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VG München, Urteil v. 23.05.2023 – M 1 K 19.3981
Titel:

 Erfolglose Klage gegen Beseitigungsverfügung bzgl. Werbeanlage

Normenketten:
BauGB § 35 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Nr. 5
BayBO Art. 55 Abs. 1, Art. 57 Abs. 1 Nr. 12d, Art. 76 S. 1
Leitsatz:
Eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Außenbereich liegt in einer Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft, denn der darin zum Ausdruck kommende funktionale Landschaftsschutz, der angesichts des gesondert geschützten Landschaftsbilds keinen ästhetischen Landschaftsschutz beinhaltet, verfolgt den Zweck, den Außenbereich mit seiner naturgegebenen Bodennutzung durch die Land- und Forstwirtschaft und als Erholungsraum zu erhalten, dh die Landschaft soll in ihrer natürlichen Funktion und Eigenart bewahrt bleiben. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Beseitigungsanordnung, Beeinträchtigung öffentlicher Belange, Werbeanlage, Klageverfahren, Baurecht, Beseitigungsverfügung, Außenbereich, sonstiges Vorhaben, formelle Illegalität, materielle Illegalität, öffentlicher Belang, Eigenart d. landschaft, Landschaftsschutz
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 29.10.2024 – 1 ZB 23.1194
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12986

Tenor

I.    Die Klage wird abgewiesen.
II.    Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer der Klägerin gegenüber verfügten Anordnung der Beseitigung einer Werbeanlage.
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Im Zuge einer Baukontrolle am 2. Mai 2019 stellte die Beklagte fest, dass auf dem nordwestlichen Teil des Grundstücks FlNr. 102 Gem. ... eine Werbetafel aufgestellt worden war. Ausweislich eines Telefonvermerks vom 7. Mai 2019 hörte die Beklagte die Klägerin telefonisch zur beabsichtigten Beseitigung an, weil sich die Werbetafel im Außenbereich befinde und eine Baugenehmigung nicht vorliege. Im Zuge dessen äußerte der Inhaber der Klägerin gegenüber der Beklagten, dass die Werbetafel gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. d BayBO verfahrensfrei sei und sich an anderen Stellen der Stadt ebenfalls Werbeanlagen im Außenbereich befänden.
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Mit streitgegenständlichem Bescheid vom 4. Juli 2019, der Klägerin zugestellt am 10. Juli 2019, verpflichtete die Beklagte den Inhaber der Klägerin innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung des Bescheids die Werbeanlage vollständig, insbesondere inklusive Werbebanner und Zaunelemente, zu beseitigen (Nr. 1) und ordnete zwangsgeldbewehrt (Nr. 3) die sofortige Vollziehung der Nr. 1 an (Nr. 2). Mit der Werbeanlage, die aus zwei Werbebannern aufgespannt auf zwei verbundenen Metallzaunelementen bestehe, werbe die Klägerin für Werbung an dieser Stelle sowie für eine Operngala. Die Anlage sei im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet worden. Sie sei formell baurechtswidrig. Die Errichtung der Anlage sei nicht verfahrensfrei gemäß Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 BayBO. Buchstabe a der Vorschrift scheide aus, weil die Anlage eine Ansichtsfläche von mehr als 1 m² habe. Auch Buchstabe d komme nicht in Betracht, weil sich die Anlage im Außenbereich befinde und erkennbar keinem landwirtschaftlichen Betrieb diene. Sie sei auch materiell baurechtswidrig. Die Anlage befinde sich im Außenbereich und diene keiner Nutzung im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB. Als sonstiges Vorhaben beeinträchtige sie öffentliche Belange. Sie widerspreche dem Flächennutzungsplan, der an der betroffenen Stelle Flächen für Landwirtschaft darstelle. Ferner beeinträchtige die Anlage die natürliche Eigenart der Landschaft und verunstalte das Landschaftsbild. Darüber hinaus verstoße die Errichtung gegen das Gebot der grundsätzlichen Freihaltung und Schonung des Außenbereichs. Die Beseitigungsanordnung erfolge in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens. Sie sei das geeignete Mittel zur Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände und auch erforderlich. Die Anordnung sei auch angemessen. Das Interesse am Fortbestand der Werbeanlage und dem damit verbundenen Werbezweck müsse angesichts des öffentlichen Interesses an der Einhaltung der baurechtlichen Vorschriften und dem Schutz des Außenbereichs zurückstehen. Die kurze Frist zur Beseitigung sei ebenfalls angemessen, weil die Anlage aufgrund ihrer leichten Konstruktion und lediglich provisorischer Aufstellung ohne besonderen Aufwand zu beseitigen sei. Der Einwand, dass an anderer Stelle im Stadtgebiet im Außenbereich ebenfalls Werbeanlagen stünden, führe zu keiner anderen Entscheidung. Es sei bereits nicht ersichtlich, dass es sich dabei um vergleichbare Sachverhalte handle. Auf dem betroffenen Streckenabschnitt seien jedenfalls keine weiteren rechtswidrigen Werbeanlagen bekannt.
