahrungssatz, ein Verbraucher kaufe generell kein stilllegungsgefährdetes Fahrzeug, fußt auf der ex post erkannten und dann ex ante zugrunde gelegten Annahme, die im Fahrzeug enthaltene Abschalteinrichtung trage das konkrete Potential in sich, zu einer Betriebsbeschränkung bzw. Betriebsuntersagung zu führen. In den Fällen des EA 189 leitet sich diese Annahme aus dem Wissen eines späteren Rückrufs sämtlicher Fahrzeuge durch das KBA mit nachfolgendem Versuch der Beklagten ab, eine Stilllegung der Fahrzeuge durch Updates zu verhindern. Im vorliegenden Fall liegen – anders als in den Fällen des EA 189 – aber gerade keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein einer Prüfstandserkennung vor. Eine Betriebsbeschränkung bzw. -untersagung droht hier gerade nicht.
27
Für den Kläger hat damit bei verständiger Würdigung gerade keine Situation bestanden, welche den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig erscheinen ließe (so im Ergebnis auch OLG München, Urteil vom 14.04.2021, Az. 15 U 3584/20; OLG Schleswig, Urteil vom 13.08.2021, Az. 17 U 9/21, beide juris). Vor diesem Hintergrund vermag der Senat einen Schaden des Klägers auch aus der zugrunde zu legenden ex-ante-Betrachtung nicht zu erkennen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 30.01.2023, VIa ZR 663/22, und Beschluss vom 23.01.2023, VIa ZR 724/22; OLG Hamm, Beschluss vom 11.04.2022, I-8 U 179/21; OLG Frankfurt, Beschluss vom 17.03.2022, 8 U 245/21).
28
Damit ist die Berufung alleine schon aus diesem Grund zurückzuweisen, ohne dass es auf die weiteren Erwägungen zu den behaupteten Abschalteinrichungen streitentscheidend ankommt. Ein Grund für eine Revisionszulassung liegt in einem solchen Fall nicht vor (vgl. BGH, Beschluss vom 30.01.2023, Az. Vla ZR 663/22).
29
Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO) liegen nicht vor. Soweit Rechtsfragen zu beantworten waren, sind diese in der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Der Senat weicht hiervon nicht ab.
30
Auch ist eine mündliche Verhandlung in der vorliegenden Sache nicht geboten (§ 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ZPO). Es ist auszuschließen, dass in einer mündlichen Verhandlung neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden können, die zu einer anderen Beurteilung führen.
31
Der Senat regt daher an, zur Vermeidung von Kosten die aussichtslose Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV Nr. 1222) hin.
32
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Anwendung von § 47 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO zu bestimmen sein.