Inhalt

VG München, Urteil v. 18.04.2023 – M 32 K 21.5948
Titel:

Schornsteinfegerrecht, Verfristete Klage gegen Zweitbescheid, Zustellung mittels Postzustellungsurkunde, Vertrag über Weiterleitung an Postfach, Doppeltadressierung des Zweitbescheids, Unzulässige Feststellungsklage gegen Ersatzvornahme

Normenketten:
VwGO § 74
ZPO § 180
VwZVG Art. 8a
VwGO § 43 Abs. 2
Schlagworte:
Schornsteinfegerrecht, Verfristete Klage gegen Zweitbescheid, Zustellung mittels Postzustellungsurkunde, Vertrag über Weiterleitung an Postfach, Doppeltadressierung des Zweitbescheids, Unzulässige Feststellungsklage gegen Ersatzvornahme
Rechtsmittelinstanz:
VGH München vom -- – 21 B 24.83
Fundstelle:
BeckRS 2023, 13018

Tenor

I Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht vorher der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen seine Verpflichtung zur Veranlassung von Schornsteinfegerarbeiten in seinem Anwesen in P. sowie gegen die durchgeführte Ersatzvornahme.
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Für das Anwesen des Klägers, das auch im Miteigentum seines Bruders steht, erstellte der zuständige bevollmächtigte Bezirksschornsteinfeger einen an den Kläger und seinen Bruder adressierten Feuerstättenbescheid vom 16. November 2020, in dem die Adressaten verpflichtet wurden, an der Heizungsanlagen des Anwesens näher bestimmte Schornsteinfegerarbeiten innerhalb näher bestimmter jährlicher Zeiträume zu veranlassen.
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Nachdem für den Zeitraum 01.06.2021 bis 30.07.2021 nicht der erforderliche Nachweis der Erledigung der Arbeiten eingegangen war, erließ das zuständige Landratsamt nach § 25 SchfHwG unter Hinweis auf den Feuerstättenbescheid einen an den Kläger und seinen Bruder adressierten Zweitbescheid vom 16. September 2021, in welchem es die Erledigung der ausstehenden Arbeiten anordnete und für den Fall, dass dies nicht bis spätestens den 5. Oktober 2021 ordnungsgemäß nachgewiesen sei, die Ersatzvornahme für den 13. Oktober 2021 ab 10 Uhr androhte.
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Am 13. Oktober 2021 wurde die Ersatzvornahme zwischen 10 Uhr und 11 Uhr durchgeführt. Dabei erklärte der anwesende Kläger, dass er keinen Zweitbescheid erhalten habe. In einem Anruf beim Landratsamt am selben Tag teilte der Kläger mit, dass er zu der Ersatzvornahme überhaupt keine Unterlagen erhalten habe. Das Landratsamt faxte dem Kläger den Zweitbescheid und den Feuerstättenbescheid zu. Mit Fax vom 15. November 2021 monierte der Kläger gegenüber dem Landratsamt die Rechtmäßigkeit des Zweitbescheids. Die Voraussetzungen für den Bescheid hätten nicht vorgelegen und die relevanten Vorschriften seien nicht eingehalten worden. Die Ersatzvornahme sei unverhältnismäßig gewesen.
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Am Montag, den 15. November 2021 erhob der Kläger gegen den Zweitbescheid, den er erst am 13. Oktober 2021 erhalten habe, zur Fristwahrung Klage zum Verwaltungsgericht München. Die Klage werde nach Akteneinsicht begründet. Die Akteneinsicht erfolgte am 10. August 2022.
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Mit Schreiben vom 19. Januar 2022 beantragte das Landratsamt, die Klage abzuweisen und begründete den Antrag damit, dass der Kläger seinen Verpflichtungen aus dem Feuerstättenbescheid nicht nachgekommen sei und deshalb nach den gesetzlichen Vorschriften ein Zweitbescheid zu ergehen gehabt habe und auch eine Ersatzvornahme habe stattfinden müssen. Die Durchführung der Ersatzvornahme habe sich im Rahmen der Androhung gehalten und sei nicht unverhältnismäßig gewesen. Die Maßnahme habe der dauerhaft erforderlichen Sicherstellung der Betriebs- und Brandsicherheit sowie des Umweltschutzes gedient.
7