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Im Rahmen einer Baukontrolle am 18. Juli 2019 stellte die Beklagte fest, dass die Werbeanlage noch bestand, stellte sodann unter dem 29. Juli 2019 das angedrohte Zwangsgeld fällig und drohte mit Bescheid vom gleichen Datum ein erneutes Zwangsgeld an.
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Mit am 5. August 2019 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz seines Bevollmächtigten hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 04.07.2019 aufzuheben.
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Das Aufstellen der Werbeanlage sei verfahrensfrei nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. d BayBO. Bei dem Banner handle es sich um eine vorübergehende, für sechs Wochen bestimmte, Veranstaltungswerbung. Das Vorhaben widerspreche nicht den Darstellungen des Flächennutzungsplans, weil der Flächennutzungsplan insoweit wegen mangelnder Aussagekraft unbeachtlich sei. Die gesamte Siedlung werde als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt. Damit verbieteten sich sämtliche bauliche Anlagen, die nicht mit dem groben Raster des Flächennutzungsplans im Einklang seien. Des Weiteren könne aufgrund des vorübergehenden Zwecks nicht von einer Beeinträchtigung öffentlicher Belange ausgegangen werden. Die Beklagte erteile regelmäßig Sondernutzungen für Werbeanlagen im Außenbereich.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Die Ansicht der Klagepartei, dass eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange ausscheide, weil der Flächennutzungsplan lediglich Flächen für die Landwirtschaft darstelle, sei fehlerhaft. Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass die Werbeanlage aufgrund ihres vorübergehenden Zwecks eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange ausschließen würde. Die Behauptung, die Beklagte erteile regelmäßig Sondernutzungen für Werbeanlagen im Außenbereich, sei ebenfalls nicht nachvollziehbar. Ob es sich um vergleichbare Fälle handle, sei nicht feststellbar. Im Übrigen sei ein Bauantrag für die streitgegenständliche Werbeanlage nicht gestellt worden. Der Verweis auf möglicherweise in anderen Fällen erteilte Genehmigungen gehe bereits deshalb fehl und stehe im Widerspruch zur von der Klagepartei vertretenen Auffassung, dass Verfahrensfreiheit vorliege. Bei einer Ortseinsicht am 7. Oktober 2019 habe festgestellt werden können, dass die Werbeanlage entfernt worden sei.
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Mit Schriftsatz vom ... November 2019 vertiefte die Klagepartei ihre Ausführungen. Der Flächennutzungsplan habe keine unmittelbare Rechtswirkung für den Bürger und schaffe kein Baurecht. Aussagen im Flächennutzungsplan bindeten den Bürger nicht. Anhaltspunkte dafür, dass die Werbeanlage die natürliche Eigenart der Landschaft verunstalte, seien nicht ersichtlich und bei einer Werbeanlage im vorliegenden Umfang nicht erkennbar. Schließlich fehle es an konkreten Anhaltspunkten dafür, dass die Werbeanlage das Orts- und Landschaftsbild verunstalte.
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Mit Schreiben vom 24. April 2023 und 27. April 2023 erteilten die Parteien ihr Einverständnis zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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I. Über den Rechtsstreit konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erteilt haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
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II. Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die Anordnung der Beseitigung der Werbeanlage ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Gemäß Art. 76 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die teilweise oder vollständige Beseitigung von Anlagen, die im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet oder geändert werden, anordnen, wenn nicht auf andere Weise rechtmäßige Zustände hergestellt werden können. Eine Errichtung im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften ist nach herrschender Meinung (Decker in Busse/Kraus, BayBO, 146. EL 2022, Art. 76 Rn. 79 m.w.N.) gegeben, wenn für das Vorhaben weder die erforderliche Baugenehmigung vorliegt (formelle Illegalität), noch das Vorhaben genehmigungsfähig ist (materielle Illegalität).
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1. Die Werbeanlage ist formell baurechtswidrig. Gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO bedürfen die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von baulichen Anlagen grundsätzlich der Baugenehmigung.
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Die Anlage ist nicht als Werbeanlage mit einer Ansichtsfläche bis zu 1 m² nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. a BayBO verfahrensfrei, weil sie ausweislich der in den Behördenakten befindlichen (vgl. etwa Bl. 12 der Behördenakte – BA) zwei Ansichtsflächen aufweist, die erkennbar bereits jeweils über 1 m² betragen.
