Inhalt

VG Ansbach, Urteil v. 02.05.2023 – AN 16 K 20.02290
Titel:

Dienstunfallschutz auf dem Heimweg

Normenkette:
BeamtVG § 31 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Der Unfallschutz auf dem Weg zum oder vom Dienst besteht dann nicht, wenn der Beamte durch eine Gefahr zu Schaden kommt, der er sich freiwillig ausgesetzt hat und die seinem privaten Lebensbereich zuzurechnen ist. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei tätlichen Streitigkeiten auf dem Weg zum oder vom Dienst steht der Beamte nur insoweit unter Dienstunfallschutz, als der Streit aus der dienstlichen Tätigkeit oder aus dem Zurücklegen des Weges erwachsen ist, nicht dagegen, wenn der Streit zB politische oder rein persönliche Gründe hat. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Neben den allgemeinen Risiken des öffentlichen Verkehrs wohnt dem Weg von und zu der Dienststelle von Mitarbeitern der Deutschen Bahn oder anderer Verkehrsbetriebe, die durch ihre Dienstkleidung als solche identifizierbar sind, das Risiko inne, mit Fragen oder Beschwerden in Bezug auf die öffentlichen Verkehrsmittel konfrontiert zu werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Anerkennung eines Übergriffs auf einen Bahnbeamten als Dienst- bzw. Wegeunfall, tätlicher Angriff auf einen Lokführer in Dienstkleidung auf dem Nachhauseweg von der Dienststelle, ursächlicher Zusammenhang zwischen Übergriff und Nachhauseweg, Beamter, Dienstkleidung, Nachhauseweg, tätlicher Angriff, Unfall, Wegeunfall, ursächlicher Zusammenhang
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12864

Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 3. März 2020 und der Widerspruchsbescheid vom 24. September 2020 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verpflichtet, den Vorfall am 17. Januar 2020 als Dienstunfall anzuerkennen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1
Der Kläger begehrt die Anerkennung eines Vorfalls im Januar 2020 als Dienstunfall.
2
Der im Jahr 1968 geborene Kläger ist Beamter und steht als Hauptlokomotivführer im Dienst der DB Fernverkehr AG … Der Kläger verrichtete in der Nacht vom 16. Januar 2020 auf den 17. Januar 2020 von 21:44 Uhr bis 7:36 Uhr seinen Dienst als Triebfahrzeugführer. Nach Beendigung seines Dienstes stand er in Dienstkleidung im Hauptbahnhof … auf dem Bahnsteig und wollte nach Hause fahren, als der angetrunkene Schädiger die Bahnsteigtreppe hoch und auf den Kläger zukam und grölte „Wo ist die VAG nach …?“. Der Kläger bat den Mann, nicht so herumzugrölen. Es kam dabei zu einem Wortwechsel, in dessen Verlauf der Schädiger dem Kläger unvermittelt zweimal mit der flachen Hand auf das rechte Ohr schlug. Zwei zivile Fahrscheinkontrolleure und zwei Mitarbeiter von DB Sicherheit kamen dem Kläger zu Hilfe. Zwei Beamte der Bundespolizei kamen hinzu, nahmen den Schädiger fest und führten die weiteren Ermittlungen.
3
Der Kläger war vom 17. Januar 2020 bis 26. April 2020 arbeitsunfähig.
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Laut der seitens der Beklagten bei den behandelnden Ärzten eingeholten Befundberichte habe bei dem Kläger nach dem zweimaligen Schlag auf das rechte Ohr u.a. eine Otalgie, ein Druckgefühl auf dem rechten Ohr, ein leichtes Benommenheitsgefühl, Schwankschwindel, eine Tubenventilationsstörung, die Verdachtsdiagnose F43.0 mit vorrangig Übererregbarkeitsysmptomatik, intrusive Beschwerden und Grübelneigung und eine Posttraumatische Belastungsstörung sowie im späteren Verlauf eine Schallempfindungsschwerhörigkeit im Hochtonbereich und Tinnitus vorgelegen. Bzgl. der ärztlichen Stellungnahmen wird auf die Behördenakte verwiesen (vgl. dort Bl. 24 ff.).
