Titel:
Keine Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Motor EA 288 (hier: Seat Ateca Xcellence)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
ZPO § 522 Abs. 2
Fahrzeugemissionen-VO Art. 3 Abs. 10, Art. 5 Abs. 2
Leitsätze:
1. Zu – jeweils verneinten – (Schadensersatz-)Ansprüchen von Käufern eines Fahrzeugs, in das ein Diesel-Motor des Typs EA 288 eingebaut ist, vgl. auch BGH BeckRS 2022, 11891; BeckRS 2022, 18404; KG BeckRS 2022, 24952; OLG Bamberg BeckRS 2023, 12830; BeckRS 2023, 13603; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 21298; OLG Braunschweig BeckRS 2021, 51097; OLG Jena BeckRS 2022, 20451; BeckRS 2022, 23405; BeckRS 2022, 26587; BeckRS 2022, 33405; BeckRS 2023, 1381; BeckRS 2022, 25339; OLG Schleswig BeckRS 2021, 23055; OLG Zweibrücken BeckRS 2023, 1382; BeckRS 2021, 52460; BeckRS 2023, 706; OLG München BeckRS 2023, 9206; BeckRS 2023, 10878; BeckRS 2023, 13938; BeckRS 2023, 754 (mit weiteren Nachweisen in Leitsatz 1); OLG Koblenz BeckRS 2022, 25075 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2021, 55750 mit zahlreichen weiteren Nachweisen (auch zur aA) im dortigen Leitsatz 1; anders durch Versäumnisurteil OLG Köln BeckRS 2021, 2388. (redaktioneller Leitsatz)
2. Ohne konkrete Anhaltspunkte für ein dem entgegenstehendes Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen kann das bloße Behaupten derselben nicht berücksichtigt werden, wenn Untersuchungen des KBA, wenn auch nicht an ausstattungsmäßig völlig identischen Fahrzeugen, so aber doch zumindest mit vergleichbarer Motorisierung und insbesondere gleichem Emissionskontrollsystemen, keine beanstandungswürdigen Abschalteinrichtungen ergeben haben. (Rn. 12 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
3. Weisen Motoren vom Typ EA 288 ausweislich einer amtlichen Auskunft des KBA keine unzulässigen Abschalteinrichtungen auf, fehlt es bereits an einer nachweislichen, wenigstens fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung seitens der Herstellerin. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, EA 288, unzulässige Abschalteinrichtung, sittenwidrig, Thermofenster, KBA, amtliche Auskunft, OBD, Fahrkurvenerkennung, sekundäre Darlegungslast
Vorinstanz:
LG Aschaffenburg, Endurteil vom 14.11.2022 – 14 O 420/21
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 31.05.2023 – 10 U 123/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13501
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 14.11.2022, Az. 14 O 420/21, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Der Senat wird den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 29.935,05 € festsetzen.
3. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 30.05.2023.
Entscheidungsgründe
1
Die Parteien streiten um Schadensersatz im Zusammenhang mit dem Erwerb eines weiterveräußerten Pkws mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor vom Typ EA 288 EU 6 ausgestattet war.
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Die Klagepartei hat das Neufahrzeug, A., zum Kaufpreis von 36.661,45 € brutto am 02.08.2017 erworben. Am 13.11.2022 belief sich die Laufleistung des Fahrzeugs auf 69.371 km. Ein amtlicher Rückruf des KBA liegt weder für das konkrete Fahrzeug noch für die Motorenserie des EA 288 bislang vor.
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Das Erstgericht, auf dessen tatbestandlichen Feststellungen Bezug genommen wird (§ 522 Abs. 2 Satz 4 ZPO), hat die Klage, gerichtet auf Schadensersatzzahlung durch Kaufpreiszahlung abzüglich einer formelhaft bezifferten Nutzungsentschädigung nebst Zinsen aus der Differenz Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nebst der Feststellung des Annahmeverzugs und der Haftung für künftige Schäden sowie der Freistellung von vorgerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung, abgewiesen.
