Inhalt

BayObLG, Beschluss v. 09.01.2023 – 102 AR 150/22
Titel:

Wahl zwischen verschiedenen Gerichtsständen im Mahnverfahren

Normenketten:
ZPO § 21, § 35, § 36 Abs. 1 Nr. 6, § 281 Abs. 2 S. 4, § 329 Abs. 2 S. 1, § 690 Abs. 1 Nr. 5, § 696 Abs. 3
VVG § 86 Abs. 1, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1
BGB § 830 Abs. 1 S. 2
StVG § 20
Leitsätze:
1. Eine lediglich formlose Abgabe des Verfahrens ohne Mitteilung an die Parteien erfüllt nicht die Anforderungen an eine Unzuständigkeitserklärung iSv § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der besondere Gerichtsstand der unerlaubten Handlung nach § 32 ZPO gilt auch für im Wege der Legalzession nach § 86 VVG übergegangene Ansprüche und den Direktanspruch aus § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG iVm § 1 PflVG (Anschluss an BGH BeckRS 1983, 109400 zu § 3 Nr. 1 PflVG aF). (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
3. Mit der Bezeichnung des Streitgerichts nach § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO im Mahnbescheidsantrag übt der Kläger sein bei mehreren Gerichtsständen bestehendes Wahlrecht nach § 35 ZPO aus. Mit Zustellung des Mahnbescheids ist ein zu diesem Zeitpunkt tatsächlich bestehendes Wahlrecht – vorbehaltlich eines abweichenden Antrags der Parteien – ausgeübt und erloschen und kann nicht mehr durch Abgabe- oder Verweisungsantrag (erneut) ausgeübt werden. Eine Ausnahme kommt nur in Betracht, wenn ein Wahlrecht – wie hier nicht – erst nach dem maßgeblichen Zeitpunkt entstanden ist (s. insoweit OLG München BeckRS 2007, 12206). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Zuständigkeitsbestimmungsverfahren, Bindungswirkung, Mahnbescheidsantrag, Wahlrecht, Verweisungsantrag
Vorinstanz:
LG München I, Verfügung vom 06.07.2022 – 10 O 7234/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 131

Tenor

Die Voraussetzungen für die Bestimmung des zuständigen Gerichts liegen nicht vor.

Gründe

I.
1
Die Klägerin, ein Gebäudeversicherer mit Sitz in Düsseldorf, erwirkte am 3. Januar 2022 Mahnbescheide gegen die Beklagte, ein Versicherungsunternehmen mit Sitz in München, sowie die in Hannover ansässige V. Brandkasse (im Folgenden: V.) über einen „Schadensersatzanspruch zur Schadennummer […] gemäß Schreiben vom 21.01.2021 vom 07.04.18“ in Höhe von 393.000,00 € nebst Zinsen. Die Mahnbescheide wurden der Beklagten und der V. am 5. Januar 2022 zugestellt.
2
Im Mahnverfahren gegen die Beklagte hat die Klägerin nach deren Widerspruch am 12. Januar 2022 mit an das Mahngericht gerichteter Anspruchsbegründung vom 31. Mai 2022 beantragt, den Rechtsstreit an das im Mahnbescheid als Prozessgericht bezeichnete Landgericht München I abzugeben; dort werde beantragt werden, den Rechtsstreit an das Landgericht Hannover zu verweisen und sodann, die Beklagte als Gesamtschuldnerin mit der gesondert in Anspruch genommenen V. zu verurteilen, an die Klägerin den streitgegenständlichen Betrag zu bezahlen. Zur Begründung bringt sie vor, die Beklagte betreibe eine Niederlassung in der B. A. ... in H.. Gemäß § 21 ZPO könne der Rechtsstreit daher vor dem dortigen Landgericht geführt werden; es sei beabsichtigt, beim Landgericht Hannover zu beantragen, das Verfahren gegen die gesondert in Anspruch genommene V. mit dem vorliegenden Verfahren zu verbinden und gemeinschaftlich zu verhandeln.