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Laut Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Beklagten, Dr. …, vom 2. März 2020 zur Feststellung des Gesundheitserstschadens seien die Beschwerden des Klägers in Form des vorübergehend festgestellten Schwankschwindels und der Diagnose R45.7 „Emotioneller Schock oder Stress nicht näher bezeichnet“ nicht auf andere Ursachen als das Schadensereignis zurückzuführen. U.a. die Hörstörung und der Tinnitus stünden jedoch in keinem kausalen Zusammenhang zu dem Schadensereignis (vgl. Bl. 41 der Behördenakte).
6
Mit Urteil des Amtsgerichts – Jugendschöffengericht – … vom 3. Juli 2020 (vgl. Bl. 10 ff. der Gerichtsakte) wurde der Schädiger wegen Körperverletzung gegenüber dem Kläger und weiterer Delikte u.a. wegen Beleidigung und Körperverletzung von U-Bahnfahrer(inne) n in drei Fällen und einer Polizistin in einem Fall zu einer Einheitsjugendstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Den Kläger habe der Schädiger „zweimal ohne jeglichen rechtfertigenden Grund“ mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. Seine Steuerungsfähigkeit sei infolge des diagnostizierten Asperger-Syndroms und ADHS zum Tatzeitpunkt erheblich eingeschränkt gewesen. Zum Tatzeitpunkt habe bei ihm eine maximale Blutalkoholkonzentration von 1,57 Promille vorgelegen.
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Mit Bescheid vom 3. März 2020 und Widerspruchsbescheid vom 24. September 2020 erkannte die Beklagte den Vorfall vom 17. Januar 2020 nicht als Dienstunfall an. Neben dem inneren Zusammenhang zwischen dem Weg und dem Dienst müsse eine rechtlich wesentlich mit der Zurücklegung des Weges zusammenhängende Gefahr den Unfall verursacht haben. Die Gefahr dürfe nicht ursächlich durch private oder allgemeine Umstände zum Unfall geführt haben, sie müsse vielmehr notwendigerweise dem zurückgelegten Weg eigentümlich gewesen sein. Das Schadensereignis vom 17. Januar 2020 sei durch ein privat geführtes Streitgespräch über die Lautstärke zwischen dem Kläger und einer anderen Person verursacht worden, welches in keinem Zusammenhang zum Dienst bzw. einer eigentümlichen Gefahr des Weges von der Dienststelle des Klägers nach Hause stehe. Ein Verhalten des Beamten, welches nicht durch den Willen zur Fortsetzung des Weges von oder zum Ort der Tätigkeit, sondern eindeutig durch eine andere (private) Handlungstendenz gekennzeichnet sei, die keinerlei funktionalen Bezug zum Dienst des Beamten habe, sei vom Dienstunfallschutz ausgeschlossen. Die Handlung des Klägers könne auch nicht als Diensthandlung eingeordnet werden. Zwar könne sich ein Beamter, insbesondere ein Polizeibeamter, jederzeit in den Dienst versetzen, wenn er auf Grund eigenen Entschlusses aus triftigen und objektiv nachprüfbaren Gründen eine für diesen Zeitpunkt und diesen Ort nicht vorgeschriebene dienstliche Handlung vornehme. Dann müssten jedoch besondere Umstände festgestellt werden, die den Schluss rechtfertigen würden, dass das Tätigwerden des Beamten dem dienstlichen Bereich zuzuordnen sei. Solche besonderen Umstände lägen hier nicht vor. Zur Tätigkeit als Triebfahrzeugführer gehöre nicht die Durchsetzung von Ordnung im Bahnhofsbereich und auch nicht der Schutz von Personen auf einem Bahnsteig vor tatsächlichen oder vermeintlichen Belästigungen. Das Einschreiten des Klägers habe nicht auf seiner dienstlichen Funktion beruht. Auf Grund der Anwesenheit von Mitarbeitern von DB Sicherheit und Bahnpolizei sei auch keine Notwendigkeit gegeben gewesen, sich auf eine Auseinandersetzung mit dem späteren Schädiger einzulassen. Das Verhalten des Klägers sei somit seinem Privatbereich zuzurechnen.
