Inhalt

LArbG Nürnberg, Beschluss v. 01.06.2023 – 2 Ta 49/23
Titel:

Streit um die Art der Durchführung von Betriebsversammlungen als Voll- oder Teilversammlungen

Normenketten:
RVG § 23 Abs. 3, § 33
BetrVG § 9, § 42
Leitsätze:
Beim Streit um die Art der Durchführung von Betriebsversammlungen als Voll- oder Teilversammlungen handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne von § 23 Abs. 3 S. 2 RVG. (Rn. 12)
Gem. § 23 Abs. 3 S. 2 RVG ist der Wert für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten auf den Hilfswert von 5.000 €, nach Lage des Falles niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000 € festzusetzen. Der in § 23 Abs. 3 S. 2 RVG formulierte Wert ist dabei weder als Regelwert, von dem nur bei besonderen Umständen abgewichen werden darf, noch als Wertuntergrenze zu verstehen. Vielmehr handelt es sich bei dem Betrag um einen Hilfswert für den Fall des Fehlens individueller Anhaltspunkte, auf den nur dann zurückzugreifen ist, wenn alle Möglichkeiten für eine individuelle Bewertung ausgeschöpft sind (Bestätigung von LAG Nürnberg BeckRS 2021, 58030). (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsversammlung, Gegenstandswert, Vollversammlung, Teilversammlung, nichtvermögensrechtliche Streitigkeit
Vorinstanz:
ArbG Würzburg, Beschluss vom 11.04.2023 – 3 BVGa 1/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 12552

Tenor

Die Beschwerde der Prozessvertreterin des Antragstellers gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Schweinfurt – vom 11.04.2023, Az. 3 BVGa 1/23, wird zurückgewiesen.