3
Zur Sache selbst führt die Klägerin aus, sie sei Gebäudeversicherer der Versicherungsnehmerin R., die ein Haus mit angebautem Carport in der … in W. (W2.) (Landgerichtsbezirk Lüneburg) „besitze“. Nachdem es am 7. April 2018 zu einem Brand in dem Wohnobjekt gekommen sei, habe die Klägerin den Schaden in Höhe des streitgegenständlichen Betrags der Versicherungsnehmerin gegenüber reguliert. Der Brand sei durch eines der beiden im Carport des Anwesens abgestellten Trikes verursacht worden, deren Halter bei der Beklagten (Halterin ist die Lebensgefährtin des Vaters der Geschädigten) und der V. (Halter ist der Vater der Geschädigten) haftplichtversichert seien. Sie nehme daher mit der Klage die Beklagte aus übergegangenem Recht gemäß § 86 VVG aufgrund der für das Trike der Lebensgefährtin des Vaters der Geschädigten bestehenden Haftpflichtversicherung gemäß § 7 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG, § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB in Anspruch. Welches der beiden Trikes den Brand tatsächlich verursacht habe, lasse sich nachträglich nicht mehr mit Sicherheit belegen, stehe aber dem Regressanspruch der Klägerin gegen die Beklagte nicht entgegen, § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urt. v. 21. April 2014, VI ZR 253/13) reiche es aus, dass ein Brand oder dessen Übergreifen in einem ursächlichen Zusammenhang mit einer Betriebseinrichtung eines Kraftfahrzeugs stehe. Das Schadensgeschehen sei hier durch das Kraftfahrzeug selbst und die von ihm ausgehende Gefahr entscheidend mitgeprägt worden.
4
Nach Einzahlung der Kosten für die Durchführung des streitigen Verfahrens am 7. Juni 2022 hat das Mahngericht das gegen die Beklagte gerichtete Verfahren am selben Tag an das Landgericht München I abgegeben; dort ist es am 23. Juni 2022 eingegangen. Das Verfahren gegen die V. ist nach deren Widerspruch am 7. Juni 2022 an das im dortigen Mahnbescheid bezeichnete Landgericht Hannover abgegeben worden.
5
Das Landgericht München I hat die Anspruchsbegründung der Beklagten nicht zugestellt und das gegen die Beklagte gerichtete Verfahren mit nur der Klägerin mitgeteilter Verfügung vom 6. Juli 2022 an das Landgericht Hannover abgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, das Verfahren werde vor Rechtshängigkeit auf Antrag der Klagepartei formlos an das Landgericht Hannover abgegeben. Es sei nicht alsbald nach dem Widerspruch an das Streitgericht abgegeben worden und gelte daher noch nicht als rechtshängig (§ 696 Abs. 3 ZPO). Vor der Zustellung der Anspruchsbegründung könne die Klagepartei im Falle der nicht alsbaldigen Abgabe noch das Wahlrecht gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO ausüben. Hierzu hat sich das Landgericht München I auf die Fundstellen „Thomas/Putzo, 43. Aufl. 2022, § 696 ZPO, Rdnr. 13; OLG München MDR 2007, 1154“ bezogen. Die Beklagte habe in Hannover eine Niederlassung (§ 21 ZPO).
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Mit Beschluss vom 1. August 2022, der beiden Parteien bekannt gegeben worden ist, hat sich das Landgericht Hannover für örtlich unzuständig erklärt. Die Akten seien dem Oberlandesgericht München zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorzulegen. Das Landgericht Hannover sei örtlich nicht zuständig, da die - statt der gebotenen Verweisung und ohne Gewähr rechtlichen Gehörs der Beklagten - ausgesprochene „Abgabe“ die Bindungswirkung des § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO nicht auslöse. Die Zuständigkeit werde auch nicht dadurch ausgelöst, dass die Klägerin ein „Wahlrecht“ gemäß § 35 ZPO zugunsten des Landgerichts Hannover ausgeübt habe, denn dieses habe sie bereits mit der Angabe des Landgerichts München I als Streitgericht im Mahnbescheid ausgeübt. Eine „Bewegung“ des Verfahrens zu einem anderen Gericht sei somit nicht mehr möglich. Die zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts München betreffe den Sonderfall, dass das Wahlrecht bei Beantragung des Mahnbescheids noch nicht bestanden habe. Die Würdigung, die Beklagte unterhalte eine Niederlassung in Hannover, enthalte kein Tatsachensubstrat; die Anforderungen an den Begriff einer Versicherungs-Niederlassung seien nicht erfüllt. Die fehlende förmliche Verweisung und eine gegebenenfalls aus diesem Grund fehlende rechtskräftige Verneinung der eigenen Zuständigkeit in der Abgabe hinderten eine Gerichtsstandsbestimmung nicht; entscheidend sei, dass die Leugnung der Zuständigkeit zu Tage getreten und den Prozessparteien bekannt gemacht worden sei.