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Über seinen Bevollmächtigten hat der Kläger am 29. Oktober 2020 hiergegen Klage erhoben. Der Unfall sei durch eine rechtlich wesentlich mit der Zurücklegung des Weges zusammenhängende Gefahr verursacht worden. Der Kläger habe auf seinen Zug gewartet und noch seine Dienstuniform getragen, die ihn als Bahnbeamten auszeichne. Gerade deshalb sei der Schädiger auf den Kläger zugegangen und habe speziell diesen angegrölt. In seiner Funktion als Bahnbeamter habe der Kläger ihn auch zur Ruhe ermahnt, woraufhin das dem schädigenden Ereignis vorhergehende Streitgespräch entbrannt sei. Das Schadensereignis beruhe daher auf der Beamteneigenschaft des Klägers. Wäre der Kläger nicht auf dem Heimweg vom Dienst in Uniform auf dem Bahngleis gestanden, sei es nicht zum schädigenden Ereignis gekommen. Die zum Unfall führende Gefahr sei insbesondere nicht ursächlich durch private oder allgemeine Umstände hervorgerufen worden. Sie sei dem zurückgelegten Weg eigentümlich gewesen. Der durchschnittliche Bahnreisende, vor allem im angetrunkenen Zustand, unterscheide nicht zwischen Bahnbeamten, die gerade Dienst tun und solchen, die nur die Heimreise antreten. Stein des Anstoßes des Vorfalls am 17. Januar 2020 sei gewesen, dass der Kläger ausweislich seiner Uniform und seines Aufenthaltsortes als Bahnbeamter wahrgenommen werden musste. Die Einordnung der Auseinandersetzung als privaten oder nicht dienstbezogenen Umstand sei fernliegend. Der Schädiger sei dem Kläger weder bekannt gewesen, noch hätte dieser ihn angesprochen, wenn er ihn nicht als Beamten wahrgenommen hätte. Der Kläger habe den Schädiger auch nicht zur schädigenden Handlung provoziert oder dies gerade darauf angelegt. Der Kläger beantragt zuletzt die Aufhebung des Bescheids vom 3. März 2020 und des Widerspruchsbescheids vom 24. September 2020 sowie die Verpflichtung der Beklagten, das Schadensereignis vom 17. Januar 2020 als Dienstunfall anzuerkennen.
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Die Beklagte beantragt
Klageabweisung und bezieht sich im Wesentlichen auf die Ausführungen im Bescheid sowie im Widerspruchsbescheid.
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Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die Behördenakte verwiesen.
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Für den Verlauf der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 2. Mai 2023 verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.
13
1. Der Kläger hat Anspruch auf Anerkennung des Vorfalls vom 17. Januar 2020 als Dienst- bzw. Wegeunfall gemäß § 31 Abs. 1, 2 Beamtenversorgungsgesetz – BeamtVG. Der Ablehnungsbescheid der Beklagten vom 3. März 2020 und der Widerspruchsbescheid vom 24. September 2020 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
14
Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ist ein Dienstunfall ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzlich, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung des Dienstes eingetreten ist.
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Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG gilt auch das Zurücklegen des mit dem Dienst zusammenhängenden Weges zu und von der Dienststelle als Dienst. Die Gleichstellung dient der Erweiterung der Unfallfürsorge des Dienstherrn auf die Gefahren des allgemeinen Verkehrs im öffentlichen Verkehrsraum, denen sich der Beamte aussetzt, um seinen Dienst zu verrichten. Diese Gefahren stammen zwar nicht aus der Risikosphäre des Dienstherrn, sie können aber vom Beamten nicht beherrscht oder beeinflusst werden (vgl. BVerwG, U.v. 10.12.2013 – 2 C 7.12 – juris Rn. 6). Aufgrund der sozialpolitisch motivierten Komponente der Gleichstellung des Wegeunfalls mit dem Dienstunfall ist die Regelung restriktiv auszulegen und sind die besonderen Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung maßgebend (für die entsprechende bayerische Regelung: vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2016 – 3 ZB 15.1521 – juris Rn. 13).