Gründe

A.
1
Mit Antrag vom 23.02.2023 begehrte der Beteiligte zu 1) die Feststellung, dass am 16.03.2023 eine Betriebsversammlung als Vollversammlung durchgeführt wird und die Beteiligte zu 2) einen Kostenvorschuss zur Anmietung eines Pfarrsaals in Höhe von 130,- € zuzüglich Mehrwertsteuer zu leisten hat. Im Betrieb sind ca. 280 Arbeitnehmer beschäftigt.
2
Das Verfahren wurde durch gerichtlichen Vergleich vom 08.03.2023 beendet.
3
In Folge beantragte die Prozessvertreterin des Antragstellers die Festsetzung des Gegenstandswertes auf 15.000,- € (Bl. 43 d.A.). Mit Beschluss vom 11.04.2023 setzte das Ausgangsgericht den Gegenstandswert entsprechend § 23 Abs. 3 S. 2 RVG auf 5.000,- € fest.
4
Mit Schriftsatz vom 25.04.2023, eingegangen beim Arbeitsgericht am selben Tage, legte die Prozessvertreterin des Antragstellers hiergegen Beschwerde ein. Sie hält einen Gegenstandswert von 15.000,- € für richtig. Auszugehen sei vom Hilfswert des § 23 Abs. 3 S. 2 RVG (5.000,- €), der entsprechend der Staffelung des § 9 BetrVG um jeweils den halben Hilfswert zu erhöhen sei.
5
Das Arbeitsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 10.05.2023 nicht ab und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht Nürnberg zur Entscheidung vor. Bei Gegenstandswertfestsetzungen sei zu berücksichtigen, dass im Streit nicht die Durchführung der Betriebsversammlung (das „Ob“) gestanden habe, sondern die Art der Versammlung, also das „Wie“. Deshalb sei auch nicht auf die Betriebsgröße entsprechend der Staffel des § 9 BetrVG abzustellen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Nichtabhilfebeschluss Bezug genommen (Bl. 55 ff. der Akten).
6
Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme bis 31.05.2023. Der Vertreter der Beteiligten zu 2 hält den Beschluss des Arbeitsgerichts für richtig. Die Prozessvertreterin des Antragstellers hält an ihrer Auffassung fest. Jedenfalls sei der doppelte Hilfswert als angemessen anzusehen.
7
Wegen des genauen Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der Beschwerdeakte Bezug genommen.
B.
8
I. Die Beschwerde der Prozessvertreterin des Antragstellers ist zulässig.
9
Gegen einen Beschluss, durch den der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit gemäß § 33 Abs. 1 RVG festgesetzt worden ist, findet gemäß § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG eine Beschwerde dann statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200,- € übersteigt. Dies ist hier der Fall, denn bereits die einfache Gebührendifferenz nach Anlage 2 zum RVG beläuft sich auf 384,- €. Die Beschwerde ist auch innerhalb von zwei Wochen nach Zuleitung des angegriffenen Beschlusses beim Erstgericht eingegangen, § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG. Der Prozessvertreterin des Antragstellers steht ein eigenes Beschwerderecht zu, § 32 Abs. 2 Satz 1 RVG.
10
II. Die Beschwerde ist nicht begründet.
11
1. Das Arbeitsgericht hat den Gegenstandswert für den Antrag zu 1 (Betriebsversammlung als Vollversammlung) zutreffend mit 5.000,- € bewertet.
12
a. Beim Streit um die Art der Durchführung von Betriebsversammlungen als Voll- oder Teilversammlungen handelt es sich um eine nichtvermögensrechtliche Streitigkeit im Sinne von § 23 Abs. 3 S. 2 RVG. Hiervon ist das Arbeitsgericht zu Recht ausgegangen. Als Teilversammlungen sind Betriebsversammlungen nur dann durchzuführen, wenn wegen der Eigenart des Betriebs eine Versammlung aller Arbeitnehmer zum gleichen Zeitpunkt nicht stattfinden kann (§ 42 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Ob dies der Fall ist, hängt insbesondere von den organisatorisch-technischen Besonderheiten des Betriebs ab, nicht von wirtschaftlichen Interessen (Fitting, 31. Aufl., 2022, § 42 BetrVG, Rn 54a).
13
b. Gemäß § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG ist der Wert für nichtvermögensrechtliche Streitigkeiten auf den Hilfswert von 5.000,- €, nach Lage des Falls niedriger oder höher, jedoch nicht über 500.000,- € festzusetzen. Der in § 23 Abs. 3 Satz 2 RVG formulierte Wert ist dabei weder als Regelwert, von dem nur bei besonderen Umständen abgewichen werden darf, noch als Wertuntergrenze zu verstehen. Vielmehr handelt es sich bei dem Betrag um einen Hilfswert für den Fall des Fehlens individueller Anhaltspunkte, auf den nur dann zurückzugreifen ist, wenn alle Möglichkeiten für eine individuelle Bewertung ausgeschöpft sind (LAG Nürnberg, 19.05.2021 – 2 Ta 44/21).
14
c. Das Beschwerdegericht hält es ebenso wie das Arbeitsgericht im Hinblick auf die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens für angemessen, einen Wert von 5.000,- € festzusetzen. Die im vorliegenden Verfahren zu klärende Rechtsfrage ist weder als besonders einfach, noch als besonders schwierig zu qualifizieren. Auch sind die nur indirekten wirtschaftlichen Auswirkungen für die Wertbemessung nicht vorrangig zu berücksichtigen, da die Durchsetzung der Rechte des Betriebsrats im Streit steht, eben eine nichtvermögensrechtliche Angelegenheit. Jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem nicht das „Ob“ einer Betriebsversammlung, sondern nur die Frage des „Wie“, also die Durchführung als Vollversammlung oder als Teilversammlungen, im Streit war, besteht aus Sicht des Beschwerdegerichts auch keine Veranlassung, den Gegenstandswert nach der Staffelung des § 9 BetrVG zu erhöhen. Die Beteiligte zu 2 berief sich insoweit auf Ihr Schichtmodell und wollte, dass die Teilversammlungen entsprechend der Schichteinteilung erfolgen sollten. Weder die Durchführung als solche noch die Kosten der Veranstaltung lagen im Streit. Die Beteiligte zu 2 hat ausweislich des Inhalts der Akten zu keinem Zeitpunkt die Durchführung der Betriebsversammlungen an sich in Zweifel gezogen. Vor diesem Hintergrund kann das Beschwerdegericht die Auffassung der Prozessvertreterin des Antragstellers nicht nachvollziehen, dass die Durchführung der Betriebsversammlung an sich im Streit gestanden habe.
15
2. Der Antrag zu 2 (Vorschuss für Saalmiete) ist nicht gesondert zu bewerten. Es besteht ein streitwertrechtliches Additionsverbot. Der Antrag zu 2 leitet sich als vermögensrechtlicher Antrag aus dem nichtvermögensrechtlichen Antrag zu 1 ab. In einem solchen Fall ist § 48 Abs. 3 GKG entsprechend anzuwenden (vgl. LAG Düsseldorf 09.01.2017 – 4 Ta 630/16). Der höhere Wert entfällt auf den Antrag zu 1.
16
3. Der als Hilfsantrag gestellte Antrag zu 3 (Zurverfügungstellen von Räumlichkeiten für eine Betriebsvollversammlung) ist wirtschaftlich mit den Anträgen zu 1 und 2 identisch. Denn auch dieser Antrag zielt darauf ab, die Betriebsversammlung als Vollversammlung durchzusetzen. In Anlehnung an § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG ist der höchste Einzelwert maßgebend. Der Antrag zu 3 ist aber aus denselben Erwägungen wie der Antrag zu 1 ebenfalls mit 5.000,- € zu bewerten.
C.
17
I. Die Entscheidung kann ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
18
II. Eine Kostenentscheidung ist Hinblick auf § 33 Abs. 9 RVG nicht veranlasst.