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Die Abgabe werde als willkürlich betrachtet, weil die Zuständigkeit des Landgerichts München I eindeutig gewesen sei. Der von der Klägerin angeführte Umstand, dass bei der Kammer Verfahren anhängig seien, welche gleichgelagerten Tatsachenstoff beträfen, sei bei der gegenwärtigen Antragslage schlicht ohne Belang.
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Mit Beschluss vom 31. August 2022 hat das Oberlandesgericht München die Sache unter Aufhebung des Vorlagebeschlusses vom 1. August 2022 wegen Unzuständigkeit an das Landgericht Hannover zurückgegeben, das daraufhin die Akten mit Beschluss vom 14. Oktober 2022 dem Bayerischen Obersten Landesgericht vorgelegt hat.
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Die Parteien sind im Zuständigkeitsbestimmungsverfahren angehört worden.
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Die Klägerin hat ausgeführt, ihr stehe ein Wahlrecht nach § 35 ZPO zu. Die Beklagte habe ihren Sitz in München, unterhalte aber in Hannover eine Niederlassung. Das Führen des Rechtsstreits in Hannover sei prozessual sinnvoller, als die Sache in München zu verhandeln. Die Verfahren könnten dort miteinander verbunden werden, so dass eine gemeinschaftliche Verhandlung über den identischen Schadensfall erfolgen könne. Die Verweisung sei auch noch möglich (gewesen), da die Streitsache gemäß § 696 Abs. 3 ZPO bislang noch nicht rechtshängig sei. Die Sache sei erst „mit Zustellung an die Beklagte im Juni 2022“ rechtshängig geworden. Im Zeitraum zwischen Anhängigkeit und Rechtshängigkeit sei eine Änderung des Gerichtsstands regelmäßig noch möglich, so dass die Klägerin die Abgabe an das Landgericht Hannover habe beantragen können.
11
Die Beklagte hat erwidert, dass sie keine Niederlassung i. S. d. § 21 ZPO in Hannover unterhalte.
II.
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Die Voraussetzungen für die Bestimmung des örtlich zuständigen Gerichts gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen nicht vor.
13
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht wäre zwar für die Bestimmungsentscheidung gemäß § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO zuständig, weil das im Instanzenzug nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht über den Landgerichten München I und Hannover in der hier vorliegenden bürgerlichen Rechtsstreitigkeit der Bundesgerichtshof ist.
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2. Allerdings fehlt es für eine Zuständigkeitsbestimmung an den Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO. Gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO wird das zuständige Gericht durch das im Rechtszug zunächst höhere Gericht bestimmt, wenn verschiedene Gerichte, von denen eines für den Rechtsstreit zuständig ist, sich rechtskräftig für unzuständig erklärt haben. Daran fehlt es hier.
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a) Zwar hat sich das Landgericht Hannover mit beiden Parteien mitgeteiltem Beschluss vom 1. August 2022 „rechtskräftig“ für unzuständig erklärt. Dem steht nicht entgegen, dass das Landgericht Hannover die Parteien vor seiner Entscheidung nicht angehört und dadurch deren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt hat, denn es hat seine Entscheidung den Parteien zumindest nachträglich bekannt gemacht, so dass diese nicht mehr als gerichtsinterner Vorgang angesehen werden kann, der die Anforderungen des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht erfüllte (vgl. BayObLG, Beschluss vom 24. Juni 2021, 101 AR 64/21, juris Rn. 16).