Mit Schreiben vom 7. Februar 2022 beantragte der Kläger festzustellen, dass die Ersatzvornahme rechtswidrig gewesen sei. Er habe den zu Grunde liegenden Feuerstättenbescheid und den Zweitbescheid erst nach Durchführung der Ersatzvornahme erhalten. Während der Ersatzvornahme habe man ihm zunächst nicht den Grund „für den bewaffneten Einbruch“ nennen und auch keine rechtfertigenden Unterlagen vorlegen wollen. Die Ersatzvornahme sei darüber hinaus nicht angemessen gewesen, da keine Anhaltspunkte vorgelegen hätten und vorlägen, dass die Heizungsanlage nicht ordnungsgemäß arbeite.
8
In der mündlichen Verhandlung vom 18. April 2023 trug der Kläger vor, dass er in seinem Briefkasten im Anwesen in P. den Zweitbescheid nicht gefunden habe. Er habe mit der D P einen Postfachvertrag dergestalt abgeschlossen, dass sämtliche Post mit seinem Namen und seiner Anschrift in P. als Adresse an ein Postfach weitergeleitet würde. Wegen der wegen Art. 8a VwZVG unzulässigen Doppeltadressierung an ihn und seinen Bruder dürften der Feuerstättenbescheid und der Zweitbescheid nicht von der nur für seinen Namen als Adresse geltenden Postfachweiterleitung erfasst worden sein. Er habe die Bescheide auch nicht in seinem Postfach gefunden.
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Wegen der näheren Einzelheiten wird auf die Behörden- und Gerichtsakte, insbesondere auf das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist im Anfechtungs- und im Feststellungsbegehren unzulässig.
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1. Die Anfechtungsklage gegen den Zweitbescheid vom 16. September 2021 ist wegen Verfristung unzulässig.
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Der mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrungversehene Zweitbescheid wurde ausweislich der Postzustellungsurkunde am 18. September 2021 unter der Adresse des Klägers und seines Bruders in P. zugestellt, und zwar durch Einlegung der Sendung „in den zur Wohnung gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung“, „weil die Übergabe des Schriftstücks in der Wohnung nicht möglich war“. Die einmonatige Klagefrist nach § 74 VwGO endete damit am Montag, den 8. Oktober 2021. Die erst am 15. November 2021 erhobene Klage ist deshalb verfristet und unzulässig.
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a. An diesem Ergebnis ändert der Einwand des Klägers nichts, er habe den Zweitbescheid nicht im Briefkasten seines Anwesens vorgefunden, sondern von dem Bescheid erst nach der am 13. Oktober 2021 durchgeführten Ersatzvornahme Kenntnis erhalten.
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Die Behauptung des Klägers ist vor dem Hintergrund der Aussage in der Postzustellungsurkunde, dass der Zweitbescheid am 18. September 2021 in den Briefkasten des Anwesens eingelegt worden sei, nicht unzweifelhaft, insbesondere weil kein Sendungsrücklauf zu verzeichnen war. Die Postzustellungsurkunde ist gemäß Art. 3 Abs. 2 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VwZVG) i.V.m. § 182 Abs. 1 Satz 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 418 ZPO eine Urkunde mit öffentlichem Glauben, die vollen Beweis der in ihr bezeugten Umstände erbringt und gegen die nur der Nachweis der Fälschung zulässig ist. Es besteht hier kein Anhalt, dass die Postzustellungsurkunde unrichtig sein sollte. Es kann aber dahinstehen, ob der Kläger tatsächlich von der Sendung in seinem Briefkasten Kenntnis genommen hat oder nicht. Denn für den Zeitpunkt der Zustellung kommt es darauf rechtlich nicht an. Es kommt bei der Zustellung von Sendungen ganz allgemein nur darauf an, wann nach den einschlägigen gesetzlichen Zustellungsvorschriften die Sendung als zugestellt gilt, unabhängig davon, ob der Adressat vom Inhalt Kenntnis genommen hat oder nicht. Nach Art. 3 Abs. 1 VwZVG kann ein Dokument, wie hier der Zweitbescheid, durch die Post mit Zustellungsurkunde zugestellt werden. Für die Ausführung der Zustellung gelten gemäß Art. 3 Abs. 2 VwZVG die §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend. Vorliegend wurde der Zweitbescheid gemäß § 180 Satz 1 ZPO im Wege der Ersatzzustellung durch Einlegen des Schriftstücks in den Briefkasten des Anwesens des Klägers zugestellt. Gemäß § 180 Satz 2 ZPO galt das Schriftstück damit als zugestellt, und zwar mit dem Tag der Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten (§ 180 Satz 3 ZPO), hier also am 18. September 2021. Ab diesem Zeitpunkt lief die Frist für eine Klage gegen den Zweitbescheid.
