Titel:
Keine Ansprüche gegen Audi wegen des dort entwickelten, hergestellten und eingebauten 3,0-Liter-Motors (hier: Audi Q5 3.0 l TDI Quattro)
Normenketten:
BGB § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1
ZPO § 264 Nr.2, § 287
Leitsätze:
1. Vgl. zu 3,0 Liter-Motoren von Audi mit unterschiedlichen Ergebnissen auch: BGH BeckRS 2021, 37683; BeckRS 2022, 21374; KG BeckRS 2023, 2608; OLG Bamberg BeckRS 2023, 10858; BeckRS 2023, 10853; BeckRS 2023, 11790; OLG Brandenburg BeckRS 2022, 32170; OLG Braunschweig BeckRS 2022, 28824; BeckRS 2022, 27100; OLG Nürnberg BeckRS 2023, 5896; BeckRS 2023, 5895; BeckRS 2023, 8575; BeckRS 2023, 9333; OLG Zweibrücken BeckRS 2022, 39887; BeckRS 2022, 39888; BeckRS 2022, 18797; BeckRS 2022, 34107; BeckRS 2022, 36850; OLG München BeckRS 2022, 43580; BeckRS 2023, 7833; BeckRS 2022, 36080 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1); OLG Bamberg BeckRS 2022, 28703 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1) sowie OLG Brandenburg BeckRS 2021, 52227 (mit weiteren Nachweisen in Ls. 1). (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Umstellung von „großem Schadenersatz“ auf „kleinen Schadenersatz“ erweist sich als auch in der 2. Instanz stets zulässige (qualitative) Klageänderung nach § 264 Nr. 2 ZPO. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung und auch dann, wenn lediglich der „kleine Schadenersatz“ geltend gemacht wird, so dass bei der Bemessung des kleinen Schadensersatzes die vom Geschädigten gezogenen Nutzungen und der Restwert des Fahrzeugs schadensmindernd anzurechnen sind, allerdings erst dann und nur insofern, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen. (Rn. 19 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
4. Der Vorteilsausgleich ist auch dann vorzunehmen, wenn dadurch der Schadenersatzanspruch vollständig aufgezehrt wird. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Diesel-Abgasskandal, Audi AG, 3.0 l V6 Dieselmotor, unzulässige Abschalteinrichtung, Thermofenster, merkantiler Minderwert, kleiner Schadenersatz, Vorteilsausgleich, tatsächlicher Wert, vollständig aufgezehrt
Vorinstanz:
LG Ingolstadt, Urteil vom 20.05.2022 – 72 0 245/21
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12847
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 20.05.2022, Az. 72 O 245/21 Die, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 23.381,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
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Die Klagepartei erwarb am 14.10.2016 bei einem Autohaus in Jesteburg einen Audi Q5 3.0 1 T Dl Quattro Euro 5 180 kW mit einem Kilometerstand von 148.843 km für 31.950,00 €. Der Kaufpreis für das Fahrzeug wurde fremdfinanziert, wobei das Darlehen mittlerweile bereits abgelöst ist. Dabei fielen Finanzierungskosten in Höhe von 974,32 € und Kosten für einen Kreditschutzbrief in Höhe von 1.015,78 € an.
2
Ein verpflichtender Rückruf des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) wegen Vorliegens einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Hinblick auf dessen Emissionsverhalten liegt für das streitgegenständliche Fahrzeug nicht vor. Der PKW verfügt nicht über einen SCR-Katalysator.
3
Am 08.05.2023 betrug der Kilometerstand des streitgegenständlichen Fahrzeugs 227.397 km.
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Mit seiner Klage macht der Kläger gegen die Beklagte im Rahmen des sog. „Abgasskandals“ ursprünglich Schadenersatzansprüche in Form der Rückerstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des gegenständlichen Fahrzeugs geltend.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Das Landgericht Ingolstadt wies die Klage mit Endurteil vom 20.05.2022 ab. Mangels Sittenwidrigkeit ergebe sich aus dem im Fahrzeug verbauten Thermofenster kein Anspruch nach S. 826 BGB. Im Übrigen sei der Vortrag zu sonstigen unzulässigen Abschalteinrichtungen unsubstantiiert.