16
Jedoch hat das Landgericht München I das Verfahren lediglich formlos an das Landgericht Hannover abgegeben, ohne dies beiden Parteien mitzuteilen. Dies genügt für eine Unzuständigkeitserklärung i. S. d. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht. Zwar kann unter Umständen auch die Bitte um Übernahme eine Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO darstellen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Dezember 2010, VI-W (Kart) 8/10, juris Rn. 7). Entscheidend ist aber, dass die beiderseitige Kompetenzleugnung unanfechtbar und - jedenfalls ihrem äußeren Anschein nach und tatsächlich - für die Parteien verbindlich ist (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 16. August 2019, 32 SA 50/19, juris Rn. 17; Schultzky in Zöller, ZPO, 34. Aufl. 2022, § 36 Rn. 35). Das erfordert, dass die entsprechenden Entscheidungen durch Bekanntgabe an alle Parteien wirksam geworden sind, § 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juni 1997, XII ARZ 13/97, NJW-RR 1997, 1161 [juris Rn. 4]; Beschluss vom 22. Februar 1995, XII ARZ 2/95, NJW-RR 1995, 641 [juris Rn. 11]; BayObLG, Beschluss vom 19. Mai 2020, 1 AR 28/20, juris Rn. 20; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Januar 2015, 5 Sa 83/14, juris Rn. 8; Schultzky in Zöller, ZPO, § 36 Rn. 35; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 12). Hier ist die Verfügung des Landgerichts München I vom 6. Juli 2022 nur der Klägerin, nicht aber der Beklagten mitgeteilt worden.
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b) Aus den genannten Gründen ist das Verfahren an das vorlegende Landgericht Hannover zurückzugeben.
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3. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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a) Das Landgericht Hannover wird die Akten (nach Beifügung etwaiger zwischenzeitlich dort eingegangener Schriftsätze) an das Landgericht München I zurückzugeben haben. Mangels rechtskräftiger Unzuständigkeitserklärung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO stellt die Abgabe des Landgerichts München I eine bloße Aktenübersendung an das Landgericht Hannover dar (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19. Januar 2015, 5 Sa 83/14, juris Rn. 10). Im Fall einer Abgabe nach Rechtshängigkeit bleibt die Sache grundsätzlich beim abgebenden Gericht - hier dem Landgericht München I - anhängig (Bacher in BeckOK ZPO, 47. Ed. 1. Dezember 2022, § 281 Rn. 4.2; Saenger in Saenger, ZPO, 9. Aufl. 2021, § 281 Rn. 8; so auch BayObLG, Beschluss vom 2. Dezember 2021, 101 AR 163/21, juris Rn 25).
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b) Wird die Sache bei vorangegangenem Mahnverfahren, wie hier, nicht alsbald an das Streitgericht abgegeben, tritt Rechtshängigkeit nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der herrschenden Auffassung in der Kommentarliteratur mit dem Eingang der Akten beim Empfangsgericht ein (BGH, Urt. v. 17. November 2022, VII ZR 93/22, juris Rn. 22; Urt. v. 5. Februar 2009, III ZR 164/08, BGHZ 179, 329 [juris Rn. 17]; Dörndorfer in BeckOK ZPO, § 696 Rn. 3; Schüler in Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl. 2020, § 696 Rn. 21; Seibel in Zöller, ZPO, § 696 Rn. 7; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 43. Aufl. 2022, § 696 Rn. 13; zum Meinungsstand: Voit in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2022, § 696 Rn. 4).
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c) Das Landgericht München I wird seine örtliche Zuständigkeit (erneut) zu prüfen und bei etwaigen Zweifeln den Parteien rechtliches Gehör zu gewähren haben. Dabei wird es Folgendes zu berücksichtigen haben:
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aa) Sobald eine Streitsache rechtshängig ist, wird die einmal begründete Zuständigkeit des Prozessgerichts durch eine Veränderung der sie begründenden Umstände nicht berührt (Grundsatz der „perpetuatio fori“). Ist dem Streitverfahren ein Mahnverfahren vorausgegangen, so ist für den Eintritt der Rechtshängigkeit der Streitsache i. S. d. § 261 Abs. 3 Nr. 2 ZPO, wenn die Abgabe - wie vorliegend - nicht alsbald i. S. d. § 696 Abs. 3 ZPO erfolgt ist, der Zeitpunkt des Eingangs der Akten bei dem Gericht maßgeblich, an das die Sache abgegeben wird und nicht erst der Zeitpunkt der Zustellung der Anspruchsbegründung (vgl. BayObLG, Beschluss vom 26. Juli 2022, 102 AR 65/22, juris Rn. 20 m. w. N.).