16
Der direkte Weg von und zur Dienststelle unterfällt dem Dienstunfallschutz, wenn er in einem rechtlich wesentlichen Zusammenhang mit dem Dienst steht. Dies ist dann der Fall, wenn der Weg zurückgelegt werden muss, um den Dienst aufzunehmen bzw. nach Dienstende in den privaten Bereich zurückkehren zu können (innerer Zusammenhang). Darüber hinaus muss sich eine rechtlich wesentlich mit der Wegstrecke zusammenhängende Gefahr realisiert haben. Diese Gefahr darf nicht ursächlich auf private oder allgemeine Umstände zurückzuführen sein. Sie muss vielmehr notwendigerweise dem zurückgelegten Weg eigentümlich gewesen sein (vgl. Ziffer 31.2.1.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Beamtenversorgungsgesetz – BeamtVGVwV – vom 3. Januar 2023).
17
Der Dienstunfallschutz soll die typischen und atypischen Gefahren des allgemeinen Verkehrs erfassen. Der Unfallschutz auf dem Weg zum oder vom Dienst besteht dann nicht, wenn der Beamte durch eine Gefahr zu Schaden kommt, der er sich freiwillig ausgesetzt hat und die seinem privaten Lebensbereich zuzurechnen ist. Nicht dienstunfallgeschützt sind Körperverletzungen bzw. Schädigungen, die ein Beamter infolge eines privat motivierten Streits mit einem Dritten auf dem Weg von oder zur Dienststelle erlitten hat, da in aller Regel kein innerer Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit besteht. Eine andere Beurteilung wäre nur angezeigt, wenn die Auseinandersetzung einen unmittelbaren Bezug zur dienstlichen Tätigkeit des Verletzten aufweist. Bei tätlichen Streitigkeiten auf dem Weg zum oder vom Dienst steht der Beamte nur insoweit unter Dienstunfallschutz, als der Streit aus der dienstlichen Tätigkeit oder aus dem Zurücklegen des Weges erwachsen ist, nicht dagegen, wenn der Streit z. B. politische oder rein persönliche Gründe hat (vgl. Wilhelm in GKÖD, Beamtenrecht des Bundes und der Länder, Richterrecht und Wehrrecht, BR 13/21, § 31 Rn. 91 am Ende).
18
a) Der Kläger befand sich im Zeitpunkt des Vorfalls am 17. Januar 2020 zwar nicht im Dienst, jedoch auf dem gemäß § 31 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG in den Dienstunfallschutz einbezogenen direkten Weg von der Dienststelle zu seinem Wohnort, da er unmittelbar nach Dienstende auf dem Bahnsteig auf seinen Zug nach Hause wartete. Auf ein wirksames „Sich-in-den-Dienst-Versetzten“ kam es zur Begründung des Dienstunfallschutzes nicht an.
19
b) Der auf dem Bahnsteig erfolgte Übergriff des Schädigers auf den Kläger stellt ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares Ereignis und damit einen Unfall im Sinne des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG dar.
20
c) Durch den Übergriff erlitt der Kläger einen Körperschaden. Laut Gutachten des Ärztlichen Dienstes, Dr. …, vom 2. März 2020 seien jedenfalls der vorübergehend festgestellte Schwankschwindel und die Diagnose R45.7 „Emotioneller Schock oder Stress nicht näher bezeichnet“ ursächlich auf den Vorfall am 17. Januar 2020 zurückzuführende Gesundheitserstschäden.
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d) Zwischen dem Übergriff und dem in den Dienstunfallschutz einbezogenen Nachhauseweg bestand ein ursächlicher Zusammenhang. Mit dem tätlichen Angriff des Schädigers hat sich eine rechtlich wesentlich mit der Wegstrecke des Klägers zusammenhängende Gefahr realisiert (aa.). Diese Gefahr war nicht ursächlich auf private oder allgemeine Umstände zurückzuführen (bb).