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Das Endurteil des Landgerichts Ingolstadt wurde der Klagepartei am 23.05.2022 zugestellt. Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 22.06.2022 legte der Kläger gegen das Endur- – teil Berufung ein. Die Berufung wurde mit weiterem Schriftsatz vom 21.07.2022 innerhalb offener Frist begründet.
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Mit der Berufung verfolgt die Klagepartei ihre Klageziele weiter und verweist dabei insbesondere auf etwaige deliktische Ansprüche nach S. 823 Abs. 2 BGB i.V.m. SS 27 Abs. I, 6 Abs. I EG-FGV in Umsetzung des Urteils des EuGH vom 21.03.2023 in der Rechtssache C-100/21.
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Mit Schriftsatz vom 28.04.2023 stellte die Klagepartei ihren Klageantrag auf die Zahlung eines Minderwertes von 20% des Bruttokaufpreises („kleiner Schadenersatz“) um.
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Die Klagepartei beantragt zuletzt;
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag bezüglich des Fahrzeugs der Marke Audi vom Typ Q5 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens EUR 6.390,00 betragen muss, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.256,24 freizustellen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
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Ergänzend wird auf von den Parteien im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
14
Einer weitergehenden Darstellung des Sachverhalts bedarf es vorliegend nicht, da ein Rechtsmittel des Klägers nach Umstellung des Klageantrages mangels Überschreitung einer Beschwer von 20.000,00 € (S. 544 Abs. 2 Nr.l ZPO) unzweifelhaft nicht zulässig ist, S. 540 Abs. 1 Nr. 1, 2 ZPO i.V.m. S 313a Abs. S. 1 ZPO.
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Die zulässige Berufung des Klägers hat im Ergebnis keinen Erfolg und war zurückzuweisen.
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Es kann hier dahingestellt bleiben, ob das streitgegenständliche Fahrzeug – wie von der Klagepartei behauptet – über eine oder mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verfügt und sich hieraus deliktische Schadenersatzansprüche des Klägers gegenüber der Beklagten nach SS 826, 823 Abs. 2 i.V.m. SS ergeben, denn nach Umstellung der Klageanträge auf Ersatz des sogenannten „kleinen Schadenersatzes“ (Ersatz des Minderwertes) wird nunmehr ein etwaiger Schadenersatzanspruch durch den vorzunehmenden Vorteilsausgleich vollständig aufgezerrt.
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1. Die Umstellung von „großem Schadenersatz“ auf „kleinen Schadenersatz“ durch Schriftsatz der Klagepartei vom 28.04.2023 erweist sich als auch in der 2. Instanz stets zulässige (qualitative) Klageänderung nach S. 264 Nr.2 ZPO. Letztlich zielen sowohl der „kleine Schadenersatz“ als auch der „große Schadenersatz“ im Rahmen der deliktischen Haftung des Fahrzeugherstellers gegenüber dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs auf das Erhaltungsinteresse, nicht jedoch auf das Erfüllungsinteresse ab (vgl. BGH, Urteil vom 06.07.2021, VI ZR 40/20, Rn.15 ff), so dass es sich im Ergebnis um lediglich zwei unterschiedliche Berechnungsmethoden zum selben Schaden handelt (vgl. BGH, Urt. v. 23.6.2015 – XI ZR 536/14, Rn. 33 m.w.N.; OLG Saarbrücken Urteil vom 26.01.2022 – 2 U 139/21).
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2. Maßgeblich für die Bemessung dieses „kleinen Schadensersatzes“ ist grundsätzlich der Vergleich der Werte von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsschlusses (BGH, Urteil vom 06.07.2021 -VI ZR 40/20, NJW 2021, 3041 Rn. 16).