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bb) Der Kläger übt ein ihm zustehendes Wahlrecht (§ 35 ZPO) zwischen mehreren zuständigen Gerichten bei vorgeschaltetem Mahnverfahren dadurch aus, dass er im Mahnbescheidsantrag gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO dasjenige Gericht bezeichnet, das für das Streitverfahren zuständig sein soll. Mit der Zustellung des entsprechend ausgefertigten Mahnbescheids ist die einmal getroffene Wahl für den Kläger grundsätzlich verbindlich und unwiderruflich geworden (BGH, Beschluss vom 19. Januar 1993, X ARZ 845/92, NJW 1993, 1273 [juris Rn. 2]). Beantragt der Kläger die Durchführung des streitigen Verfahrens, gibt das Mahngericht das Verfahren nach Widerspruch von Amts wegen an das Gericht ab, das in dem Mahnbescheid gemäß § 692 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bezeichnet worden ist; die Abgabe an ein anderes Gericht ist nur dann möglich, wenn die Parteien dies übereinstimmend verlangen, § 696 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Ein tatsächlich bestehendes Wahlrecht ist zu diesem Zeitpunkt - vorbehaltlich eines abweichenden Antrags der Parteien - bereits ausgeübt und erloschen und kann nicht mehr durch Abgabe- oder Verweisungsantrag ausgeübt werden (vgl. Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, § 696 Rn. 24). Eine Ausnahme kommt in Betracht, wenn erst nach dem gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 5, § 692 Abs. 1 Nr. 1 ZPO maßgeblichen Zeitpunkt ein Wahlrecht entstanden ist (OLG München, Beschluss vom 23. November 2006, 31 AR 138/06, juris Rn. 7; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, a. a. O. Rn. 13). Sie kann außerdem in Erwägung gezogen werden, wenn zwar bereits ein Wahlrecht bestand, die Klagepartei von den das Wahlrecht begründenden Tatsachen zum maßgeblichen Zeitpunkt aber nicht vorwerfbar, d. h. nicht auf mangelhafter Prozessvorbereitung beruhend, keine Kenntnis hatte (OLG München, a. a. O.).
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cc) § 21 Abs. 1 ZPO verlangt eine Niederlassung, von der aus unmittelbar Geschäfte geschlossen werden. Als Niederlassung wird allgemein jede von dem Inhaber an einem anderen Ort als dem seines (Wohn-)Sitzes für eine gewisse Dauer eingerichtete, auf seinen Namen und für seine Rechnung und selbständig betriebene, aus eigener Entscheidung zum Abschluss von Geschäften und Handeln berechtigte Geschäftsstelle verstanden (vgl. BGH, Urt. v. 13. Juli 1987, II ZR 188/86, NJW 1987, 3081 [juris Rn. 17]). Entscheidend ist dabei nicht das innere Verhältnis zum Hauptunternehmen, sondern ob nach außen der Anschein einer selbständig tätigen Außenstelle erweckt wird (vgl. BGH, Urt. v. 18. Januar 2011, X ZR 71/10, BGHZ 188, 85 [juris Rn. 20]; NJW 1987, 3081 [juris Rn. 16]; BayObLG, Beschluss vom 20. März 2019, 1 AR 6/19, juris Rn. 10; Beschluss vom 14. Dezember 1988, AR 1 Z 90/88, MDR 1989, 459 [juris Rn. 9]; Schultzky in Zöller, ZPO, § 21 Rn. 8; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, § 21 Rn. 3).
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Der Gerichtsstand der Niederlassung nach § 21 Abs. 1 ZPO setzt überdies voraus, dass die Klage auf den Geschäftsbetrieb der Niederlassung Bezug, d. h., dass sie eine Beziehung zum Geschäftsbetrieb der Niederlassung hat (vgl. BGH, Urt. v. 10. Juli 1975, II ZR 56/74, NJW 1975, 2142 [juris Rn. 11]; Toussaint in BeckOK ZPO, § 21 Rn. 5 ff.). Eine nur mittelbare oder ganz entfernte Beziehung zwischen Klage und Geschäftsbetrieb der Niederlassung genügt nicht (vgl. Toussaint in BeckOK ZPO, § 21 Rn. 6).
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4. Der Senat hatte nicht aufzuklären, ob die Klägerin im Hinblick auf ihren Antrag in der Anspruchsbegründung vom 31. Mai 2022, den Rechtsstreit an das Landgericht Hannover zu verweisen, damit der Rechtsstreit mit dem Parallelverfahren gegen den weiteren Kfz-Haftpflichtversicherer verbunden werden könne, (auch) eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beabsichtigte. Ein solcher Antrag ist jedenfalls ausdrücklich nicht gestellt worden. Er wäre zudem nicht erfolgversprechend, zumal nicht ersichtlich ist, dass das Bayerische Oberste Landesgericht für einen Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zuständig gewesen wäre.
