Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 22.05.2023 – 4 U 171/22
Titel:

Kein Schadensersatz wegen angeblicher Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen

Normenketten:
BGB § 31, § 823 Abs. 2, § 826
EG-FGV § 6 Abs. 1, 27 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Beigabe der EG-Übereinstimmungsbescheinigung durch den Hersteller kann nicht ein Erklärungswert einer Willenserklärung gerichtet auf Abschluss eines Garantievertrages beigemessen werden. Eine Garantieerklärung im Kaufrecht ist dadurch gekennzeichnet, dass der Verkäufer in vertragsmäßig bindender Weise die Gewähr für eine vereinbarte Beschaffenheit, deren Dauer oder die anderen nicht die Mängelfreiheit betreffenden Anforderungen übernehmen will und damit zu erkennen gibt, dass er für die Folgen ihres Fehlens einstehen wird. Der EG-Übereinstimmungsbescheinigung kann indessen nicht entnommen werden, dass der Hersteller für das Fehlen von Eigenschaften des in der Typgenehmigung beschriebenen Typs einstehen will. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Käufers im Sinne seines Interesses, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im sachlichen Aufgabenbereich der Vorschriften des Typgenehmigungsrechts bzw. des deutschen Umsetzungsrechts. Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21.03.2023 im Verfahren C-100/21 ergibt sich nichts anderes. (Rn. 12 – 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Garantieerklärung, Typgenehmigungsrecht, Aufgabenbereich, Abschalteinrichtung, Thermofenster
Vorinstanz:
LG Bamberg, Endurteil vom 08.07.2022 – 44 O 210/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12832

Tenor

1. Die Berufung der Klagepartei gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 08.07.2022, Aktenzeichen 44 O 210/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Bamberg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 13.536,53 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Hinsichtlich der Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand im angefochtenen Urteil des Landgerichts Bamberg vom 08.07.2022 Bezug genommen. Ergänzend wird, insbesondere auch wegen der im Berufungsverfahren gestellten Anträge, auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 20.03.2023 verwiesen.
II.
2
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 08.07.2022, Aktenzeichen 44 O 210/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
3
Zur Begründung wird auf den vorausgegangenen Hinweisbeschluss des Senats vom 20.03.2023 Bezug genommen. Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass. Lediglich ergänzend sind folgende Ausführungen veranlasst:
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1.) Soweit die Klagepartei geltend macht, die Beklagte habe mit Vorsatz gehandelt, weil die Abschalteinrichtungen aktiv implementiert werden mussten, wobei sich einer fachkundigen Person die Rechtswidrigkeit bei der Implementierung hätte aufdrängen müssen, rechtfertigt dieser Vortrag lediglich einen Fahrlässigkeitsvorwurf. Auf die Ausführungen unter Ziffer 1. b) im Hinweisbeschluss des Senats vom 20.03.2023 wird hierzu verwiesen. Hinsichtlich der im Zeitpunkt der Handlung zweifelhaften Rechtslage zur Frage der Zulässigkeit von Abschalteinrichtungen wird auf den Hinweisbeschluss unter Ziffer 1. a) gg) Bezug genommen. Vor diesem Hintergrund kann ein Vorsatz der Beklagten auch nicht aus dem „Zeitraum des Verstoßes“, nämlich dem behaupteten Verbau von Abschalteinrichtungen über einen längeren Zeitraum, entnommen werden.
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Zuletzt begründet auch die Vermutung der Klagepartei, wonach nicht davon auszugehen sei, dass von der Beklagten ein effektives Compliance Management System implementiert wurde, keinen ausreichenden Anhaltspunkt für ein vorsätzliches Handeln der Beklagten. Dies gilt auch für den weiteren spekulativen Vortrag der Klagepartei in diesem Zusammenhang.
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2.) Soweit die Klagepartei meint, die Ankündigung der DUH, gegen die Typgenehmigung des gegenständlichen Fahrzeuges vorzugehen, verstärke das Risiko einer Stilllegung, vermag auch dies einen Schaden nicht ausreichend darzulegen. Aus einer derartigen (bloßen) Ankündigung kann nicht auf einen der Klagepartei drohenden Nachteil geschlossen werden, weil der Bestand der Typgenehmigung hierdurch nicht ernsthaft in Frage gestellt wird. Soweit die Klagepartei weiter ausführt, der EuGH habe „im vorliegenden Urteil nicht nur das Verbandsklagerecht der DUH bestätigt, sondern auch die Rechtswidrigkeit der gegenständlichen Typengenehmigung erneut festgestellt“ (Gegenerklärung Seite 18), wird eine solche – die Rechtswidrigkeit der konkreten Typgenehmigung feststellende – Entscheidung des EuGH nicht konkret benannt und ist dem Senat auch nicht bekannt.