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Sie ist ferner auch nicht nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 12 Buchst. d BayBO verfahrensfrei. Danach sind solche Werbeanlagen verfahrensfrei, die nach ihrem erkennbaren Zweck nur vorübergehend für höchstens zwei Monate angebracht werden, im Außenbereich jedoch nur, soweit sie einem Vorhaben im Sinn des § 35 Abs. 1 BauGB dienen. Die Werbeanlage ist bereits nicht vorübergehend für höchstens zwei Monate angebracht. Der durch die vorgelegten Behördenakten dokumentierte Vorgang belegt, dass die Werbeanlage regelmäßig wechselnde Ansichtsflächen beinhaltet, sodass der vorübergehende Zweck alleine aus diesem Grund ausscheidet. Letztlich kann dies ohnehin dahinstehen, weil das Grundstück FlNr. 102 Gem. … … … unter Zugrundelegung der in den Akten befindlichen Lageplänen und Verwendung des elektronischen Kartenmaterials des Programms „BayernAtlas“ im bauplanungsrechtlichen Außenbereich gemäß § 35 BauGB liegt. Es ist nördlich von Verkehrsflächen umgeben. Sowohl südlich als auch westlich und östlich grenzen uneingeschränkt Grünflächen an. Damit liegt das Grundstück eindeutig nicht innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteil. Das Vorhaben dient auch offensichtlich keinem Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB. Nach den im Rahmen der Baukontrollen gefertigten Lichtbilder (Bl. 11f., 17f., 26f. d. BA) dient die Werbeanlage vorrangig Fremdwerbezwecken für öffentliche Veranstaltungen wie Theatervorführungen, Konzerten, Ausstellungen o.ä.
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2. Die errichtete Anlage ist darüber hinaus auch materiell baurechtswidrig, weil sie bauplanungsrechtlich unzulässig ist.
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Als sonstiges Vorhaben im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtigt es öffentliche Belange, weil es bereits den Darstellungen des Flächennutzungsplans widerspricht, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB, und die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB.
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a) Das Vorhaben widerspricht den Darstellungen des Flächennutzungsplans, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Im maßgeblichen Flächennutzungsplan ist das Grundstück FlNr. 102 als Fläche für Landwirtschaft dargestellt. Ob es sich bei dieser Darstellung um eine bloße grundsätzlich überwindbare Allgemeinaussage handelt, bedarf keiner Entscheidung. Anders als bei privilegierten Bauvorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB indiziert in einem Fall des § 35 Abs. 2 BauGB auch bereits der bloße Widerspruch zu einer Allgemeinaussage im Flächennutzungsplan eine Beeinträchtigung öffentlicher Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB (Spieß in Jäde/Dirnberger, Baugesetzbuch, 9. Aufl. 2018, § 35 Rn. 191).
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b) Daneben wird durch die Werbeanlage die natürliche Eigenart der Landschaft beeinträchtigt, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB.
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Der darin zum Ausdruck kommende funktionale Landschaftsschutz, der angesichts des gesondert geschützten Landschaftsbilds keinen ästhetischen Landschaftsschutz beinhaltet, verfolgt den Zweck, den Außenbereich mit seiner naturgegebenen Bodennutzung durch die Land- und Forstwirtschaft und als Erholungsraum zu erhalten. Die Landschaft soll in ihrer natürlichen Funktion und Eigenart bewahrt bleiben. Aus diesem Grund sollen bauliche Anlagen abgewehrt werden, die dem Außenbereich wesensfremd sind (BayVGH, U.v. 13.12.2018 – 2 B 18.1797 – juris Rn. 34). Eine solche Wesensfremdheit gegenüber dem Außenbereich ist hier in Bezug auf die errichtete Werbeanlage anzunehmen. Die Anlage ist auf einem bisher nicht versiegelten, sondern vollständig begrünten Grundstück errichtet worden. Sowohl südlich als auch westlich und östlich befinden sich weithin begrünte Flächen. Das Grundstück FlNr. 102 lässt seine landwirtschaftliche und damit außenbereichstypische Nutzung erkennen. Gegenüber diesem Charakter erweist sich die Werbeanlage als wesensfremd.
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Ob die Werbeanlage darüber hinaus auch das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 a.E. BauGB, kann nach alledem dahinstehen.
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3. Der Bescheid begegnet schließlich keinen Bedenken hinsichtlich der Ermessensausübung der Beklagten. Die Entscheidung über die Anordnung der Beseitigung gemäß Art. 76 Satz 1 BayBO liegt im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde. Die Beklagte hat im Bescheid zu erkennen gegeben, dass sie eine Ermessensentscheidung trifft, sich mit dem Interesse der Klägerin – dem Interesse am Fortbestand der Werbeanlage und dem damit verbundenen Werbezweck für die Klägerin – auseinandergesetzt, diese in die Abwägung eingestellt und im Ergebnis ermessensfehlerfrei dargelegt, weshalb das öffentliche Interesse die Beseitigung der Werbeanlage rechtfertigt.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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IV. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.