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a) Zwar ist die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach vorangegangenem Mahnverfahren gegen mehrere Antragsgegner, die bei verschiedenen Gerichten ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand haben und als Streitgenossen verklagt werden sollen, obwohl ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand für den Rechtsstreit nicht besteht, grundsätzlich auch noch zulässig, nachdem Widerspruch bzw. Einspruch eingelegt worden ist und die Verfahren daraufhin an die im Mahnbescheidsantrag angegebenen Streitgerichte abgegeben worden sind. In diesen Fällen kann der Antrag nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO noch mit der Anspruchsbegründung (§ 697 Abs. 2 ZPO) gestellt oder - bei Unkenntnis über das für das Bestimmungsverfahren zuständige Gericht - zumindest angekündigt und sodann unverzüglich nachgeholt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2013, X ARZ 423/13, NJW-RR 2013, 1531 Rn. 7 f.; BayObLG, Beschluss vom 4. Mai 2020, 1 AR 14/20, NJW-RR 2020, 1263 Rn. 17; Seibel in Zöller, ZPO, § 696 Rn. 15, § 697 Rn. 2). Auf diese Weise hat es ein Anspruchsteller, der mehrere Personen wegen eines gleichgelagerten Sachverhalts in Anspruch nimmt, trotz getrennter Mahnverfahren in der Hand zu entscheiden, ob er gegen diese in einem gemeinsamen oder in getrennten Prozessen vorgehen möchte (vgl. BayObLG NJW-RR 2020, 1263 Rn. 17; OLG Hamm, Beschluss vom 7. Juni 2017, 21 SA 25/17, NJW-RR 2017, 1276 Rn. 17).
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b) Die Zuständigkeit des bestimmenden Gerichts für eine Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO richtete sich in Fällen wie hier, in denen das nächsthöhere gemeinschaftliche Gericht i. S. d. § 36 Abs. 2 ZPO der Bundesgerichtshof ist, nach dem Zeitpunkt der Anhängigkeit des Rechtsstreits beim Streitgericht, § 696 Abs. 1 Satz 4 ZPO, und läge daher nur dann beim Bayerischen Obersten Landesgericht, wenn die Akten des Mahnverfahrens nach der jeweiligen Abgabe zuerst beim Landgericht München I und nicht beim Landgericht Hannover eingegangen wären.
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c) Eine Gerichtsstandsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO setzte zudem voraus, dass kein gemeinsamer Gerichtsstand bestand, an dem der Anspruch gegen beide Antragsgegner hätte verfolgt werden können. Dies ist jedoch offensichtlich der Fall, da die beiden streitgegenständlichen Trikes, von denen nach dem Vorbringen der Klägerin die Brandursache ausgegangen ist, bei Eintritt des Feuerschadens auf dem Grundstück in der … in W. (W2.) und somit im Bezirk des Landgerichts Lüneburg befindlich waren (Handlungsort) und dort zudem - eine Haftung der Halter der Fahrzeuge unterstellt - ein einheitlicher Erfolgsort gegeben gewesen wäre, § 32 ZPO. § 32 ZPO gilt auch für im Wege der Legalzession nach § 86 VVG übergegangene Ansprüche (Toussaint in BeckOK ZPO, § 32 Rn. 6) und den Direktanspruch aus § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG i. V. m. § 1 PflVG (BGH, Beschluss vom 3. März 1983, NJW 1983, 1799 [juris Rn. 4] zu § 3 Nr. 1 PflVG a F.; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, § 32 Rn. 2; Toussaint in BeckOK ZPO, § 32 Rn. 6). Ein gemeinschaftlicher besonderer Gerichtsstand wäre auch nach § 20 StVG eröffnet gewesen. Dass beide Beklagten am Ort des Brandes hätten verklagt werden können, hindert eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO für einen Rechtsstreit der Klägerin als Gebäudeversicherer gegen die beiden Haftplichtversicherer aus übergegangenem Recht der geschädigten Grundstückeigentümerin gemäß § 86 VVG, § 7 StVG, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 830 Abs. 1 Satz 2 BGB.