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Nach der Urteilsbegründung, auf die ebenfalls Bezug genommen wird, fehlt für die Annahme einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung bereits die Darlegung des Vorhandenseins einer nicht nur unzulässigen, sondern auch mit einer Prüfstanderkennung arbeitenden, Abschalteinrichtung. Nach einer eingeholten Auskunft des KBA vom 13.06.2022 (Bl. 955 d. A.) habe dieses mehrfach Motoren wie den in dem streitgegenständlichen Fahrzeug vorhandenen untersucht und keine unzulässigen Abschalteinrichtungen feststellen können.
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Die Klagepartei verfolgt ihr erstinstanzliches Begehren dem Grunde nach weiter (vgl. Berufungsbegründung v. 02.05.2023, S. 1 f.) und beantragt,
Das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 14.11.2022 – 14 O 420/21 – abzuändern und insoweit
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 36.661,45 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeuges A. (Motortyp EA288),
Fahrgestellnummer: …, abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 0,0104747 EUR pro gefahrenem Kilometer seit Übergabe des Fahrzeuges (km-Stand bei Erwerb: 0 km), die sich nach folgender Formel berechnet: (36.661,45 EUR x gefahrene Kilometer) : 350.000 km;
2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet;
3. die Beklagte zu verurteilen, der Kläger von den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.626,49 EUR freizustellen;
4. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtliche weiteren Schäden, die aus dem Erwerb des in Ziffer 1. genannten Fahrzeuges resultieren, zu ersetzen.
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Zur Begründung wiederholt sie im Kern ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie vertritt unter anderem die Auffassung, dass die Beklagte von sich aus im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast das Nichtvorhandensein weiterer Abschalteinrichtungen hätte ausführen müssen. Selbst wenn eine sittenwidrige Schädigung zu verneinen sein sollte, müsste die Beklagte zumindest wegen der fahrlässigen Verletzung eines Schutzgesetzes haften. Das Fehlen eines verbindlichen Rückrufs müsste im Lichte der Überforderung des KBA als unschädlich angesehen werden. Das Fehlen einer Aufforderung zu einem „freiwilligen Software-Update“ für das vorliegende Fahrzeug belege seinerseits nichts Entscheidungserhebliches, da auch eine solche freiwillige Servicemaßnahme jederzeit erfolgen könnte.
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Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Berufung und verteidigt das erstinstanzliche Urteil (vgl. Berufungserwiderung v. 03.05.2023). Sie legt unter anderem eine weitere amtliche Auskunft des KBA in einem Parallelverfahren zu einem vergleichbaren Fahrzeug mit einem EA 288-EU-6-Motor vor (vgl. Anlage BE118).
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Ergänzend wird auf die jeweiligen Ausführungen in der Berufungsbegründung vom 02.05.2023 wie auch in der -erwiderung vom 03.05.2023 Bezug genommen (§ 313 Abs. 2 Satz 2 ZPO).
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Die zulässige Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.
10
Der Senat sieht die Berufung als offensichtlich unbegründet an, weil die Klagepartei die für eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung notwendigen Darlegungen nicht erbracht hat und auch mit der Berufungsbegründung nicht aufzeigen konnte. Dem Grunde nach kann auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts Bezug genommen werden.
11
Ergänzend ist lediglich anzumerken, dass sowohl nach der beklagtenseitig vorgelegten Auskunft des KBA zu vergleichbaren Fahrzeugen mit identischer Motorisierung (Anlage BE118) wie auch schon aus der vom Erstgericht selbst erholten Auskunft des KBA vom Fehlen einer notwendigen, anspruchsbegründenden Darlegung auszugehen ist.
12
Die Untersuchungen des KBA, wenn auch nicht an ausstattungsmäßig völlig identischen Fahrzeugen, so aber doch zumindest mit vergleichbarer Motorisierung und insbesondere gleichem Emissionskontrollsystemen, haben demnach keine beanstandungswürdigen Abschalteinrichtungen ergeben.