22
aa. Neben den allgemeinen Risiken des öffentlichen Straßen- bzw. Nah- und Fernverkehrs wohnt dem Weg von und zu der Dienststelle von Mitarbeitern der Deutschen Bahn oder anderer Verkehrsbetriebe, die durch ihre Dienstkleidung als solche identifizierbar sind, das Risiko inne, mit Fragen oder Beschwerden in Bezug auf die öffentlichen Verkehrsmittel konfrontiert zu werden. Sie tragen zudem das Risiko, dass ihnen – stellvertretend für den jeweiligen Verkehrsbetrieb -der Unmut von Fahrgästen über bestehende Unannehmlichkeiten (wie bspw. Streik, Verspätungen, Zugausfälle etc.) auch in Form von Aggression oder physischer Gewalt zu Teil wird (siehe z.B. „Mehr als 2.300 Angriffe auf Bahnbeschäftigte“ https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/deutsche-bahn-angriffe-bahnbeschaeftigte-100.html vom 23.01.2023, „Angriffe auf Bahn-Mitarbeiter 2022 gestiegen“ https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/deutsche-bahn-angriffe-beschaeftigte-100.html vom 04.03.2023). Da Bahnreisende nicht ohne Weiteres erkennen können und es für ihr Begehren mitunter auch nicht entscheidend ist, ob sich der Angesprochene im Dienst befindet, besteht das Risiko für Dienstkleidung tragende Mitarbeiter innerhalb oder außerhalb des Dienstes bzw. auf dem Weg von und zu der Dienststelle gleichermaßen. Entscheidend ist, dass sie insbesondere in Liegenschaften der Verkehrsbetriebe oder deren Zügen durch ihre Dienstkleidung eindeutig als Betriebszugehörige identifizierbar sind. Dieses Risiko unterscheidet sich von dem allgemeinen Risiko privater Bahnreisender oder zivil reisender Bahnbediensteter, für die das bloße allgemeine Lebensrisiko besteht, in öffentlichen Verkehrsmitteln zufällig angesprochen und in verbale oder tätliche Auseinandersetzungen involviert zu werden. Die äußeren Umstände ermöglichen und begünstigen es, dass Mitarbeiter öffentlicher Verkehrsbetriebe hier gegenüber der Allgemeinheit einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind.
23
Dieses dem zurückgelegten Weg von und zur Dienststelle eigentümliche Risiko hat sich für den Kläger vorliegend am 17. Januar 2020 realisiert. Er befand sich zur Zeit des Übergriffs in Dienstkleidung auf dem Bahnsteig und wartete auf die Abfahrt seines Zuges nach Hause. Er war dabei die übliche Dienstkleidung von Triebfahrzeugführern tragend für den (ausweislich des Strafurteils häufiger die öffentlichen Verkehrsmittel nutzenden) Schädiger als Mitarbeiter der Deutschen Bahn identifizierbar. Von diesem wurde er mit einer Frage zu den öffentlichen Verkehrsmitteln („Wo ist die VAG nach …?“) konfrontiert, auf die er dahingehend reagierte, dass er den Schädiger zur Ruhe ermahnte. Zwischen dem Übergriff und dem Nachhauseweg des Klägers bestand insbesondere durch die Dienstkleidung des Klägers, aber auch durch den unmittelbaren äußeren und inneren Bezug des Übergriffs zu den öffentlichen Verkehrsmitteln und damit der dienstlichen Tätigkeit des Klägers ein ursächlicher Zusammenhang.
24
bb. Die sich für den Kläger realisierte Gefahr ist nicht ursächlich auf private oder allgemeine Umstände zurückzuführen. Der dienstliche Ursachenzusammenhang wurde nicht durch eine neue, überwiegend privat veranlasste Handlungstendenz des Klägers unterbrochen bzw. von einer solchen überlagert. Der Kläger hat mit seinem Verhalten keine neue objektive Handlungssequenz in Gang setzt, die sich deutlich von dem bloßen „in den / von dem Dienst Fahren“ abgrenzen lässt (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2016 – 3 ZB 15.1521 – juris Rn. 8). Der Kläger hat insbesondere auch keine Handlungen vorgenommen, die mit dem Dienst/den Dienstaufgaben schlechthin nicht mehr in Zusammenhang gebracht werden hätten können oder die dem wohlverstandenen Interesse des Dienstherrn erkennbar zuwidergelaufen wären, weil sie z. B. völlig vernunftwidrig gewesen wären (Kazmaier in: Stegmüller/Schmalhofer/Bauer, Beamtenversorgungsgesetz des Bundes und der Länder, Ziffer 8.1.2 Dienstaufgaben, Rn. 62 unter Hinweis auf Rechtspr. des Bundesverwaltungsgerichts sowie 31.1.1.11 BeamtVGVwV, Ziffer 13.1.3 Dienst als Ursache für den Weg Rn. 183 ff.).