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Es verbleibt daher bei den Ausführungen unter Ziffer 4. im Hinweisbeschluss des Senats vom 20.03.2023.
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3.) Eine Haftung der Beklagten kann auch nicht erfolgreich auf die EG-Übereinstimmungsbescheinigung als einer Garantiekarte gestützt werden. Vertragliche Ansprüche der Klagepartei aus einem selbstständigen Garantievertrag (§ 443 BGB) scheiden unabhängig vom hierzu fehlenden Sachvortrag hinsichtlich des auch nur konkludenten Abschlusses eines entsprechenden Vertrages mit der Beklagten auch aus Rechtsgründen aus.
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Grundlage eines Garantievertrages soll dabei die von der Beklagten erteilte EG-Übereinstimmungsbescheinigung sein, welcher zugleich der Erklärungswert auf Abschluss eines Garantievertrages zuzumessen sein soll. Der Erklärungswert der EG-Übereinstimmungsbescheinigung ist nach dem objektiven Empfängerhorizont zu bemessen, welcher nach der Überzeugung des Senats keine Willenserklärung gerichtet auf Abschluss eines Garantievertrages darstellt. Die Beklagte erfüllt mit der EG-Übereinstimmungsbescheinigung eine gesetzliche Verpflichtung (vgl. Art. 18 der RL 2007/46/EG i.V.m. §§ 6, 27 EG-FGV), welche Voraussetzung für die Erstzulassung des Fahrzeuges ist. Dabei hat die Beklagte dem Fahrzeug eine entsprechende Bescheinigung beizufügen, § 27 EG-FGV. Ausgehend von dieser Verpflichtung der Beklagten, welche zudem gemäß § 37 EG-FGV als Ordnungswidrigkeit bewehrt ist, kann der Beigabe der EG-Übereinstimmungsbescheinigung nicht ein Erklärungswert einer Willenserklärung gerichtet auf Abschluss eines Garantievertrages beigemessen werden. Eine Garantieerklärung im Kaufrecht ist dadurch gekennzeichnet, dass der Verkäufer in vertragsmäßig bindender Weise die Gewähr für eine vereinbarte Beschaffenheit, deren Dauer oder die anderen nicht die Mängelfreiheit betreffenden Anforderungen übernehmen will und damit zu erkennen gibt, dass er für die Folgen ihres Fehlens einstehen wird. Der EG-Übereinstimmungsbescheinigung kann indessen nicht entnommen werden, dass die Beklagte für das Fehlen von Eigenschaften des in der Typgenehmigung beschriebenen Typs einstehen will. Bereits das in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung verwandte Verb „bestätigt“ lässt eine derartige Gewährübernahme nicht erkennen (vgl. OLG München, 3 U 3129/19, Urteil vom 04.12.2019, Rn. 28 f. m. w. N. – juris). Ein Rechtsbindungswille der Beklagten ist somit sowohl mangels Sachvortrag als auch aus Rechtsgründen nicht gegeben.
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4.) Auch soweit nach der aktuellen Rechtsprechung des EuGH die Regelungen der Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 auch dem Schutz von Einzelinteressen individueller Fahrzeugkäufer dienen, wenn das Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet ist, verhilft dies der Berufung nicht zum Erfolg.
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Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 31 BGB bzw. § 831 BGB, Art. 5 Abs. 1, 2 i. V. m. Art. 3 Nr. 10 VO (EG) Nr. 715/2007, Art. 4 Abs. 2 UAbs. 2 (EG) Nr. 715/2007 bzw. den §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV oder gemäß § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 18 Abs. 1 der RL 2007/46/EG scheitern jeweils bereits an dem Umstand, dass der Klagepartei aus § 823 Abs. 2 BGB kein Anspruch auf großen Schadensersatz wegen eines ungewollten Vertragsschlusses zusteht. Weder Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 noch §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV dienen dem Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des einzelnen Fahrzeugerwerbers (vgl. OLG München, 27 U 6731/22, Beschluss vom 31.03.2023, BeckRS 2023, 6956, Rn. 23 – beck-online).