13
Ohne konkrete Anhaltspunkte für ein dem entgegenstehendes Vorhandensein unzulässiger Abschalteinrichtungen kann das bloße Behaupten derselben nicht berücksichtigt werden. Die Beklagte ist auch nicht gehalten, derart anlasslos durch lückenlose Darlegung sämtlicher Fahrzeug- und Motor(Steuerungs-)funktionen einer vermeintlichen sekundären Darlegungslast genügen zu müssen.
14
Das KBA hat zudem als jedenfalls nicht ganz unmaßgebliche Fachbehörde hinsichtlich der klägerseitig beanstandeten Fahrkurven- bzw. „Zyklus“-Erkennung schon das Vorliegen einer Abschalteinrichtung i. S. d. Art. 3 Abs. 10 VO (EG) Nr. 715/2007 als solche verneint. Auf eine Rechtfertigbarkeit (Art. 5 Abs. 2 VO <EG> Nr. 715/2007) kommt es folglich gar nicht an. Im Falle des Thermofensters hat das KBA dessen Unzulässigkeit verneint und im Übrigen fehlt es an Anhaltspunkten dafür, dass dessen Verwendung objektiv sittenwidrig erfolgt ist (vgl. BGH, Urt. v. 10.10.2022 – VIa ZR 652/21 –, juris, Rn. 19, 21; BGH, Beschluss vom 12.09.2022 – VIa ZR 230/22 –, juris, Rn. 16).
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Ohne das Vorhandensein einer (unzulässigen) Abschalteinrichtung kommt es auf eine etwaige fehlende „Überwachung“ derselben durch das On-Board-Diagnose-System (OBD) nicht an (vgl. BGH, Beschluss vom 15.09.2021 – VII ZR 2/21 –, juris, Rn. 18).
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Die Klagepartei kann aber auch mit der behaupteten Verletzung eines Schutzgesetzes keinen Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB begründen.
17
Hierfür fehlt es bereits an einer nachweislichen, wenigstens fahrlässigen Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung seitens der Beklagten. Nach den vom Erstgericht durch Einholung einer amtlichen Auskunft getroffenen Feststellungen, denen die Klagepartei nichts entgegenzusetzen hat, weisen Motoren vom Typ EA 288 keine unzulässigen Abschalteinrichtungen auf.
18
Die Ausführungen zum als solches unstreitig vorhandenen Thermofenster sind ihrerseits nicht geeignet, dessen Unzulässigkeit derart evident aufscheinen zu lassen, dass die zwischenzeitlichen Feststellungen der zuständigen Fachbehörde unbeachtlich wären. Soweit die Klagepartei der Auffassung ist, dass sich aus den Feststellungen des EuGH im Jahr 2020 rückwirkend in das Jahr 2013, das Fertigungsjahr des Fahrzeugs, Erkenntnisse zu Lasten der Beklagten ergeben müssten (so Berufungsbegründung, S. 4 f.) trägt diese Annahme nicht.
19
Der Senat kommt nach eingehender Überprüfung der Sach- und Rechtslage, insbesondere unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens zu dem Ergebnis, dass das Ersturteil aus Sicht des Rechtsmittelführers nicht zu beanstanden und eine Abänderung nicht veranlasst ist.
20
Der Senat sieht sodann im vorliegenden Verfahren weder eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) noch eine Notwendigkeit, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts herbeizuführen (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO). Schließlich erscheint eine mündliche Verhandlung mangels erwartbarer entscheidungserheblicher Erkenntnisse hieraus auch nicht geboten (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO).
21
Es wird daher empfohlen, die Berufung – auch aus Kostengründen – zurückzunehmen. An die in Betracht kommende Ermäßigung der Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 (vgl. KV-GKG Nr. 1220, 1222 Ziff. 1) sowie die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Bedeutung eines Hinweisbeschlusses für die adäquate Beratung eines, wenn auch rechtsschutzversicherten, Mandanten (BGH, Urt. v. 16.09.2021 – IX ZR 165/19 –, juris) wird vorsorglich erinnert.