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3. Nach den von der Rechtsprechung im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet. Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (vgl. BGH, Urteil vom 25.5.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 65, 66 mwN,' BGH) und auch dann, wenn lediglich der „kleine Schadenersatz“ geltend gemacht wird (vgl. BGH, Urteil vom 17.11.2022 – VII ZR 260/20, BeckRS 2022, 34973).
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a) Insofern sind bei der Bemessung des kleinen Schadensersatzes die vom Geschädigten gezogenen Nutzungen und der Restwert des Fahrzeugs schadensmindernd anzurechnen, allerdings erst dann und nur insofern, als sie den tatsächlichen Wert des Fahrzeugs bei Abschluss des Kaufvertrags übersteigen (BGH, Urteil vom 24.01.2022 – Via ZR 100/21 NJW-RR 2022, 1033).
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Die Behauptung des Klägers als richtig unterstellt, das Fahrzeug sei bei Vertragsschluss bei Berücksichtigung einer Wertminderung von 20% lediglich 25.560,00 € wert gewesen, kommt eine Anrechnung folglich erst dann und nur in dem Umfang infrage, in dem der Kläger höhere Vorteile gezogen hat. Dies ist hier jedoch der Fall.
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b) Die auszugleichenden Vorteile des Klägers belaufen sich vorliegend auf insgesamt 35.210,94 € und übersteigen damit den Bruttokaufpreis von 31.950,00 € auch unter etwaiger Berücksichtigung zusätzlicher Finanzierungskosten. Bei der gem. S. 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile (Nutzungsentschädigung und Restwert) geht der Senat von folgenden Berechnungen und Erwägungen aus:
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aa) Die Nutzungsentschädigung errechnet sich aus der linearen Formel (Nutzungsersatz = Bruttokaufpreis x gefahrene Kilometer (seit Erwerb) / erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt) und beträgt 24.810,94 €. 31.950,OO € x (227.397 km – 148.843 km) / 250.000 km 148,843 km = 31.950,OO € x 78.554 km / 101.157 km = 24.810,94 €.
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Der Senat geht dabei in ständiger Rechtsprechung von einer Gesamtfahrleistung von 250.000 km al-IS.
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Die Schätzung der zu erwartenden Gesamtlaufleistung kann nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gem. S. 287 ZPO primär nach Fahrzeugtyp und Baujahr erfolgen. Dabei hat es der BGH nicht beanstandet, dass bei Dieselfahrzeugen – wie dem streitgegenständlichen – die Gesamtlaufleistung auf 250.000 km geschätzt wird (vgl. BGH, NJW-RR 2021, 1388). Aus dem Sachvortrag des Klägers ergeben sich keine ausreichend aussagekräftige Umstände, die im vorliegenden Fall eine andere Einschätzung gebieten würden. Insbesondere der Umstand, dass wie der Kläger behauptet auf Online-Portalen einzelne Fahrzeuge mit einer Laufleistung von bis zu 400.000 km angeboten werden, reicht nicht aus, denn eine derartige Behauptung enthält keine die Prognose der Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs beeinflussenden Umstände (vgl. BGH NJW-RR 2021, 1388 Rn. 18, beck-online). Die Rechtsprechung stellt bei der Beurteilung der voraussichtlichen Gesamtlaufleistung nicht auf die minimal oder maximal von einzelnen Fahrzeugen des fraglichen Typs erreichte Laufleistung ab, sondern darauf, mit welcher Laufleistung in der Regel zu rechnen ist (vgl. auch BGH vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 82, Urteil vom 27.04.2021, Az.: VI ZR 812/20, Rdnr. 15 ff., vom 18.05.2021, Az.: VI ZR 720/20, Rdnr. 13, Beschluss vom 21.07.2021, Az.: VII ZR 56/21, Rdnr. 1).