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Das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des einzelnen Käufers im Sinne seines Interesses, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liegt nicht im sachlichen Aufgabenbereich der Vorschriften des Typgenehmigungsrechts bzw. des deutschen Umsetzungsrechts (vgl. BGH, ZR 5/20, Urteil vom 30.07.2020, Rn. 12 ff. – juris; BGH, ZR 252/19, Urteil vom 25.05.2020, Rn. 76 – juris; BGH, ZR 270/20, Urteil vom 24.03.2022, Rn. 27 f. – juris; BGH, ZR 252/19, Urteil vom 25.05.2020, Rn. 75 f. – juris; OLG München, 27 U 6731/22, Beschluss vom 31.03.2023, BeckRS 2023, 6956, Rn. 25 – beck-online).
13
Aus dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 21.03.2023 im Verfahren C-100/21 ergibt sich nichts anderes. Der Europäische Gerichtshof hat nicht festgestellt, dass die vorgenannten Schutzgesetze dem Schutz des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts des einzelnen Fahrzeugerwerbers dienen. Er hat die Vorlagefrage nicht dem Vorschlag des Generalanwalts Rantos (Schlussanträge vom 02.06.2022 – C-100/21, BeckRS 2022, 12232, Rn. 50 – beck-online) folgend dahin beantwortet, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der RL 2007/46 dahin auszulegen sind, dass sie insbesondere das Interesse, kein Fahrzeug zu erwerben, das mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 ausgestattet ist, schützen (vgl. OLG München, 27 U 6731/22, Beschluss vom 31.03.2023, BeckRS 2023, 6956, Rn. 25 m. w. N. – beck-online; OLG Hamm, 7 U 113/22, Beschluss vom 23.03.2023, BeckRS 2023, 4904, Rn. 25 – beck-online).
14
Zwar hat der Europäische Gerichtshof anerkannt, dass Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Rahmenrichtlinie in Verbindung mit Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 715/2007 die Einzelinteressen des individuellen Käufers eines Kraftfahrzeugs schützen und damit ein Anspruch des Käufers einhergeht, dass das Fahrzeug nicht mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 dieser Verordnung ausgestattet ist. Er hat aber nicht festgestellt, dass bereits die Nichterfüllung dieses Anspruchs automatisch einen Schaden darstellt. Ob und wann im Anwendungsbereich des hier maßgeblichen § 823 Abs. 2 BGB von einem Schaden auszugehen ist, ist eine Frage des deutschen Rechts (vgl. OLG München, 27 U 6731/22, Beschluss vom 31.03.2023, BeckRS 2023, 6956, Rn. 24 m. w. N. – beck-online).
15
Schäden, die aus einer ungültigen und auch den Käufer schützenden Übereinstimmungsbescheinigung resultieren, werden von der Klagepartei aber nicht geltend gemacht, wenn sie behauptet, einen vermeintlich ungewollten Vertrag rückgängig machen zu wollen (vgl. OLG München, 27 U 6731/22, Beschluss vom 31.03.2023, BeckRS 2023, 6956, Rn. 25 m. w. N. – beck-online; OLG Schleswig, 7 U 198/21, Beschluss vom 18.07.2022, BeckRS 2022, 18482, Rn. 29 – beck-online). Hier macht die Klagepartei jedoch gerade ausdrücklich die Verletzung ihres wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts geltend, wenn sie die Rückabwicklung eines angeblich ungewollten Kaufvertrages begehrt und sich (zuletzt in der Gegenerklärung) auf einen Schaden durch den Abschluss des Vertrages beruft.
16
5.) Eine Aussetzung des Verfahrens gemäß § 148 ZPO analog war und ist daher nicht geboten
III.
17
1.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
18
2.) Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10 Satz 2, 711 Satz 1, 713 ZPO.
IV.
19
Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungsverfahren erfolgt gemäß §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO. Wegen der Einzelheiten wird auf die Ausführungen unter Ziffer IV. im Hinweisbeschluss vom 20.03.2023 verwiesen.