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b. Neben der Sache liegt der Einwand des Klägers im Hinblick auf seinen mit der D P geschlossenen Weiterleitungsvertrag, wonach sämtliche Post mit seinem Namen und seiner Anschrift in P. als Adresse an ein Postfach weiterzuleiten ist. Durch die nach Auffassung des Klägers unzulässige Doppeltadressierung des Zweitbescheids an ihn und seinen Bruder sei die Weiterleitung des Bescheids nach den damaligen ausschließlich seinen Namen als Adresse betreffenden Vertragsbedingungen nicht möglich gewesen, so dass der Zweitbescheid auch im Postfach nicht vorgefunden werden konnte. Dieser Einwand hat mit der hier zulässig vorgenommenen Ersatzzustellung nach § 180 ZPO nichts zu tun, bei der wie erwähnt die Sendung vom Zusteller direkt in den Briefkasten des Anwesens geworfen wurde. Die Zustellung mittels Postzustellungsurkunde nach Art. 3 Abs. 1 VwZVG unterliegt zwingend und abschließend den genannten öffentlich-rechtlichen Vorschriften, welche eine Weiterleitung an ein Postfach nicht kennen (siehe auch Allgemeine Geschäftsbedingungen der D. P. AG B. N., Abschnitt 1 Abs. 1 Nr. 1 letzter Halbsatz). Die Nichtweiterleitung der Sendung hatte also mit deren Doppeltadressierung nichts zu tun. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Zustellung nur einer Bescheidsausfertigung an die beiden Brüder unzulässig gewesen ist, was der Kläger aus der Vorschrift des Art. 8a VwZVG herleiten will. Diese Vorschrift behandelt die behördliche Zustellung eines zusammengefassten schriftlichen Bescheids, der Ehegatten oder Ehegatten mit ihren Kindern oder Alleinstehende mit ihren Kindern oder Lebenspartner im Sinn des Lebenspartnerschaftsgesetzes betrifft. In diesem Fall reicht es nach der Vorschrift für die Zustellung an alle Beteiligte aus, wenn ihnen eine Ausfertigung unter ihrer gemeinsamen Anschrift zugestellt wird. Die Frage, ob im Umkehrschluss aus dieser Vorschrift zu folgern ist, dass bei Personen außerhalb des in der Vorschrift genannten Personenkreises, wie hier bei Brüdern, die Zustellung nur einer Bescheidsausfertigung unzulässig ist, braucht deshalb vom Gericht nicht geklärt zu werden.
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2. Die Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der am 13. Oktober 2021 durchgeführten Ersatzvornahme ist unzulässig.
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Diese Klage ist keine sog. Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, weil sich der die Ersatzvornahme androhende Zweitbescheid nicht nach Anfechtungsklageerhebung am 15. November 2021, sondern davor, nämlich am 13. Oktober 2021, erledigt hat. Bei der erhobenen Feststellungsklage handelt es sich um eine allgemeine Feststellungsklage, für die § 43 VwGO die maßgebliche Rechtsgrundlage darstellt. Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann eine Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Eine Gestaltungsklage in Form der Anfechtungsklage war gegen den die Ersatzvornahme androhenden Zweitbescheid seit dessen Zustellung am 18. September 2021 (siehe dazu oben Ziffer 1) bis zu dessen Erledigung am 13. Oktober 2021 möglich gewesen. In diesem Zeitfenster hat der Kläger keine Anfechtungsklage erhoben, weswegen die nunmehrige Feststellungsklage unzulässig ist.
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3. Die Klage war von daher abzuweisen. Als Unterlegener hat der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen, § 154 Abs. 1 VwGO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.