25
Aus dem zwischen den Beteiligten unstreitig gebliebenen Sachverhalt ist nicht ersichtlich, dass der Kläger eine eigene Handlungstendenz verfolgt hätte. Im Laufe des Verfahrens gab er über seinen Bevollmächtigten an, er habe den Schädiger in seiner Funktion als Bahnbeamter zur Ruhe ermahnen wollen. Diese Absicht ist nicht derart fernliegend, dass sie mit dem Dienst/den Dienstaufgaben eines Lokführers schlechthin nicht mehr in Zusammenhang gebracht werden könnte. Eine eigene Handlungstendenz wurde insbesondere auch nicht dadurch geschaffen, dass der Kläger statt die Ansprache durch den Schädiger zu ignorieren oder ihm Auskunft auf die Frage „Wo ist die VAG nach …?“ zu geben, ihn um Ruhe gebeten hat. Zwar hätte es sich dabei um ein denkbares Alternativverhalten gehandelt, gleichwohl ist darin nicht das einzig sozialadäquate, den Interessen der Deutschen Bahn dienende Verhalten in einem solchen Zusammenhang zu sehen. Der Kläger durfte mangels anderslautender Anweisungen der Beklagten vielmehr davon ausgehen, dass sein Bestreben, auffällige Personen bei Ansprache in den Örtlichkeiten der Deutschen Bahn zur Mäßigung aufzurufen, im wohlverstandenen Interesse der Beklagten ist. Zudem dürfte es sich bei der Reaktion des Klägers um ein weitgehend intuitives Verhalten gehandelt haben. Ihm kann jedenfalls im Rahmen der Anerkennung des Vorfalls als Dienstunfall nicht zur Last gelegt werden, dass er sich nicht innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde umgesehen hat, ob – wie hier der Fall – DB-Bedienstete in greifbarer Nähe sind, die ebenfalls auf die Ansprache des Schädigers hätten reagieren können. Darüber hinaus ist fraglich, ob ein alternatives Verhalten beim Schädiger tatsächlich die Wirkung erzielt hätte, dass dieser sich beruhigt, abwendet und es nicht zum Angriff auf den Kläger kommt. Dem Urteil des Amtsgerichts … – Jugendschöffengericht – kann entnommen werden, dass der Schädiger im Tatzeitpunkt stark alkoholisiert war und bereits in der Vergangenheit u.a. aufgrund psychischer Erkrankungen gerade uniformierten Personen gegenüber aggressiv aufgetreten ist. So wurde der Schädiger wegen Körperverletzungen bzw. Beleidigungen an insgesamt drei U-Bahnfahrern, einem Bahnbeamten (vorliegendes Verfahren) und einer Polizistin verurteilt. Der Tatort und die Identifizierbarkeit des Klägers als Bahnmitarbeiter haben den Übergriff in dieser Form folglich mindestens begünstigt, wenn nicht sogar ausgelöst.
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Dass der Kläger sich durch eigens (Fehl-)verhalten erst in die Gefahr des Angriffs gebracht hat, konnte die Kammer nicht feststellen. Es liegen ausweislich des Strafurteils und auch im Übrigen keine Hinweise dafür vor, dass der Angriff als Reaktion auf das klägerische Verhalten erfolgte, weil der Kläger sich selbst provokativ oder eskalierend gegenüber dem Schädiger verhalten hätte.
27
e) Die Meldung des Unfallereignisses beim Dienstvorgesetzten erfolgte innerhalb der zweijährigen Ausschlussfrist nach Eintritt des Unfalls (§ 45 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG).
28
Nach alledem liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 31 Abs. 1 und 2, § 45 Abs. 1 BeamtVG vor, weshalb das Gericht gemäß § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO die Beklagte verpflichten konnte, den Vorfall am 17. Januar 2020 als Dienstunfall anzuerkennen.
29
2. Die Kostentragungspflicht der unterliegenden Beklagten ergibt sich aus § 161 Abs. 1, § 154 Abs. 1 VwGO.