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Soweit die Klagepartei vorbringt, dass Fahrzeuge mit größerem Hubraum einem geringeren Verschleiß und eine längere Lebensdauer aufweisen, vermag der Senat dieser Argumentation nicht zu folgen, Die Behauptung eines unmittelbaren technischen Zusammenhangs und eines entsprechenden Erfahrungssatzes in Bezug auf Hubraum und Lebensdauer eines PKW hat die Klagepartei durch keinerlei Zahlen- bzw. Datenmaterial unterlegt. Die Klagepartei verkennt dabei, dass Lebensdauer und Verschleiß eines Fahrzeugs von einer Vielzahl von Faktoren u.a. wesentlich auch durch das Fahrverhalten in Bezug auf Drehzahlbereiche und dem Eigengewicht des Fahrzeugs beeinflusst werden. Zudem hängt die durchschnittliche Gesamtfahrleistung eines Fahrzeugtyps nicht allein von der prognostizierten Lebensdauer des Motors ab, sondern wesentlich auch von der Lebensdauer weiterer wichtiger Fahrzeugkomponenten (Getriebe, Karosserie, etc)
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bb) Der Senat schätzt vorliegend – wie in dem Hinweis vom 02.05.2023 angekündigt – den Restwert für das streitgegenständliche Fahrzeug gemäß S. 287 ZPO auf 10.400,00 € und bezieht sich dabei auf den über die Internetseite www.dat.de recherchierten Wert für das streitgegeständliche Fahrzeug auf Grundlage der Fahrzeugdaten nach Anlage Kl. Dem Hinweis sind die Parteien im Hinblick auf den zu schätzenden Restwert nicht entgegengetreten und haben hierzu auch ihrerseits keinen abweichenden Sachvortrag erbracht.
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c) Der Vorteilsausgleich ist auch dann vorzunehmen, wenn dadurch der Schadenersatzanspruch vollständig aufgezerrt wird (BGH, Urteil vom 30,72020 – VI ZR 354/19). Entgegen der Auffassung der Klagepartei begegnet dieses Vorgehen auch keine europarechtlichen Bedenken. Wie der EuGH in seiner Entscheidung vom 21.03.2023 in der Rechtssache C-100/21 zuletzt noch einmal betont hat, obliegt die Ausgestaltung eines entsprechenden Ersatzanspruchs des Käufers eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gegenüber dem Hersteller, soweit dem Käufer durch die Abschalteinrichtung ein Schaden entstanden ist, den einzelnen Mitgliedsstaaten.
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Unter Berücksichtigung des Effektivitätsgrundsatzes sind die nationalen Gerichte ausdrücklich auch dazu befugt, Sorge zu tragen, dass der Schutz der unionsrechtlich gewährleisteten Rechte nicht zu einer ungerechtfertigten Bereicherung der Anspruchsberechtigten führt. Dies bedeutet jedoch auch, dass sich der Geschädigte tatsächlich gezogene Vorteile nach nationalen Recht anrechnen lassen muss, selbst dann wenn hierdurch im konkreten Einzelfall der Schadenersatzanspruch ganz aufgebraucht wird. Hierin ist kein Verstoß gegen das europarechtliche Effektivitätsgebot zu sehen, denn der Schadenersatzanspruch für diejenigen Käufer, die unter Berücksichtigung des Vorteilsausgleichs einen feststellbaren Schaden durch den Minderwert bei Vertragsabschluss erlitten haben, bleibt unberührt. Es handelt sich dabei nicht um nationale Rechtsvorschriften, die es dem Käufer eines Kraftfahrzeugs praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, einen angemessenen Ersatz des Schadens zu erhalten.
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4. Ein Anspruch auf Freistellung des Klägers von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung besteht hier unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt. Auch unterstellt, es hätte zum Zeitpunkt der Beauftragung des Prozessbevollmächtigten der Klagepartei ein deliktischer Anspruch auf Schadenersatz gegen die Beklagte wegen der Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung bestanden, liegen hier jedoch die weiteren Voraussetzungen für die Freistellung der geltend gemachten „außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nicht vor. Zum einen fehlt es bereits an einem hinreichenden Sachvortrag zu den konkreten vorgerichtlichen Tätigkeiten des Prozessbevollmächtigten. Die in der Klageschrift vom 27.01.2021 und der Replik vom 12.07.2021 enthaltenen pauschalen Ausführungen zur besonderen Schwierigkeit der Dieselabgasproblematik ersetzen keinen konkreten Sachvortrag zur anwaltlichen Tätigkeit im konkreten Einzelfall. Selbst unterstellt, der Klägervertreter hätte hier einen Zahlungsanspruch für den Kläger gegenüber der Beklagten bereits vorgerichtlich geltend gemacht, reicht dies allein noch nicht aus vom Anfall einer zusätzlichen Geschäftsgebühr nach Nr.2300 VV RVG auszugehen.
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Ob eine vorprozessuale anwaltliche Zahlungsaufforderung im Innenverhältnis des Mandanten zum Rechtsanwalt eine Geschäftsgebühr nach RVG 2300 VV auslöst oder als der Vorbereitung der Klage dienende Tätigkeit nach S. 19 Abs. S. 2 Nr. RVG zum Rechtszug gehört und daher mit der Verfahrensgebühr nach RVG 3100 VV abgegolten ist, bestimmt sich nämlich nach Art und Umfang des im Einzelfall erteilten Mandats:
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Erteilt der Mandant den unbedingten Auftrag, im gerichtlichen Verfahren tätig zu werden (vgl. Vor-Bemerkung 3 Abs. 1 Satz 1 VV RVG), lösen bereits Vorbereitungshandlungen die Gebühren für das gerichtliche Verfahren aus, und zwar auch dann, wenn der Anwalt zunächst nur außergerichtlich tätig wird. Für das Entstehen der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG ist dann kein Raum mehr.
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Anders liegt es, wenn sich der Auftrag auf die außergerichtliche Tätigkeit des Anwalts beschränkt oder der Prozessauftrag jedenfalls unter der aufschiebenden Bedingung erteilt wird, dass zunächst vorzunehmende außergerichtliche Einigungsversuche erfolglos bleiben. Ein lediglich (aufschiebend) bedingt für den Fall des Scheiterns des vorgerichtlichen Mandats erteilter Prozessauftrag steht der Gebühr aus RVG 2300 VV nicht entgegen (BGH NJW-RR 2022, 707 Rn. 24; BGH NJW-RR 2021, 1070 Rn. 7).
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Vorliegend fehlt es, obwohl von der Beklagtenpartei bestritten, an hinreichenden Darlegungen der Klagepartei zu einem zunächst nur auf die außergerichtliche Tätigkeit beschränkte oder aufschiebend bedingte Mandatserteilung.
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Die Kostenentscheidung beruht auf S. 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus S. 708 Nr. 10 ZPO.
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Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf SS 47 Abs. 1 Satz 1, 48 GKG i.V.m. S. 3 ZPO. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Bewertung des Gebührenstreitwertes ist nach S. 40 GKG der Zeitpunkt der Antragstellung, also die Einreichung der Berufungsanträge. Später eingetretene Veränderungen (tw. Berufungsrücknahme; tw. Erledigterklärung etc.) bleiben in Bezug auf den Gebührenstreitwert außer Betracht (vgl. OLG München, Beschluss vom 13. Dezember 2016 -s 15 U 2407/16 –,Rz. 16; Toussaint/Elzer, Kostenrecht, 52. Auflage, zu S. 40 GKG Rn. I lff). Dementsprechend ist vorliegend für den Gebührenstreitwert auf die ursprünglichen Berufungsanträge abzustellen Der Antrag auf Freistellung von den Kosten für die vorgerichtliche Rechtsverfolgung ist nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 25. September 2007 – VI ZB 22/07 –, juris). Wegen der wirtschaftlichen Identität der Streitgegenstände war der hilfsweise gestellten Feststellungsantrag nicht streitwerterhöhend zu berücksichtigen. Auch der zusätzlich gestellte Antrag auf Feststellung, dass sich die Beklagte in Annahmeverzug befindet erhöht den Streitwert nicht (vgl. BGH, Beschluss vom 06.07.2010 XI ZB 40/09).